Stefan Zeman im Gespräch
Durch den Digitalpakt Schule sollten möglichst viele Schulen in Deutschland technisch aufgerüstet werden. Wie gut hat das aus Ihrer Sicht bisher funktioniert?
Durch den Digitalpakt 1.0, dem staatlichen Förderprogramm zum technischen Ausbau der Schulen, hat sich bereits viel bewegt, aber es gibt noch einigen Optimierungsbedarf. Neben digitalen Endgeräten fehlt es an vielen Schulen schlicht noch an den Grundvoraussetzungen, wie WLAN und schnelles Internet. Hier hat die Pandemie Versäumnisse aus der Vergangenheit deutlich erkennbar gemacht. Überbordende bürokratische Vorgaben bei der Fördermittelvergabe sind vielfach das Problem. Vor allem bei den großen europäischen Ausschreibungen, die ab einer gewissen Fördersumme vorgeschrieben sind. Sie sind kompliziert, fehlerträchtig und zudem meistens (weil dadurch weniger angreifbar) auf den günstigsten Preis und nicht das ideale Equipment ausgelegt. Das führt dazu, dass viel Geld verbrannt wird. Von den über 1.000 neuen Schulen, die wir seit dem Inkrafttreten des Digitalpaktes 1.0 bundesweit betreuen, erhalten mindestens zehn Prozent nicht die Ausstattung, die sie sich wünschen und müssen nachjustieren. Das ist ein bekanntes Dilemma und hält viele Schulträger davon ab, auf diesem Wege Fördermittel zu beantragen.
Wir könnten in Deutschland mit der Digitalisierung der Schulen also durchaus schon etwas weiter sein, wenn die bürokratischen Hürden gesenkt werden würden?
Auf jeden Fall. Wie gut und schnell Maßnahmen unbürokratisch umgesetzt werden können, haben uns die Corona-Jahre ebenfalls vor Augen geführt. Dass es auch anders geht, dokumentieren die Sofortausstattungsprogramme. Bürokratische Hürden wurden gesenkt, Vergabeverfahren vereinfacht und Schulen erhielten eine auf sie maßgeschneiderte Ausstattung. Es gibt sie ja, die innovativen, engagierten und gut funktionierenden, experimentellen Einzelprojekte in Kommunen oder auf Landesebene. Gutes Beispiel dafür ist das bayerische Pilotprojekt Digitale Schule der Zukunft. Es ist wirklich beachtlich, wie kreativ die Schulen bei der Ausgestaltung ihrer Digitalisierungskonzepte waren und wie schnell sich diese ohne Ausschreibungen unbürokratisch (und häufig mit Unterstützung externer Dienstleister) über eine geförderte, elternfinanzierte 1:1-Ausstattung umsetzen ließen.
Durch die Neuauflage des Programms für das Schuljahr 23/24 werdend diese auch nachhaltig weitergeführt. Diese Projekt-Matrix ließe sich auch in den Digitalpakt 2.0 integrieren. Allerdings wird der wahrscheinlich erst 2025 kommen. Das bedeutet, dass Schulen, die ihre Digitalisierung bereits vorangetrieben haben, mindestens bis 2025 eine Förderlücke überbrücken müssen. Denn erstmal wird abgewartet, bis alle Gelder aus dem Digitalpakt 1.0 vollständig abgerufen wurden. Die dringend notwendige finanzielle Planungssicherheit bei der Schuldigitalisierung sieht anders aus. Der Investitionsstau wächst und wächst. Und wir vergeben uns eine sehr große Chance, Schüler:innen gebührend auf den digitalen Arbeitsalltag vorzubereiten.
Gibt es denn Alternativen, um die Digitalisierung ohne Fördermittel schneller voranzutreiben?
Ja! Eigeninitiative ist das Gebot der Stunde. Um eine dauerhafte und nachhaltige Finanzierung der Schuldigitalisierung zu gewährleisten, sind die Kommunen auch gefordert, individuelle Finanzierungskonzepte zu entwickeln und nicht darauf zu warten, bis Staat oder Land den Geldhahn aufdrehen. Es gibt in Deutschland zahlreiche engagierte Schulen, die digitale Vorreiter sind. Hinter ihnen stehen innovativ denkende, öffentliche oder freie Schulträger, die gemeinsam mit den von ihnen verwalteten Schulen und externen Experten aus der Wirtschaft kreative Digitalisierungs- und Finanzierungskonzepte entwickelt haben und diese unbürokratisch, oft ohne öffentliche Fördergelder und somit schnell umgesetzt haben. Dabei wurde ein ganzheitlicher Ansatz verfolgt, der strategische, organisatorische, didaktische, technische und finanzielle Fragestellungen umfasst. Denn die digitale Schule entsteht nicht allein durch den Erwerb von digitalen Endgeräten.
