Mit KI dem Verbrechen auf der Spur

Künstliche Intelligenz nimmt in der digitalen Forensik eine immer größere Rolle ein. Wie unterstützt KI die Ermittler bei ihrer täglichen Arbeit?
Interview von DIGITALE WELT – Fremd Autorschaft
13. April 2022
Interviewpartner

Jens Reumschüssel

Jens Reumschüssel ist Director of Sales DACH bei Exterro, dem führenden Anbieter von Legal-GRC-Softwarelösungen. Er verfügt über jahrzehntelange Erfahrung im B2B (Business-to-Business)- und B2G (Business-to-Government)-Vertrieb und hat in den letzten Jahren seinen beruflichen Schwerpunkt auf die digitale Forensik gelegt. Mit seiner ausgewiesenen Expertise und viel Engagement unterstützt er Strafverfolgungsbehörden, Regierungsstellen, Unternehmen und Service Provider dabei, die Herausforderungen im Bereich der Datenerfassung und -analyse zu meistern sowie alle Compliance-Vorgaben und Richtlinien.
Interviewpartner

Künstliche Intelligenz nimmt in der digitalen Forensik eine immer größere Rolle ein. Wie unterstützt KI die Ermittler bei ihrer täglichen Arbeit?  

Ob Einbruch, Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz oder Mord – fast immer sind digitale Spuren auszuwerten. Deren Verarbeitung und Analyse wird allerdings immer schwieriger, was einerseits an der riesigen Menge von Daten und andererseits an deren Komplexität liegt. Denn die Digitalisierung lässt die Informationsflut, mit der die Ermittler konfrontiert werden, nicht nur rapide anwachsen – die Daten stammen zudem auch aus den unterschiedlichsten Quellen. Das fängt bei Geräten wie Desktops, Laptops und Smartphones an, geht über E-Mail-Systeme, Netzwerke und Cloud-Dienste weiter und schließt auch Social-Media-Plattformen wie Facebook und die Kommunikation über WhatsApp ein. Die zuständigen Stellen müssen in kürzester Zeit Informationen sammeln, vorselektieren, hinsichtlich ihrer Relevanz beurteilen und schließlich zu gerichtsverwertbaren Beweisen zusammenstellen. Während sich lokale Rechner noch verhältnismäßig einfach durchsuchen lassen, sieht es bei der Cloud mit ihren Millionen Maschinen und virtuellen Instanzen schon ganz anders aus. Hinzu kommt, dass die personellen Ressourcen nicht in demselben Ausmaß zugenommen haben wie die Daten. In der Realität heißt das, die Ermittler müssen mehr Fälle in kürzerer Zeit lösen, gleichzeitig kommt es in den Laboren zu einem massiven Rückstau an zu untersuchenden Beweisen. Rechtsabteilungen, Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden sind deshalb mehr denn je zuvor auf moderne Lösungen angewiesen, die mit Hilfe Künstlicher Intelligenz das Erkennen und Aufspüren von Mustern und Anomalien automatisieren und damit die Arbeit spürbar vereinfachen.

Wo liegen die Vorteile von KI? Wie hilft sie, Ermittlungen zu beschleunigen?  

Viele identische Prozesse und riesige Datenmengen, die ausgewertet werden müssen, sind eine Paradedisziplin für Künstliche Intelligenz. In der digitalen Forensik, aber auch in allen anderen Bereichen der Legal GRC müssen alle Informationen und Beweise, unabhängig von ihrem möglichen Nutzen, untersucht werden, um ein Gesamtbild zu erhalten und einen juristisch wasserdichten Fall aufbauen zu können. Ein menschlicher Ermittler müsste sich stunden-, tage- oder wochenlang durch die zahlreiche Datenquellen mit potenziellem Beweismaterial wühlen – selbst wenn es keine Garantie gibt, entscheidende Informationen zu entdecken. KI dagegen ist in der Lage, Terabytes, ja sogar Petabytes an Informationen und Daten in nur wenigen Minuten zu durchsuchen, False-Positive-Meldungen herauszufiltern und einen viel besseren Einblick in Trends und Korrelationen zwischen Datensätzen zu geben. Mit KI lassen sich dabei hypothetische Was-wäre-wenn-Szenarien erstellen, die Aufschluss über mögliche Absichten eines Kriminellen oder ein Fehlverhalten geben, die ansonsten vielleicht nicht erkannt worden wären. Gleichzeitig weisen in der digitalen Forensik viele Prozesse die gleichen Phasen der Beweismittelverarbeitung und -überprüfung auf, so dass es relativ einfach ist, sie zu replizieren. Das reicht in der einfachsten KI-Ausprägung von der Übersetzung fremdsprachiger Dokumente bis hin zu der Klassifizierung, dem Erkennen und Einordnen ähnlicher Objekte. Grundsätzlich gilt: Immer dort, wo manuelle und damit zeitaufwändige Analysen für die Auswertung von Daten oder die Mustererkennung notwendig sind, sparen KI-gestützte Lösungen Ressourcen ein und erhöhen die Aufdeckungsrate. Denn während Menschen ermüden oder abgelenkt werden können, was zu Fehlern und der Notwendigkeit von Korrekturen führt, wird KI nie müde – egal, wie monoton oder zeitaufwändig die Aufgabe auch sein mag.

