Mit Ehrlichkeit und klugen Ideen in die digitale Transformation

Künstliche Intelligenz (KI) prägt unsere Welt in rasantem Tempo und beeinflusst nahezu alle Bereiche des Lebens – von der Medizin über die Bildung bis hin zur Wirtschaft. Weil KI so allumfassend ist, ist der Reiz an dieser neuen Technologie so groß. Dass Deutschland und Europa insgesamt im Rückstand sind, vergleicht man die Anwendungsmöglichkeiten mit anderen globalen Playern, das ist kein Geheimnis. Es gilt hier, einen richtigen Umgang damit zu schaffen und eigene Lösungen zu kreieren. Hans Ramsl ist Principal Machine Learning Engineer bei Weights & Biases und gibt Einblicke in seine Sicht der Dinge: Wo wir aktuell stehen und was die größten Herausforderungen sind.
Interview von Hannes Mittermaier
20. November 2024
Interviewpartner
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Mit Ehrlichkeit und klugen Ideen in die digitale Transformation

Deutschlands Rückstand als Chance begreifen

 

Künstliche Intelligenz (KI) prägt unsere Welt in rasantem Tempo und beeinflusst nahezu alle Bereiche des Lebens – von der Medizin über die Bildung bis hin zur Wirtschaft. Weil KI so allumfassend ist, ist der Reiz an dieser neuen Technologie so groß. Dass Deutschland und Europa insgesamt im Rückstand sind, vergleicht man die Anwendungsmöglichkeiten mit anderen globalen Playern, das ist kein Geheimnis. Es gilt hier, einen richtigen Umgang damit zu schaffen und eigene Lösungen zu kreieren. Hans Ramsl ist Principal Machine Learning Engineer bei Weights & Biases und gibt Einblicke in seine Sicht der Dinge: Wo wir aktuell stehen und was die größten Herausforderungen sind.

 

Herr Ramsl, als Experte im Bereich der Künstlichen Intelligenz – was waren für Sie persönlich die Schlüsselmomente in Ihrer Karriere, die Ihre Sicht auf KI geprägt haben?


Ramsl: „Im Studium der Computerlinguistik begegnete ich Professoren und Fachkräften, die zuvor Pionierarbeit bei Google oder in Stanford in der Forschung geleistet hatten. Das ist ein solider Grundstein für weitere Forschung. Besonders ein persönliches Gespräch mit einem der Autoren von „Attention is all you need” (Transformers) ist mir gut in Erinnerung.“

 

Sie haben in verschiedenen Projekten und Forschungsinitiativen gearbeitet. Welche Innovationen im Bereich der KI halten Sie für die vielversprechendsten, und warum?


Ramsl: „Bild, Ton und Sprache sind omnipräsent. Überall, wo Konzepte auf neue Domänen übertragen werden, erwarte ich große Durchbrüche. Beispiel: Grundlagenmodelle (Foundation Models) für Medizin. Die Biomedizin ist von Natur aus multimodal und umfasst sowohl bildgebende Verfahren wie Pathologie, CT, MRT, Röntgen und Ultraschall als auch „omics“ -Methoden wie Genomik, Epigenomik und Transkriptomik.“

 

In Ihrem Fachgebiet haben Sie mit Unternehmen und Institutionen zusammengearbeitet, die KI einsetzen. Wie beurteilen Sie die Bereitschaft der deutschen Wirtschaft, auf KI zu setzen, und welche Herausforderungen sehen Sie bei der Integration in bestehende Geschäftsprozesse?


Wir sehen im Gros der Unternehmen eine klare Bereitschaft, KI flächenmäßig und multimedial einzusetzen. Man muss allerdings eine Einschränkung bei der Geschwindigkeit machen, diese ist nicht vergleichbar mit Unternehmen in den USA oder in Israel.

Ramsl: „Dortige Unternehmen sind – das sollte man fairerweise betonen und anführen, rund 16 bis 18 Monate voraus, wenn man sie mit unserem aktuellen Stand vergleicht. Das ist keine Niederlage und kein endgültiges Urteil, es ist ein Status Quo, von dem aus es zu arbeiten gilt.“

 

Als jemand, der sich intensiv mit Künstlicher Intelligenz auseinandersetzt: Welche ethischen Fragestellungen sind für Sie am wichtigsten, wenn es um den Einsatz von KI in der Praxis geht?


