Remote Work ist ein Anreiz für Talente – und könnte sogar der Inflation entgegenwirken

Remote Work ist gekommen, um zu bleiben. Nicht erst seit dem Abklingen der Corona-Pandemie ist das Thema in aller Munde und beschäftigt Unternehmer und Mitarbeitende gleichermaßen. Gibt es eine Rückkehr in die alte Arbeitswelt oder einen radikalen Umbruch? Welches ist die beste Lösung? Taugen Hybrid-Lösungen etwas?
Von   Willms Buhse   |  CEO und Gründer   |  doubleYUU
11. Oktober 2022

Das Prinzip des Remote Arbeitens hat durch die Corona-Pandemie richtig Fahrt aufgenommen hat und wird vor allem von Arbeitnehmern als positive Entwicklung wahrgenommen. Im Rahmen einer Umfrage von McKinsey haben 60% von 25.000 befragten US-amerikanischen Arbeitnehmern erklärt, dass sie mindestens einen Tag pro Woche von zuhause aus arbeiten können. Ganze 87% denen Remote Work angeboten wurde, nutzen die Gelegenheit und arbeiten mittlerweile durchschnittlich drei Tage aus ihrem Home-Office heraus.

Individuelle Erfahrungswerte nutzen
Die Veränderungen der Arbeitswelt sind massiv. Was dieser gewaltige Wandel strategisch für Unternehmer und ihre Führungskräfte bedeutet, muss stets in der Einzelbetrachtung festgestellt werden. Es gibt keine branchenübergreifende „One-Size-Fits-All“-Lösung, vielmehr kommt es darauf an, Entscheidungsträger optimal darauf vorzubereiten, welche Lösung (Remote, Hybrid, Office-Präsenz) für ihre Teams die Beste ist.

Große Talente kommen von überall her und sind überall ansässig. Unternehmen müssen sich jedoch bemühen, sie zu finden und ein Umfeld schaffen, welches für Remote-Mitarbeitende offen und inklusiv ist. Wenn der Rest des Teams von neun bis fünf an fünf Tagen der Woche im Büro ist und eine Person einstellt, die beispielsweise in einem anderen Land ansässig ist – welche Rahmenbedingungen sollten eingeführt werden, damit sich der neue Mitarbeitende wie ein geschätztes, gleichberechtigtes Mitglied des Teams fühl. Es kommt also vor allem auf das jeweilige Geschäftsmodell an, die bestehende Strukturen und vor allem auf bereits eingeführte Veränderungen während der Pandemie. Dazu kommen moderne Führungsmethoden wie OKR und Tools wie Teams, Slack oder Zoom. Aber vor allem braucht es das richtige Mindset der Führungskräfte und ihrer Mitarbeitenden: einen transparenten Informationsfluss und den persönlichen Kontakt – analog oder virtuell. Dabei darf es nicht um Kontrolle gehen, sondern um den Teamspirit: Fühle ich mich als Teil von meiner Firma?

Wundermittel gegen die Inflation?

Mit kreativen Prozessen können alte Strukturen aufgebrochen werden, um den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern eine zukunftsfähige Arbeitsrealität zu schaffen.

Unter Arbeitgebern gibt es aber nach wie vor Unternehmen, die diesem Aspekt der neuen Arbeitswelt skeptisch gegenüberstehen, andere sehen in Remote Work wiederum einen Anreiz, um Mitarbeitende zu gewinnen und zu halten. In einer Studie des National Bureau of Economic Research, in deren Rahmen über 500 US-amerikanische Unternehmen befragt wurden, bestätigten 38% der Firmen Remote Work als Instrument einzusetzen, „um Mitarbeitende bei Laune zu halten und den Lohnwachstumsdruck zu mildern.“ Je größer das Unternehmen, desto mehr wird davon Gebrauch gemacht – lautet eine weitere Erkenntnis der Studie. So begegnen Unternehmen dem Verlust wertvoller Mitarbeiter aus meiner Sicht wirkungsvoll, denn der Bedarf für neue Fachkräfte am Markt nimmt gerade steil zu und es werden die Unternehmen gewinnen, die am attraktivsten sind für ihre Mitarbeitenden.

