„Wir brauchen die richtige Haltung für die digitale Transformation.“

ITK Engineering unterstützt Kunden mit plattformunabhängiger Software- und Systementwicklung sowie Beratung bei komplexen Herausforderungen. Dabei geht es um Lösungen vom ersten Konzept bis zur finalen Implementierung von Software und Hardware. Dies hat sich über mehr als drei Jahrzehnte hinweg entwickelt, schließlich hat das Unternehmen nie analog gearbeitet. Von den Anfängen der Digitalisierung bis zum gegenwärtigen Abschnitt – Dr. Frank Schmidt hat viele Prozesse direkt miterlebt und weiß von den aktuellen Herausforderungen, aber auch von den Dingen, die bereits funktionieren.
Interview von Hannes Mittermaier
29. August 2023
Interviewpartner
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Dr. Frank Schmidt im Gespräch

Inwieweit hat die Digitalisierung Ihr Kerngeschäft in den letzten Jahren verändert?

Wir sind nie ein „analoges“ Unternehmen gewesen. Wir haben vor 30 Jahren schon „digital“ gearbeitet, wenn man so will. Um es zu präzisieren: unser Kerngeschäft liegt im Digital Engineering, also in der Entwicklung von digitalen Systemen. Die Arbeitsweise hat sich gar nicht grundlegend verändert. Natürlich können wir heute viele neue Tools einsetzen und haben neue Methoden eingeführt. Aber ich behaupte, die Hauptbeeinflussung durch die Digitalisierung liegt darin, dass unser Geschäftsvolumen gestiegen ist, weil sich immer mehr Branchen und Unternehmen mit den Möglichkeiten der Digitalisierung auseinandersetzen und wir ihnen dabei helfen. Das heißt, es gibt eine größere Vielfalt in den Anwendungen, da sich mehr Unternehmen mit Elementen zur Digitalisierung beschäftigen. Dementsprechend wird auch immer mehr Systementwurf und Software gebraucht. Wir sind im Zentrum der Digitalisierung unterwegs. Besonders spannend ist es hierbei, wie sich die Tätigkeit des Entwickelns in der Zukunft verändern wird.

Und wie sollte diese sich idealerweise entwickeln?

Man muss bestehende Systeme verändern. Wir sind alle gewohnt, dass Entwicklung immer aus hoch-kreativen Prozessen besteht. Aber sind wir mal ehrlich: Nicht jede Tätigkeit im Entwickeln ist an sich hochgradig kreativ. Das heißt, wie kann ich eine gute Mischung finden zwischen Automatisierung, Standardisierung, Kreativität und Neuerung? Ist es spannend? Lohnt es sich, Zeit und Geld zu investieren? Beim Entwickeln ist ja eigentlich das Besondere, wenn wir Dinge tun, die es noch nicht gibt. Sonst muss ja nichts mehr entwickelt werden. Deswegen muss die Haltung mit dieser Frage korrelieren: Wie kann ich unter Nutzung digitaler Assistenzsysteme durchgehende Datenflüsse sowie Modellierung als Teil des Entwicklungsprozesses hinbekommen? Am Ende geht es um die nahtlose Integration von Entwicklungsleistungen in die Systeme unserer Kunden.

Ein Kernthema der Digitalisierung: Robotik. Was verbinden Sie damit? Welchen Stellenwert nimm das für Sie ein?

Robotik ist mit den Anfängen unseres Unternehmens verknüpft. Die ersten Anwendungen in diesem Bereich kamen aus der Medizin. Robotik gilt ja bekanntlich in der Technik als eine gewisse Königsdisziplin, weil hier verschiedenste Domänen – ob funktionale Sicherheit, Regelungstechnik, Bildverarbeitung oder auch die gesamte Auslegung der Umfelderkennung – zusammenkommen. Das heißt, man könnte fragen, was ein Roboter überhaupt ist. Meinen wir den Fertigungsroboter, den Staubsauger-Roboter oder ist es das autonome Fahrzeug? Die Anwendungen in der Robotik werden in der Summe immer mehr, das können wir überall beobachten. Medizinrobotik bleibt eine besondere Herausforderung, und wir sind an einem Punkt unserer Robotik-Geschichte angekommen, an dem wir uns noch gezieltere Hilfe für den Menschen erhoffen. Der Roboter als Kooperationspartner mit dem Menschen. Und das sehen wir besonders im Gesundheitswesen, denn hier lasse ich den Roboter sehr nahe an den Menschen herantreten. Neben den technischen Besonderheiten spielen hier auch andere Aspekte wie Security und Normenkonformität eine große Rolle, die den Roboter in der Medizin zur Königsdisziplin machen.

Wie würde ein idealtypisches digitales Krankenhaus von morgen aussehen?