Können Sie uns ein konkretes Beispiel für den Einsatz von KI geben? Wo und wie erleichtert sie die Arbeit der Ermittler?

Ein KI-Beispiel ist Deep Learning. Diese Unterkategorie des maschinellen Lernens beschreibt eine Lernmethodik auf Basis von sogenannten künstlichen neuronalen Netzen. Grundlage sind dabei statistische Datenanalysen und kein deterministischer Algorithmus. Damit findet Deep Learning immer dort seinen Einsatz, wo keine klar definierten Regeln existieren, etwa in der Bildverarbeitung oder der Spracherkennung. Moderne Lösungen für die digitale Forensik nutzen etwa für das Smart Labeling – also die intelligente Datenkennzeichnung – fortschrittlichste Methoden aus dem Bereich des Deep Learning und der Verarbeitung natürlicher Sprache, dem Natural Language Processing. Statt zu trainieren, lernt das System auf eine Art und Weise, die die Funktionen des menschlichen Gehirns nachahmt, indem es Muster in Wörtern, Satzstrukturen, aber auch Bildern und Videos erkennt, um zu verstehen, welche Beweise relevant sind und diese dann mit Etiketten versieht. So ist sichergestellt, dass die Ermittler oder Prüfer die Informationen, die je nach definierter Kategorie am relevantesten sind, auch erhalten. Neural Machine Translation, das Übersetzen mittels neuronaler Netzwerke, ermöglicht es wiederum, fremdsprachige Dokumente schnell und sicher zu suchen, zu identifizieren und zu übersetzen, ohne den Prüfungsablauf zu unterbrechen. Und Entity Recognition, also die Identifizierung und Klassifizierung von Begriffen in Texten, stellt sicher, dass beispielsweise falsche Schreibweisen von Namen erkannt werden. Künftig wird sich allerdings die Texterkennung immer stärker in Richtung einer Sinnerkennung verlagern. Das heißt, die KI erkennt beispielsweise in einem Chat worüber gesprochen wird, ohne dass vorab definierte Schlüsselwörter vorkommen.

KI alleine dürfte nicht der Heilsbringer sein – welche Punkte sind aus Ihrer Sicht wichtig, damit eine digitale Lösung den Ermittlern ihre Arbeit erleichtert?

In der Regel arbeiten an einem Fall die unterschiedlichsten Experten und Behörden zusammen. Alle auf dem gleichen Stand zu halten und die Datensicherheit und -integrität zu gewährleisten, ist eine schwierige Aufgabe. Eine moderne Lösung für digitale Forensik muss deshalb immer webbasiert sein, sodass eine standortunabhängige Zusammenarbeit möglich ist und alle auf dieselbe Falldatei Zugriff haben, auch wenn die Arbeitsschritte je nach Zuständigkeit aufgeteilt sind. Welche Informationen für Forensiker, Ermittler und externe Beamte dabei jeweils einsehbar sind, wird mittels einer modernen, granularen Zugangsverwaltung kontrolliert. Gleichzeitig schützen Sicherheitsverfahren wie Verschlüsselung vor Cyberangriffen, sodass sich niemand Sorgen über kompromittierte Daten machen muss. Da zudem nur die wenigsten Ermittler im Team über tiefergehendes technisches Hintergrundwissen verfügen, ist eine intuitive Benutzeroberfläche, die sich an gewohnten Designs orientiert, wichtig. So können alle an der Untersuchung Beteiligten bis hin zum Staatsanwalt sofort und ohne aufwändige Schulung mit der Lösung arbeiten.

Eine letzte Frage: Wo geht die KI-Reise hin? Werden wir in Zukunft einen virtuellen Ermittler haben, der den echten ersetzt?

Nein, an der Schnittstelle zur realen Welt ist der Mensch nicht zu ersetzen. Obwohl KI ein sehr nützlicher Assistent bei der Identifizierung und Auswertung relevanter Daten ist, kann sie eine Untersuchung natürlich nicht leiten. Ohne Interaktion zwischen dem Algorithmus und dem Ermittler wird es zu keinem erfolgreichen Abschluss eines forensischen Falls kommen. Eine starke KI, die wirklich eigenständig Ermittlungen leitet, ist noch nicht einmal ansatzweise in Sicht. Und es stellt sich auch die Frage, ob wir eine solche Super-KI, die sich vielleicht nicht mehr kontrollieren lässt, überhaupt wollen. Allerdings entwickeln sich die KI-Möglichkeiten in der digitalen Forensik kontinuierlich weiter – mit dem Ziel, den forensischen Teams mehr wertvolle Zeit für die eigentliche Untersuchung zu geben.

Interview geführt durch:

Extern geführte und eignereichte Experten-Interviews rund um unsere Themenschwerpunkte. DW prüft und untersagt werbliche Inhalte, nimmt sonst aber keine redaktionellen Korrekturen oder Eingriffe vor.

Um einen Kommentar zu hinterlassen müssen sie Autor sein, oder mit Ihrem LinkedIn Account eingeloggt sein.

26283

share

Artikel teilen

Top Artikel

Ähnliche Artikel