Ohne Datenstrategie keine digitale Innovation
In vielen Unternehmen gehört der Einsatz neuer Technologien mit umfassenden Speicher- und Analysefunktionen dank Cloud-Lösungen bereits zum Alltag. Nachholbedarf herrscht allerdings noch, wenn es um das Thema Datenmanagement geht. Im Interview erklärt Steffen Vierkorn, Geschäftsführer des Data & Analytics-Experten QUNIS, wie eine unternehmensweite Datenstrategie für Transparenz sowie Ordnung bei der Planung und Umsetzung von Dateninitiativen sorgen kann.
Wie sieht die Situation in den Unternehmen aktuell aus, wenn es um die Digitalisierung geht?
„Wir stellen fest, dass die Unternehmen gerade massiv in Digitalisierungsprojekte investieren. Nach wie vor stehen dabei neue ERP-Systeme und die Prozessvereinheitlichung auf der Agenda, ebenso die Ertüchtigung der internen IT-Infrastruktur. Daneben treten immer mehr auch innovative Use Cases wie AI- und ML-Anwendungen, Bilderkennungsverfahren oder IoT-Plattformen. Dank Cloud-Technologie kann heute sogar der Mittelstand schon mächtige Speicher- und Analysesysteme nutzen.“
Die Unternehmen sind also technologisch gesehen durchaus gut aufgestellt.
„Das kann man auf jeden Fall so sagen – aber ohne ein fortgeschrittenes Datenmanagement werden die digitalen Innovationen nicht funktionieren. Es gilt nach wie vor die alte Weisheit, dass neue Technologien die Erwartungen nur dann erfüllen können, wenn die Datenbasis stimmt. Und hier liegt in der Unternehmenspraxis das Problem.“
Können Sie das genauer erläutern?
„Im Zusammenhang mit der Systemadministration sind meist auch Datenmanagement-Initiativen etabliert. In der Realität sieht es allerdings so aus, dass diese oft unkoordiniert im Unternehmen nebeneinander laufen – und jede einzelne Disziplin für sich ist eine Mammutaufgabe. Stamm- und Metadatenmanagement, Schnittstellen-Verwaltung, Datenqualität, Initiativen rund um BI und ML sind verschiedenste Ansätze, in denen sich einzelne Teams um ihr jeweiliges Datenthema kümmern.“
Welche Situationen finden Sie in den Projekten vor?
„Im Stammdatenmanagement zum Beispiel setzt man oft nur Tool-basiert auf. Oder es läuft in der IT eine MDM-Implementierung und parallel wird eine unternehmensweite Data-Governance-Initiative gestartet. Oder eine ERP-Migration von SAP R/3 auf S/4 läuft unabgestimmt mit der Data & Analytics-Welt. Entscheidungen im Rahmen von nicht abgestimmten Einzelinitiativen verursachen aber unnötige Kosten und gefährden die unternehmensweite Wertschöpfung von Daten.“
Und was ist nun konkret zu tun?
„Da hilft nur eins: Man muss die unternehmensspezifischen Ziele des Datenmanagements definieren und die Umsetzung dementsprechend planen – und eine umfassende Datenstrategie entwickeln, die als Big Picture die nötige Transparenz schafft. Die Ziele des Datenmanagements sollten sich dabei an der Unternehmensstrategie ausrichten. In diesem Rahmen können Dateninitiativen sinnvoll priorisiert und so eingeordnet werden, dass alle Maßnahmen auf ein gemeinsames Ziel hinauslaufen. Genau für eine solche Datenstrategie haben wir bei QUNIS ein Drei-Säulen-Framework entwickelt, das bei der Entwicklung einer ausbalancierten Strategie hilft.“
Um welche drei Säulen handelt es sich dabei?
„In der Scoping-Phase werden die datenorientierten Ziele des Unternehmens abgesteckt, das heißt datengestützte Prozessabläufe, Informationsbedarfe sowie digitale Produkte und Services. Die Ziele, die derzeit in den Projekten am meisten genannt werden, sind dabei zum Beispiel effiziente Prozessketten, verlässliche Auswertungen durch hohe Datenqualität oder Automatisierung im Datenmanagement. Wir empfehlen, den ermittelten Scope stets vom Management bestätigen lassen, denn die Umsetzung der Strategie erfordert Kapazitäten und bringt organisatorische Veränderungen bis in die operative Prozessebene mit sich.“
Wie gestaltet sich die zweite Säule?
