Phygital: Kognitive Technologien treiben intelligenten Airline-Betrieb voran

Laut des Waypoint 2050 Berichts der Air Transport Action Group wird der weltweite Luftverkehr bis 2050 auf fast zehn Milliarden Reisende pro Jahr ansteigen. Während die Prognose von derzeit fast vier Milliarden Reisenden äußerst ermutigend ist – vor allem, da sich Reisende, Veranstalter und Fluglinien von der Pandemie erholen – ist die Vorahnung einer wahrscheinlichen Überlastung der Flughäfen beunruhigend. Auch wenn dies zu verspäteten oder sogar annullierten Flügen führen könnte.
Von   Mitrankur Majumdar   |  SVP and Global Head, Services   |  Infosys
10. Oktober 2022

Die Luftfahrtindustrie sollte diese Gelegenheit nutzen, die physischen Einrichtungen um digitale Technologien zu ergänzen. Damit schlägt sie einen nachhaltigen Wachstumskurs ein und federt so die Wachstumsschmerzen der Zukunft ab.

Künstliche Intelligenz (KI) und kognitive Technologien bieten Rückenwind für den Flugbetrieb und die Verwaltung von Arbeitsabläufen. Sie ermöglichen, aus unstrukturierten Daten Wert zu schöpfen. Darüber hinaus erkennen sie Bewegungsabläufe, Anomalien und Muster in Videobildern und ermöglichen außerdem autonome Funktionen. Während die Konversationsunterstützung in natürlicher Sprache ein weit verbreiteter KI-Anwendungsfall in der Reise- und Hotelbranche ist, umfasst sie nun auch technische und geschäftliche Prozesse.

So bieten beispielsweise Kameras, die mit Computer Vision, IoT-Sensoren, biometrischer Technologie und Selbstbedienungsanwendungen ausgestattet sind, umfangreiche visuelle, textuelle und kontextbezogene Daten. Diese lassen Einblicke in die Demografie, das Verhalten, die Absichten und das Kaufverhalten der Passagiere sowie in verschiedene betriebliche Aktivitäten zu. Fluggesellschaften sind nun in der Lage, in der Cloud gehostete, KI-gesteuerte Analyselösungen zu nutzen, die Daten für eine nahtlose Konvergenz von physischen und digitalen Systemen einsetzen. Ein solches Ökosystem kann den land- und luftseitigen Betrieb verbessern – und sowohl Dienstleistungen über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg abdecken.

Automatisiert den landseitigen Betrieb

Seit Juni 2018 schreibt die IATA-Resolution 753 vor, dass jedes Gepäckstück an vier kritischen Punkten während der Kundenreise nachverfolgt werden muss: (1) Übergabe vom Passagier an die Fluggesellschaft, (2) Verladen in das Flugzeug, (3) Auslieferung im Transferbereich und (4) Rückgabe an den Passagier. Diese Verfolgungsdaten sollten auch mit Interline-Partnern geteilt werden. KI-gestützte Gepäckabfertigungssysteme automatisieren diese Prozesse. Die Systeme teilen den Status des Gepäcks in Echtzeit mit allen Beteiligten, einschließlich der Passagiere. Darüber hinaus erkennen intelligente Kameras, die mit Hilfe von Computer Vision arbeiten, unsichere Gepäckstücke genau. Dies erhöht die Effizienz der Gepäckkontrolle insgesamt.

Ein reibungsloser Gepäck- und Passagierfluss ist der Gradmesser für den Terminalbetrieb. Die Technologie zur Gesichts- und Iriserkennung erlaubt es Fluggesellschaften und Abfertigungspersonal beispielsweise, Self-Boarding-Gates einzusetzen. Dank Biometrie ist die berührungslose Identifizierung von Fluggästen an den Touchpoints des Flughafens möglich. Gleichzeitig lässt sich so die Sicherheitskontrolle automatisieren. Eine unveränderliche Identitätsauthentifizierung beschleunigt die Passagierkontrolle, die Passüberprüfung sowie die Abfertigung von Einwanderern. Im Jahr 2018 führte der Flughafen Miami ein Gesichtserkennungs-Screening für ankommende Reisende ein. Es ist in der Lage zehn Passagieren pro Minute zu durchleuchten und entlastet die überfüllten Ankunftsbereiche erheblich.

