Die Zukunft der KI-gestützten Produktentwicklung

Produkte werden mit jeder Generation komplexer und die Anforderungen an die Konstrukteure steigen exponentiell, da sie intelligentere, innovativere und nachhaltigere Produkte in denselben oder sogar kürzeren Konstruktionszyklen entwickeln müssen. Mit der steigenden Nachfrage wächst auch die Komplexität der Werkzeuge, die für die Entwicklung dieser Produkte verwendet werden. Leistungsstarke Software, die für die Entwicklung und Validierung von Mikrochips bis hin zu Flugzeugen verwendet wird, erfordert Jahre, um erlernt und Jahrzehnte, um beherrscht zu werden.
Von   Todd Tuthill   |  ist Vizepräsident für Luft- und Raumfahrt und Verteidigung   |  Siemens Digital Industries Software
19. Juli 2024

Die Zukunft der KI-gestützten Produktentwicklung

 

Produkte werden mit jeder Generation komplexer und die Anforderungen an die Konstrukteure steigen exponentiell, da sie intelligentere, innovativere und nachhaltigere Produkte in denselben oder sogar kürzeren Konstruktionszyklen entwickeln müssen. Mit der steigenden Nachfrage wächst auch die Komplexität der Werkzeuge, die für die Entwicklung dieser Produkte verwendet werden. Leistungsstarke Software, die für die Entwicklung und Validierung von Mikrochips bis hin zu Flugzeugen verwendet wird, erfordert Jahre, um erlernt und Jahrzehnte, um beherrscht zu werden.

Künstliche Intelligenz (KI) ist eine der Schlüsseltechnologien, die nicht nur die Art und Weise, wie Mensch und Software interagieren, verändern wird. Durch die KI verändert sich der Konstruktionsprozess von Anfang bis Ende, indem sie einen Weg bietet, Designwerkzeuge so intuitiv wie Smartphone-Apps zu machen. Diese Revolution wird zwar nicht über Nacht stattfinden, aber sie ist auch kein ferner Traum, da sich KI in einem atemberaubenden Tempo weiterentwickelt. Unternehmen, die sich nicht darauf einstellen, riskieren, hinter ihre Konkurrenz zurückzufallen, die auf dem Weg zur KI-gesteuerten digitalen Transformation mit Riesenschritten voranschreitet.

 

KI definiert Interaktion neu

Seit der Veröffentlichung von ChatGPT und dem darauffolgenden Hype der generativen KI haben sich Copilot-Systeme als leistungsstarke Anwendung von KI herauskristallisiert. Ein Beispiel sind die Bereiche Industrie und Konstruktion, die von komplexer, spezialisierter Software dominiert werden. Industrielle Copiloten, wie sie bereits in verschiedenen Branchen eingesetzt werden, bieten nicht nur die Möglichkeit, viele alltägliche Aufgaben zu automatisieren, sondern auch durch Konversation Zugang zu einer umfangreichen Bibliothek von Fachwissen zu erhalten.

Die Verwendung natürlicher Sprache für Fragen und die Interaktion mit der Software ermöglichen es neuen Benutzern, komplexe Software schneller zu erlernen und zu nutzen – und das ohne Anleitung von Experten. Gleichzeitig können erfahrene Nutzer Arbeitsabläufe nahtlos automatisieren und Aufgaben beschleunigen. Obwohl industrielle KI-Chatbots einen wichtigen ersten Schritt auf dem Weg zur Einführung von KI in professionelle Software darstellen, sollten sie nicht als Endziel betrachtet werden.

 

Aufbau eines digitalen Experten

Ein KI-Copilot kann zwar bei der Beantwortung von Fragen oder einfachen Automatisierungen helfen, aber das Kernproblem der Komplexität wird dadurch nicht gelöst. Ein neuer Benutzer weiß nicht, welche Fragen er stellen soll, oder er hat keinen zu automatisierenden Arbeitsablauf. Für einen erfahrenen Benutzer wiederum ist die Navigation in einer Benutzeroberfläche mit Dutzenden von Menüs und Tausenden von Befehlen eine entmutigende Aufgabe. Durch die direkte Einbindung von KI in Entwicklungswerkzeuge kann die Software zum einen von den Experten lernen, während diese die Software einsetzen. Dabei erfasst die KI wertvolles Fachwissen, das andernfalls durch Pensionierung oder Versetzung verloren ginge. Zum anderen lässt sich dieses Wissen nutzen, um die Verwendung des Tools selbst zu vereinfachen.

Das Verständnis der Arbeitsabläufe von Experten erlaubt es einem integrierten KI-System, auf intelligente Weise die nächste Funktion im Prozess nur einen Klick entfernt zu platzieren – selbst wenn ein neuer Benutzer noch gar nicht das Wissen besitzt, welche Funktion er als nächstes benötigt. Dieser Prozess lässt sich noch weiter ausbauen, so dass die KI nicht nur Funktionen, sondern auch Entwurfsmethodiken empfehlen kann. Ein KI-System, das über ein tiefes Verständnis von Best Practices und Experten-Workflows verfügt, könnte alles vorschlagen, von der besten Stelle für die Platzierung von Bauteilen auf einer Leiterplatte bis hin zur optimalen Art der Verstärkung eines Flügels. Schließlich lernt man am besten, wenn ein erfahrener Experte als Ratgeber fungiert, der die besten Praktiken demonstriert und Fragen beantwortet.

