Schwimmen (lernen) oder untergehen. Warum Unternehmen, die neue Mitarbeitende suchen, auf flexible Modelle umstellen müssen.

49 Prozent der Arbeitnehmer zwischen 18 und 27 Jahren erwägen laut forsa-Umfage einen Jobwechsel, und das trotz Rezession – ein Weckruf für Unternehmen. In Zeiten des zunehmenden Fachkräftemangels sind diese Zahlen mehr als alarmierend. Flexible Arbeitsmodelle stehen ganz oben auf der Wunschliste und werden für Unternehmen zum Pflichtprogramm. Diejenigen, die keine oder nur wenig Möglichkeit zu Homeoffice und flexiblen Arbeitszeiten bieten, erhalten insbesondere von der jungen Generation Absagen. Eine kürzlich von Economist Impact im Auftrag von Dropbox durchgeführte Studie kam zu dem Ergebnis, dass sich Fokus, Arbeitsqualität und Wohlbefinden umso besser entwickeln, je mehr Einfluss die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf ihren Zeitplan und ihr Arbeitsumfeld haben. Der Bericht kommt zu dem Schluss, dass die Unternehmen, die auf Inflexibilität bestehen, leiden werden. Es ist daher an der Zeit, neue Modelle einzuführen, um wettbewerbsfähig zu bleiben, sowohl im Hinblick auf die Gewinnung von Talenten als auch auf die Produktivität. 
Von   Andrea Trapp   |  Vice President Business International   |  Dropbox
21. August 2024

Am Strand zeigt die rote Flagge an, wann man den Fuß besser nicht in die Brandung taucht. Und auch im Berufsleben gibt es so eine „Red Flag” –ein Warnsignal, das nicht übergangen bzw. übersehen werden sollte. Der klassische „9 to 5”-Job ist längst so eine rote Flagge, wie unter anderem eine 2023er-Umfrage der Jobbörse Monster bekräftigt. Bestehende und vor allem suchende Mitarbeitende fordern Flexibilität. Die Generationen Z und teilweise Y starten schon gar nicht mehr in einem Betrieb, der sie nicht bietet.

In den Personalabteilungen von Unternehmen, die Arbeit nur in der Betriebsstätte, also ohne Homeoffice-Möglichkeit fordern, herrscht Ebbe im Bewerbungseingang beziehungsweise eine Flut an Absagen und Kündigungen. Ohne die alte Schule der Arbeit mit ihren festen Reglements überhaupt zu kennen, wählen Junge grundsätzlich nur noch Stellen mit maximaler Flexibilität – im Idealfall auch noch individuell gestalt- und an die eigenen Lebensumstände anpassbar.

Es müsse eine New-Digital-Work-Strategie her, fordert das Fraunhofer-Institut, denn nur so könnten Unternehmen wettbewerbsfähig bleiben.

 

Den Kopf über Wasser halten

Ein Blick in die Unternehmenswelt offenbart unmissverständlich: Im Management herrscht vielerorts noch eine bemerkenswerte Sturheit bezüglich der Annahme, dass ein fester Arbeitsplatz mit festen Arbeitsregeln unumgänglich sei. So lasen wir in den vergangenen Wochen viel von globalen, aber auch mehr und mehr deutschen Unternehmen, die ihre Mitarbeitenden zurück ins Büro beordern, statt flexible Arbeitsmodelle zu halten und auszubauen. Eine Strategie, die im Hinblick auf die konsequente Abneigung der Nachwuchskräfte kontraproduktiv ist.

In einer Zeit des akuten Nachwuchskräftemangels ist es für Unternehmen ein Gewinn, auf einen viel größeren Pool an Talenten zugreifen zu können, weil die potenziell Mitarbeitenden nicht mehr in die teuren Ballungszentrum der jeweiligen (ehemaligen) Firmensitze umziehen müssen. Lange Pendelwege sind damit kein Ausschlusskriterium mehr. Zudem kann durch flexible Arbeitsmodelle an verteilten Orten (z.B. dem eigenen Homeoffice) die Arbeitseffizienz signifikant steigen – vorausgesetzt, Remote Work ist in allen Unternehmensstrukturen und Prozessen verankert. Damit ist jedoch nicht gemeint, die Mitarbeitenden einfach nur ins Homeoffice zu schicken, wie es vor allem während der Pandemie Usus war. Denn die rudimentären hybriden Modelle, die allenfalls eine Anpassung der “in Person”-Kultur auf Digital darstellen und eben nicht wirklich “digital native” sind, jedoch noch in vielen Unternehmen vorherrschen, können heutzutage in dieser Form nicht erfolgreich fortbestehen. Stattdessen muss das Gelernte aus den letzten Jahren weiterentwickelt werden. Unternehmen müssen nicht nur entsprechende Prozesse für eine reibungslose, dezentrale Arbeit über alle Ebenen hinweg schaffen, sondern diese auch entlang der gelernten Lektionen kontinuierlich nachbessern. Das beinhaltet, dass Führungskräfte und Mitarbeitende entsprechend kontinuierlich geschult werden müssen, bevor sie lange Strecken selbstständig und tatsächlich effizient aus dem Homeoffice heraus arbeiten können.

