Seit Beginn des Jahres 2023 steht mit ChatGPT von OpenAI eine natürlichsprachliche Künstliche Intelligenz (KI) der Öffentlichkeit zur Verfügung. ChatGPT basiert auf einem sogenannten Large Language Model (LLM), einem mathematischen Modell natürlicher Sprache, das durch das Training anhand von Millionen von Textdokumenten entwickelt wurde. LLM-basierte KI-Chatbots sind in der Lage, die Struktur geschriebener Sprache zu verstehen und gleichzeitig eine sehr breite Wissensbasis aus den trainierten Inhalten zu formen. Dies ermöglicht es dem Chatbot, Dialoge zu einer Vielzahl von Themen zu führen.
Bemerkenswert ist die rasante Verwendung dieser Technologie in verschiedensten Bereichen, unter anderem im Vertrieb. Durch die schnelle Entwicklung bei LLMs und ihre beinahe unmittelbare Integration in bestehende Informationssysteme ist gerade eine technologische Revolution zu beobachten.
Natürlichsprachliche KI und neuronale Netze
Im folgenden wird der aktuelle Stand der Technik in der natürlichsprachlichen KI dargestellt und aufgezeigt, wo in den kommenden Jahren die typischen Anwendungsfälle im Vetriebsprozess zu erwarten sind.
LLMs sind Datenstrukturen und Algorithmen, die dafür entwickelt wurden, die Nuancen menschlicher Sprache zu erfassen und zu deuten. Ein LLM erwirbt seine Fähigkeiten durch das Training mit einer umfangreichen Textmenge, wodurch es in der Lage ist, Muster und Zusammenhänge in der Sprache zu erkennen. Dies ermöglicht es einem KI-Chatbot, nicht nur auf direkte Fragen zu antworten, sondern auch den Kontext einer Unterhaltung zu verstehen, was für eine nuancierte und effektive Kommunikation mit Menschen entscheidend ist. Zusätzlich lassen sich LLM-Chatbots durch die Suche im Internet und in Dokumentendatenbanken einfach erweitern. Die ursprünglich auf allgemeinem Wissen trainierten LLMs erhalten so Zugang zu spezialisierten und besonders aktuellen Informationen. Beispielsweise kann ChatGPT so dazu verwendet werden, Antworten auf Fragen zu einem zuvor hochgeladenen Dokument zu geben. Der Inhalt des Dokuments wird dann mit dem umfassenden, im LLM bereits gespeicherten Weltwissen kombiniert. [1]
Künstliche neuronale Netze, die Lernprozesse des menschlichen Gehirns simulieren, stellen die Grundlage von LLMs dar. Diese bilden inzwischen das Rückgrat der beinahe gesamten KI-Forschung. Dies liegt vor allem an der Entdeckung neuartiger flexibler Netzmodelle, und der Verfügbarkeit sehr großer Rechenkapazitäten in Form von leistungsfähigen Grafikkarten. [2]
Der Einsatz von LLMs beschränkt sich nicht nur auf Chatbots, sondern erstreckt sich auch auf maschinelle Übersetzungsdienste. Diese wurde auf das auf das Übersetzen verschiedener Sprachen trainiert. Die Anwendung von LLMs ist dabei allerdings nicht auf rein natürliche Sprachen beschränkt: Software-Entwickler verwenden KI-Chatbots ebenfalls, um Anweisungen in unterschiedliche Programmiersprachen zu übersetzen. [3]
Neben OpenAI arbeiten inzwischen viele weitere Firmen und Forschungsinitiativen an der Entwicklung und Bereitstellung von LLM-Technologien für diverse Anwendungen. Apple zum Beispiel forscht an LLMs, die kompakt genug sind, um auf mobilen Geräten betrieben werden zu können. Unternehmen wie Microsoft, Google und X verbessern Suchergebnisse mit LLMs, indem sie diese zielgerichtet für den Nutzer zusammenfassen. Es ist wahrscheinlich, dass LLMs bald ihren Weg in sämtliche Office-Anwendungen finden, um Texte sowie Grafiken zu erzeugen oder Daten zu analysieren und zu interpretieren. [4]
Die aktuelle KI-Forschung beschäftigt sich damit, die sehr komplexen LLMs immer kostengünstiger zu trainieren und auch auf spezifische Anwendungsgebiete abzustimmen. Durch „Finetuning“ angepasste Modelle können KI-Chatbots auch in kritischen Anwendungen als Assistenten eingesetzt werden – etwa in der Medizin oder in der Rechtsberatung. Meta, die Mutterfirma von Facebook, stellt seit kurzem ein Open-Source-LLM zur Verfügung, das sich besonders gut für das Finetuning auf verschiedenste spezialisierte Anwendungen eignen soll.