„Im Bereich Architektur & Technologie werden die Themenblöcke Stamm- und Metadatenmanagement, Backbone & Middle Layer sowie Data & Analytics diskutiert. Besonders beim Stamm- und Metadatenmanagement gibt es immer wieder gewaltige Überraschungen beim Start der strukturierten Analyse – wie man an bestimmte Daten herankommt, wer die Datenhoheit hat oder wo die Lücken in der Datenpflege liegen, können viele Unternehmen nicht klar beantworten.“
Und die dritte Säule?
„Im Bereich Backbone & Middle Layer schließlich geht es um Infrastruktur- und Technologie-Entscheidungen, um Systeme zu durchgehenden Datenplattformen zu verknüpfen. Ein wichtiger Themenblock ist natürlich der Bereich Data & Analytics mit seiner originären Aufgabe, Daten aus unterschiedlichsten Quellen zu Analysezwecken in einer zentralen Plattform zu sammeln, aufzubereiten und zu verteilen. Heute verarbeiten Data & Analytics-Plattformen nicht mehr nur strukturierte Daten in klassischen BI-Analysen, sondern auch IoT-, GPS- oder Webdaten. Der Output können dann Reports zur internen Steuerung oder als Service für Partner, Lieferanten oder Kunden sein, aber auch Daten zur Speisung von ML-Cases und weiteren Systemen. Um eine standardisierte und skalierbare Data & Analytics-Plattform aufzubauen, ist daher die Etablierung einer strukturierten Data Governance, die wir zur dritten Säule unseres Frameworks zählen, zum geregelten Umgang mit den verschiedenen Datenformaten unverzichtbar.“
An welcher Stelle bestehen Ihrer Erfahrung nach die wesentlichen Herausforderungen?
„Data Governance versteht sich als integraler Bestandteil einer ganzheitlichen Datenstrategie, der den organisatorischen Handlungsrahmen für Einzeldisziplinen des Datenmanagements stellt. In diesem Themenbereich liegt wahrscheinlich die höchste Sprengkraft, wenn das Datenmanagement in der Organisation verankert wird, weil die datenorientierte Organisation nicht der klassischen Linienorganisation der Fachbereiche entspricht. Denn der Einsatz von Business-Daten endet eben nicht an Abteilungsgrenzen – sie werden vielmehr bereichsübergreifend in End-to-End-digitalisierten Prozessen genutzt und sollten daher auch von crossfunktional angesiedelten Datenexperten in einer Enterprise-Organisation verwaltet werden.“
Wie sollten Unternehmen vorgehen?
„In einer mittleren bis großen Organisation lassen sich heute nicht mehr alle Datenprozesse von einem einzigen zentralen Bereich stemmen. Datenexperten müssen daher im gesamten Unternehmen verteilt sein und eng mit den Fachbereichen zusammenarbeiten. Die Expertise der Fachbereiche wiederum ist unbedingt nötig, um Daten hinsichtlich ihrer Wertschöpfung korrekt zu beurteilen und sie optimal im Geschäftsprozess einzusetzen. Tatsächlich beobachten wir derzeit bei vielen Unternehmen, dass vorhandene zentralisierte BI- oder Governance-Organisationen aufgebrochen und breiter angelegt werden.“
Es zeichnet sich also ein echter Kulturwandel ab?
„Genau das – und das erfordert ein gezieltes Change Management. Es braucht Durchsetzungskraft und Schulungen im gesamten Unternehmen, um ein unternehmensweites Bewusstsein für Daten als Wertschöpfungsfaktur aufzubauen und die nötige Akzeptanz für die datengetriebene Organisation im Tagesgeschäft zu erreichen. Sie ist nicht von heute auf morgen zu erreichen und Widerstände im Unternehmen sind absehbar. Die Datenstrategie ist jedoch ein sicheres Gerüst und sie gibt die Roadmap für die schrittweise Umsetzung vor. In diesem Rahmen können Unternehmen kleine Projekte angehen, in überschaubaren Schritten immer wieder Win-Effekte erzeugen und Mehrwerte liefern. Auf dieser Basis laufen Einzelinitiativen orchestriert und ohne Redundanzen im Rahmen des entworfenen Big Picture.“
Um einen Kommentar zu hinterlassen müssen sie Autor sein, oder mit Ihrem LinkedIn Account eingeloggt sein.