Volle Fahrt voraus!

Zur Implementierung von Künstlicher Intelligenz in der Automobilbranche.
Interview von DIGITALE WELT – Fremd Autorschaft
10. September 2022
Interviewpartner
Interviewpartner

Alle haben die Bilder aus diversen Science-Fiction-Filmen der Vergangenheit im Kopf, in denen es um selbstfahrende Autos geht, die in einer fiktiven Zukunft die Alltagsgeschäfte der Menschen in Städten managen. Die Vorstellung vom automobilen Fahren ist sicherlich verbunden mit dem Fortschritt der Digitalisierung – und deshalb auch mit Künstlicher Intelligenz –, doch der Automobilsektor hat weit größere und stärkere Einflussnahmen aufgenommen, was den Einsatz von Künstlicher Intelligenz betrifft. Die trifft unterschiedliche Bereiche, die von logistischen Aspekten bis zur Produktion und Vermarktung eines Autos reichen. Auch die Interaktion mit anderen Industriezweigen steht längst im Vordergrund. Michael Würtenberger ist Vice President der Business Line „My Journey, E-Mobility“ bei der BMW Group. Er war verantwortlich für die Einführung von Connected Drive im Jahr 1997. Seither ist viel vergangen – und immer tiefer sind die Interaktionen zwischen Mensch und Technik geworden.

Wenn Sie auf den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) in den letzten fünf Jahren zurückblicken, was hat sich seither verändert? Wo würden Sie heute den größten Impact sehen, den KI schon in ihrer Anwendung bringt?

Beispielsweise bei der Bildverarbeitung und der Qualitätsarbeit ist KI schon ein wichtiger Bestandteil des digitalen Toolsets geworden. Generell beobachte ich, dass die Anwendungsfelder breiter werden und die Arbeiten und Fortschritte in der Industrialisierung Fahrt aufnehmen. KI-basierte Use-Cases decken natürlich den Bereich Automatisiertes Fahren, aber auch die gesamte Wertschöpfungskette ab: von der Vorentwicklung über die Produktion zur Qualitätskontrolle bis hin zu den Bereichen Sales und Aftersales. Das macht ein umfassendes Prozessverständnis und eine dedizierte Ausbildung umso wichtiger. Die Breite der Anwendungsfelder führt auch dazu, dass die Beachtung und Anwendung der Regulatorik komplexer wird. Ich möchte betonen, dass KI gleichermaßen im Produkt als auch im Prozess wirkt.
Über den Aufbau unserer „Data, Analytics und AI Platform“ wurde ein starkes Fundament für unser weltweites Datenmanagement geschaffen. Die Plattform, die natürlich auch Cloud Technologien nutzt, schafft nicht nur ein durchgängiges Datenmanagement und damit einhergehende datengetriebene Entscheidungen, sondern vereint auch die beteiligten Ressorts innerhalb des Unternehmens. Sie legt den Grundstein für unseren Erfolg – jetzt und in der Zukunft.

An welcher Schnittstelle zwischen wissenschaftlicher Forschung und produzierendem Industriekonzern steht die BMW-Group, was KI betrifft?

Wir sind immer anwendungsorientiert unterwegs und sehen in einem so dynamischen technischen Umfeld den starken Mehrwert in der Zusammenarbeit mit Startups, aber auch der Grundlagenforschung. Wir arbeiten eng mit Universitäten und Instituten im Rahmen von Forschungsprojekten zusammen.

  • Eine Universitätspartnerschaft halten wir neben der TU München bspw. mit dem Berkley AI Research Lab in Form einer Forschungskooperation.
  • Wir kollaborieren aber auch mit Applied AI, der größten europäischen Initiative für vertrauenswürdige KI der UnternehmerTUM. Sie ist nun auch im Munich Urban Colab, wo Menschen und Ideen zusammenkommen.
  • Über unser Doktorandenprogramm ProMotion betreiben wir nicht nur Nachwuchsförderung, sondern erarbeiten wegweisende Ergebnisse, beispielsweise auch im Bereich Quantum Machine Learning.

