Erfolgreiche Digitalisierung gelingt nur mit den richtigen Mitarbeitern. Gerade die sind allerdings im digitalen Umfeld schwer zu finden. Ein Artikel darüber, warum der Fachkräftemangel eine schlechte Ausrede ist und wie mit einer durchdachten Managementstrategie dagegen vorgegangen werden kann.
Obstkörbe, Bio-Kaffee aus der Siebträgermaschine und der obligatorische Kicker-Tisch sind ein gefühltes Muss, um Kandidaten aus dem digitalen Bereich anzusprechen. Während der Trend in der Startup-Welt seinen Ursprung hat, ist er mittlerweile in mittelständischen Unternehmen und großen Konzernen angekommen. Beim Kampf um die so rar gesäten IT-Fachkräfte, lässt sich scheinbar mit klassischen Jobversprechungen, wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld, kein Blumentopf mehr gewinnen. Warum tun sich große, weltbekannte Firmen trotz überdurchschnittlichen Gehaltszahlungen und einem schier endlosen Katalog an Zusatzleistungen so schwer, die richtigen Mitarbeiter für die Baustelle Digitalisierung zu finden? Die Antwort darauf lässt sich nicht wie vermutet im Fachkräftemangel suchen und auch fehlende Obstkörbe sind selten das Problem. Ein falsches Bild des Wertesystems der gewünschten Kandidaten, kombiniert mit suboptimalem Management interner Abläufe, sind die eigentliche Schwachstelle.
Wandel der Wertvorstellungen
Ob es der Generation oder der Branche geschuldet ist, fähige IT-Fachkräfte haben Anforderungen an ihren idealen Arbeitsplatz, die weit über das Gehalt hinausgehen. Dienst nach Vorschrift ist kein Anreiz mehr, vor allem jüngere Mitarbeiter suchen in ihrem Job Selbstverwirklichung. Die viel zitierte Work-Life-Balance ist weniger als Gleichgewicht zwischen Job und Privatleben zu verstehen, sondern vielmehr soll beides zur persönlichen Entwicklung beitragen. Entsprechend wird erwartet, dass die beruflichen Aufgaben fordernd sind, Möglichkeiten zum Lernen bestehen und die Unternehmenskultur die Basis dafür schafft, sich gerne an seinem Arbeitsort aufzuhalten. Agilität wird nicht nur in der Projektarbeit vorausgesetzt, sondern das komplette Arbeitsumfeld soll flexibel sein. Das betrifft die Verfügbarkeit des gewünschten Arbeitsmaterials und die flexible Wahl des Arbeitsortes genauso wie Transparenz und Mitbestimmungsmöglichkeiten. Wer jahrelang am gleichen Arbeitsplatz die gleichen Aufgaben erledigt und für jedes USB-Kabel fünf Anträge ausfüllen und drei Wochen auf deren Bearbeitung warten muss, verliert schnell die Motivation. Um den Ansprüchen dieser Kategorie von Mitarbeitern gerecht zu werden, braucht es im ersten Schritt jedoch keine teuren Investitionen in Büroausstattung und Benefits, sondern ein genaueres Verständnis des Arbeitsfeldes und einen geänderten Managementstil. Der richtige Umgang mit den folgenden drei Themen erleichtert unter anderem nicht nur Mitarbeitersuche und -bindung, sondern erhöht nebenbei auch noch Produktivität und Effizienz.
Teams im Fokus
Stellenausschreibungen sind heutzutage oft eine Ansammlung geforderter Kenntnisse, die selbst den erfahrensten Experten an seiner Qualifikation zweifeln lassen würden. Unabhängig davon, dass solch unrealistische Anforderungen eher abschrecken, ist die Vorgehensweise allgemein fragwürdig. Erfolgreiche digitale Projekte mit zufriedenen Mitarbeitern brauchen Teams, keine Einzelkämpfer-Experten. Der erfahrenste Entwickler der Welt wird auch am simpelsten Entwicklungsprojekt mit hoher Wahrscheinlichkeit scheitern, wenn er auf sich allein gestellt bleibt. In einer Studie des ADP Research Institute1 wurde nachgewiesen, dass vor allem die Mitarbeiter engagierter und effizienter arbeiten, die in einem funktionierenden Team agieren. Ein gleichbleibendes, interdisziplinäres Team ist nicht nur für den Projekterfolg sehr zuträglich, sondern fordert gleichzeitig auch die einzelnen Teammitglieder, führt zu einem freundschaftlichen Umgang miteinander und verteilt Druck und Verantwortung auf mehrere Schultern. Für viele Firmen ist der Teamfit im Bewerberscreening deshalb mittlerweile genauso wichtig wie die fachliche Kompetenz und Vorstellungsgespräche bei den zukünftigen Teammitgliedern sind elementarer Bestandteil des Bewerbungsverfahrens. Einige Unternehmen gehen dabei so weit, dass ein Veto durch die zukünftigen Teamkollegen zu einer Absage führt, selbst wenn alle anderen Kriterien durch den Bewerber erfüllt werden. Doch durch das frühzeitige gegenseitige Kennenlernen wird nicht nur die Wahrscheinlichkeit böser Überraschungen bei Arbeitsbeginn verringert, sondern der Bewerber erhält bereits im Vorstellungsgespräch den Beweis dafür, dass Mitarbeitermeinungen gehört und geschätzt werden. Eine Mitbestimmungsmöglichkeit bei so einem wichtigen Thema wie der Neueinstellung von Fachkräften, wirkt deutlich überzeugender als die teuerste Siebträgermaschine.
