SuperApp für den Mobilitätssektor: ein Interview mit Ismet Koyun
Frage 1: Herr Koyun, können Sie uns einen detaillierten Überblick über die aktuelle Situation im Mobilitätsmarkt geben?
Ismet Koyun: Der Mobilitätsmarkt befindet sich aktuell im Umbruch, der von der digitalen Transformation getrieben wird. Wir beobachten einen klaren Trend hin zur verstärkten Nutzung digitaler Mobilitätsdienste, was sich auch in vielen Studien widerspiegelt. So zeigt eine Umfrage eines bekannten Branchenverbandes, dass bereits 70 Prozent der Smartphone-Nutzer mindestens eine Mobilitäts-App installiert haben. Was mich besonders interessiert, ist die Tatsache, dass 32 Prozent sogar zwei Apps verwenden und 19 Prozent drei oder mehr. Diese Apps sind für viele Menschen zu unverzichtbaren Begleitern geworden, da sie eine Vielzahl von Diensten wie Fahrplanauskünfte, Ticketkäufe und Sharing-Angebote enthalten.
Die große Herausforderung, die ich in diesem Kontext sehe, liegt in der fragmentierten Nutzererfahrung. Stellen Sie sich vor: Für eine einfache Reiseplanung müssen Anwender oft zwischen mehreren Apps hin und her wechseln, um Fahrpläne abzugleichen, Tickets zu kaufen oder ein Fahrzeug zu buchen. Das ist nicht nur zeitaufwendig und herausfordernd, sondern auch frustrierend für die Nutzer. Hier sehe ich enormes Verbesserungspotenzial, das wir unbedingt adressieren müssen, um die Mobilität der Zukunft effizienter und nutzerfreundlicher zu gestalten.
Frage 2: Wie kann eine SuperApp die Nutzererfahrung im Mobilitätsbereich verbessern?
Ismet Koyun: Dafür müssen Sie zunächst das Konzept der SuperApps verstehen. Sie sind umfassende Plattformen, die eine Vielzahl von Funktionen und Dienste in einer einzigen Anwendung bündeln.
Stellen Sie sich vor, Sie hätten eine App, die nicht nur Ihre Reise von A nach B plant, sondern auch gleich das Ticket kauft, ein Sharing-Fahrzeug reserviert und sogar die Bezahlung für all diese Dienste abwickelt – alles mit wenigen Klicks. Der entscheidende Vorteil liegt in der nahtlosen Integration verschiedener Mobilitätsangebote. Anstatt für jeden Schritt ihrer Reiseplanung eine separate App öffnen zu müssen, haben Nutzer Zugriff auf ein gesamtes Ökosystem an Dienstleistungen. Das bedeutet nicht nur eine enorme Zeitersparnis, sondern auch eine deutlich verbesserte und intuitivere Nutzererfahrung.
Ich bin davon überzeugt, dass SuperApps das Potenzial haben, die Art und Weise, wie wir Mobilität denken und nutzen, grundlegend zu verändern. Sie ermöglichen eine ganzheitliche Betrachtung der Reisekette und können so intelligentere, effizientere und nachhaltigere Mobilitätslösungen anbieten. Beispielsweise könnte eine SuperApp basierend auf Echtzeit-Verkehrsdaten und persönlichen Präferenzen die optimale Kombination aus öffentlichen Verkehrsmitteln, Sharing-Angeboten und Fußwegen vorschlagen – und das alles unter Berücksichtigung von Faktoren wie CO2-Ausstoß oder Kosten.
Zudem sehe ich in SuperApps die Chance, die Mobilitätswende aktiv zu unterstützen. Indem sie verschiedene Verkehrsmittel intelligent verknüpfen und deren Nutzung vereinfachen, können sie einen wichtigen Beitrag zur Reduzierung des Individualverkehrs und zur Förderung nachhaltiger Mobilitätsformen leisten.
Frage 3: Welche technologischen und rechtlichen Grundlagen sind erforderlich, um SuperApps im Mobilitätsbereich erfolgreich zu implementieren?
Ismet Koyun: Die Implementierung einer SuperApp im Mobilitätsbereich ist ein komplexes Unterfangen, das sowohl technologische Innovationen als auch einen soliden rechtlichen Rahmen erfordert. Lassen Sie mich die wichtigsten Aspekte im Detail erläutern: Zunächst ist die Standardisierung von Schnittstellen und Datenformaten von entscheidender Bedeutung. Wir benötigen einheitliche APIs und Datenprotokolle, die es ermöglichen, Informationen verschiedener Mobilitätsanbieter nahtlos zu integrieren. Die IVS-Richtlinie der europäischen Union bildete hierfür eine gute Grundlage. Jüngst wurde hierzulande das Mobilitätsdatengesetz verabschiedet. Dies soll für die freie Verfügbarkeit von Verkehrsdaten, also zum Beispiel Fahrpläne, Verspätungen, aktuelle Verkehrshindernisse oder das Vorhandensein von Ladeinfrastruktur sorgen. Dies bildet eine Basis für innovative, nachhaltige Mobilitätslösungen.