Ich würde die Frage zurückgeben: Was würden Sie sich als Patient von einem idealen digitalen Krankenhaus wünschen? Sie würden einerseits erwarten, dass Sie keine Wartezeiten haben, Sie möchten keine komplizierten Dokumente ausfüllen müssen, Sie möchten Ihre Daten direkt und sicher freigeben. Außerdem wollen Sie einfach und sicher durch den Behandlungsprozess geführt werden, betreut mit Umsicht und Freundlichkeit, die Ihnen den Eindruck von Professionalität geben. Andererseits müssen wir über den Aspekt der Kosteneffizienz reden. Das Gesundheitswesen steht immer auch unter Kostendruck. Hier kann die Digitalisierung genauso helfen. Ein weiteres, drittes Element ist das Thema Personalmangel. Auch hier kann die Automatisierung Lösungen anbieten. Das Krankenhausbett wird in naher Zukunft vielleicht noch nicht automatisch durch die Gänge rollen, aber man kann sich vorstellen, dass bestimmte Automatisierungsvorgänge auch hier Entlastung schaffen.

Und diverse Gesundheitsapps, die wir schon auf unseren Smartphones und Uhren haben?

Die sind toll! Sie sind digitale Begleiter, die unsere Gesundheitsdaten in Echtzeit an jedem Ort und zu jeder Zeit bereitstellen. Patient Empowerment ist das Stichwort. Wir selbst haben die Kontrolle über unsere Daten. Die App begleitet mich im Alltag, überwacht meine Gesundheit – passiert mir dann beispielsweise ein Unfall, kann die App umgehend veranlassen, dass ich ins Krankenhaus gebracht werde. Auch dann kann die App vorarbeiten, indem bestimmte Daten schon zur Verfügung gestellt werden, um die Behandlung zu beschleunigen und zu optimieren.

Und dass mich dann ein Roboter direkt operiert?

Das ist – wenn wir realistisch bleiben – noch ein sehr langer Weg. Wir sind sehr stark im Bereich der Assistenzsysteme, wo Robotik unterstützend eingesetzt wird. Robotische Systeme können die Behandlungsmöglichkeiten erweitern, die Präzision von Eingriffen erhöhen und das medizinische Personal entlasten. Man kann es in jedem Krankenhaus beobachten: Ohne die Geräte, ohne die Behandlungsmethoden wären wir nicht da, wo wir heute sind.

Was sind „Rescue Wave“ und „Lebensretter 4.0?

Das ist eine gemeinsame Entwicklung mit einem Kunden, bei der es um Folgendes geht: Es passiert ein schwerer Unfall, beispielsweise ein Zugunglück, bei dem 100 Verletzte vorgefunden werden. Wie priorisiert nun ein Notfallarzt? Wie entscheidet er, wer schwer verletzt ist und sofort eine Behandlung braucht? Und wer ist vielleicht nur leicht verletzt und kann deshalb noch auf seine Behandlung warten? Und wo in der Situation sind die Verletzten zu finden. Rescue Wave hilft hier mit digitalen Mitteln. Mithilfe eines elektronischen Sichtungsgeräts, das der Verletzte umgehängt bekommt, wird die Schwere der Verletzung durch den Arzt festgestellt sowie seine Transportpriorität und die exakte Position festhält. Diese Daten gehen an die Leitstelle, die dann den Transport organisieren kann. Das war früher ein „analoges“ Vorgehen, das über Notizzettel erledigt wurde. Heute ist es ein digitaler Prozess, der im besten Fall auch Leben retten kann, weil Schwerverletzte schneller und damit effizienter behandelt werden können.

Ein Zitat Ihrer Website: „Digitale Transformation ist eine Frage der Haltung“. Sie haben das Wort „Haltung“ auch schon erwähnt. Was meinen sie genau damit?

Wir brauchen eine besondere Haltung für die digitale Transformation. Es geht auch darum, Bestehendes und Gutes zu hinterfragen. Nicht alles, was gut und richtig in der analogen Welt ist, lässt sich auch in die digitale Welt transferieren und dort automatisieren oder standardisieren. Haltung heißt also: Ich hinterfrage Bestehendes kritisch und verändere dort, wo sinnvoll. Es geht auch darum, den Mut zu beweisen, neue Wege zu gehen. Dabei heißt es auch mal, einfach etwas auszuprobieren. Das Versprechen der digitalen Transformation ist ja immer groß. Aber es bedeutet auch einen großen Aufwand, Bestehendes im laufenden Betrieb zu verändern. Digitalisierung heißt ja nicht: Lass uns gute Software schreiben, sondern Digitalisierung fängt an dem Punkt an, sich Unternehmensprozesse anzuschauen, um zu sagen, wo die Organisation steht und was ich tun muss, um das Unternehmen zu verbessern.
Wir verstehen Digitalisierung nicht als Modeerscheinung, sondern sehen einen tieferen Sinn dahinter und keinesfalls eine Bedrohung. Nicht für jeden ist die Digitalisierung eine Chance, die uns nach vorne bringt als Gesellschaft. Für manchen ist sie eine Bedrohung, voller Unsicherheit und Unklarheit. Im Grunde kann aber jede Technologie auch irgendwo „schlecht“ eingesetzt werden. Wir müssen in den Vordergrund stellen, wie wir Gutes mit neuen digitalen Technologien erreichen. Auch das ist dann eine Frage der Haltung.