Einsatzmöglichkeiten von Künstlicher Intelligenz in Vertriebsprozessen
LLMs besitzen das Potenzial, Aspekte des Vertriebsprozesses grundlegend zu verändern. Indem sie Sprache und Text verarbeiten, können sie Aufgaben übernehmen, die deutlich über die Möglichkeiten traditioneller digitaler Vertriebstools wie CRM-Systeme hinausgehen.
Für den Vertrieb ist der Einsatz von KI-Chatbots schon deshalb vorteilhaft, da sie kontinuierlichen Kundenservice und Support gewährleisten können – ohne die Notwendigkeit menschlicher Präsenz. KI-Chatbots können automatisch auf Kundenanfragen reagieren, personalisierte Empfehlungen basierend auf Kundenverhalten und Vorlieben geben und sogar komplexe Verkaufsgespräche führen.
In der Kundenakquise bietet die LLM-Technologie eine effiziente Automatisierung der Erstanalyse von Kundenanfragen, wodurch insbesondere der Vertriebsinnendienst in umfangreichen Vertriebsorganisationen erheblich entlastet wird. Durch den Einsatz von LLMs können Anfragen von Kunden automatisch den passenden Ansprechpartnern zugeordnet und Leads effizient vorqualifiziert werden. Darüber hinaus haben LLMs die Fähigkeit, hochpersonalisierte Inhalte zu generieren, die genau auf spezifische Leads oder Kundensegmente abgestimmt sind. Dazu gehören nicht nur maßgeschneiderte E-Mails, sondern auch gezielt formulierte Social-Media-Beiträge und Blogartikel, die präzise auf die Interessen und Bedürfnisse der jeweiligen Zielgruppe eingehen. Durch solche maßgeschneiderten Inhalte können Unternehmen ihre Leadgenerierung verbessern und die Konversionsraten signifikant steigern, indem sie eine direkte und relevante Ansprache bieten, die potenzielle Kunden effektiv anspricht und bindet.
Natürlichsprachliche KI kann ebenso dazu verwendet werden, Spezifikationen aus Ausschreibungen zu strukturieren, sodass sie in konventionellen CRM-Systemen weiterverarbeitet werden können. LLMs sind in der Lage, wichtige Informationen aus umfangreichen Dokumenten für die Bedarfsanalyse zu extrahieren – beispielsweise um die Hauptinformationen für eine Bewertung der Ausschreibung zu gewinnen. Zusätzlich können sie zukünftig systematisch auf spezifische rechtliche und finanzielle Risiken hinweisen, die in komplexen Ausschreibungen verborgen sind. Erste Erfahrungen mit LLMs im Vertriebsumfeld zeigen, dass eine einfache Bedarfsanalyse mit entsprechend instruierten KIs gut angegangen werden kann. Für die anspruchsvollere Analyse legaler und finanzieller Risiken sollten die Modelle aber feingetuned werden und benötigen zudem Zugriff auf die hierfür notwendige Literatur. Diese Fähigkeit steht den KI-Assistenzsystemen in CRM-Suiten zurzeit noch nicht zur Verfügung.
Die Verbindung von LLMs mit Internetsuchmaschinen schafft neue Recherche-Möglichkeiten, die die Qualität der gefundenen Informationen erheblich verbessern können. Ein Beispiel, was KI-Chatbots künftig leisten können, ist die Zusammenarbeit von Microsoft (mit der Suchmaschine Bing) und OpenAI.
In den CRM-Systemen größerer Unternehmen befinden sich oft große Mengen unstrukturierter Textdaten, die derzeit kaum genutzt werden. Mit LLM-Technologie kann diese Datenmenge in Zukunft aktiviert werden, z.B. um Informationen semantisch zu suchen („Welche Kunden haben ähnlichen Bedarf wie Kunde X?“) oder systematisch Einwandbehandlungen zu entwickeln („Welche typischen Einwände äußern Kunden gegen unsere Produkte?“).
