KI in der Arbeitswelt: Was Führungskräfte beachten müssen

Künstliche Intelligenz (KI) wird die Arbeitswelt verändern und auch Führungsaufgaben erfassen: KI-Systeme versprechen Entlastung von repetitiven Tätigkeiten und sollen Führungskräften mehr Zeit für Personalführung und strategische Planung ermöglichen. Gleichzeitig kann KI als Element in der Führung Beschäftigte verunsichern und wirft rechtliche sowie organisatorische Fragen auf. Führung mit KI-Unterstützung sollte daher auf Partizipation, Offenheit und Transparenz aufbauen und fordert neue Kompetenzen von Führungskräften.
20. September 2022

Künstliche Intelligenz (KI) verändert seit einigen Jahren die Arbeitswelt. Um auch in den nächsten Jahren und Jahrzehnten mit innovativen Produkten wettbewerbsfähig zu bleiben, wird es für Unternehmen strategisch entscheidend werden, KI-Systeme in ihre Geschäftsmodelle und Betriebsprozesse zu integrieren. KI wird so sukzessive zu einem gleichzeitig wichtigen und neuen Element im Arbeitskontext und der Betriebsorganisation und führt zu einer Neugestaltung der Arbeitsteilung zwischen Mensch und Maschine. Die Einführung von KI in Unternehmen bietet dabei Chancen und Potenziale sowohl für Beschäftigte, etwa in Form von Entlastung durch KI-Systeme, als auch für die Unternehmen, beispielsweise in Prozessverbesserungen oder in neuen Geschäftsmodellen.

KI-Systeme werden in Zukunft sowohl im Büro als auch in der Fabrik bei Aufgaben unterstützen oder diese in Gänze übernehmen können, die bislang trotz aller Industrialisierung und Automatisierung der Neuzeit dem Menschen vorbehalten waren. Dies trifft in erster Linie auf repetitive Routinetätigkeiten zu und zwar auf allen Verantwortungs- und Hierarchieebenen und über alle Domänen sowie alle Prozesse hinweg. Für die Beschäftigten bedeutet der Einsatz von KI noch mehr Flexibilität, das Ausüben anspruchsvollerer Tätigkeiten, individuell angepasste Informationen sowie Entlastung bei monotonen geistigen Routinetätigkeiten und somit mehr Raum für kreativere und kognitiv hochwertigere Tätigkeiten.

In Bereichen der Unternehmens- und Personalführung greifen Führungskräfte schon heute bei vielen wichtigen Aufgaben auf digitalisierte und (teil-)automatisierte Softwarewerkzeuge zurück. Entsprechende KI-Systeme haben deshalb auch das Potenzial, zu wichtigen Werkzeugen einer zeitgemäßlig;en Führung zu werden. Im Whitepaper Führung im Wandel: Herausforderungen und Chancen durch Künstliche Intelligenz zeigt die Arbeitsgruppe Arbeit/Mensch-Maschine-Interaktion der Plattform Lernende Systeme, wie sich die Rolle von Führungskräften im KI-Zeitalter verändert und was zu tun ist, damit der Einsatz von KI im Unternehmen gelingt.

Führungskräfte nehmen unterschiedliche Rollen als Akteurinnen und Akteure in der Entwicklung, Gestaltung, Organisation und Motivation ein und erfüllen innerhalb dieser Rollen unterschiedliche Aufgaben. Durch KI-Automatisierungspotenziale, die eben vor allem bei administrativen Koordinations- und Kontrollaufgaben sowie -entscheidungen zum Tragen kommen, besteht für Führungskräfte nun die Chance, ihre Ressourcen und ihre Aufmerksamkeit auf innovationsfördernde und strategische Führungsaufgaben oder die Führung und Motivation der Mitarbeitenden zu konzentrieren. Automatisierbare Verwaltungs- und Organisationsaufgaben werden von KI-gestützter Software übernommen. KI-Systeme können so beispielsweise zur Kontrolle festgelegter Unternehmensziele zum Einsatz kommen, bei der Zusammensetzung von Teams oder der Dienst- und Schichtplanung unterstützen und zur Individualisierung von Weiterbildungsplänen und -inhalten genutzt werden. Im Recruiting können KI-Systeme Bewerbungen vorsortieren. KI-basierte Frühwarnsysteme machen Führungskräfte auf überlastungen bei den Beschäftigten aufmerksam und können auf diese Weise arbeitsbezogenen psychischen Störungen rechtzeitig entgegenwirken.

