Künstliche Intelligenz als Treiber der Wirtschaft: auf dem Weg zur Wettbewerbsfähigkeit

Interview von Hannes Mittermaier
23. Oktober 2024
Interviewpartner
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Künstliche Intelligenz als Treiber der Wirtschaft: auf dem Weg zur Wettbewerbsfähigkeit

Hartmut Jaensch (bdvb) über den Status Quo und darüber hinaus

 

 

In einer zunehmend digitalisierten Wirtschaft spielt Künstliche Intelligenz (KI) eine zentrale Rolle bei der Transformation betriebswirtschaftlicher Prozesse und Wertschöpfungsketten. Im Fokus steht die strategische Bedeutung von KI für Unternehmen, insbesondere im Hinblick auf die Optimierung von Geschäftsabläufen und die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit. Hartmut Jaensch ist Vizepräsident des Bundesverbands Deutscher Volks- und Betriebswirte und analysiert sowohl die Chancen als auch die Herausforderungen des KI-Einsatzes in verschiedenen Branchen. Es geht gleichzeitig um die Erfordernisse politischer wie infrastruktureller Rahmenbedingungen, um den Einsatz von KI in Deutschland nachhaltig zu fördern und im internationalen Vergleich wettbewerbsfähig zu bleiben.

 

Herr Jaensch, als Vizepräsident des bdvb vertreten Sie die Interessen von Volks- und Betriebswirten. Welche Rolle spielt der Verband im aktuellen wirtschaftlichen Umfeld, insbesondere mit Blick auf technologische Entwicklungen wie Künstliche Intelligenz?

Jaensch: Als größter und ältester Verband Deutschlands mit über 6.000 Mitgliedern führt der bdvb die verschiedenen Interessengruppen aus Wirtschaftsakademikern und Studierenden zusammen. So bilden die Mitglieder des bdvb ein breites ökonomisches Spektrum von Volks- und Betriebswirten über Wirtschaftsinformatiker, Wirtschaftsjuristen, Wirtschaftsingenieure sowie Führungskräften ab. Die Gliederung umfasst regionale Verbände, Hochschulgruppen, Fachausschüsse und ein eigenes Forschungsinstitut. Das gemeinsame Ziel ist der Dialog zwischen Wissenschaft und Wirtschaft und dabei Zukunftsthemen, wie die Entwicklung und den Umgang mit Künstlicher Intelligenz zu fördern und aktiv mitzugestalten.

 

Wie sehen Sie die Rolle der Künstlichen Intelligenz in der deutschen Wirtschaft? Welche Entwicklungen beobachten Sie, die besonders für Volks- und Betriebswirte von Bedeutung sind?

Jaensch: Künstliche Intelligenz nimmt als Schlüsseltechnologie in der Wirtschaft eine zentrale Rolle ein. In Unternehmen werden direkt oder indirekt alle Abteilungen von der Einführung und dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz betroffen sein. Der Grad der professionellen Nutzung von KI wird enorme Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit jedes Einzelnen und die Wettbewerbsfähigkeit von Betriebe sowie ganzer Volkswirtschaften haben. Eine aktuelle Studie von Deloitte zeigt, dass nur etwa 13,3 % der deutschen Unternehmen KI aktiv mit klar definierten Nutzungsrichtlinien einsetzen. Dies verdeutlicht, dass bislang noch großes Potenzial ungenutzt bleibt.

 

Inwiefern verändert Künstliche Intelligenz die klassischen betriebswirtschaftlichen Modelle und Prozesse? Sehen Sie spezifische Bereiche, in denen KI besonders relevant ist, z. B. im Controlling oder im Marketing?

Jaensch: Sie nennen hier die Bereiche, in denen der direkte Einsatz von KI tatsächlich besonders zum Tragen kommt. Denn gleich ob Manager in Unternehmen oder an den Finanzmärkten vor strategischen Entscheidungen stehen, Daten sind stets ein wichtiger Ausgangspunkt und von großer Relevanz. „Data-“ bzw. „Predictive Analytics“ beschäftigen sich mit der Analyse, Erklärung und Ableitung von Erkenntnissen aus Daten, um Ergebnisse (Grundlagen) für Entscheidungen zu liefern. Diese basieren zunehmend auf KI-Technologien und erfordert eine robuste und umfangreiche Datenbasis. Doch eine Studie des Softwareunternehmens Blackline zeigt, dass viele Finanzchefs nur wenig Vertrauen in die eigenen Finanzdaten haben. Dies liegt vor allem an der Datenherkunft aus zu vielen verschiedenen Quellen, einer fehlenden Automatisierung oder auch einer nicht durchgängig einheitlichen Verwendung von Bezeichnungen (Finanz-Definitionen). Betrachten Sie als Beispiel CRM-Systeme (Customer-Relationship-Management). Die sind zwar auf die Verwaltung von Daten ausgelegt, jedoch (noch) nicht auf die Integration von KI-Lösungen. Eine große Herausforderung besteht also darin, qualitativ hochwertige Daten digital verfügbar zu machen, um das volle Potenzial von KI nutzen zu können.