IT-Systeme, die Informationssuche und LLMs kombinieren, heißen RAG-Systeme („Retrieval Augmented Generation“). In einigen großen Unternehmen wird bereits intensiv der Einsatz dieser Technologie erprobt, um die Qualität von Unternehmens-Suchmaschinen deutlich zu verbessern, etwa für die verbesserte Bearbeitung von Kundenanfragen durch den Vertriebsinnendienst.
KI-Chatbots können heute bereits die Erstellung von Angeboten, Vertragsentwürfen und Preisvorschlägen unterstützen. Dabei sind sie beispielsweise in der Lage, Vorlagen nach Anweisung anzupassen. Alle größeren LLMs beherrschen mehrere Sprachen und können somit die erstellten Dokumente übersetzen. Für eine exzellente Übersetzungsqualität ist aber letztendlich der Einsatz eines spezialisierten LLMs empfehlenswert. Bekannte CRM-Anbieter werden diese Art der KI-Unterstützung in ihre Systeme integrieren, da der erforderliche Entwicklungsaufwand vergleichsweise gering ist, aber aus Sicht des Benutzers spannende neue Funktionen bietet.
Eine beeindruckende Anwendung für KI-Chatbots liegt in der Verhandlungsvorbereitung. Durch den Einsatz von Expertenwissen aus dem Gebiet der Verhandlungsführung können große Sprachmodelle als Experten für Verhandlungsführung dienen. Sie ermöglichen es, Verhandlungssituation zu analysieren und Strategien zu entwickeln. Es ist sogar möglich, die tatsächliche Verhandlung als Rollenspiel zu simulieren. OpenAI bietet mit den „Custom GPTs“ beispielsweise spezialisierte Versionen von ChatGPT an, die als Trainer oder Sparringspartner in Verhandlungen eingesetzt werden können.
Auch als Teil von Nachverkaufsaktivitäten gibt es Aufgaben, bei denen Sprachtechnologie unterstützen kann. LLM-Technologie kann Effizienz steigern, indem Inhalte passgenau und individuell pro Kunden generiert werden und dem Vertrieb so Freiraum schaffen. Auch das Kunden-Feedback, das häufig als E-Mail oder Freitext eingeht, kann mittels LLMs als Inforationsquelle systematischer genutzt werden, als dies mit konventionellem Information Retrieval möglich ist.
Zukunftstrends
Ein wesentlicher Faktor für die tägliche Arbeit im Vertrieb ist das Bestreben der CRM-Anbieter, die noch relativ neue LLM-Technologie in ihre Software-Suiten zu integrieren. CRM-Systeme bilden aus Vertriebssicht das Kerninstrument der Digitalisierung: die laufende Integration von KI in diese Systeme ist ein zentraler Indikator dafür, welche Möglichkeiten der Vertrieb zukünftig tatsächlich genutzt werden können.
Die industrieorientierte KI-Forschung treibt die Entwicklung der LLM-Technologien schnell voran. Die Fortschritte halten mit nur noch minimaler Verzögerung Einzug in die IT-Systeme der Unternehmen. Für die kommenden Monate sind folgende Entwicklungen zu erwarten [5]:
- Höhere Qualität: Während die LLMs noch vor einem Jahr deutliche Qualitätsmängel aufwiesen, werden die KI-Assistenten im produktiven Einsatz zunehmend zuverlässiger. In Zukunft wird dies die Akzeptanz und Verfügbarkeit von KI-Assistenzsystemen im Vertrieb deutlich verbessern.
- Volle Multimodalität: Seit 2024 können kommerziell genutzte LLMs nicht nur Sprache, sondern auch Bilder verarbeiten. Dies eröffnet neue Anwendungsmöglichkeiten in CRM-Systemen, wo beispielsweise neben Sprache auch technische Zeichnungen analysiert und interpretiert werden müssen.
- Verbesserte Mehrsprachigkeit: Bis Ende 2023 zeigten LLMS oft bessere bzw. detailliertere Ergebnisse auf Englisch als in anderen Sprachen. Diese Qualitätsunterschiede zwischen den Sprachen verringern sich seither deutlich. Dies erweitert die praktischen Einsatzmöglichkeiten der Technologien in international agierenden Unternehmen.
