Wie der Mittelstand mit IoT den Anschluss zur Industrie 4.0 schafft

Von   Marc Zenker   |  Head of digital Innovation & Communication   |  blu BEYOND GmbH, München
11. Juli 2022

Autonome Flurförderzeuge, integrierte Produktionssysteme, nahtlos verzahnte Workflows von Shopfloor bis Topfloor – die Vision der Smart Factory bringt Fertigungsunternehmen, Maschinen- und Anlagenbauer seit mehr als zehn Jahren ins Schwärmen. Aus gutem Grund: Schließlich ebnet die nahtlose Verzahnung von Top- und Shopfloor der Fertigungsindustrie den Weg zu immensen Effizienzsteigerungen. Experten zufolge lassen sich durch Industrie 4.0 allein die Betriebs- und Instandhaltungskosten um bis zu 50 Prozent reduzieren. Noch spannender ist aber die Tatsache, dass Industrie 4.0 der Branche neue Geschäftschancen eröffnet – beispielsweise im Bereich Predictive Maintenance oder durch Subscription- und Pay per Use-Modelle.

Diese Erkenntnis setzt sich auch hierzulande zunehmend durch. So denken laut einer aktuellen Bitkom-Umfrage neun von zehn Industrieunternehmen (91 Prozent), dass Industrie 4.0 unverzichtbar ist, um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können. 6 von 10 Unternehmen sagen, dass die Digitalisierung die Grundlage für Qualitätsverbesserungen (61 Prozent) und innovative Geschäftsmodelle (58 Prozent) bietet. Vor allem Technologien wie Big Data, Künstliche Intelligenz (KI) und das Internet der Dinge (Internet of Things/IoT) erschließen der Branche neue Geschäftschancen eröffnet.  Kein Wunder, dass Industrie 4.0 für ausnahmslos alle der von Bitkom befragten Unternehmen aktuell ein Thema ist.

Mittelstand steht bei Industrie 4.0 auf der Bremse

Nichtsdestotrotz kommt vor allem im Mittelstand diesbezüglich nur sehr langsam in die Gänge. So bezeichneten sich Bitkom zufolge 58 Prozent der Industrieunternehmen mit 100 bis 499 Beschäftigten als Digitalisierungs-Nachzügler. Etwas besser sieht es bei größeren Betrieben ab 500 Mitarbeitenden aus. Hier sieht sich lediglich knapp jeder dritte (37 Prozent) im Hintertreffen.

Doch warum holpert es so? Einerseits mangelt es an finanziellen Mitteln, bzw. der notwendigen Investitionsbereitschaft. Andererseits bremsen aber auch der anhaltende Fachkräftemangel, steigende Anforderungen an Datenschutz und IT-Sicherheit sowie die hohe Komplexität viele mittelständische IoT-Initiativen aus.

Die gute Nachricht: Laut einer Roland Berger-Studie wollen sieben von zehn Befragten ihre Industrie 4.0-Investitionen aufstocken und stärker Fahrt aufnehmen. Die schlechte: Damit allein lässt sich noch kein Blumentopf gewinnen. Denn IoT, Industrie 4.0 und Digitalisierung erfordern in erster Linie nicht mehr Geld, sondern spezielle Fähigkeiten und Methodiken. Genau daran mangelt es aber vielen mittelständischen Maschinen- und Anlagenbauern.

Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler

Für Unternehmen besteht die Herausforderung nämlich nicht allein darin, eine neue Technologie nutzbar zu machen. Es geht vor allem um die Implementierung eines neuen Geschäftsmodells. Und zwar eines, das sich höchstwahrscheinlich in allen bisher relevanten Kennzahlen vom Kerngeschäft unterscheidet. Das Problem: Auf der Suche nach neuen Geschäftsmodellen werden häufig technische Lösungen erarbeitet und implementiert – und zwar bevor sich irgendwer Gedanken darüber macht, ob und wie sich der Service tatsächlich vermarkten lässt.

Deshalb schaffen es viele Betriebe nicht, neue Angebote sinnvoll zu monetarisieren und daraus einen regelmäßigen Einnahme-Strom zu generieren. Hier gilt es, mit neuen Ansätzen gegenzusteuern, konkrete IoT-Lösungen schnell, kostengünstig und effizient zu validieren und damit Angebote mit wirklichem Mehrwert zu schaffen.