Als Leuchtturmfahrzeug steckt bspw. auch schon KI in der Entwicklung des iX. Welche Rolle spielte hier KI?

Ich möchte Ihnen nur ein Beispiel geben: das Cockpit des BMW iX wurde mithilfe eines digitalen Zwillings entwickelt, der wiederum mithilfe von KI erzeugt wurde. Hier wurden verschiedene Ansätze des Machine Learnings kombiniert, um mit so wenigen Samples wie möglich eine sehr gute Vorhersagegenauigkeit zu erreichen. So konnten alle Prozessparameter, viele Werkzeugparameter und auch Geometrieparameter des Bauteils (wie bspw. Wanddicken) in der Optimierung berücksichtigt werden. Dadurch war es möglich, ein hinreichend genaues Bauteil prozesssicher zu produzieren und trotzdem in erheblichem Umfang Material und Zeit in der Freigabephase zu sparen und somit deutlich nachhaltiger zu sein.

Spezialbereich Logistik: Ich stelle mir vor, dass ein Autobauer wie BMW enorme logistische Aufgaben in globalem Ausmaß zu lösen hat. Wie hilft hier heute schon KI, um diese Prozesse zu optimieren? Und welche Potenziale für logistische Probleme sehen Sie für KI in den nächsten Jahren?

Mit steigender Vernetzung steigen auch die Herausforderungen. Wir arbeiten bei der Gestaltung der iFactory, unserem Masterplan der Zukunft für die Produktion auch an Logistikfragestellungen. Die zentrale Herausforderung für die kommenden Jahre ist die Verknüpfung der bestehenden Use-Cases, um eine Gesamtoptimierung und mehr Flexibilität in all unseren Produktionsstätten zu erreichen. KI eignet sich sehr gut bei Automatisierungsaufgaben in Erweiterung zu den klassischen Ansätzen der Regelungstechnik. Häufig kommt bei den Lösungen ein Sandboxing zum Tragen, um für die Anwendungen einen sicheren Rahmen zu garantieren.
Wir arbeiten bspw. aktuell in Kollaboration mit dem Startup Prewave, mit dem wir Methoden zur frühzeitigen Erkennung und Steigerung der Transparenz in der Lieferkette entwickeln.
Darüber hinaus fokussiert sich die BMW Group immer stärker auf eine gesamtwirtschaftliche Lösung jenseits der eigenen Unternehmensgrenzen. Viele Herausforderungen können nur gemeinschaftlich angegangen und gelöst werden. Als Konsortialmitglied des Catena-X Automotive Network wollen wir übergreifend Antworten auf Transparenz der Wertschöpfungskette finden und mehr globale Standardisierung erreichen.
Was mir persönlich auffällt, ist dass sich die Art der Herausforderungen ähnelt und sich nicht nur auf eine Branche beschränkt. Wir können hier als Automobilindustrie Impulse setzen, aber auch aus anderen Branchen lernen und Lösungsansätze übernehmen.

Welche konkreten Herausforderungen lösen Sie in Ihren Werken mit der Hilfe von KI? Und was sind in diesem Zusammenhang Smart Transport Robots?

Unsere Ausgründung Idealworks produziert High-Performance Smart Transport Logistikroboter und entwickelt auch die KI Technologie und entsprechende Security Lösungen. Diese werden hoch effizient in unseren Werken genutzt und die gesamte Roboterflotte so orchestriert und gesteuert, dass sie störungsfrei fahren kann. Aber auch hier entwickeln wir nicht den gesamten Technologie Stack selbst, sondern arbeiten auch erfolgreich mit großen Techplayern wie bspw. NVIDIA zusammen.

Spezialbereich Datenschutz: KI und Datenschutz ist eine Allianz, die immer wieder betont wird, weil sie fruchtbar zu sein scheint. Wie hilft KI dabei, den Datenschutz einzuhalten?

Künstliche Intelligenz ohne sinnvolle und datenrechtlich einwandfreie Nutzung von Daten ist schlicht und ergreifend nicht möglich. Alle unsere Daten werden entweder anonymisiert oder nur mit Erlaubnis des Nutzers verarbeitet. Wir treiben in diesem Umfeld auch gezielt Innovationen durch KI.