Ein direkt in die Konstruktionssoftware integriertes KI-Unterstützungssystem kann die traditionell lange Lernphase für professionelle Software verkürzen und unerfahrene Benutzer fast über Nacht zu Experten machen. Durch den Einsatz von KI, die die Interaktion mit komplexer Design-Software übernimmt, können sich Benutzer aller Qualifikationsstufen auf Kreativität und Innovation konzentrieren, anstatt Software zu lernen. Dies kann nicht nur die Arbeitszufriedenheit erhöhen, sondern auch dazu führen, dass komplexere Produkte schneller und effizienter entworfen werden können.

 

Generatives Design bringt es auf den Punkt

Die künstliche Intelligenz wird nicht nur die Art und Weise verändern, wie Nutzer mit Konstruktionssoftware interagieren, sondern auch den Designprozess selbst. Generatives Design ist bereits ein Grundpfeiler des modernen Designprozesses. Es führt Modellierwerkzeuge, Simulation und Produktbeschränkungen in einem einzigen, nahtlosen Prozess zur Erkundung des Designraums zusammen. Aber was wäre, wenn die Dinge noch einen Schritt weiter gehen könnten? KI bietet das Potenzial, einen wirklich autonomen Designprozess zu ermöglichen: Dazu akzeptiert sie die natürlichsprachliche Eingabe zur Beschreibung eines Teils oder Produkts. Mithilfe eines benutzerdefinierten und KI-gesteuerten generativen Konstruktionsmodells, das auf firmeneigenen Datensätzen mit Expertenwissen und früheren Designs trainiert wurde, werden dann die einzelnen Schritte des Produktentwicklungsprozesses durchgeführt. Dazu zählen alle Schritte, vom anfänglichen Entwicklungskonzept bis hin zur Validierung und Verfeinerung, bevor die fertige Konstruktion dem Menschen zur Prüfung vorgelegt wird.

Um dieses neue Paradigma zu ermöglichen, benötigen Unternehmen maßgeschneiderte KI-Modelle, die intern trainiert werden. Dieses interne Training hat den doppelten Vorteil, dass die proprietären IP-Daten im Unternehmen verbleiben und dass ein Modell trainiert wird, das die unternehmenseigene Formensprache fließend beherrscht. Indem die wertvollen Daten im Unternehmen verbleiben, wird eines der größten Vertrauensprobleme bei der Einbindung von KI in den Konstruktionsprozess beseitigt, da kein Dritter jemals mit den Daten interagieren muss. Gleichzeitig wäre ein benutzerdefiniertes KI-Modell besser in der Lage, die Konsistenz zwischen früheren und aktuellen Produktversionen aufrechtzuerhalten. So bleibt die starke Markenidentität erhalten, die auf jahrelang hart erarbeitetem Wissen und der Erfahrung aus den früheren Versionen basiert.

KI-gesteuerte generative Modellierung stellt den nächsten Schritt im Entwicklungsprozess dar und verknüpft ein komplettes Ökosystem von Software mit leistungsstarker KI-Automatisierung und natürlicher Sprachverarbeitung. Künftig wird die generative KI auch hier eine entscheidende Rolle spielen, da sie die Lücke zwischen Worten, groben Skizzen und funktionalen digitalen Modellen schließt. Sobald der erste Erstellungsschritt abgeschlossen ist, übernehmen herkömmliche generative Konstruktionsprozesse die Aufgabe, das Produktmodell mit Hilfe von maßgeschneiderten KI-gestützten generativen Modellen weiter zu verfeinern und zu optimieren. Dieser Prozess basiert auf einer Fülle von Konstruktionsdaten und Fachwissen aus der Vergangenheit. Schließlich präsentiert sich dem Endnutzer ein fertiges, ausgefeiltes Produkt.

 

KI entfesselt Potenzial

In der zunehmend komplexen und digital integrierten Welt des modernen Designs und der Fertigung ist die KI in einer einzigartigen Position, um Menschen und Technologie auf eine Art und Weise zu verbinden, die die Stärken beider Seiten ausspielt. Dabei nimmt die KI dem Benutzer viele der mit professioneller Software verbundenen Aufgaben ab. Im Laufe der kommenden Monate und Jahre wird KI nicht nur eine Neuheit in der Industrie sein. KI wird zu einer entscheidenden Technologie, die die Art und Weise, wie Produkte entworfen und hergestellt werden und wie man mit ihnen interagiert, verändert. Unternehmen, die sich nicht darauf einstellen, werden nicht in der Lage sein, in der schnelllebigen Welt der Konkurrenten mitzuhalten, die ihre Reise zur Reife der digitalen Transformation fortgesetzt haben – eine Reise, die zu einem autonomen, intuitiven und integrierten Konstruktionsprozess führen wird, der alles übertrifft, was heute genutzt wird.

Todd Tuthill ist Vizepräsident für Luft- und Raumfahrt und Verteidigung bei Siemens Digital Industries Software. Er kam im Juni 2022 zu Siemens, nachdem er mehr als 30 Jahre in der Luft- und Raumfahrt- und Verteidigungsindustrie tätig war. Sein technischer Hintergrund liegt in der Systementwicklung mit funktionalen Engineering- und Programmführungsrollen und einer starken Vision für die digitale Transformation. Tuthills Führungslaufbahn in der Luft- und Raumfahrt erstreckt sich über McDonnell Douglas/Boeing, Moog, Raytheon und Siemens. Seine Erfahrung umfasst alle Aspekte von Aerospace- und Verteidigungs-Programmen, einschließlich Design, modellbasiertes System-Engineering, Software-Engineering, schlanke Produktentwicklung, Lieferanten-/Partner-Management und Programm-Management. In seiner neuen Rolle bei Siemens ist Tuthill ein leidenschaftlicher Verfechter der Förderung der digitalen Transformation in der gesamten A&D-Industrie.

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