Also sind es vor allem gewisse Ängste, die den Prozess der Digitalisierung hemmen?

Es gibt natürlich Ängste. Wie können wir ihnen entgegenwirken? Es geht um Transparenz und Vertraulichkeit. Wem vertraue ich meine Daten an was? Wie gelingt die Zusammenarbeit von Mensch und Maschine? Wie ist sie gestaltet? Das sind Dinge, die wir erst lernen müssen, weil sie neu sind. Mit Transparenz ist auch Ehrlichkeit gemeint: Hält das Unternehmen auch wirklich das ein, was es verspricht? Dieses Vertrauensverhältnis zwischen Mensch und Maschine müssen wir mit Feingefühl aufbauen. Ich denke, es fängt schon in den Schulen an, wo wir den Umgang mit diesen digitalen Systemen trainieren können.

Befürchten Sie, dass es Leute geben wird, die durch die Digitalisierung auf der Strecke bleiben, dass diese Lücke zwischen „digitalisiert“ und „nicht digitalisiert“ größer wird durch zunehmende Prozesse und Entwicklungen?

Die Welt entwickelt sich in eine bestimmte Richtung. Dieser Fortschritt zu einer immer digitaleren Welt ist gar nicht mehr aufhaltbar, weil bestimmte Herausforderungen der Zukunft gar nicht mehr anders lösbar sind. Können Menschen davon abgehängt oder überfordert werden? Leider ja. Es ändern sich auch Berufsbilder. Aber ich glaube auch, dass die Digitalisierung eher dem Nutzen der Gesellschaft dienen kann. Unsere Kinder wachsen schon sehr stark in einer digitalen Welt auf. Das heißt, es wächst eine Generation heran, die immer schon in einer digitalen Welt zuhause ist. Ich glaube nicht, dass sie sich abhängen lassen werden. Wichtig ist die Transparenz zur angestrebten Veränderung, um weiterhin die Menschen mitzunehmen und die Digitalisierung als Lösungsinstrument anzubieten.

Schlusspunkt: Auto. Wie digital würden Sie das Auto von morgen einschätzen?

Das selbstfahrende Auto ist realistisch. Es wird aber auch hier noch einige Jahre dauern, weil bestimmte Situationen für ein selbstfahrendes Auto sehr anspruchsvoll sind. Auch hier geht es um Vertrauen: Ich übergebe eine bestimmte Kompetenz der Maschine, ich vertraue mich dieser Maschine an und setze mich in ein selbstfahrendes Auto. Wie digital kann das Auto noch werden? Ich glaube, an vielen Stellen merken wir noch, dass wir analog sind. Wir haben einen Zündschlüssel, müssen die Türen entriegeln oder aktiv das Handy mit dem Auto verbinden. Neben dem digitalen Infotainment werden intelligente Helferlein im Hintergrund ein Standard im Auto von Morgen werden, beispielsweise zum optimalen Laden oder zur Verkehrssteuerung. Der Gesamtimpact wird dahingehen, dass das ganze Fahrerlebnis nachhaltiger und sicherer wird – durch die Digitalisierung.

Interview geführt durch:

Hannes Mittermaier, geboren 1994 in Sterzing/Italien, seit 2013 in München lebend, schloss 2019 sein Master-Studium an der Ludwig-Maximilians-Universität in München in den Fächern Germanistik und Philosophie ab. Seit 2020 promoviert Mittermaier an der germanistischen Fakultät zu einer Arbeit, die sich mit der Rezeption der Sokrates-Figur im Zeitalter der deutschsprachigen Aufklärung beschäftigt. Damit einhergehend ist Mittermaier Lehrbeauftragter an der Ludwig-Maximilians-Universität. Aktuell hält er ein Proseminar zu Thomas Manns früher Novellistik. Unabhängig von seiner Promotion arbeitet Mittermaier seit September 2019 als Redakteur der ebenso von der Ludwig-Maximilians-Universität herausgegebenen Zeitung Digitale Welt. Darüber hinaus engagiert sich Mittermaier nebenberuflich als freier Musiker.

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