KI-Systeme mit visuellen Sensoren sind die „Augen am Boden“ – sie überwachen die Gesamtlage am Flughafen – seien es Passagiere, Mitarbeiter, Fracht oder Abfertigungshallen. Die intelligente Überwachung von der Abflughalle bis zum Flugzeug liefert außerdem wichtige betriebliche Daten. Dazu gehört zum Beispiel das Volumen der ankommenden und abfliegenden Reisenden oder die Verweildauer an den Kontrollstationen. Die Echtzeitdaten ermöglichen es den Managern, rechtzeitig Entscheidungen zu treffen, um alle Anforderungen zu erfüllen. Dazu gehört es, den Passagierdurchsatz zu verwalten, aber auch das Erlebnis für Passagiere, Flugpersonal und Flughafenmitarbeiter zu verbessern. Dies ermöglicht es Flughafenbetreibern auch, Engpässe im Passagierfluss zu erkennen und diese schnellstmöglich zu beseitigen.

Die Nachverfolgung des Volumens und der Bewegungen der Reisenden optimiert das Warteschlangenmanagement und steigert die Produktivität der Ressourcen. KI-gesteuerte Effizienz geht jedoch über einen reibungslosen Ablauf während der Hauptreisezeit hinaus. Fluggesellschaften, die Selbstbedienungslösungen und automatisierte Kioske einsetzen, um den Service für Reisende und die Gepäckabfertigung zu optimieren, können die Daten mit zentralen Servicedatenbanken und Flughafenmanagementsystemen integrieren. So lassen sich die allgemeinen Kosten senken und gleichzeitig die Ankunfts- und Abflugvorgänge optimieren. Darüber hinaus können Machine Learning-Modelle und analytische Lösungen auf Basis von IoT-Sensordaten und Videoaufnahmen Spitzenfrequenzen und Probleme während bestimmter Zeiträume vorhersagen. Das Ergebnis sind verbesserte Self-Service-Prozesse, kontaktlose Mechanismen und Schnittstellen, die an Bord genutzt werden.

Optimierte Dienstleistungen an Bord des Flugzeugs

KI-Plattformen verbessern auch das Erlebnis während des Fluges, indem sie technische und logistische Probleme entschärfen, die die Reise unterbrechen oder anderweitig negativ beeinflussen könnten. Algorithmen synthetisieren Echtzeitdaten, um die Koordination von Diensten wie Bordverpflegung, Handhabung von Bodengeräten, Umgang mit behinderten Passagieren, Wasserversorgung und Klimatisierung präzise zu steuern. Über Cloud-Portale werden Sensordaten mit unterschiedlichen Parametern verarbeitet. Dazu gehören beispielsweise die Luftqualität in der Kabine oder auch die Lebensmittelversorgung. So lassen sich die Abfertigungszeiten von Flugzeugen verkürzen und die Sicherheit verbessern.

Analytische Lösungen korrelieren Echtzeit-Datenfeeds mit flugzeugspezifischen, standardisierten Metriken sowie historischen Daten, um Probleme zu erkennen und Anomalien zu melden. Dazu gehören unter anderem Sicherheitsprobleme und Verzögerungen bei Wartungsaktivitäten am Boden. Darüber hinaus ergänzen KI-Systeme den technischen Support durch Empfehlungen, auf deren Basis die Wartungs- und Technikteams Fehler schneller beheben und Ereignisse diagnostizieren können. Vorfälle lassen sich so proaktiv bewältigen und die Notfallplanung verbessern.