 

Wie beeinflusst KI die Wertschöpfung in Unternehmen? Gibt es eine Balance zwischen menschlicher Expertise und KI, die man in der Betriebswirtschaft finden muss?

Jaensch: Eine von McKinsey im Jahr 2018 veröffentlichte Studie zeigt, wie Unternehmen mit KI ihre Wertschöpfungsketten erheblich verbessern, insbesondere durch die Integration von fortschrittlicher Datenanalyse und Automatisierung. Unternehmen, die KI einsetzen, können große Mengen an Daten schneller und präziser analysieren. Die Studie verdeutlicht zudem, dass KI in Branchen wie dem Einzelhandel, der Fertigung und dem Gesundheitswesen besonders stark zur Wertschöpfung beiträgt. So zeigt die Forschung, dass durch den Einsatz von KI in der Bestandsverwaltung oder im Marketing bis zu 5 % der Kosten eingespart und bis zu 3 % mehr Umsatz generiert werden können.

 

Gibt es die Gefahr, dass Künstliche Intelligenz langfristig ganze Abteilungen, wie das Management oder die Finanzabteilung, ersetzt und welche makroökonomischen Auswirkungen hat der Einsatz von KI auf den deutschen und internationalen Arbeitsmarkt, insbesondere in Bezug auf den potenziellen Wegfall von Arbeitsplätzen und die Entstehung neuer Berufsbilder? Wie gehen Mitarbeitende eines Betriebs mit der Unsicherheit um, dass KI möglicherweise ihre Stellen gefährden könnte?

Jaensch: Die Ängste vor der Wegrationalisierung von Arbeitsplätzen sind so alt wie die Geschichte der Mechanisierung, der Industrialisierung und der Computerisierung. Es ist richtig, dass dadurch bestimmte Tätigkeiten obsolet geworden sind. Zur Realität gehört aber vielmehr, dass durch den Wandel nicht nur die Leistungsfähigkeit des einzelnen Menschen enorm gesteigert wird, sondern sich immer auch neue Tätigkeitsfelder eröffnet haben. Das ist und wird bei KI nicht anders sein und spezialisierte Kenntnisse und Fähigkeiten erfordern, die auf die Interaktion mit KI-Systemen ausgerichtet sind. Es wird immer ein Management und Mitarbeiter geben, doch werden diejenigen, die KI nutzen, diejenigen ablösen, die keine KI nutzen. Der Wandel schafft also besondere Chancen für innovative und zukunftsorientierte Berufsfelder, die den technologischen Fortschritt unterstützen und weiter vorantreiben.

 

Es wird oft argumentiert, dass KI die Produktivität steigern kann. Wie bewerten Sie diese These aus volkswirtschaftlicher Sicht, und gibt es schon messbare Effekte in Deutschland oder Europa?

Jaensch: Dies ist eine Frage, mit der sich auch der diesjährige internationale Ökonomen-Tag im November in Düsseldorf beschäftigt. Es gibt bereits mehrere Studien, die den Zusammenhang zwischen KI und Produktivitätssteigerungen belegen.

So ergab eine im Sommer von Deloitte veröffentlichte Studie, bei der mehr als 1.800 Unternehmen befragt wurden, dass über 56 % der Unternehmen durch den Einsatz von KI eine signifikante Verbesserung ihrer Produktivität verzeichnen konnten. Diese Ergebnisse verdeutlichen die realen und messbaren Vorteile, die KI in Bezug auf Effizienz und Leistung in Unternehmen bietet.

 

Wie beeinflusst der Einsatz von KI die globale Wettbewerbsfähigkeit von Volkswirtschaften? Welche Rolle spielt Deutschland im internationalen Vergleich in Sachen KI-Innovation?

