Künstliche Intelligenz im Telekommunikationssektor

Interview von Hannes Mittermaier
14. Oktober 2024
Interviewpartner
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Künstliche Intelligenz im Telekommunikationssektor

Anwendungsbeispiele und aktuelle Perspektiven bei M-net

 

 

Die Implementierung von neuen Technologien hat die Telekommunikationsindustrie längst erreicht. M-net hat den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) fest in seine Unternehmensstrategie integriert, um Geschäftsprozesse zu optimieren und innovative Lösungen zu entwickeln. Der Schwerpunkt liegt sowohl auf der Anwendung analytischer KI zur Datenanalyse als auch auf generativer KI für kundenorientierte Services. Insbesondere der Kundenservice profitiert von der Nutzung großer Sprachmodelle, die eine effiziente und personalisierte Betreuung ermöglichen. Trotz der technologischen Herausforderungen erkennt M-net die immense Bedeutung von KI und fördert aktiv deren Akzeptanz innerhalb der Belegschaft durch Schulungen und sichere Anwendungen.

 

Wie definiert M-Net den Einsatz von Künstlicher Intelligenz in Ihrem Unternehmen, und welche Bedeutung(en) hat KI für das Geschäftsmodell von M-Net?

Vilbig:

 „Künstliche Intelligenz bedeutet für uns sowohl die Anwendung klassischer Ansätze des Machine Learning bei Analyse großer Datenmengen als auch den Einsatz generativer KI auf Basis großer Sprachmodelle, sog. Large Language Models.“

Analytische KI spielt schon länger eine wichtige Rolle für M-net, beispielsweise zur Vorhersage des Kundenverhaltens bei Marketingkampagnen oder Preisanpassungen. Methoden der generativen KI werden zukünftig sehr breite Anwendung im Unternehmen finden, insbesondere im Bereich Kundenservice für unsere ca. 500.000 Privat- und Geschäftskunden.

 

Welche speziellen Herausforderungen wurden schon explizit bei Ihnen mit KI gelöst?

Vilbig: Die Vorhersage des Kundenverhaltens, etwa im Hinblick auf mögliche Kündigungsquoten, spielt eine wichtige Rolle bei der Gestaltung neuer Produktangebote oder Preisanpassungen. Hierfür werden zahlreiche charakteristische Merkmale des Kundenbestands, beispielsweise Wohnort, gewähltes Produkt, Vertriebskanal oder bisheriges Kündigungsverhalten, in anonymer und datenschutzkonformer Form ausgewertet. Machine Learning erlaubt hierbei eine fundierte statistische Analyse dieser Merkmale, die auf das zukünftige Kundenverhalten schließen lässt.

 

Inwieweit ist der Einsatz von KI Teil der langfristigen Strategie von M-Net? Sehen Sie KI als Kerntechnologie, die zukünftige Innovationen vorantreiben wird? Wenn ja, welche?

Vilbig: IT-getriebene Innovationen sind ein expliziter Bestandteil unserer Unternehmensstrategie. Neben bekannten Elementen wie dem Einsatz von Cloud-Technologie oder Automatisierung von Geschäftsprozessen spielt hierbei auch der Einsatz von KI eine wesentliche Rolle. Insbesondere die eindrucksvollen sprachlichen Fähigkeiten der generativen KI-Modelle ermöglichen eine breite Anwendung, etwa im Kundenservice, beim Wissensmanagement oder als Ausgangspunkt für konzeptionelle Aufgaben im gesamten Unternehmen.

 

Können Sie einige konkrete Beispiele nennen (wenn noch nicht geschehen), wie KI aktuell bei M-Net eingesetzt wird? Gibt es spezifische Anwendungen, die besonders erfolgreich waren?

Vilbig: Neben den oben erwähnten Szenarien haben wir seit Ende letzten Jahres dank Unterstützung durch die SWM für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einen direkten Zugang zu den marktführenden KI-Modellen von OpenAI ermöglicht. Hierbei wird von den SWM eine sichere, private ChatGPT-Anwendung in der Cloud bereitgestellt, aus der keine Nutzungsdaten an Dritte weitergegeben werden. Dies ermöglicht eine niederschwellige Annäherung an diese Schlüssel­technologie, mit der neue Anwendungsfälle direkt ausprobiert werden können. Aus den Rückmeldungen der Belegschaft wissen wir, dass nahezu alle Bereiche diesen Zugang intensiv nutzen und bereits jetzt konkrete Zeitersparungen bei ihrer Arbeit erzielen, etwa bei der Erstellung von Dokumentationen, Übersetzungen, Marketing-Unterlagen oder als Ausgangspunkt für neue fachliche Konzepte.