- Lokale KI: Schon jetzt können LLMs auch auf lokalen Rechnern ohne Internetanbindung betrieben werden. Bald werden sie als Bestandteil von persönlichen Assistenten auf Mobilgeräten verfügbar sein und dort klassische Aufgaben der Vertriebsassistenz übernehmen – etwa die Organisation von Meetings oder die Reiseplanung. Die heutigen Cloud-basierten Assistenten, wie Siri, werden allmählich durch diese Technologie ersetzt.
- Integration mit Information Retrieval: Verschiedene Software-Anbieter kombinieren KI-Chatbots mit semantischer Suche basierend auf LLMs („Vektor-Datenbanken“). Im Vertrieb kann dies entweder eigenständig oder als Teil von CRM-Systemen die Suche und Verarbeitung von Information beschleunigen und qualitativ verbessern. Anders als die von OpenAI bereits heute bereitgestellten Lösungen bleiben die sensiblen Geschäftsdokumente „on premise“ und arbeiten auf weit größeren Datenmengen.
Zusammenfassung
Die Implementierung von Large Language Models stellt eine disruptive Wende in der digitalen Transformation des Vertriebs dar. Diese fortschrittlichen KI-Technologien können tief in die Funktionalitäten von CRM-Systemen integriert werden, was eine effizientere Kundenakquise, verbesserte Bearbeitung unstrukturierter Daten und die Optimierung zahlreicher Aspekte des Vertriebsprozesses und Kundensupports ermöglicht.
Führende Unternehmen wie Microsoft und Salesforce demonstrierten bereits die Möglichkeiten, die durch den Einsatz dieser Technologien in ihren CRM-Lösungen entstehen. LLM-Technologien werden die Art und Weise, wie Vertriebsteams zukünftig interagieren und kommunizieren, fundamental verändern. In naher Zukunft ist mit weiteren Entwicklungen dieser Technologien zu rechnen, die schnell in Vertriebsanwendungen integriert und den Vertriebsprozess umfassend modernisieren und effizienter machen werden.
Entscheider haben bereits heute die Möglichkeit, Maßnahmen zu ergreifen, um ihren Vertrieb auf den Einsatz von KI-Technologien vorzubereiten. Durch das einfach zugängliche Angebot von OpenAI können Vertriebsmitarbeiter die Fähigkeiten von KI-Chatbots erleben und für erste Aufgaben einsetzen. ChatGPT ermöglicht gegen eine vergleichsweise geringe Nutzungsgebühr Zugang nicht nur zu einem LLM, sondern auch zu KI-gestützten Textanalysen, Internetrecherchen und über die Funktion „Custom GPT“ zu semantischer Suche in Dokumenten.
Es lohnt sich, die Mitarbeiter im Umgang mit ChatGPT zu schulen und dabei Datenschutzrichtlinien sowie Compliance-Anforderungen zu beachten. Die Einführung der KI in das CRM des Unternehmens sollte im Rahmen eines Projektes mit Unterstützung des Anbieters durchgeführt werden. Pilotprojekte sind dabei empfehlenswert, denn nicht jede verfügbare Option ist für jedes Unternehmen geeignet. Vertriebsmitarbeiter sollten darüber hinaus die Gelegenheit erhalten, das für sie sinnvolle Optimum im Einsatz dieser transformativen Technologie zu finden.
Quellen:
[1] Wolfram, S. (2023). What is chatgpt doing … and why does it work? Wolfram Media, Inc.
[2] IBM (2024): Was ist ein neuronales Netz?, URL: https://www.ibm.com/de-de/topics/neural-networks?mhsrc=ibmsearch_a&mhq=artificial%20neural%20network
[3] Deepl (2024): Der präziseste und differenzierteste maschinelle Übersetzer der Welt, URL: https://www.deepl.com/de/whydeepl
[4] The Economist (2023): AI models will become smaller and faster, URL: https://www.economist.com/the-world-ahead/2023/11/13/ai-models-will-become-smaller-and-faster
[5]: The Economist (2023): Generative AI holds much promise for business, URL: https://www.economist.com/the-world-ahead/2023/11/13/generative-ai-holds-much-promise-for-businesses
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