 

Beim Sprung ins kalte Wasser verkühlt

Frei und unabhängig arbeiten vom Lieblingsort aus: Was zunächst gut klingt, stellt insbesondere für Neulinge schnell eine Herausforderung dar. Denn wer übernimmt die Verantwortung für sie im Homeoffice und bringt ihnen betriebliche Abläufe bei, damit sie zu einem wertvollen Mitglied der Arbeitsgemeinschaft des Unternehmens werden können? Gerade in diesen frühen Phasen ist das Lernen durch “Osmose” der Schlüssel. Hier haben sich beim flexibel hybriden, aber insbesondere hauptsächlichen Arbeiten aus dem Homeoffice Schwachstellen gezeigt: Der Wissenstransfer von erfahrenen zu neuen oder umsteigenden Arbeitskräften funktioniert ohne Unterstützung nicht gut.

Insbesondere beim dezentralen Arbeiten müssen deshalb die Bereiche Onboarding und Ausbildung von jungen Berufseinsteigern angepasst werden. Da aber spontane Arbeitsgespräche, wie sie im Büroalltag üblich sind, nicht stattfinden, müssen Unternehmen den Austausch von Erfahrung und Wissen über neue Kanäle ermöglichen. Inzwischen können digitale Tools, ergänzt durch KI, auch dazu beitragen, dass Wissenslücken gar nicht erst entstehen. KI kann beispielsweise schnell auf spezifische Anfragen von Mitarbeitern reagieren, indem sie auf vordefinierte Parameter antwortet oder spezifische Informationen aus einer Sammlung verschiedener digitaler Inhalte heraussucht – und diese dann in einer zusammengefassten Form zur Verfügung stellt, die leicht und einfach zu verdauen ist.

Aber auch wenn jüngere Mitarbeitende die Flexibilität schätzen, die ihnen das dezentrale Arbeiten ermöglicht, sehnen sie sich nach sozialen Kontakten, auch abseits des Onboardings. Damit der Teamgeist und das Zugehörigkeitsgefühl der verteilten Teams nicht leidet, bieten sich soziale Chat-Kanäle als auch virtuelle Videokonferenzen und Veranstaltungen wie Townhall Meetings an. Wir heben mit den Neighbourhoods ein spezielles Programm, um die soziale Interaktion zwischen den Teams zu stärken. Ebenfalls denkbar sind “Ask Me Anything”-Termine (AMAs) für Führungskräfte, aber vor allem jährlich oder quartalsweise stattfindende, unternehmensweite Initiativen, bei denen sich Mitarbeitende zu festen Terminen persönlich vor Ort kennenlernen können.

 

Sind die Bademeister aufmerksam?

Die Führung von Mitarbeitenden vor Ort unterscheidet sich gravierend von der Führung dezentraler Teams. Doch traditionell erfolgreich gewordene Manager und Managerinnen können sich mit dezentralen Teams und den erforderlichen digitalen Werkzeugen und der aktuellen Technik überfordert fühlen. Für das Management bedeutet dezentrales Arbeiten, sich stets mit neuen Herausforderungen auseinandersetzen und sich neue Kompetenzen aneignen zu müssen. Ohne neue Skills würde so einiges – beispielsweise der angesprochene Wissenstransfer – baden gehen.

In einer dezentralen Arbeitswelt wird von der Führungsetage jedoch erwartet, empathisch Distanzen zu überbrücken, deutlich und klar Erwartungshaltungen zu setzen und zu kommunizieren, ohne trotz fragmentierter Kanäle Missverständnisse aufkommen zu lassen, regelmäßige Statusupdates einzuholen, ohne dabei überwachend zu wirken oder ins Micromanagement abzudriften. Dabei stets das richtige Medium wie Chat, E-Mail, Kollaborations-Tools zu wählen und in der Rhetorik klar, dennoch persönlich zu sein, stellt besonders für Führungskräfte, die bisher eher selten Mitarbeitende remote managen mussten, eine Herausforderung dar. Hinzukommt, dass natürlich auch das Führungsteam versiert im Umgang mit digitalen Tools und auf dem neuesten Stand der Technik sein muss, einschließlich der neuesten Fortschritte in der KI, die den Arbeitsplatz zu revolutionieren versprechen. Dabei sollten sie auch immer den generationenübergreifenden Austausch im Auge behalten und gegebenenfalls neue Software einführen, die noch besser auf die dezentralen Arbeitsabläufe des Unternehmens und die digitale Zusammenarbeit der Teams abgestimmt ist.