Auf rechtlicher Ebene sehe ich zudem die Notwendigkeit für klare Regelungen zum Datenaustausch zwischen verschiedenen Anbietern. Hier müssen wir den Balanceakt zwischen Offenheit für Innovation und dem Schutz der Privatsphäre der Nutzer hinbekommen.
Was uns zur Implementierung robuster Datenschutz- und Sicherheitsmaßnahmen führt: Die Einhaltung der DSGVO ist dabei nur der Anfang. Wir müssen Prinzipien wie „Privacy by Design“ und „Security by Design“ von Grund auf in die Entwicklung integrieren. Das bedeutet, dass Datenschutz und Sicherheit nicht nachträglich hinzugefügt, sondern von Beginn an als zentrale Elemente der Architektur berücksichtigt werden. Konkret heißt das: Alle sensiblen Informationen, insbesondere Standortdaten und Bewegungsprofile, müssen end-to-end verschlüsselt sein. Die Integration von Bezahldiensten erfordert höchste Sicherheitsstandards und eine zuverlässige Nutzerauthentifizierung. Regelmäßige Sicherheitsaudits und Penetrationstests sind unerlässlich, um potenzielle Schwachstellen frühzeitig zu erkennen und zu beheben.
Nicht zuletzt spielen auch Aspekte wie Skalierbarkeit und Zuverlässigkeit eine wichtige Rolle. Eine SuperApp muss in der Lage sein, enorme Datenmengen in Echtzeit zu verarbeiten und dabei stets verfügbar und reaktionsschnell zu bleiben. Das erfordert fortschrittliche Cloud-Infrastrukturen und intelligente Algorithmen zur Datenverarbeitung und -analyse.
Frage 4: Welche neuen Geschäftsmöglichkeiten eröffnen sich durch die Einführung einer SuperApp im Mobilitätssektor?
Ismet Koyun: Die Einführung einer SuperApp eröffnet eine Vielzahl neuer Geschäftsmöglichkeiten, die über den traditionellen Verkehrsbereich hinausgehen. Zunächst ermöglicht eine SuperApp Mobilitätsanbietern, ihre Dienste auf einer zentralen, hochfrequentierten Plattform zu integrieren. Dies gibt lokalen und spezialisierten Anbietern Zugang zu einer breiten Nutzerbasis, was ihre Bekanntheit und Sichtbarkeit erheblich fördern kann. Mini-Apps spielen hier eine wichtige Rolle, da sie es auch kleineren Anbietern ohne eigene App ermöglichen, Teil des Ökosystems zu werden. Die Eintrittsbarrieren sind aus technischer Sicht sehr niedrig.
Darüber hinaus können Mobilitätsangebote mit anderen Dienstleistungen wie Hotelreservierungen, Restaurantempfehlungen oder Ticketbuchungen verknüpft werden. Dies eröffnet neue Chancen für Cross-Selling und integrierter Kundenerlebnisse. Zudem könnte die SuperApp mit Einwilligung der Nutzer wertvolle Einblicke in Mobilitätsmuster und Präferenzen gewinnen, die für die Optimierung von Verkehrsflüssen, die Entwicklung maßgeschneiderter Angebote und sogar die Stadtplanung genutzt werden können.
Weiterhin spielt sie eine Schlüsselrolle bei der Förderung umweltfreundlicher Mobilität, indem sie CO2-arme Routen bevorzugt oder Anreize für öffentliche Verkehrsmittel schafft. Weiterhin bietet eine SuperApp das Potenzial für Mobilitäts-as-a-Service (MaaS) Konzepte, die flexible Mobilitätsabonnements anbieten und verschiedene Verkehrsmittel in einem Paket kombinieren, was die Kundenbindung erhöht und neue Preismodelle und Serviceangebote ermöglicht.
Frage 5: Wie sehen Sie die konkreten Vorteile für Anbieter, die sich in einer SuperApp integrieren lassen?
Ismet Koyun: Die Integration in eine SuperApp bietet Anbietern im Mobilitätssektor eine Vielzahl von Vorteilen.
Besonders hervorzuheben ist die hohe Sichtbarkeit und Reichweite. Eine gut etablierte SuperApp kann Millionen von Nutzern haben – ein Publikum, das für viele Anbieter sonst unerreichbar wäre. Dies ist besonders wertvoll für lokale oder spezialisierte Dienste, die so eine Chance haben, neben großen, etablierten Playern wahrgenommen zu werden.
Zudem sparen Anbieter erhebliche Entwicklungskosten. Die Erstellung und Wartung einer eigenständigen App kann sehr kostspielig sein, insbesondere für kleinere Unternehmen. Durch die Integration in eine SuperApp entfallen diese Kosten weitgehend. Stattdessen können Anbieter ihre Ressourcen auf eine schnelle Markteinführung oder die Verbesserung ihrer Kerndienstleistungen konzentrieren.
Interessant finde ich die Möglichkeiten, die sich durch Low-Code oder No-Code-Ansätze ergeben. Diese Technologien demokratisieren die App-Entwicklung und ermöglichen es auch Anbietern ohne tiefgreifendes technisches Know-how, ihre Dienste zu integrieren und anzupassen. Das öffnet den Markt für eine Vielzahl von innovativen Ideen und Nischenanbietern, die sonst vielleicht nie den Weg in den digitalen Raum gefunden hätten.
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