Digitalisierung neu denken – Corona verändert die Strategien

Von   Marco Schmid   |  Head of International Expansion Strategy   |  Swisscom Trust Services
2. September 2020

Die globale Pandemie wirkte wie ein großer Katalysator für die Digitalisierung von Unternehmen. Langsam sind wir aber an einem Punkt angekommen, an dem sich die Prioritäten der Digitalisierung verschieben. Zunächst standen interne Prozesse im Fokus, wie die Umstellung auf Homeoffice. Nun geht es darum, die eigenen Geschäftsmodelle nachhaltig zu digitalisieren. Marco Schmid, Head of International Expansion Strategy bei Swisscom Trust Services, wirft einen Blick auf diese Entwicklung und zeigt, wie Unternehmen Hürden für ihre Kunden vermeiden können.
Die letzten Monate haben die Welt für viele Menschen aber auch Unternehmen regelrecht auf den Kopf gestellt. Selbst dort, wo Videokonferenzen noch vor einem Jahr kritisch beäugt wurden, wird heute ganz selbstverständlich geskypt oder gezoomt. Gezwungenermaßen erfuhr so die Digitalisierung einen regelrechten Kickstarter-Effekt, auch in Firmen, wo sie bisher noch kaum gelebt wurde. Vor die Entscheidung gestellt, entweder digital zu arbeiten oder gar nicht mehr, fiel die Wahl leicht. Bedenkt man diesen Booster, muss man bisherige Digitalisierungsstrategien eventuell überdenken und an einem neuen Niveau ansetzen. Dabei ist natürlich immer auch zu berücksichtigen, dass es in absehbarer Zeit keine vollständige Rückkehr zum Vorkrisenzustand geben kann und wird. Und in technologischer Hinsicht wird das vermutlich nie passieren – weil sich die Vorteile der neuen Methoden klar gezeigt haben.

Eine Zäsur für die digitale Entwicklung

Die Corona-Pandemie bedeutet zuallererst massive Einschränkungen für alle von uns – im privaten wie im beruflichen Bereich. Doch dabei darf man nicht übersehen, dass uns heute so mächtige Werkzeuge zur Verfügung stehen wie noch nie. Vor 30 Jahren wäre es undenkbar gewesen, ein ganzes Büro binnen Tagen auf Heimarbeit umzustellen. Heute diskutieren wir gar nicht mehr, ob das möglich ist, sondern wie gut einzelne Firmen diese Umstellung bewältigt haben. Der unglaubliche Fortschritt in der Digitalisierung, den die letzten Jahrzehnte mit sich brachten, ist in der aktuellen Situation von enormem Wert. Nur dadurch gelingt es, den Spagat zwischen Infektionsschutz und Business Continuity zu schlagen. Natürlich, das muss man zugeben, gelingt das Unternehmen, die schon lange ein digitales Mindset haben, wesentlich besser. Doch auch eher traditionell eingestellte Firmen entdecken nun die Vorteile digitaler Arbeitsweisen – auch über den Business-Continuity-Aspekt hinaus.

Viele Berufstätige kennen solche Situationen: Termine außer Haus kommen oft zu den ungünstigsten Zeitpunkten und die Geschäftsreise tritt man dann unwillig und unter Stress an. Das alles nur, weil Gepflogenheiten und/oder die Unternehmenskulturen ein persönliches Treffen verlangen. Dank Videoconferencing wird hier aktuell viel Reisezeit eingespart (wie auch Geld und CO2) und man kann davon ausgehen, dass Unternehmen in Zukunft viel genauer nachdenken werden, wann persönliche Meetings wirklich nötig sind. Gleiches gilt auch für viele Pendler, die froh um die neuen Homeoffice-Angebote sind. Andere können es wiederrum kaum erwarten, endlich ins Büro zurückzukehren, darum wird die Zukunft flexiblen Arbeitsmodellen gehören – aber das ist ein anderes Thema.

Vor dem Hintergrund der aktuellen Situation eröffnet sich für viele Unternehmen zum ersten Mal ein Blick auf die Vorteile vollständig digitalisierter Prozesse. Wo viele bisher lange an Stift und Papier festhielten, weil sie sowieso im Büro waren, merken sie jetzt, wie viel effizienter es wäre, wenn sämtliche Dokumente bereits digitalisiert zur Verfügung stehen und anhand entsprechender Tools in wenigen Mausklicken weiterverarbeitet werden können. Auch die Vorteile von Cloud-Anwendungen und dem Remote-Zugriff auf wichtige Unternehmensdateien erschließen sich Verantwortlichen und Arbeitskräften nun gleichermaßen.

Von kurzfristigen Krisenmaßnahmen zur langfristigen Transformation

Der harte Bruch, den wir alle im Arbeitsalltag erlebt haben, hat auch die Prioritäten bei Digitalisierungsstrategien verschoben. Digitale Arbeitsmodelle sind von einen Nice-to-Have zum Must-Have geworden. Vor der globalen Corona-Pandemie wurde das in einigen Branchen noch eher stiefmütterlich behandelt. Es gab digitale Unternehmen und andere. Nun mussten aber auch „analoge“ Unternehmen umdenken, um ihre Produktivität am Laufen zu halten. Bedenken, die oft gegen Homeoffice vorgebracht wurden, hat die Praxis dabei weitgehend ausgeräumt: Mit dem Abklingen der ersten Welle konsolidiert sich die Situation. Unternehmen sehen nun, dass Mitarbeiter auch von zuhause produktiv sein können, gleichzeitig kehren Belegschaften langsam und unter Auflagen wieder zurück an den Schreibtisch. Im Angesicht der ungewissen wirtschaftlichen Zukunft, werden Digitalisierungsmaßnahmen aktuell immer stärker ausgelotet.