Ramsl: „Ich antworte mit einer Gegenfrage: Dient KI dem Menschen? Medizin und Theologie haben einen ausgereiften Ansatz und Prinzipien zur Ethik. Diese sollten die Grundlagen zur KI-Ethik bilden. Ich öffne bewusst unsere Fachgrenzen und möchte zwei ethische Parameter präsentieren, die uns genau in dieser Frage hilfreich sein sollen. Zunächst aus dem Bereich der Medizin: Es geht um eine prinzipienorientierte Autonomie, um das Nichtschadensprinzip, um das Wohltätigkeitsprinzip und schließlich um das Gerechtigkeitsprinzip. Zusätzlich dazu verweise ich auf den Bereich der Theologie, insbesondere auf Bergpredigt, Matthäus 5–7 und den Dekalog in Exodus 20.“

 

Im Bereich KI gibt es immer wieder Diskussionen über die Transparenz von Algorithmen. Wie wichtig ist es, dass Unternehmen und Entwickler transparent mit den von ihnen eingesetzten KI-Systemen umgehen?

Ramsl: „Transparenz ist wichtig, aber leider nicht immer möglich. Manche Dinge lassen sich nicht wissenschaftlich erklären. Der Mathematiker Blaise Pascal sagt dazu: „Der letzte Schritt der Vernunft besteht darin, anzuerkennen, dass es unendlich viele Dinge gibt, die sie übersteigen.” Oder in den Worten von Isaac Newton: „Gott setzt die Naturgesetze, aber er ist nicht an sie gebunden.”“

 

Wie sehen Sie die Rolle von Künstlicher Intelligenz im deutschen Bildungssystem? Glauben Sie, dass KI die Art und Weise, wie wir lernen, grundlegend verändern wird?


Ramsl: „Das Modell Schule wird neue Gesichter bekommen, und diese neuen Gesichter werden sich zunächst auf individueller Ebene zeigen. KI wird eine zentrale Rolle in der individualisierten Bildung spielen. Tutorsysteme werden Lehrende und Lernende unterstützen. Massive Open Online Course (MOOC) haben seit 2011 bereits eine Veränderung bewirkt und sind immer noch im Aufbau. Khan Academy hat beispielsweise https://www.khanmigo.ai/ eingeführt, das auf GPT4 von OpenAI basiert.“

 

In der Vergangenheit haben Sie zu verschiedenen KI-Technologien geforscht. Welche technologischen Fortschritte haben Sie persönlich in den letzten Jahren als besonders bahnbrechend empfunden?


Ramsl: „Das Bahnbrechende ist die Kombination vieler notwendiger, aber isoliert nicht ausreichender Faktoren. Die Einführung von Deep Learning, die enormen Verbesserungen der Grafikkarten, die massive Verfügbarkeit von multimodalen Daten, Echtzeitdaten, Smartphones mit Standards, die Studioqualität entsprechen, all das sind in der Summe Neuerungen, die unabdingbar wichtig sind für den Einsatz und die Weiterentwicklung von KI. Es ist nicht möglich, diese komplexe Technologie auf einen einzigen Punkt herunterzubrechen, am Ende ist es die Summe vieler kleiner Einzelteile.“

 

Durch Ihre Arbeit haben Sie viel über die Auswirkungen von KI auf die Arbeitswelt erfahren. Wie würden Sie den aktuellen Wandel beschreiben, den KI in verschiedenen Branchen mit sich bringt, und was bedeutet das für die Arbeitskräfte von morgen?


Ramsl: „Am 29. Januar 1886 meldete Carl Benz sein „Fahrzeug mit Gasmotorenbetrieb“ zum Patent an.

Kutscher hatten damals die Wahl: arbeitslos zu werden oder einen neuen Beruf zu erlernen.