Verteilte Kompetenzen
“Wir haben ein Entwicklungsprojekt vor, also brauchen wir Entwickler.” So ähnlich beginnen wohl viele Überlegungen zur Personalplanung von Digitalteams. Grundsätzlich ist daran auch nichts auszusetzen. Gefährlich wird es dann, wenn es dabei bleibt. Wie bereits erwähnt sind interessante und fordernde Aufgaben und Probleme ein wichtiger Faktor bei der Mitarbeitergewinnung im digitalen Umfeld. Damit diese jedoch nicht nur auf dem Papier überzeugen, darf eine wichtige Komponente nicht fehlen: Die Probleme müssen lösbar sein. Das gelingt in einem Entwicklungsprojekt nur dann, wenn sämtliche notwendige Kompetenzen in ausreichendem Maß vorhanden sind. Doch was bedeutet das genau? Ein erfolgreiches Entwicklungsprojekt benötigt in der Regel neben mindestens zwei Entwicklern (4-Augen-Prinzip) folgende Teammitglieder:
- Einen Produktverantwortlichen, der für die Produkt- und Businessstrategie zuständig ist, Anforderungen sammelt und in umsetzbarer Form an das Entwicklungsteam weitergibt
- Einen (UI/UX- bzw. Produkt-) Designer, der den Kundennutzen kontinuierlich validiert und anpasst, Nutzertests durchführt, sowie UI Designs erstellt
- Einen Tester, der je nach Projekt automatisiert oder manuell die technische Umsetzung testet
Wer jetzt bereits gedanklich rechtfertigt, warum in seinem speziellen Entwicklungsprojekt Mitarbeiter XY absolut in der Lage ist, alle diese Aufgaben zu übernehmen, hat schon verloren. Auch wer das Thema mit dem Argument abtut, dass dies wohl kaum etwas mit Mitarbeitergewinnung und -bindung zu tun hat, übersieht einen wichtigen Punkt. Fähige Fachkräfte aus dem digitalen Bereich sind in der Regel sehr gut vernetzt. Und ein Mitarbeiter, der durch schlechte Projektplanung nicht gefordert, sondern überfordert wird, wird ganz sicher kein gutes Wort über seinen Arbeitgeber verlieren.
Durchdachtes Allokationsmanagement
Work-Life-Balance steht für IT-Fachkräfte ganz oben auf der Prioritätenliste. Während mittlerweile viele Firmen das Thema mit der Möglichkeit von Home Office Tagen und flexiblen Arbeitszeitmodellen angehen, gibt es eine weitere wichtige Management-Stellschraube: Ein sinnvolles Allokationsmanagement. Überdurchschnittlich oft sieht es in größeren Unternehmen so aus, dass sich zu wenig Mitarbeiter um zu viele parallel laufende Projekte kümmern. Das Ergebnis: Kein Projekt erhält die nötige Aufmerksamkeit, Mitarbeiter sind gestresst und unzufrieden, verlassen irgendwann die Firma und es stehen noch weniger Fachkräfte zur Verfügung. Flexible Arbeitszeiten und Arbeitsorte sorgen nicht für mehr, sondern für weniger Work-Life-Balance, da zu jeder Zeit und an jedem Ort noch schnell der ein oder andere Task erledigt wird. Wie negativ genau sich dieser ständige Wechsel auf Motivation und Zufriedenheit der Mitarbeiter auswirkt, lässt sich schlecht mit Zahlen belegen. Wie es sich mit der Produktivität verhält, jedoch durchaus. Zwei parallel laufende Projekte führen zu einem Produktivitätsverlust von 20%, drei Projekte zu 40%, vier zu 60% und ab fünf parallel laufenden Projekten büßt der Mitarbeiter ganze 80% seiner Produktivität durch den Kontextwechsel ein.2 Mehr als zwei parallel laufende Projekte pro Mitarbeiter führen also zu einer loss-loss Situation auf ganzer Linie. Sinnvolles Allokationsmanagement ist nicht nur die Basis für effizientes Arbeiten, sondern auch für eine tatsächliche Work-Life-Balance. Die wiederum sorgt für engagierte und zufriedene Mitarbeiter und trägt ganz nebenher auch noch dazu bei, dass sich aufeinander eingespielte, erfolgreiche Teams bilden.
Diese drei Beispiele sind selbstverständlich nur ein Bruchteil der Management-Stellschrauben, an denen zur erfolgreichen Mitarbeitergewinnung und -bindung gedreht werden kann. Sie sollen als Anreiz dienen, unternehmensinterne Abläufe zu hinterfragen und den bestehenden Mitarbeitern zuzuhören. Die Basis für erfolgreiches Recruiting wird nicht selten bereits innerhalb des Unternehmens gelegt. Die dargestellten Maßnehmen steigern gleichzeitig Mitarbeiterzufriedenheit, Produktivität und Effizienz in deutlich signifikanterem Ausmaß, als es der beste Obstkorb der Welt je könnte. Und zufriedene Mitarbeiter empfehlen ihren Arbeitgeber auch guten Gewissens in ihrem Netzwerk weiter. Es läuft also ganz nach dem Motto: Was kümmert uns der Fachkräftemangel, wenn die wenigen Fachkräfte bei uns arbeiten?
Quellen und Referenzen:
[1]ADP Research Institute: “The Global Study of Engagement Technical Report”, unter https://www.adp.com/-/media /adp/ResourceHub/pdf /ADPRI/ADPRI0102_2018_Engagement_Study_Technical_Report_RELEASE%20 READY.ashx, (abgerufen am 06.01.2020)
[2]Jory MacKay, “Context switching can kill up to 80% of your productive time (here’s what to do about it)”, unter: https://blog.rescuetime.com/context-switching/ (abgerufen am 06.01.2020)
Um einen Kommentar zu hinterlassen müssen sie Autor sein, oder mit Ihrem LinkedIn Account eingeloggt sein.