Beispielsweise setzen wir in der Produktion stark auf Objekterkennung, die sich durch eine besonders hohe Robustheit auszeichnet – selbst bei stark variierenden Randbedingungen. Um sie in diversen Kontexten zu nutzen haben wir auch Lösungen geschaffen, die es ermöglichen beliebige Fotos und Videos zu anonymisieren. Das wird durch KI-basierte Zuordnung von Bildbereichen zu Merkmalen erreicht, wodurch die Bereiche nach verschiedenen Granularitätsstufen adaptiert werden – von unscharf maskiert hin zur kompletten Ausblendung.

Ich denke, dass Innovation und Datenschutz Hand in Hand gehen. Um Innovation weiter zu fördern haben wir unsere Algorithmen sowie No-Code-AI Lösungen auf Github veröffentlicht, um es selbst Anwendern ohne Programmierkenntnissen in kurzer Zeit zu ermöglichen KI-Anwendungen, inklusive Datenschutz, zu generieren. Die kontinuierliche Weiterentwicklung unserer KI-Datenschutz-Tools beinhaltet auch die Arbeit mit synthetischen Daten, der Nutzung neuer Privacy Technologien, wie Differential Privacy, Secure Multi-Party Computation oder Homomorphic Encryption.

Das Thema Datenschutz ist uns sehr wichtig. Wir betrachten nicht nur die rechtlichen, sondern ebenso die ethischen Aspekte und geben dem Thema höchste Priorität. Natürlich gilt es innerhalb der Richtlinien größtmöglichen Raum für Innovation zu schaffen.

Spezialbereich Produktion: Als Beispiel nehme ich die Produktion eines etablierten 3er-BMWs, 4-Zylinder, Diesel. Wenn das Auto am Fließband gebaut wird und verschiedene Schritte das Auto stückeweise zusammenbauen – welche Einsatzmöglichkeiten von KI gibt es hier?

Ein gutes Beispiel ist die Ausschussoptimierung, beispielsweise bei der Bearbeitung von Bauteilen der Karosserie. Durch den Einsatz von KI in der Bildverarbeitung lässt sich eine einwandfreie Bearbeitung von einer defekten Lösung unterscheiden. Die Qualität der Bildverarbeitung im Vergleich zur Standardlösung ist sehr hoch: Durch die deutlich geringere False-Positive Rate für Rückweisungen hilft sie uns unnötige Materialverschwendung zu vermeiden.

Glauben Sie an eine Fehleroptimierungsquote bei der Produktion von Fahrzeugen, die auf 0 fällt, weil Künstliche Intelligenz im Einsatz ist?

Wenn sie auf die Vorstellung ansprechen, dass sich eine KI niemals irren kann, möchte das eher als Mythos einstufen. Aber nein, das werden wir nie erreichen. Als Ingenieur ist es mir aber ein Anliegen, dem ziemlich nahe zu kommen. Bei uns wird in dem Fall, dass keine eindeutigen Fakten vorliegen, immer die Entscheidung zu Gunsten der Qualität gefällt. Eine Konfidenz von 1 (und damit kein Fehler) ist selbst mathematisch schon ein Extremfall In einem realen technischen Prozess gibt es nie ein 100%ig richtiges Abbild als Modell. Wenn mir jemand diese Quote versprechen würde, dann hätten wie sicherlich eine sehr intensive Diskussion dazu. Aber wie bereits erläutert hilft KI sehr wohl dabei, z.B. den Anteil unberechtigt zurückgewiesener Bauteile deutlich zu verringern.

Welche KI-basierte Technik ist heute schon in aktuellen Fahrzeugmodellen von BMW im Einsatz?

Viele denken bei KI an Autonomes Fahren. Allerdings gibt es schon viele etablierte Technologien. Beispielsweise nutzen wir KI seit 10 Jahren bei der Sprachbedienung unserer Fahrzeuge oder auch bei der Gestikerkennung. Auch in Konzeptfahrzeugen wird KI beispielsweise zur Energieoptimierung zuverlässig und auch zulassungsfähig eingesetzt, was im Versuch 3-5% Ersparnis im elektrischen Bordnetzverbrauch gebracht hat.