Jaensch: Die prädiktive KI wird speziell zur Prognose künftiger Ereignisse eingesetzt. Eine weitaus breitere Anwendung findet die generative KI. Hierdurch werden neue Inhalte erstellt, wie Texte, Bilder, Videos oder Musik sowie die Entwicklung von Programmcodes unterstützt. Nach aktuellen Erkenntnissen der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) der Bundesregierung, belegen die USA im Erhebungszeitraum (2017-2020) gemessen an der Anzahl transnationaler Patentanmeldungen für generativen KI mit rund einem Drittel, global gesehen den ersten Platz. Es folgen China (24,5 %) und die EU-27 (15,3 %). Deutschland (6,1 %) liegt bei den Einzelstaaten sowohl global als auch innerhalb der EU auf einem vergleichsweise guten Platz. Knapp hinter Japan (7,9 %) und Südkorea (7,4 %) und vor Großbritannien (3,0 %) oder Indien (2,4 %).

Die deutsche Wirtschaft steht dabei in einem starken internationalen Wettbewerb.

Wobei Fachkräftemangel sowie zu geringe Investitionen in Forschung und Entwicklung für KI derzeit als wesentliche Gründe genannt werden, die die Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft beschränken.

 

Welche ethischen Herausforderungen sehen Sie im Einsatz von KI, insbesondere wenn es um Entscheidungen in der Betriebs- und Volkswirtschaft geht? Sollte es klare Regularien geben, um Missbrauch oder unfaire Entscheidungsprozesse zu verhindern?

Jaensch: Gemäß einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung haben Forschungen nachgewiesen, dass Frauen Arbeitsplätze mit einer schlechteren Entlohnung angeboten wurden, wenn die betreffenden Unternehmen bei der Personalauswahl KI-gestützte Software einsetzten. Dies ist ein Beleg dafür, dass KI „lernen“ kann, um zu diskriminieren. Die Gefahr besteht, dass bestimmte Menschen benachteiligt werden können, wenn das Management sich auf algorithmische Entscheidungssysteme verlässt. Insofern besteht Bedarf für entsprechende Regulierung, um einen Missbrauch von KI und die Benachteiligung von Menschen durch den Einsatz von KI zu verhindern.

 

Welche Rolle spielt der bdvb in der Aus- und Weiterbildung von Volks- und Betriebswirten im Hinblick auf technologische Veränderungen wie KI? Sehen Sie es als notwendig, KI-Verständnis in die Ausbildung von Ökonomen zu integrieren?

Jaensch: Ein grundlegendes Verständnis für die Möglichkeiten der Anwendung der KI ist unverzichtbar. Als aktuell Jahresthema nimmt es im bdvb eine Schlüsselrolle ein. Sowohl in unseren Publikationen, auf den Verbands- und Ökonomen-Tagungen erfolgt ein intensiver Austausch. Darüber hinaus ist ein Fachausschuss (Expertengremium), der sich speziell diesem Thema widmet, in Gründung. Unabhängig davon befassen sich auch die bdvb-Fachausschüsse im Rahmen ihrer jeweiligen Kerndisziplinen mit KI. Zudem arbeitet der bdvb in der Aus- und Weiterbildung sowohl mit nicht-staatlichen Bildungsträgern, mit Partnerverbänden als auch mit Universitäten und Hochschulen zusammen. Damit bietet der bdvb eine langfristige Perspektive zu einer kontinuierlichen und angemessenen Beschäftigung mit KI.

 

Der Mittelstand ist das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Wie bewerten Sie den Einsatz von KI in mittelständischen Unternehmen? Welche Chancen, aber auch Hürden, sehen Sie? Was würden Sie Stand heute einem mittelständischen Unternehmen raten, das sich mit KI zu beschäftigen beginnt?

Jaensch: Im deutschen Mittelstand befinden sich viele international agierende Hidden Champions, die erheblich von KI profitieren können und müssen. Wichtig ist, dass KI als ein wesentlicher Bestandteil der Unternehmensstrategie verstanden wird, die in alle relevanten Geschäftsabläufe eingebunden ist. Alle Bereiche, von der Produktion über das Marketing bis hin zum Kundenservice, können dadurch ihre Wettbewerbsfähigkeit deutlich steigern, um langfristig Vorteile zu erzielen. Das beginnt mit der Entwicklung einer klaren, zukunftsorientierten Vision für das Unternehmen. Für eine erfolgreiche Transformation sollten Führungskräfte und Mitarbeiter KI als Chance und nicht als Bedrohung der eigenen Position verstehen. Dabei müssen Ideen und Strategien kontinuierlich überprüft und angepasst werden. Die Bereitschaft, flexibel auf neue Entwicklungen zu reagieren und Strategien nachzujustieren, ist dabei elementar für den gesamten Unternehmenserfolg.

 

Wo sehen Sie das größte Potenzial von KI für die deutsche Wirtschaft in den nächsten fünf bis zehn Jahren? Gibt es Branchen, die besonders von KI profitieren könnten?

