Nachhaltige Digitalisierung: Der Code für eine klimaverträglichere Zukunft

Von   Robert Jacobi   |  Founding Partner   |  The Nunatak Group
23. April 2021

Innovation, Wandel, Zukunftsfähigkeit: Bislang schwangen nur solche Begriffe im Subtext mit, sobald es um Digital Impact ging. Doch angesichts von Servern, die so viel Strom verbrauchen wie ganz San Francisco, haben Klimaschützer die Digitalisierung als den großen Energievernichter entdeckt. Sind die Sorgen berechtigt? Welche gegenläufigen Effekte gibt es? Ein Zwischenruf von Digitalisierungsexperte Robert Jacobi, Autor des Buchs „Reboot. Der Code für eine widerstandsfähige Wirtschaft, Politik und Gesellschaft“, das in diesem Frühjahr im Murmann-Verlag erscheint.
Umspannwerke, die in Flammen aufgingen, Stromleitungen, die unter der Last zusammenbrachen, Dörfer, die dunkel blieben: Der Bitcoin-Hype hatte in Abchasien, dank besonders günstiger Strompreise aufgestiegen zum Dorado für Krypto-Goldgräber, heftige Nebenwirkungen. Nachdem der Stromverbrauch der Kaukasus-Republik 2020 um geschätzte 20 Prozent gestiegen war, machte die Regierung Ende des Jahres Schluss – und erklärte das digitale Bitcoin-Mining wieder einmal für illegal.

Die Causa Abchasien ist nur ein besonders eindrückliches Beispiel dafür, dass es bei Fragen der Digitalisierung auch andere Risiken und Nebenwirkungen gibt als nur Hacker-Attacken oder Daten-Leaks. Denn ein Mehr an Digitalisierung geht in der Regel mit einem Plus an Stromverbrauch einher: Auf 121 Terawattstunden pro Jahr beläuft sich der weltweite Energiehunger der neuen Digitalwährung bereits – das ist doppelt so viel, wie ganz Österreich pro Jahr verbraucht. Seit 2017 ist der Stromverbrauch für Bitcoin-Mining fast um das 20-Fache gestiegen.

Das Jahr 2020: zu Hause arbeiten und Netflix gucken

Andererseits sehen wir in der Corona-Krise: Durch Homeoffice statt täglichem Pendlerverkehr und Video-Calls statt Dienstreisen haben die Möglichkeiten der Digitalisierung der Umwelt tatsächlich eine Atempause verschafft. Experten haben eine 100-Kilometer-Dienstfahrt mit dem Auto einen 30 Mal höheren Primärenergieaufwand als einer Videokonferenz attestiert; bei einer 1000 Kilometer langen Dienstreise mit dem Flugzeug war das Energieplus sogar 500 Mal höher. Eine andere Berechnung (2014) summierte die Stromeinsparungen durch Videokonferenz statt realem Treffen bei vier Teilnehmern mit unterschiedlichen Anreiseentfernungen auf 92 bis 95 Prozent.

Und auch das analog zur Flugscham als Stream Shaming betitelte nächtelange Binge Watching ist bei genauerem Hinsehen besser als sein Ruf. Das Bundesumweltamt hat 2020 für Streaming den ökologischen Fußabdruck unserer typischen Feierabendbeschäftigung im Corona-Sommer berechnet: 101 Minuten Filmstreaming verursachen – inklusive Speicherung der Daten in der Cloud und deren Übertragung ins Wohnzimmer – gerade einmal 2,5 Gramm des schädlichen Treibhausgases Kohlendioxid. Eine Fahrt mit einem Tesla in ein etwa zehn Kilometer entferntes Multiplexkino als analoges Äquivalent zum Streaming hat – selbst bei Ladung des Tesla mit Ökostrom – einen 50 Mal größeren ökologischen Fußabdruck.