Viele Kommunen stehen auf dem Standpunkt, dass sie die Digitalisierung nicht vorantreiben können, wenn ihre Finanzkraft durch Land oder Bund nicht gestärkt wird. Sachaufwandsträger sollten die Digitalisierung ihrer Schulen aber idealerweise selbst in die Hand nehmen und sich mithilfe von alternativen Finanzierungskonzepten Gedanken machen über eine Beschaffung von Endgeräten im Einklang mit der Umsetzung der digitalen Pädagogik. Externe Berater können dabei unterstützen, indem gemeinsam mit dem Schulträger und den jeweiligen Schulen eine detaillierte Analyse erstellt wird, als Basis für einen maßgeschneiderten Projekt- und Finanzierungsplan zur erfolgreichen und nachhaltigen Implementierung von digitalen Lehr- und Lernmitteln.
Und was wäre die ideale Finanzierung?
Es gibt nicht die eine Lösung, die für alle passt. Es gilt, ein individuelles Konzept zu erarbeiten, das maßgeschneidert ist auf die ganz spezifischen Bedürfnisse des jeweiligen Schulträgers oder der Schule.
Bei der 1:1-Ausstattung der Schulen mit Tablets erhält beispielsweise jeder Lernende ein eigenes Tablet, das er sowohl in der Schule als auch zu Hause einsetzen kann und ist damit nicht nur Benutzer, sondern auch verantwortlicher Eigentümer des Geräts. Eine solche 1:1-Ausstattung bedeutet auf den ersten Blick zwar eine finanzielle Last. Diese lässt sich allerdings durch sehr unterschiedliche Finanzierungsmodelle auf alle Beteiligten (Schulträger, Schule, Eltern) umlegen und vor allem auch nachhaltig für kommende Schuljahrgänge gestalten:
Bei der Finanzierung durch die Eltern erwerben diese für ihre Kinder eigene Tablets, während die Schule die notwendigen Apps zur Verfügung stellt. Oft wird eine solche Elternfinanzierung subventioniert, indem Schulträger oder sogar Länder (wie beispielsweise der Freistaat Bayern im Rahmen des Pilotprojektes „Digitale Schule der Zukunft“) pro Gerät einen fixen Betrag erstatten.
Bei der Schulträger- oder Schulfinanzierung kaufen Schule oder Schulträger die Tablets selbst und geben diese über eine Leihvereinbarung an die Schüler aus. Entweder kostenlos oder gegen eine Mietpauschale. Die entsprechenden Apps werden über die Schule durch die Anbindung an ein Gerätemanagement-System zur Verfügung gestellt.
Ein nachhaltig finanzierbares Komplettpaket für Schulträger, das pädagogische, technische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen berücksichtigt und aufeinander abstimmt, ist das noch relativ junge kommunale Leasingkonzept. Dabei lässt sich die Finanzlast variabel gestalten: Entweder übernimmt die Kommune das Leasing komplett, während die Eltern eine freiwillige Kostenbeteiligung, beispielsweise für die private Nutzung der iPads, zahlen. Oder der Schulträger finanziert nur einen Teil des Leasings und die Eltern tragen den Rest.
Geräte-Leasing hat den Vorteil, dass die Tablets immer auf dem neuesten Stand sind, denn sie werden für einen bestimmten Zeitraum gegen eine monatliche Gebühr geleast und können nach Ablauf des Leasings gegen neue Geräte getauscht werden. Dieses Fullservice-Angebot ist nicht nur nachhaltig, sondern auch finanziell planbar für alle Beteiligten. Und es enthält darüber hinaus die Verwaltung und den technischen Support für die Geräte.
Könnten denn die Schulen Verwaltung und technischen Support nicht selbst übernehmen?
