Das Zeitalter der Blockchain-Technologie ist nun zehn Jahre nach der Veröffentlichung des sog. „Blockchain-Whitepapers“ ein anderes. Wie bewerten Sie den heutigen Stand der Technologie und vor allem die Berücksichtigung innerhalb des Digitalisierungsprojekts in Deutschland?
Es gibt eine Reihe von Studien, die versuchen zu vergleichen, wie sich die Adoption der Blockchain-Technologie mit der Adoption des Internets in den Jahren 1992 bis 2006 verhält. Diese Studien kommen zu einem ähnlichen Schluss: Wir bewegen uns bei Blockchain im Jahr 1998 – also wir noch relativ früh dran sind. 1998 hat eigentlich noch niemand das Internet des damaligen Standes ernst genommen, man konnte mit Yahoo – Google gab es ja noch nicht – im Internet suchen, aber nur wenige haben die disruptiven Möglichkeiten des Internets damals erkannt. Die These ist: Genau derselbe Sachverhalt könnte auf Blockchain und Web3 zutreffen.
Deutschland hat die digitale Transformation, wenn man sich den Wettbewerb anguckt, ein Stück weit verloren, unter anderem weil es neue Erfolgsfaktoren gab im Rahmen der digitalen Transformation. Deutschland war in den alten Erfolgsfaktoren sehr gut. Jetzt hat man die Pole-Position bei den Kunden verloren. Ich hoffe, dass bei Blockchain und Web3 Deutschland mit Europa gemeinsam voranschreitet, weil Web3 gerade einem Land wie Deutschland sehr entgegenkommt, was seine industriell-wirtschaftliche Struktur betrifft. Denn: Web3 ist das Zeitalter derjenigen Menschen und Unternehmen, die etwas erfinden, erschaffen und kreieren.
Ein klassisches Anwendungsbeispiel für Blockchain-Technologie ist Bitcoin. Was macht Bitcoin so lukrativ und wie ist hier Blockchain im Einsatz?
Die zentrale Innovation der Blockchain lautet: Keine Intermediäre sind mehr notwendig für Transaktionen. Wollen wir Geld überweisen, brauchen wir in der Regel eine oder mehrere Banken, die in diesem Vorgang involviert sind. Verkaufe ich beispielsweise ein Grundstück, brauche ich zusätzlich noch einen Notar. Blockchain ermöglicht nun eine Transaktion ohne diese zuvor genannten Intermediäre. Diese Innovation gab es vorher noch nicht. Bitcoin ist potenziell so lukrativ, weil seine Menge algorithmisch begrenzt ist – festgelegt sind 21 Millionen Bitcoin, die es insgesamt geben wird. Durch diese Maximalsetzung ist eine Wertsteigerung potenziell eben möglich. Keine weiß, ob Bitcoin weiter nachgefragt sein wird. Es gibt Modelle, aber Gewissheit über die Marktentwicklung von Bitcoin gibt es nicht.
Welche Anwendungsbeispiele jenseits von Bitcoin sind genauso eng mit der Blockchain-Technologie verbunden?
Ganz viele. Zum Beispiel gibt es die Fungiblen Tokens, bei denen alle Tokens gleich sind, und Non-Fungible Tokens (NFT), die untereinander unterschiedlich und einzigartig sind. Diese Tokens sind eine Widerspiegelung der physischen Welt. Fungible, physische Tokens sind zum Beispiel Gold oder Geld; physikalische, nicht-fungible Tokens sind beispielsweise Häuser oder Kunst. Das lässt sich nun auch digital abbilden: Fungible, digitale Tokens sind Kryptowährungen; digitale, nicht-fungible Vermögensgegenstände sind NFTs oder andere wertvolle digitale Gegenstände, die man eindeutig einem Besitzer zuschreiben kann. Die Innovation in Web3 lautet ja, dass ich nicht nur lesen und schreiben kann, sondern dass ich auch besitzen kann. Es gibt nun etwa die Möglichkeit, digitale Smart-Contracts anzufertigen. „Automatisierte Verträge“ gibt es schon länger in unserer physikalischen Welt, etwa am Bezahlautomaten, wenn ich mir einen Snack kaufe. Blockchain ermöglicht das nun auch im Digitalen, weil es ein Internet von Ownership ermöglicht. Bildung, Kunst, Besitz, Ideen etc. – all das kann nun digital gehandelt werden.