Stichwort Lohnwachstumsdruck: In den USA akzeptieren Arbeitnehmer sogar eine geringere Bezahlung (z. B. in Form geringer ausfallender Gehaltserhöhungen) im Austausch für die Möglichkeit dezentraler Arbeit. Das wiederum wirkt sich auf das Lohnkosten-Niveau der Arbeitgeber aus, die durch die Inflation mit gestiegenen Kosten in nahezu allen Bereichen konfrontiert sind. Das kann wiederum einen Preisanstieg der angebotenen Produkte und Services nach sich ziehen – was durch die Lohn-Preis-Spirale wiederum die Inflation befeuern würde. Potenziale für Einsparungen sind dementsprechend sehr willkommen – wobei natürlich stets zu bedenken ist, dass die erfolgreiche Errichtung und Einführung einer Infrastruktur, die produktives dezentrales Arbeiten ermöglicht, auch Investitionen in diesem Bereich erfordert.

Zukunftsfähig werden

Ortsunabhängigkeit ist einer der größten Vorteile von Remote Work. Wir haben bereits vor sechs Jahren entschieden, vollständig auf Büroräume zu verzichten. Seitdem gehen alle relevanten KPIs bei uns nach oben. Besonders im Bereich Recruiting überzeugt die No-Office-Strategie. Der Suchradius für neue Talente erweitert sich enorm. Wer vorher auf den Großraum Hamburg konzentriert war, kann ohne Office Talente auf der Welt ansprechen. Ohne dabei auf die Bereitschaft umzuziehen, setzen zu müssen. Ob jemand in Hamburg, München oder auf Bali am Rechner sitzt, ist bei entsprechender Organisation egal. Auch viele Bewerber sind schnell überzeugt, denn Homeoffice ermöglicht ihnen viele Freiheiten. Die meisten Bewerber mit denen wir sprechen, schätzen sich und ihre Fähigkeiten remote zur arbeiten übrigens sehr gut ein.

Persönliche Gespräche bleiben natürlich auch ohne gemeinsames Büro wichtig, geführt werden sie aber in anderer Atmosphäre, z.B. beim virtuellen Lunch, bei Firmenevents oder auch mal bei einem gemeinsamen Spaziergang.

Natürlich stellt die erfolgreiche Anpassung einer Organisation an die komplexen Anforderungen der neuen Arbeitswelt in den meisten Fällen eine große Herausforderung dar: Geschäftsmodell, Führung, Mitarbeiter-Freiheiten, die Art der allgemeinen und konkreten Zielsetzungen, das alles lässt sich nicht mehr voneinander trennen. Konventionelle Managementsysteme stoßen hier schnell an ihre Grenzen, weil sie zu starr und zu träge sind. Eher sollte man mit agilen Managementsystemen wie OKR – Objectives and Key Results arbeiten. Damit lassen sich remote arbeitende Mitarbeiter und Teams bestens führen.

Die Arbeitswelt ist hinsichtlich ihrer Rahmenbedingungen (wie Arbeit „stattfindet“) mitten im größten Wandels aller Zeiten. Das beinhaltet auch einen umfassenden Kulturwandel, auf den Unternehmen nicht nur reagieren, sondern mitgestalten sollten. Eine Rückkehr in die pre-Corona-Arbeitswelt wird es nicht geben. Darauf sollten sich Unternehmen und Verantwortliche branchenübergreifend einstellen. Unternehmen werden die größten Talente nur dann an sich binden und halten können, wenn sie potenziellen Mitarbeitenden entsprechende Rahmenbedingungen bieten.

Dr. Willms Buhse ist Gründer der Beratung doubleYUU, Berater, Buchautor und Key Note Speaker und hält Vorträge in Harvard, am Massachusetts Institute of Technology (MIT) und an deutschen Elite-Universitäten in Berlin, München oder Hamburg. Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel und viele Top-Manager und Unternehmen wie Allianz, Axel Springer, Bosch, DAK, Deutsche Telekom, Otto, Lufthansa oder Volkswagen zählen zu seinen Kunden.

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