Hand aufs Herz: Welche Führungskraft fühlt sich nach dem kräftezehrenden Hau-Ruck der Pandemie tatsächlich gut vorbereitet, um auch künftig vollumfänglich die exzellente Führung dezentraler Arbeitskräfte und Teams zu leisten? Hier werden tiefgreifende und sorgfältig ausgearbeitete Toolkits, inklusive KI, benötigt, damit Führungskräfte in der Lage sind, ihre Mitarbeitenden in stets neuen Umfeldern zu führen und sie tatkräftig dabei zu unterstützen, die zur Verfügung stehenden Kanäle und Technologien optimal für ihre Arbeit zu nutzen.

 

Der Rettungsring gegen die Aufgabenflut

Weil Fachkräfte Mangelware sind, müssen Unternehmen sich auch mit der Frage auseinandersetzen, wie die Produktivität einer verteilt arbeitenden Belegschaft verbessert werden kann. Denn bevor die bestehende Arbeitskraft des Unternehmens an der Aufgabenlast ertrinkt, muss sie mit einem Rettungsring über Wasser gehalten werden – zum Beispiel in Form von KI.

Dennoch zeigt der KIRA Report 2023, dass gerade einmal 29,3 % der Deutschen KI unterstützen, der Rest ist entweder KI gegenüber neutral eingestellt oder unterstützt sie nicht. Das bedeutet, dass Unternehmen ein Arbeitsumfeld schaffen müssen, dass die technischen sowie kulturellen Grundvoraussetzungen zur Nutzung von KI erfüllt – und dass sie ihre Mitarbeitenden von Anfang an miteinbeziehen sowie die Vorteile für die eigenen Arbeitsabläufe klar verdeutlichen.

Künstliche Intelligenz, die dem Menschen dient, in smarte Tools eingebettet, könnte so Workflows unterstützen, zum Beispiel indem der E-Mail-Posteingang besser organisiert, Dokumente schneller gefunden und die allgemeine Arbeitstag- und Zeitplanung effizienter gestaltet wird. Während Künstliche Intelligenz zunehmend wiederkehrende Routineaufgaben abfängt und übernimmt, bleibt Mitarbeitenden mehr Zeit, sich auf strategische Aufgaben zu fokussieren oder kurzzeitige personelle Engpässe zu überbrücken.

 

Die perfekte Welle  

Wichtig ist dieser Tage, aus den letzten Jahren des Remote Work zu lernen, Schwächen zu erkennen und solide Prozesse auf- und nachzuarbeiten. Dabei können KI und andere technische Tools entscheidend unterstützen. Aus diesem Grund haben wir uns bereits im Jahr 2020 mithilfe seines Virtual-First-Modells in ein Labor für dezentrales Arbeiten verwandelt und testet selbst jeden Schritt in Richtung Arbeit der Zukunft, bevor Kunden davon nutznießen können.

So werden die eigenen smarten Tools direkt im praktischen Alltag getestet und kontinuierlich weiterentwickelt. Die Einbettung von Künstlicher Intelligenz in unser Kernprodukt macht heute den entscheidenden Unterschied beim vernetzten Arbeiten. Dahinter steht eine zukunftsweisende Überzeugung: Moderne Arbeitstools sollten Inhalte und Prozesse so organisieren, dass unnötige Routineaufgaben bei täglichen Tasks mehr und mehr wegfallen und die Kommunikation im Team so nahtlos wie möglich verläuft.

Denn von dem Moment an, in dem Mitarbeitende ins Unternehmen eintreten, bis zum Tag ihres Ausscheidens spielt alles eine Rolle: Angefangen beim Onboarding über die Kultur, die Führungsphilosophie bis hin zur täglich genutzten Technologie … einfach jedes Element wirkt sich auf dessen Erfahrung aus und bestimmt letztendlich über Engagement und die Effizienz der geleisteten Arbeit.

Andrea Trapp ist Vice President of Business International bei Dropbox und leitet ihre internationalen Teams aus München. Die diplomierte Wirtschaftswissenschaftlerin und Expertin für Change-Management war 22 Jahre lang – zeitweise im Ausland – in europaweiten Führungs- oder Vorstandspositionen internationaler Tech- und PropTech-Unternehmen tätig. Ihre inhaltlichen Schwerpunkte lagen dabei stets auf den Themen digital Leadership und der Optimierung von Transformationsprozessen.

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