Klimahoffnung 5-G-Netz

Je besser die Kommunikationstools für Kooperation auf Distanz werden und je störungsfreier die Lieblingsserie übermittelt wird, desto größer sind die Chancen, dass die Gewohnheiten von New Work und New Watching auch in einer Zeit „nach Corona“ erhalten bleiben. Aus umwelttechnischer Sicht ist dabei aber von immenser Bedeutung, wie die Daten ins Homeoffice oder ins Heimkino transportiert werden. Via Kupferkabel kommen so für ein Movie in Spielfilmlänge etwa sieben Gramm Kohlendioxid zusammen, bei Glasfaser nur etwas mehr als drei Gramm. Wird die Abendunterhaltung nicht per WLAN gestreamt, sondern über den mobilen Datentarif (3G-Netz), steigt der Energieverbrauch allerdings sofort auf heftige 150 Gramm Kohlendioxid.

Die Treibhausgase, die in Deutschland im Corona-Jahr 2020 freigesetzt wurden, lagen um 42,3 Prozent unter den Emissionen von 1990. Die Pandemie hat es Deutschland so ermöglicht, ihre Klimaschutzziele für das vergangene Jahr zu erreichen, rechnet der Thinktank Agora Energiewende vor: Zwei Drittel der erfreulichen Senkung seien Corona-Effekte. Als Haupttreiber zählt das Denklabor die durch die Rezession bedingten Rückgänge bei Energieverbrauch, Industrienation und Verkehr, aber auch den eher milden Winter und den so verringerten Heizenergieverbrauch auf.

Digitalisierung birgt also viel klimaentlastendes Potenzial – wenn sie nicht nur smart eingesetzt wird, sondern auch ihren Energiehunger smart senkt. Das 5G-Netz, auf das wir noch warten, verbraucht bei der Datenübertragung deutlich weniger Strom als die Vorgänger 3 G und 4 G. Mehr öffentliche WLAN-Hotspots schonen nicht nur den privaten Datentarif, sondern auch die Umwelt. Eine schnelle Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien an unserem Energiemix würde der Atmosphäre guttun. Doch die deutschen Kohlekraftwerke sollen noch bis 2038 laufen. Allein die beiden größten Braunkohlekraftwerke in Neurath und Niederaußem erzeugen gemeinsam ungefähr so viele Schadstoffe wie Irland oder Bulgarien.

Smart Grids – die intelligentere Stromverteilung

Die Digitalisierung hat also beides im Portfolio: die Verführung zum Stromverbrauch – und das Potenzial, diesen zu mindern. Besonders große Chancen schlummern in der datengetriebenen Steuerung der Energienetze. Sogenannte Smart Meter Gateways anstelle der bekannten Stromzähler können erfassen, wo echte Stromfresser am Netz hängen und zu welchen Zeiten sie aktiv sind. Die Smart Meter Gateways wiederum können bedeutender Bestandteil künftiger Smart Grids sein – einem intelligenten Stromnetz, das mittels digitaler Kommunikationstools den Stromkonsumenten mit kleinen Stromquellen verbindet. Erneuerbare Energie etwa aus Solarpanels kann so effizienter ins Stromnetz integriert und das Netz klüger ausgelastet werden.

Voraussetzung dafür ist, dass der Mensch künftig nicht nur Stromverbraucher, sondern auch Stromproduzent wird – etwa mit privaten Photovoltaikanlagen auf der Garage oder auf dem Hausdach. Das Smart Grid übernimmt dann die Kommunikation zwischen Energieerzeuger, Energiespeicher und Energieverbraucher. Ideal miteinander vernetzt, können Smart Grids eines Tages große Kraftwerke ersetzen – und die Umwelt schonen, weil Energie dank digitaler Tools klimaschonender erzeugt und klüger verteilt wird.

Zurück aus der Zukunft ist keine Lösung

Und doch: Sollten beispielsweise tatsächlich bis 2021 rund 1,7 Millionen Haushaltsgeräte 24/7 miteinander digital kommunizieren, würde dies zu einem langfristigen Mehrverbrauch in Höhe von 70 Terawattstunden pro Jahr führen, rechnet das Borderstep Institut für Innovation und Nachhaltigkeit vor, also gut einem Siebtel des jährlichen Stromverbrauches von Deutschland. Ist das aber ein triftiger Grund dafür, in Sachen Digitalisierung die Bremse zu ziehen? Anstatt wie gebannt auf den Stromzähler im Keller zu starren, wäre es sinnvoller, den Blick auf ökologisch smarte Datennutzung zu richten. Es gelte, die sich bietenden Potenziale der Digitalisierung für den Klima- und Umweltschutz gezielter zu nutzen, lautet auch das Fazit des Borderstep Instituts.