Spezialgebiet: Gaming-Industrie. Wie ist im Gaming-Sektor Blockchain-Technologie im Einsatz?
In bekannten Spielen, die zum Beispiel auf Steam vertrieben werden, gibt es keine Blockchain-Technologie. Steam verbietet dies. Da Steam dem PC-Markt durchdrungen hat, wirkt sich dies negativ auf die Nutzung von Non-Fungiblen Tokens in PC-Spielen aus. Die Grundstimmung der Gaming-Industrie ist manchenorts negativ auf NFTs und Kryptowährungen eingestellt. Der Spielepublisher Ubisoft entwickelt aber beispielsweise die Plattform Quartz, die sich mit NFTs in Ubisoft-Spielen befasst. Bis NFTs in Videospielen wirklich breit eingesetzt werden, wird es noch eine Zeit dauern. Web3 bietet ja die Möglichkeit, dass ich Besitzverhältnisse auch in Spielen zum Ausdruck bringen kann: Wenn ich etwa Mut bewiesen habe oder einen Kristall erhalten habe, kann dies Web3 kenntlich machen. Das könnte heißen, dass ich diesen erworbenen Fähigkeitsnachweis ins nächste Spiel oder sogar ins wirkliche Leben mitnehmen könnte.
Sie arbeiten wissenschaftlich an der TU München an Blockchain-Themen. Womit beschäftigen Sie sich genau?
Wir beschäftigen uns mit dem ganzen Spektrum der Blockchain-Technologie. Angefangen mit Decentralized Finance-Themen (DeFi), welche Blockchain und die Finanz- und Versicherungsbranche betreffen und verändern, aber auch weiter zu Fragen, wie dezentrale autonome Organisationen aufgebaut sind, welche Belohnungs- und welche Goverments-Strukturen ihnen zugrunde liegen. Ferner fragen wir uns, wie sich NFTs und NFT-Projekte bewerten lassen, bis zur Frage, ob Youtuber, die über Blockchain reden, die neuen Investmentmanager sind.
Wie bewerten Sie die Verschränkung zwischen Bitcoin-Technologie und anderen Technologien, die gerade im Zuge des digitalen Wandels diskutiert werden (AI, Machine Learning, Big Data, Internet of Things, …)?
Besonders spannend ist die Konvergenz verschiedener Technologien. Ihnen gemein ist die Tatsache, dass allen eine große Menge an Daten zur Verfügung steht. Wir sind meiner Meinung nach immer noch in der Ära des Datensammelns und sind noch nicht angekommen in einer systematischen Zeit der intelligenten Datenauswertung. Die Auswertung wird aber erfolgen durch AI und Machine Learning. Internet of Things könnte in der Zukunft bedeuten, dass jeder Gegenstand, den es im Internet gibt, eine eigene IP-Adresse hat. Das hieße, dass die Gegenstände miteinander Geschäfte machen und so Daten und Transaktionen produzieren. Im Zusammenspiel mit Web3 fördert das wieder den Austausch zwischen Mensch und Maschine, aber sicher auch zwischen Maschinen. Ein Beispiel wäre: Liefert die Post Pakete per Drohne aus, muss die Drohne sich irgendwann einmal aufladen. Wenn jemand auf einem Mehrfamilienhaus eine Ladestation ausgestellt hat, welche die Drohne nutzen kann, dann wird die Rechnung dafür sicher nicht per SEPA-Transaktion beglichen, sondern wahrscheinlich mit einer Kryptowährung, die von Maschine zu Maschine beglichen wird.
Welche Gefahren – etwa jene der Manipulation – birgt die Blockchain-Technologie und wie kann man sich dagegen wehren?
Die Blockchain-Technologie als solche birgt keine Gefahr der Manipulation, aber der Einsatz von Blockchain-Technologie in bestimmen Anwendungsfällen kann Risiken für die Nutzer erzeugen. Zum Beispiel können Nutzer dazu verführt werden, wertlose NFTs oder Kryptowährungen zu kaufen. Auch Phishing-Mails, die man aus anderen Kontexten kennt, können dazu genutzt werden, um Nutzer dazu zu bringen, deren Zugang zu deren Wallet auf einer Website einzugeben. Auch gibt es Fake-Websites, die vorgeben, etwas Bekanntes zu sein, in Wirklichkeit aber sind diese manchmal betrügerisch.