Jetzt beginnt allerdings auch eine neue Phase. Anfangs ging es darum, die eigenen Prozesse aufrecht zu erhalten – eine innere Digitalisierung, wenn man so will. Nun rückt vermehrt die Beziehung nach außen in den Fokus. Denn nicht nur die Arbeit hat sich verändert. Die vergangenen Monate haben auch bei den Verbrauchern einen tiefgreifenden Eindruck hinterlassen. So kamen beispielsweise Kunden zum Online-Shopping, die vorher skeptisch waren. Haben sie einmal die Vorteile erkannt, ist es sehr wahrscheinlich, dass sie diesen Kanal auch weiterhin nutzen. Außerdem ist die Pandemie längst noch nicht überstanden, viele Menschen machen sich im öffentlichen Raum immer noch Sorgen, andere wiederrum fühlen sich durch Maskenplicht und Betretungsbeschränkungen in Geschäften gestört und bestellen daher lieber online. Aber es bleibt nicht nur beim Einkaufen, in allen möglichen anderen Bereichen wurden aus physischen digitale Aktionen, Veranstaltungen oder Events – man denke etwa an Konzerte und Vorlesungen, die über Videokonferenz abgehalten wurden oder Museen, die digitale Rundgänge anbieten. Digitale Endgeräte entwickeln sich dabei mehr als ohnehin schon zum Fenster in die Welt.

Damit steigt allerdings auch der Anspruch der Kunden. Ist „Online“ nicht mehr einer von vielen, sondern der Touchpoint mit einer Marke, dürfen sich Unternehmen hier keine Fehler mehr erlauben. Kunden erwarten ein reibungsloses Erlebnis. Angebote wie Amazons One-Click-Bestellungen oder PayPal haben hier die Latte extrem hochgelegt. Neben technischen Hürden stehen der nahtlosen Customer Experience aber auch noch Regularien im Wege. Es ist Verbrauchern schwer zu vermitteln, dass sie heute eigentlich alles im Internet bekommen, aber ausgerechnet zur Eröffnung eines Kontos bei einer Online-Bank doch wieder aus dem Haus müssen. Müssen Sie wirklich? Nein, denn mit der qualifizierten elektronischen Signatur verfügen wir heute über ein Verfahren, das der händischen Unterschrift rechtlich gleichgestellt ist. Genau darum geht es schließlich beim Beispiel Kontoeröffnung: Die eigene Identität zweifelsfrei nachzuweisen.

Auch im Business-Kontext gibt es Beispiele, wo Unterschriften für unnötige Reibung sorgen. Besonders eindrucksvoll ist etwa dieses Beispiel aus Japan: Traditionelle Stempel (Hanko) mit Schriftzeichen nehmen dort die Rolle der Unterschrift ein. Besondere Bedeutung haben die Stempel von Firmen, wer im Besitz des entsprechenden Hanko ist, kann Rechtsgeschäfte im Namen des Unternehmens tätigen. Daher werden diese Stempel normalerweise in gesicherten Safes im Büro aufbewahrt. In Zeiten von Corona wurde das zu einem echten Problem, sodass sogar der Ministerpräsident intervenieren musste [1] und Behörden dazu aufforderte, Anträge auch ohne Stempel anzunehmen. Damit geht allerdings auch ein Stück Sicherheit verloren. Für uns als Europäer mag das System der Stempel zunächst absurd anmuten, denkt man aber genauer darüber nach, ist unser System der Unterschrift in einer ansonsten digitalen Welt nicht weniger absurd. Mit der qualifizierten elektronischen Signatur steht uns ein moderner Ersatz für beide zur Verfügung, mit dem wir nun wirklich sämtlichen Schriftverkehr digitalisieren können und damit Reibung in der Customer Experience abbauen.

Fazit

So wie Unternehmen nun verstärkt ausloten, ob eine aufwändige Geschäftsreise nicht zugunsten einer Videokonferenz abgesagt wird, sinkt auch die Bereitschaft in der Bevölkerung, unnötige Wege zurückzulegen und analoge Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen, die nicht mehr zeitgemäß sind. Für Unternehmen bedeutet das, ihre Dienstleistungen ohne unnötiges Infektionsrisiko und zunehmend digital an die Kunden zu bringen, um der neuen Erwartungshaltung gerecht zu werden. Gleichzeitig gilt es aufgrund des zu erwartenden wirtschaftlichen Drucks, Effizienzgewinne in allen Bereichen zu erzielen. Kundenservice, Beratungsgespräche, Amtsbesuche und Vertragsabschlüsse wären beispielsweise dafür geeignet, von persönlichen Interaktionen auf digitalisierte Abläufe umzustellen. Auf diese Weise gehen Innovation und Gesundheit Hand in Hand.

 

Quellen und Referenzen:

[1] https://www.nzz.ch/international/coronavirus-das-ende-des-traditionellen-stempel-in-japan-ld.1554996?mktcval=fbpost_2020-05-12&mktcid=smch

 

ist Head of International Expansion Strategy bei Swisscom Trust Services, einem Tochterunternehmen des führenden Schweizer Telekommunikationsunternehmens.

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