Doch das ist leichter gesagt als getan. Wie schafft man es, innovative Geschäftsmodell-Konzepte zu finden und umzusetzen? Woher kommen die Ideen? Und wie wird daraus ein neues Business Modell? Klar ist: Innovative Geschäftsmodelle fallen in der Regel nicht vom Himmel. Andererseits muss man das Rad aber auch nicht immer neu erfinden. Im Gegenteil: So hat das BMI Lab St. Gallen in der Schweiz herausgefunden, dass 90 Prozent aller neuen Geschäftsmodelle auf bereits bestehenden Ideen, Konzepten oder Technologien basieren.

Die Industrie darf den Anschluss jetzt nicht verpassen

Allein: Mit der Adaption branchenfremder Modelle tut sich die Industrie seit jeher schwer. „Das funktioniert bei uns nicht.“ „Das Geschäft läuft hier nun einmal anders.“ „Bei uns ist alles im Lot – jetzt bloß keine schlafenden Hunde wecken.“ Die Gründe, warum Unternehmen neue Geschäftsmodelle nur zögerlich umsetzen, sind vielfältig. Und durchaus existenzgefährdend, wie das Scheitern prominenter Unternehmen wie Kodak, Nokia & Co. beweisen. Wer zu spät kommt, wird definitiv vom Markt bestraft.

Umso wichtiger, das Thema nicht weiter auf die lange Bank zu schieben und stattdessen IoT-Mehrwerte zeitnah zu erschließen. Mit einem modellhaften Werkzeugkasten, wie er zum Beispiel an der Universität St. Gallen entwickelt wurde, lassen sich systematisch durch kreative Imitation und Rekombination aus einer  Reihe von Mustern die jeweils passenden Geschäftsmodelle gestalten und neue Chancen im IoT-Umfeld zielgerichtet identifizieren und in das eigene Geschäft integrieren.

Hat man es geschafft, auf diese Art und Weise eine maßgeschneiderte IoT-Geschäftsmodellinnovation zu entwickeln, geht es an die technische Umsetzung. Dabei gibt es zahlreiche Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt. Dazu gehören beispielsweise

  • die Integration heterogener Maschinenparks sowie Protokolle,
  • die Verknüpfung korrelierender Datenpunkte,
  • die Gewährleistung einer flächendeckenden stabilen Datenübertragung auf dem gesamten Campus,
  • die sichere Speicherung und Verarbeitung großer Datenmengen sowie
  • die Bereitstellung einheitlicher Daten für eine Vielzahl von Anwendungen und Zugriffsberechtigungen.

Hilfestellung bei der Umsetzung innovativer IoT-Projekte

Es gibt also im Rahmen von Industrie 4.0-Projekten einiges zu bedenken und zu beachten. Aber mit Hilfe eines „Modelbaukastens“ und einer strukturierten Vorgehensweise lässt sich gewährleisten, dass dabei nichts Wichtiges unter den Tisch fällt. Außerdem gibt es spezialisierte Dienstleister, die das fehlende IoT-Know-how in den meisten mittelständischen Produktionsbetrieben optimal ergänzen. Im Idealfall kann dann in enger Zusammenarbeit zwischen den Experten und dem Auftraggeber innerhalb weniger Tage ein Proof-of-Concept (PoC) realisiert werden.

Dieser zielt darauf ab, den tatsächlichen Nutzen des jeweiligen IoT-Szenarios zu validieren, wertvolles Feedback zu gewinnen und ein detailliertes Geschäftsmodell zu erarbeiten. Ein abgestimmter Gleichklang zwischen konzeptioneller und technischer Entwicklung ermöglicht dabei, innovative IoT-Services zu entwickeln. Diese können anschließend bei Pilotanwendern ausgiebig getestet und verfeinert werden und lassen sich innerhalb kürzester Zeit zur Marktreife bringen.

Ein Action-based Training-Ansatz, bei dem die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Auftraggebers gemeinsam mit Digitalisierungsexperten und Geschäftsprozess-Spezialisten ein Team bilden, helfen beim systematischen Erschließen des digitalen Neulands und liefert konkrete Ergebnisse. Die Beschäftigten der Fertigungsbetriebe oder von Maschinen- und Anlagenbauern werden in einem solchen Projekt „on the job“ mit den Methoden, Tools und Techniken der digitalen Transformation vertraut gemacht und entwickeln sich so Schritt für Schritt selbst zu Digitalisierungsspezialisten. Beste Voraussetzungen, um demnächst in Sachen Smart Factory dauerhaft Boden gut zu machen.

Marc Zenker beschäftigt sich als Head of Digital Innovation bei blu BEYOND mit der Frage, wie Unternehmen die Einführung neuer Technologien beschleunigen können, ohne dadurch Qualitätsverluste hinzunehmen.

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