Was haben sie gemacht? Ich denke, Sie müssen nicht weit in die Geschichte einsteigen, um zu sehen, was dieses einfache Beispiel ausdrücken soll. Letzte Woche bin ich in San Francisco in einem Waymo-Robotaxi gefahren – Taxifahrer sind ersetzbar und wurden in diesem Fall auch schon ersetzt. Die Menschen sind aber nicht ersetzbar, sie suchen sich nur einen neuen Ort, wo sie wieder aktiv werden können. Das öffnet neue Möglichkeiten für Lernwillige. Aber das war schon immer so.“

 

Datenschutz ist in Bezug auf KI ein häufig diskutiertes Thema. Was halten Sie von den aktuellen Regulierungen in der EU, und wie können Unternehmen sicherstellen, dass sie datenschutzkonform arbeiten, ohne das Potenzial von KI zu gefährden?


Ramsl: „Europa ist ein Vorreiter beim Thema Datenschutz und ein Nachzügler beim Thema der Angewandten Innovation. Prinzipien sind aus ethischen Gründen, wie zuvor dargestellt, unerlässlich. Man braucht die richtige Automatisierung, um die notwendigen Standards effizient umzusetzen. Nicht zuletzt aus diesem Grund arbeite ich bei Weights & Biases. Führende KI-Startups wie OpenAI oder Aleph Alpha nutzen die Technologie, um z.B. automatisch Datenherkunft minutiös zu dokumentieren.“

 

Sie haben sicher auch die Entwicklung von KI in der Forschung mitverfolgt. Welche Länder oder Institutionen halten Sie derzeit für die führenden Akteure im Bereich KI und warum?


Ramsl: „USA, China sind mit enormem Abstand führend. Laut https://oecd.ai/ investierten beide Länder allein für autonomes Fahren in den letzten 5 Jahren über 50 Milliarden bzw. über 40 Milliarden USD. In Deutschland dagegen ist es 50-mal geringer.“

 

Herr Ramsl, in Ihrer Arbeit haben Sie sicher viele spannende, aber auch herausfordernde Projekte begleitet. Was war das bisher anspruchsvollste Projekt, an dem Sie gearbeitet haben, und was haben Sie daraus gelernt?

Ramsl: „Das spannendste Projekt in mehrerlei Hinsicht war, ein bestehendes Produkt mit einem anspruchsvollen strategischen Kunden gemeinsam zu verbessern. Es war sehr stressig und mit einigen Nachtschichten verbunden, aber am Ende konnten wir ein solides Ergebnis erzielen: Im Leistungsvergleich zu einem führenden Hyperscaler war der Datentransfer 45% schneller. So etwas spiegelt die Exzellenz unserer Arbeit wider – darauf blicke ich mit großer Zufriedenheit zurück.“

 

Abschließend: Welche Zukunftsvision haben Sie für Künstliche Intelligenz? Welche Entwicklungen würden Sie sich in den nächsten 5 bis 10 Jahren wünschen, um den Nutzen von KI in der Gesellschaft zu maximieren?


Ramsl: „Dass KI auch verzichtbar wird. Veganer entscheiden sich bewusst dafür, auf Fleisch zu verzichten. Es gibt eben die Möglichkeit, das zu entscheiden. Das sollte es auch für KI geben. Wer bekommt schon gerne eine KI-generierte ‘persönliche Nachricht’?“

Interview geführt durch:

Hannes Mittermaier, geboren 1994 in Sterzing/Italien, seit 2013 in München lebend, schloss 2019 sein Master-Studium an der Ludwig-Maximilians-Universität in München in den Fächern Germanistik und Philosophie ab. Seit 2020 promoviert Mittermaier an der germanistischen Fakultät zu einer Arbeit, die sich mit der Rezeption der Sokrates-Figur im Zeitalter der deutschsprachigen Aufklärung beschäftigt. Damit einhergehend ist Mittermaier Lehrbeauftragter an der Ludwig-Maximilians-Universität. Aktuell hält er ein Proseminar zu Thomas Manns früher Novellistik. Unabhängig von seiner Promotion arbeitet Mittermaier seit September 2019 als Redakteur der ebenso von der Ludwig-Maximilians-Universität herausgegebenen Zeitung Digitale Welt. Darüber hinaus engagiert sich Mittermaier nebenberuflich als freier Musiker.

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