Datenschutz und Transparenz

Für viele dieser Aufgaben müssen KI-Systeme mit sensiblen, personen- und prozessbezogenen Daten der Beschäftigten trainiert werden und mit diesen Daten arbeiten. Die erhobenen Daten könnten dann prinzipiell für ungerechtfertigte Auswertungen und Schlussfolgerungen über die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter herangezogen werden, wie beispielsweise zur automatisierten Leistungserfassung und -bewertung. Der Einsatz von KI-Systemen im Führungskontext muss deshalb die Persönlichkeitsrechte und den Datenschutz in Bezug auf Beschäftigtendaten wahren. Notwendige, aber nicht hinreichende Grundlage dafür ist die Einhaltung der verschiedenen nationalen und europäischen Datenschutz-Vorgaben wie der DSGVO. Darüber hinaus ist es zielführend, wenn Anwendungen, die für den Persönlichkeitsschutz der Beschäftigten ein hohes Gefahrenpotenzial einnehmen, nach europäisch standardisierten Kriterien zertifiziert werden.

Der verantwortungsbewusste und transparente Einsatz von KI für Führungsaufgaben ist aber nicht nur aus datenschutzrechtlicher Sicht wichtig. Je mehr KI-Systeme bei Führungsaufgaben unterstützen oder diese übernehmen, desto mehr Fragen stellen sich sowohl den Führungskräften wie auch den Beschäftigten: Nach welchen Kriterien und auf Basis welcher Daten arbeiten die KI-Systeme und treffen beispielsweise Entscheidungen oder geben Empfehlungen für die Zusammenstellung von Teams? Haben die Führungskräfte Einfluss auf die Entscheidungsfindung und können sie eine KI-basierte Empfehlung auch verwerfen?

Diese offenen Fragen können bei den Mitarbeitenden Angste und Sorgen hervorrufen. In Folge davon kann es wiederum zu psychischen Belastungen kommen, denen Führungskräfte im Rahmen ihrer gesetzlichen Fürsorgepflichten präventiv und reaktiv begegnen müssen. Es wird deshalb für Führungskräfte zur zentralen Aufgabe, Akzeptanz und Vertrauen der Beschäftigten in die eingesetzten Systeme aufzubauen. Dazu ist die aktive Einbindung der Beschäftigten und ihrer Interessensvertretungen (z. B. Betriebs- oder Personalrat) in die Planung und Gestaltung des Einsatzes von KI-Systemen unerlässlich. Im Rahmen dieser Beteiligung sollten Ziel und Zweck der Systeme gemeinsam festgelegt, die Einsatzbereiche konkretisiert und die Folgen vor allem für die psychische Gesundheit abgeschätzt werden. Zusätzlich müssen Führungskräfte als Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner ein offenes Ohr für die Vorbehalte und ängste der Beschäftigten haben. Stellen Führungskräfte negative psychische Belastungen fest, müssen sie darauf in geeigneter Weise reagieren was neben der Prüfung sinnvoller Lösungsansätze im Extremfall auch den Verzicht auf die Einführung oder umfassende Modifikationen eines KI-Systems bedeuten kann.

Im Sinne einer transparenten Gestaltung des KI-Einsatzes sind auch Verantwortungen und die Aufgabenteilung zwischen KI und Führungskraft klar zu definieren und zu kommunizieren. Für Beschäftigte muss eindeutig nachvollziehbar sein, wo die Grenzen der Entscheidungshoheit und damit der Verantwortung für Entscheidungen zwischen den Führungskräften und dem KI-System verlaufen, und wie eine Entscheidung zustande kommt. Bleiben für Führungskräfte größlig;ere Handlungsspielräume und Eingriffsmöglichkeiten bestehen, trägt dies nicht nur zu mehr Vertrauen in die Technologie bei, sondern vermeidet auch, dass Führungskräfte selbst demotiviert werden.