Jaensch: Gemäß dem IBM Global AI Adoption Index Report 2023 setzen weltweit 42 Prozent der Unternehmen KI ein, dabei sind asiatische Länder wie China (50 %), Indien (59 %) oder Singapur (53 %) führend. Deutsche Unternehmen (32 %) befinden sich hier eher im unteren Segment. Hinter knapp hinter den USA (33 %), UK (37 %) oder Japan (34 %). Nach einer Erhebung des Statistischen Bundesamtes (Destatis) im vergangenen Jahr setzen große Unternehmen KI dabei wesentlich öfter ein als kleine und mittelständische Unternehmen. Der Nutzungsgrad von KI korreliert dabei stark mit der Größe eines Unternehmens. So nutzt gut jedes dritte Großunternehmen (35 %) aber nur jedes sechste (16 %) mittlere Unternehmen mit 50 bis 249 Beschäftigten künstliche Intelligenz.

KI-Technologien finden dabei überwiegend im Controlling und der Finanzverwaltung ein (25 % der Unternehmen) Anwendung. Es folgen die IT-Sicherheit (24 %), Produktions- oder Dienstleistungsprozesse (22 %) sowie die Optimierung von Abläufen in der Unternehmensverwaltung oder im Management (20 %). In diesen Bereichen gibt es offensichtlich den größten Bedarf. Auf Branchen übertragen sind Finanzinstitute (Banken, Versicherungen, Finanzdienstleister), also Unternehmen, die sehr administrativ geprägte Geschäftsabläufe haben, sicher als eine Hauptzielgruppe für die Nutzung von KI zu nennen. Auch auf den Gebieten der IT, der Cybersecurity oder in der medizinischen Diagnostik kann der Einsatz einer entsprechend ausgereiften KI großen Nutzen stiften.

 

Welche politischen Rahmenbedingungen sollten geschaffen werden, um den Einsatz von KI in Deutschland weiter zu fördern? Gibt es bestimmte Regulierungen oder Fördermaßnahmen, die Sie sich wünschen?

Jaensch: Folgende Bereiche stechen hervor, die entscheidend für das Vorankommen sind:

Erstens die Infrastruktur, wie die Bereitstellung von Rechenleistung (Rechenzentren) und der wichtige Ausbau von 5G-Netzen, um die Basis für eine erfolgreiche Implementierung von KI zu schaffen. Diese Elemente sind essentiell, um Daten in Echtzeit zu verarbeiten und KI-Anwendungen effizient nutzen zu können.

Zweitens führt eine derzeit international unterschiedliche Handhabung des Datenschutzes beispielsweise dazu, dass Daten, die für das Training von KI-Modellen benötigt werden, hierzulande nicht im gleichen Umfang verfügbar sind wie etwa in den USA. Selbst innerhalb der EU, in der die DSVGO einheitlich gilt, wird diese unterschiedlich ausgelegt. Wobei in Deutschland eher verhältnismäßig strenge Maßstäbe angelegt werden. Hier wäre eine europaweit einheitliche Anwendung ein wichtiger Beitrag zur Gleichstellung im Wettbewerb.

Ein dritter Punkt ist die verstärkte Förderung von Innovationen durch Investitionen in Start-ups und junge Talente. Wichtig ist es, Anreize zu schaffen, damit Fachkräfte nicht abwandern bzw. internationale Experten zuziehen. Dazu ist ein Innovations-Ökosystem, das den Austausch zwischen etablierten Unternehmen, Start-ups und der Wissenschaft fördert, essenziell.

Interview geführt durch:

Hannes Mittermaier, geboren 1994 in Sterzing/Italien, seit 2013 in München lebend, schloss 2019 sein Master-Studium an der Ludwig-Maximilians-Universität in München in den Fächern Germanistik und Philosophie ab. Seit 2020 promoviert Mittermaier an der germanistischen Fakultät zu einer Arbeit, die sich mit der Rezeption der Sokrates-Figur im Zeitalter der deutschsprachigen Aufklärung beschäftigt. Damit einhergehend ist Mittermaier Lehrbeauftragter an der Ludwig-Maximilians-Universität. Aktuell hält er ein Proseminar zu Thomas Manns früher Novellistik. Unabhängig von seiner Promotion arbeitet Mittermaier seit September 2019 als Redakteur der ebenso von der Ludwig-Maximilians-Universität herausgegebenen Zeitung Digitale Welt. Darüber hinaus engagiert sich Mittermaier nebenberuflich als freier Musiker.

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