Als die ersten neuartigen Finanzierungsformen mittels Blockchain-Technologie um die Welt gingen, beobachtete man einen massiven Stromverbrauch für den Einsatz von Kryptowährungen und die Prozesse, die damit einhergingen. Wie ist der Nachhaltigkeitsgedanke mit der Blockchain-Technologie zu vereinbaren?
Nicht jede Kryptowährung verbraucht gleich viel Energie. Bei allen Technologien, die Energien verbrauchen, muss man – und das passiert leider viel zu wenig – sich fragen, wozu verbrauchen sie diese Energie. Steht der Energieverbrauch in einem guten Verhältnis zum dadurch erzeugten Wert? Auch Föhne oder Wäschetrockner etwa weisen einen erheblichen Energieverbrauch auf. Wenn ich nun Bitcoin mit einer Transaktion, die per Kreditkarte ausgeführt wird, vergleiche, dann darf man nicht den Fehler machen, dass man nur die Kosten betrachtet, die entstehen, wenn ich die Karte einmal durch das Kreditkarten-Terminal führe. Eine Kreditkarte gibt es nur, weil es auch die Bankenwelt dahinter gibt: die Gebäude, die Menschen, die in die Arbeit fahren etc. Wenn man die verschiedenen Systeme vergleicht, dann muss man das fair tun. Eine Innovation wie Bitcoin hat auch einen Wert, weil viele Vorteile mit der neuen Technologie einhergehen – etwa potentiell eine innovative Spar- und Werteerhaltungstechnologie. Ob dies einen höheren Energieverbrauch gerechtfertigt, das ist eher eine politische Diskussion, die man aber freilich führen muss.
Wie schätzen Sie den aktuellen technischen Stand Deutschlands hinsichtlich Blockchain im Vergleich zu anderen Ländern der europäischen Union und im globalen Vergleich ein?
Wie auch in Web2 sind auch im Bereich Blockchain die Vereinigten Staaten von Amerika die Weltmarktführer. Deutschland ist aufgrund seiner noch nicht idealen Bedingungen für Start-Ups weniger attraktiv. Das sieht man auch im Blockchain-Bereich. Europaweit kann beispielsweise Portugal, durch gute Steuermöglichkeiten, im Blockchain-Bereich punkten, wobei sich Portugal jetzt an Deutschland orientiert hat. Was die Regulierung angeht, gibt es in Deutschland seit geraumer Zeit die Lizenz für das Kryptoverwahrgeschäft, mit der Unternehmen Kryptovermögen für Kunden recht sicher aufbewahren dürfen. Das bietet deutschen Unternehmen mehr Rechtssicherheit. Nicht zu vernachlässigen ist auch, dass neben den USA Deutschland die größten Knotenpunkte für das Bitcoin-Netzwerk stellt. Außerdem ist Deutschland in der Ausbildung von neuen Talenten gut aufgestellt. Die TUM (Technische Universität München) erzielte zuletzt den 31. Platz in einem globalen Vergleich der weltweit besten Unternehmen für Blockchain. Trotzdem besteht in Deutschland weiterhin Nachholbedarf.
Was würden Sie einem Klein- oder Mittelstandunternehmen raten, das sich kurz- oder mittelfristig mit neuen Blockchain-Technologien beschäftigen will?
Lesen Sie darüber, was Sie interessiert. Tauchen Sie online auf Foren ein, interessieren Sie sich. Es gibt breite Möglichkeiten, sich Informationen zu beschaffen. Haben Sie das getan, würde ich beginnen, Menschen zu treffen, die schon länger in der Materie verankert sind. Es gibt zahlreiche Räumlichkeiten und Organisationen, auch für Klein- und Mittelstandunternehmen, die sich zusammengetan haben, um das Thema Blockchain weiter zu forcieren. Dann würde ich gemeinsam beobachten, wie sich das Thema weiterentwickelt. Im Moment zeichnet sich schon an, dass sich Firmen vor allen für Talente interessieren werden, die jetzt schon in Web3 aktiv sind. Als ein solches Unternehmen, das sich mit Web3 professionell beschäftigt, würde ich mich sehr gut aufgestellt fühlen.
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