In diesem Jahr haben wir diesen generischen Ansatz durch die Integration eigener Daten und Wissensquellen ergänzt, so dass nunmehr spezifische Fragen und Antworten zu den Produkten und Serviceleistungen des Unternehmens durch das Modell verarbeitet werden können. Dieses Konzept haben wir zunächst als Prototyp eines Kundenservice-Bots implementiert, der bald einem ausgewählten Teilnehmerkreis zugänglich gemacht werden soll. Grundsätzlich sind mit diesem Ansatz jedoch zahlreiche weitere Anwendungsfälle für das Wissensmanagement bei M-net umsetzbar.

 

Innerhalb dieser Bereiche wird KI standardgemäß eingesetzt: Optimierung interner Prozesse, Logistik, Kundenerfahrung, Fehlermanagement und Netzwerksicherheit, Vorhersage von Kundenbedürfnissen. Wählen Sie einen besonderen Bereich, der Ihnen ins Auge sticht, weil er aus Ihrer Sicht speziell KI-prädestiniert ist? Warum?

Vilbig: Aus meiner Sicht ist der Einsatz generativer KI zur Verbesserung des Kundenservice besonders vielversprechend. Die sprachlichen Fähigkeiten der Modelle in Verbindung mit der Integration unternehmensspezifischer Informationen zu Produkten, Services und bekannten Problemlösungen ermöglicht eine individuelle Betreuung der Kunden bei stark verringerten Kosten. Hierbei steht der KI-basierte Kundenservice rund um die Uhr und in einer großen Anzahl an Sprachen zur Verfügung. Selbstverständlich gibt es in diesem Szenario weiterhin die Möglichkeit zur Weiterleitung an einen menschlichen Serviceagenten, wenn das Kundenanliegen nicht direkt gelöst werden konnte. Hierbei hat der Agent aber bereits alle Informationen durch die KI gut aufbereitet zur Verfügung und kann sich auf die Lösung des anspruchsvollen Kundenanliegens besser fokussieren.

 

Welche technologischen Herausforderungen haben Sie beim Einsatz von KI erlebt? Welche erleben Sie derzeit? Vor welchen Hürden stehen Sie aktuell bei der Integration von KI in Ihr bestehendes System?

Vilbig: Die größte technologische Herausforderung ist sicherlich der erste Einstieg in die komplexe und vielfältige Welt der unterschiedlichen KI-Modelle, Frameworks und Integrationsszenarien. Diese unterliegen zudem einem raschen Wandel, wobei nahezu monatlich neue, noch leistungsfähigere Basismodelle vorgestellt werden. Hierbei gilt es zudem verschiedene Betriebsszenarien, sei es im eigenen Rechenzentrum, bei Partnern oder in der Cloud, im Hinblick auf Sicherheit, Skalierbarkeit und Datenschutz zu bewerten und je nach Anwendungsfall passend zu implementieren. Hierbei legen wir großen Wert auf die Weiterbildung der eigenen IT-Experten, damit wir diese Schlüsseltechnologie auch intern sicher beherrschen.

 

Daten sind der Treibstoff für KI. Wie geht M-net mit der Sammlung, Speicherung und Verarbeitung großer Datenmengen um, die für KI-Anwendungen erforderlich sind?

Vilbig:

„Wir legen größten Wert auf die sichere und datenschutzkonforme Erhebung und Weiterverarbeitung aller Daten im Unternehmen.“

Dies betrifft insbesondere personen- und kundenbezogene Daten, deren Verarbeitung strengen gesetzlichen Vorgaben und Richtlinien unterliegt. So muss etwa jede Implementierung von KI-basierten Szenarien durch den Datenschutzbeauftragten des Unternehmens vorab geprüft und freigegeben werden. Immerhin gibt es viele nützliche Anwendungsfälle, bei denen keine personenbezogenen Daten verarbeitet werden oder – im Beispiel des Kundenservice-Bots – nach Abschluss der Transaktion wieder vollständig gelöscht werden können.

 

Wie schaffen Sie es, die Akzeptanz von KI-Technologien innerhalb der Belegschaft zu fördern? Gibt es spezielle Schulungen oder Programme für Ihre Mitarbeiter?

Vilbig: Der oben erwähnte, geschützte Zugang zu ChatGPT hat sehr dazu beigetragen, die Hemmschwelle der Belegschaft bei Nutzung generativer KI zu senken und eine realistische Einschätzung der Möglichkeiten und Einschränkungen dieser Technologie zu erlangen. Zudem wurde eine Reihe interner Schulungen veranstaltet, in deren Rahmen weiterführende Informationen sowie Tipps zum Umgang mit Sprachmodellen, etwa bei der Erstellung von Prompts, vermittelt wurden. Daneben gibt es jederzeit die Möglichkeit, gezielte Fragen, Kritik und Anmerkungen an ein Expertengremium zu richten, das aus Vertretern von Management, IT und Fachbereichen zusammengesetzt ist. Diese Transparenz trägt aus meiner Sicht wesentlich dazu bei, dass die Einführung dieser Technologie bisher sehr sachlich und zielführend gelungen ist.