Die IT einer Schule ist mit der IT eines kleinen Unternehmens vergleichbar. Ihr Aufbau und ihr Betrieb erfordern entsprechendes Know-how. Genau das ist in vielen Schulen nicht oder nur unzureichend vorhanden. IT-Experten sind wegen des Fachkräftemangels nur schwer zu finden und zudem sehr teuer. Das führt dazu, dass häufig Lehrkräfte einspringen und die IT „nebenher“ betreuen – und das in Zeiten des Lehrkräftemangels! Lehrer:innen sind eine so wichtige Ressource. Sie sollten sich voll und ganz auf die Pädagogik konzentrieren können, ohne sich um technische Details kümmern zu müssen.
Viele Schulen sind mit der laufenden Betreuung der IT schlicht überfordert. Ich sehe daher eine deutliche Entwicklung hin zum Outsourcing bei der IT-Betreuung an den Schulen. Neben vielen kleineren stellen auch verstärkt die größeren Kommunen Überlegungen an, auf externe Dienstleister umzuschwenken, um ihren Schulen einen reibungslosen Support bieten zu können. Leider wurde IT-Outsourcing durch den Digitalpakt und dessen Zusatzvereinbarungen nur unzureichend gefördert. Der Schwerpunkt lag eher auf dem Aufbau von eigenen IT-Leuten. Diese haben aber natürlich bei dem derzeitigen Fachkräftemangel nicht unbedingt an der nächsten Ecke auf die im Vergleich zur freien Wirtschaft deutlich geringer dotierte Anstellung bei einer Kommune gewartet. Die Folge: Mangel an ausreichend qualifiziertem IT-Personal.
Aber gerade größere Kommunen verfügen doch über eigenes IT-Fachpersonal?
Das ist richtig. Aber nehmen Sie beispielsweise eine Kommune, die zehn bis 15 Schulen verwaltet und dafür maximal drei IT-Leute hat. Davon wird einer krank, der nächste wechselt in die Wirtschaft und schon steht die Kommune vor einem massiven Problem. Sie wissen zwar um diese mögliche Krisensituation, wollen jedoch aus Kostengründen Gerätesupport und -verwaltung selbst übernehmen oder lassen die Schul-IT durch einzelne Lehrer betreuen, die ihre Zeit ja eigentlich der pädagogischen Betreuung widmen sollten. Oder das jeweilige Schulprojektteam zog vielleicht zunächst in Erwägung, die Geräteverwaltung über die schulinterne Systemadministration abzuwickeln, merkte jedoch sehr schnell, dass der Aufwand bei mehreren hundert Geräten die vorhandenen Kapazitäten sprengte und entschied sich später für eine externe Lösung. Denn wenn die IT nicht funktioniert, ist der Frust in der Schule groß, weil der Lehrbetrieb faktisch stillgelegt wird. Ich rate Schulträgern daher, sich konkrete Outsourcing-Angebote einzuholen. Sie werden schnell merken, dass ein seriöser, professioneller Support auch mit kleinen Budgets machbar ist. Hätten Schulträger die freie (finanzielle) Wahl, würden die meisten einen externen Dienstleister anheuern, der verlässlich alle Themen rund um die Schul-IT inklusive technischer Wartung, Administration und Systempflege sowie regelmäßige Schulungen der Lehrkräfte betreut – vielfach sogar günstiger als eine festangestellte IT-Kraft.
Sie sprachen die Schulungen der Lehrkräfte an…?
Lehrkräfte sind das A und O bei der Schuldigitalisierung. Leider werden sie mit dem Thema häufig alleingelassen. Im Rahmen der staatlichen Corona-Sofortprogramme haben wir beispielsweise mehrere hundert Schulträger bundesweit mit Tablets ausgestattet, die primär in Form von Leihgeräten an die Schulen ausgegeben wurden. Nach Ende der Pandemie und des Homeschoolings zeigte sich jedoch sehr schnell, dass rund 15 Prozent der Tablets nicht mehr genutzt wurden. Und hier offenbarte sich ein weiteres Defizit in unserer Bildungslandschaft: Viele Lehrkräfte waren jenseits von Videokonferenzen im didaktischen Einsatz digitaler Tools und der Entwicklung kreativer Unterrichtskonzepte nicht genügend geschult. Umfassende Weiterbildungskonzepte sind daher das Gebot der Stunde! Wir müssen die Lehrer:innen im Blick behalten und sie mit Fortbildungsmaßnahmen unterstützen. Denn es soll ja nicht nur ein analoger Prozess digitalisiert werden, sondern es muss unbedingt auch in neuen, in digitalen Konzepten gedacht werden!
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