Dazu gehören beispielsweise ungeplante Wartungsarbeiten, die oft zu Flugverspätungen und -streichungen führen. Dies erhöht die allgemeinen Kosten, darunter auch Entschädigung von Reisenden. Daher setzen Fluggesellschaften Anwendungen zur vorausschauenden Wartung ein, um Ausfälle von Geräten oder Flugzeugen deutlich zu reduzieren. Echtzeitdaten von IoT-fähigen Flugzeugen und Sensoren zur Zustandsüberwachung an Bord bieten Einblicke in den aktuellen technischen Zustand, zeigen Fehlfunktionen auf und weisen auf mögliche Ausfälle hin. Wartungspersonal und Techniker vor Ort können so physische Inspektionen schneller und effektiver durchführen – sie wissen dank der Sensor-Informationen, wo genau sie nachschauen und ausbessern müssen. Delta Air Lines hat in Zusammenarbeit mit Airbus zum Beispiel ein Programm zur vorausschauendes Flottenwartung eingeführt. Die Anzahl der wartungsbedingten Flugausfälle reduzierte sich dank des Programms  innerhalb von acht Jahren von rund 5.600 auf nur 55.

Die Planungsteams einer Fluggesellschaft sind jeden Tag für den reibungslosen Ablauf von Tausenden Inlands- und Auslandsflügen verantwortlich. Sie sollten unabhängige, abhängige und sich gegenseitig ausschließende Variablen für die Streckenführung und Planung berücksichtigen. So könnte beispielsweise die Erfahrung von Piloten und Flugbegleitern mit der jeweiligen Flugroute und dem Flugzeugtyp verknüpft werden. So verlangen einige Airports in Mittelamerika zusätzliche flughafenspezifische Qualifikationen, damit die Piloten dort landen dürfen. Alle Besatzungen müssen sich außerdem an komplexe Arbeitsvereinbarungen (Gewerkschaften) und staatliche Vorschriften halten, die pro Land jeweils unterschiedlich sind.

Dieser Sommer war für die Fluggesellschaften weltweit eine große Herausforderung, da sie mit begrenztem Personal auskommen müssen. Gleichzeitig operieren sie an Großflughäfen, an denen das lokale Personal ebenfalls stark eingeschränkt ist. Das Ergebnis sind kostspieligen Unterbrechungen im Flugablauf, Annullierungen, verlorenes Gepäck und Überbuchungen. Erste Flughäfen wie London Heathrow führen Kapazitätsgrenzen für Reisende ein, um im Spannungsfeld zwischen Reiseboom nach der Pandemie und Personalmangel überhaupt betriebsfähig zu bleiben.

Hier könnten KI-Modelle unterstützen. Sie optimieren das Besatzungs- und Flugplanmanagement, indem sie betriebliche Vorschriften, die Verfügbarkeit, Wartungspläne und Kosten berücksichtigen. Die maschinelle Intelligenz geht auch auf qualitative Probleme wie Jetlag und Müdigkeit auf Seiten der Crew ein. Intelligente Modelle unterstützen dabei, Gesundheitsrisiken aufgrund von Langstreckenflügen, Zeitzonenwechsel oder genereller Überarbeitung zu minimieren und integrieren die entsprechenden Datenpunkte in das Dienstplansystem. Ein weiterer wichtiger Punkt: KI-Systeme optimieren den Treibstoffverbrauch in der Luftfahrt für die Routenplanung. Die größtmögliche Treibstoffeffizienz ist sowohl ein wirtschaftliches als auch ein ethisches Gebot.

Majumdar ist ein Strategic Business Leader, der sich auf die Umsetzung von Geschäftsumwandlungen durch IT und Prozesse spezialisiert hat und hierbei vor allem die Bereiche Informationsdienste, Verlagswesen, professionelle Dienstleistungen, Bildung, Internettechnologien und Reise- und Gastgewerbe betreut.

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