Ökologisches Potenzial liegt womöglich auch in der Nutzung künstlicher Intelligenz. Selbst wenn die Sachlage hier aktuell ebenfalls nicht grün aussieht. In San Francisco haben Forscher des Unternehmens OpenAI einen Algorithmus entwickelt, mittels dessen eine Roboterhand in der Lage ist, den berühmten Zauberwürfel (Rubrik’s Cube) einhändig zu lösen. Dafür mussten mehr als tausend Computer monatelang Berechnungen darstellen. Für das Experiment war ein Energieverbrauch von 2,8 Gigawattstunden nötig, das entspricht der Leistung von drei Kernkraftwerken in einer Stunde. Das Training eines leistungsstarken maschinellen Algorithmus, wie es etwa für autonom fahrende Autos benötigt wird, bedeutet aktuell noch, dass viele Computer wochenlang 24/7 arbeiten müssen. Wenn Machine Learning so viel Energie kostet: Lohnt es sich dann – ökologisch gesehen – überhaupt?

Die Antwort lautet: Ja – solange KI nicht nur Teil des Problems, sondern auch Teil der Lösung wird. Die smarte Anwendung von KI könnte bis 2030 die Kohlendioxid-Emissionen weltweit um vier Prozent senken, prognostiziert die Unternehmensberatung PwC – etwa durch Smart-Farming für eine nachhaltige Landwirtschaft, globale Klimamodellierung zur Vorhersage von Wetterszenarien oder aber durch intelligente Stromnetze zur Steuerung des Energieverbrauchs. Hinzu kommt, dass Quantencomputer künftig Millionen Mal schneller arbeiten werden als herkömmliche Superrechner – und dadurch sowohl effizienter sowie ökologischer sein werden, so die Hoffnung.

Digitalisierung kann ökologisch gesehen Fluch oder Segen zu sein. In welche Richtung sich die Waage neigt, hängt – trotz Künstlicher Intelligenz – immer noch vom Menschen ab, der die Weichen stellt und auch dem Fortschritt Leitplanken aufzeigt. Durch das Corona-Virus hat die Digitalisierung den Turbogang eingelegt. Nun kommt es darauf an, nicht einfach nur ins Blaue hineinzurasen, sondern diese Entwicklung smart zu steuern: in Richtung einer nicht nur weiter vernetzten, sondern auch klimafreundlicheren Zukunft.

 

Quellen und Referenzen:

[1] https://www.n-tv.de/wirtschaft/Abchasien-macht-Bitcoin-Farmen-dicht-article22394445.html

[2]https://www.dw.com/de/energie-stromverbrauch-bitcoin-mining/a-56589030

[3]https://www.iass-potsdam.de/de/blog/2020/03/klimaschutz-im-homeoffice

[4]https://www.agora-energiewende.de/presse/pressemitteilungen/corona-jahr-2020-rekordrueckgaenge-bei-co2-emissionen-und-kohleverstromung-1/

[5]https://www.bmwi-energiewende.de/EWD/Redaktion/Newsletter/2019/05/Meldung/direkt-erklaert.html

[6]https://www.borderstep.de/digitalisierung-laesst-stromverbrauch-explodieren/

[7]https://www.mobilegeeks.de/artikel/quantencomputer-werden-mit-zunehmender-datenmenge-immer-wichtiger/

[8] https://www.spektrum.de/news/kuenstliche-intelligenz-verbraucht-fuer-den-lernprozess-unvorstellbar-viel-energie/1660246

 

ist Gründungspartner der Digital-Beratung The Nunatak Group. Sie begleitet großkonzerne und Mittelständler in Transformationsprozessen. Der frühere Journalist und Investor hat kürzlich „Reboot – Der Code für eine widerstandsfähige Politik, Wirtshcaft und Gesellschaft“ im Murmann Verlag veröffentlicht.

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