Sehr hohe Relevanz bei den Unternehmen haben darüber hinaus die Bereiche Organisation und Personal. Im Fokus stehen dabei die Betrachtung von Chancen und Gefahren von KI-Anwendungen, die präventive Arbeitsgestaltung, das Change-Management, die Integration der KI-Technologie in die Aufbau- und Ablauforganisation des Unternehmens, digitale Personalentwicklung oder -einsatzplanung sowie letztendlich die Qualifizierung der Fach- und Führungskräfte, die die KI-Systeme nutzen und damit arbeiten sollen.

Kompetenzen für den Umgang mit KI

Um die eingesetzten KI-Systeme schließlich als echte Unterstützungsmöglichkeit nutzbar zu machen, müssen Führungskräfte kompetent auf die neuen technologischen Hilfsmittel vorbereitet werden. Dies betrifft zum einen die notwendigen grundlegenden technischen Kompetenzen. Zudem wird es wichtig sein, durchaus kritisch mit den Resultaten der neuen Hilfsmitteln umzugehen: Denn die KI-Systeme produzieren nicht automatisch bessere und gerechtere Entscheidungen. Tatsächlich können KI-Systeme auch problematische oder diskriminierende Entscheidungen treffen: Werden für das Training der Systeme verzerrende Datensätze verwendet, werden die KI-Systeme diesen sogenannten Bias wiederrum in ihren Empfehlungen oder Entscheidungen reproduzieren. So könnte ein KI-System zum Vorsortieren von Jobbewerbungen beispielsweise mit den Daten der in der Vergangenheit erfolgreich eingestellten Beschäftigten trainiert werden. Sind diese überwiegend männlich, lernt der Algorithmus, Bewerbungen von Männern besser zu bewerten als diejenigen von Frauen. In Folge könnte das KI-System bestehende Diskriminierungen auf technischem Wege durchsetzen. Daher ist eine letztverantwortliche menschliche Komponente bei Entscheidungen durch die Führungskräfte wichtig, die auf Basis gesunder Skepsis und durch professionelle Intuition sowie fachlicher Erfahrung zustande kommt. Insofern kommt der letztendlichen Gestaltung der inhaltlichen Arbeitsteilung, aber auch der Teilung von Verantwortung zwischen Mensch und KI zukünftig eine entscheidende Rolle zu.

Schließlich besteht durch den Einsatz von KI und deren Fokussierung auf Datensätze das Risiko, hinter all den verwerteten Parametern den Menschen aus dem Blick zu verlieren: Deshalb ist nicht nur, aber besonders beim Einsatz von KI-Technologien die bewusste Stärkung der sozialen Dimension von Führung wichtig. Statt einer anonymen und technokratischen Führungskultur sollten Führungskräfte auf Kommunikation setzen: Persönliche Feedbackgespräche oder Ansätze wie Management by Walking Around (MBWA) helfen, die menschliche, kommunikative Verbindung zwischen Führungskraft und Beschäftigten nicht zu verlieren. Trotz aller Technik bleibt empathisches Führungsverhalten bei Geschäfts- und Arbeitsprozessen wichtig und wird möglicherweise in der Zukunft sogar noch relevanter. Denn der Einsatz von KI kann unter schlechten Umständen dazu führen, dass das menschliche Gespür abnimmt und sich dies negativ in der Unternehmenskultur zeigen würde. Umso wichtiger ist es, sich auf die wesentlichen Führungsaufgaben zurück zu besinnen: insbesondere kommunizieren und motivieren. übernehmen KI-Systeme andere kognitive Aufgaben, bleibt hierfür auch mehr Raum.

KI-Systeme werden die Führung von morgen nachhaltig beeinflussen und verändern. Dies kann zu einer echten Chance für eine soziale, humane, nachhaltige und innovative Führungskultur werden. Doch wie bei jedem technologischen Wandel geschieht dies nicht zwangsläufig, sondern muss vor dem Hintergrund der mit jeder Veränderung einhergehenden Herausforderungen bewusst gestaltet werden. Dabei müssen Unternehmen, Führungskräfte und Beschäftigte zusammenarbeiten, um die Chancen auf eine menschenzentrierte, moderne Führung zu realisieren.

Prof. Dr. Sascha Stowasser ist Leiter des ifaa – Institut für angewandte Arbeitswissenschaft. Er forscht intensiv zum Thema Arbeit der Zukunft und untersucht technische, organisatorische und kulturelle Fragen der Veränderungen in der Arbeitswelt. Zudem ist er Mitglied der Plattform Lernende Systeme.

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