Gerade die Automobilindustrie wird immer wieder adressiert, um eine entscheidende Komponente im Kampf gegen den Klimawandel einzunehmen. Welche Rolle spielt KI für BMW beim ökologischen Wandel, in dem wir uns gerade befinden?

Wir haben letzten Monat ein Pilotbetrieb zum bidirektionalen Laden mit 50 BMW i3 Kunden gestartet. Die Fähigkeit zum bidirektionalen Laden ermöglicht es Elektrofahrzeugen, beim Anschluss an eine dafür ausgelegte Ladestation oder Wallbox nicht nur elektrische Energie für die Hochvoltbatterie aufzunehmen, sondern auch in umgekehrter Richtung in das Stromnetz des Verteilnetzbetreibers zurückzuspeisen. In dem Projekt entwickeln wir als Vertreter der Automobilindustrie gemeinsam mit Unternehmen und Institutionen aus der Ladeinfrastruktur, der Energiewirtschaft und der Wissenschaft technische Lösungen, die die Elektromobilität noch kostengünstiger und emissionsärmer machen kann. In diesem ganzheitlichen Ansatz sollen Fahrzeuge, Ladeinfrastruktur und Stromnetze so miteinander verknüpft werden, dass regenerativ erzeugte Energie gefördert und die Versorgungssicherheit gesteigert wird.

Ein weiteres schönes Beispiel ist die Optimierung des Ressourceneinsatzes durch die Nutzung von KI: Durch Reinforcement Learning lässt sich beispielsweise die Zellchemie in E-Fahrzeugen optimieren und somit Ressourcen schonen.

Die Vision des autonomen Fahrens, die vor Jahrzehnten schon artikuliert wurde, scheint immer wirklicher zu werden. Glauben Sie daran, dass wir irgendwann nicht mehr selbst am Lenker sitzen, sondern anderen Aufgaben erledigen können, während uns unser Auto bequem und sicher an den gewählten Zielort führt?

Autonomes Fahren kann Realität werden, aber der Weg ist noch lang. Verschiedenste Verkehrsmittel wie Busse und U-Bahnen fahren beispielsweise schon jetzt automatisiert, jedoch noch mit Fahrer, der im Fall der Fälle eingreifen kann. Aktuell fokussieren wir uns in der Entwicklung der Level 3 und dann Level 4 Funktionen, also vollautomatisiertes Fahren. Das ist jedoch hoch komplex, denn das Fahrzeug muss Kontextwissen haben. KI spielt hier eine große Rolle, um Funktionen sicher verfügbar zu machen. Es geht also eher um die Frage wie komplex unser Umfeld jetzt schon sein soll. Fest steht: das Fahrzeug muss in sämtlichen Situationen reibungsfrei reagieren und funktionieren. Ich konnte kürzlich selbst im Rahmen einer Prototypenfahrt den Highway Assistent zu testen, mit dem man ohne Hände auf dem Lenkrad bis zu einer Geschwindigkeit von 130km/h (bzw. 85 mph) fahren kann. Diese Funktion ist zum aktuellen Zeitpunkt nur auf nordamerikanischen Autobahnen zugelassen und hat in Deutschland oder Europa leider noch keine Zulassung. Das Erlebnis hat mich aber sehr begeistert, und gezeigt, dass Assistenzsysteme dem Fahrenden schon heute sehr viel Unterstützung und Freiheit geben können.

Interview geführt durch:

Extern geführte und eignereichte Experten-Interviews rund um unsere Themenschwerpunkte. DW prüft und untersagt werbliche Inhalte, nimmt sonst aber keine redaktionellen Korrekturen oder Eingriffe vor.

Um einen Kommentar zu hinterlassen müssen sie Autor sein, oder mit Ihrem LinkedIn Account eingeloggt sein.

31080

share

Artikel teilen

Top Artikel

Ähnliche Artikel