 

Wie sehen Sie die zukünftige Entwicklung von KI allgemein im Telekommunikationssektor? Gibt es neue KI-Technologien oder Trends, auf die Sie sich besonders freuen?

Vilbig: Ich bin sicher, dass diese Technologie zukünftig sehr breit im Telekommunikationssektor eingesetzt werden wird. Nach den ersten Szenarien im Kundenservice erwarte ich einen verstärkten Einsatz in den technischen Bereichen, etwa bei der Verbesserung der Netzdokumentation. Neue, multimodale KI-Modelle erlauben seit kurzem die Verarbeitung von Bilddaten neben Texten und Audiodaten. Hierbei ist es aus meiner Sicht vorstellbar, künftig das Foto einer TK-Anlage aus einem Betriebsraum mit den zugehörigen Daten aus dem Netzdokumentationssystem abzugleichen und etwaige Abweichungen in einem halbautomatischen Prozess zu korrigieren. Dieser Ansatz könnte die Qualität der Netzdokumentation deutlich verbessern und so erhebliche Kosten bei Planung und Betrieb des Netzes einsparen.

 

Glauben Sie, dass KI ein entscheidender Wettbewerbsvorteil für mittelständische Telekommunikationsunternehmen sein kann? Wie können Sie sich durch KI von den großen Mitbewerbern abheben?

Vilbig: Ein echter, dauerhafter Wettbewerbsvorteil wird schwer zu erzielen sein, weil natürlich auch die großen Telekommunikationsunternehmen in diese Technologie investieren und hierbei deutlich mehr finanzielle Mittel und Ressourcen einsetzen können. Allerdings können wir ausgewählte Anwendungsfälle möglicherweise schneller umsetzen, weil die Entscheidungswege kürzer und die Anwendungslandschaft in einem mittelständischen Umfeld überschaubarer ausfällt. Zudem sind wir als regionaler Anbieter unseren Kunden besonders verpflichtet, KI-Lösungen sehr verantwortungsvoll in einem vertrauenswürdigen Rahmen umzusetzen.

 

Welche politischen Rahmenbedingungen müssen weiter geschaffen werden, dass der Einsatz und die Verbreitung von KI in Ihrem Sektor besser, schneller und noch effizienter erfolgt?

Vilbig: Diese Frage kann ich offen gestanden aus meiner Rolle als CIO nicht abschließend beantworten. Grundsätzlich sehe ich beim Einsatz von KI ein Spannungsfeld zwischen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und technischen Interessen, die in einen ausgewogenen und verantwortungsvollen Ausgleich gebracht werden sollten. Nicht alles, was technisch möglich ist, sollte so umgesetzt werden. Allerdings sollten wir auch nicht alle denkbaren Anwendungsszenarien vorab einschränken oder verbieten, damit wir keine Wettbewerbspotentiale verlieren und Basiskompetenzen in dieser Schlüsseltechnologie selbst weiterentwickeln können.

 

Welchen Rat würden Sie einem mittelständischen Unternehmen geben, das über den Einsatz von KI nachdenkt, aber noch am Anfang steht?

Vilbig: Mein Rat wäre, sich aktiv mit dieser Technologie auseinanderzusetzen und möglichst erste konkrete Schritte bei der Implementierung zu unternehmen. Ein initialer Prototyp auf Basis öffentlich verfügbarer KI-Modelle ermöglicht bereits einen guten Eindruck der Potentiale und Beschränkungen. Sollte sich ein erster Anwendungsfall als besonders vielversprechend erweisen, kann man mit den Beteiligten die technischen und rechtlichen Rahmenbedingungen klären und praktische Erfahrungen sammeln. Dies bildet die Grundlage für die Ausarbeitung einer weiterführenden Strategie – idealerweise auch im Austausch mit anderen Partnern aus dem Netzwerk des Unternehmens.

Interview geführt durch:

Hannes Mittermaier, geboren 1994 in Sterzing/Italien, seit 2013 in München lebend, schloss 2019 sein Master-Studium an der Ludwig-Maximilians-Universität in München in den Fächern Germanistik und Philosophie ab. Seit 2020 promoviert Mittermaier an der germanistischen Fakultät zu einer Arbeit, die sich mit der Rezeption der Sokrates-Figur im Zeitalter der deutschsprachigen Aufklärung beschäftigt. Damit einhergehend ist Mittermaier Lehrbeauftragter an der Ludwig-Maximilians-Universität. Aktuell hält er ein Proseminar zu Thomas Manns früher Novellistik. Unabhängig von seiner Promotion arbeitet Mittermaier seit September 2019 als Redakteur der ebenso von der Ludwig-Maximilians-Universität herausgegebenen Zeitung Digitale Welt. Darüber hinaus engagiert sich Mittermaier nebenberuflich als freier Musiker.

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