Digitale Vermarktungsstrategien in einem nachhaltigkeitsbewussten B2B-Umfeld

Das Einkaufsverhalten von B2B-Kunden wird zunehmend digitaler – und nachhaltigkeitsbewusster. Wer sich nicht an die neuen Kundenanforderungen anpasst, wird im Markt untergehen. Wer Digitalisierung und nachhaltiges Wirtschaften als Chance erkennt und umsetzt, schafft top Content für die Vermarktung, stärkt die eigene Marke – und übernimmt als Unternehmen gesellschaftliche Verantwortung.
Von   Eckhart Hilgenstock   |  Inhaber   |  Hilgenstock - Struktur fürs digitale Geschäft
  Achim U. Krieger   |  Vorstandsvorsitzender   |  ImCoNeo
17. Februar 2023

Unsere Welt verändert sich – und mit ihr das Konsumverhalten von End- und Geschäftskunden. Einerseits wird alles digitaler: Laut Gartner Report „Future of Sales 2025“ verlagern sich Kundeninteraktionen zunehmend auf digitale Kanäle. B2B-Kunden verbringen nur noch 17 Prozent des gesamten Kaufprozesses im direkten Kontakt mit der Verkäuferseite. 44 Prozent der Millennials im Einkauf bevorzugen sogar überhaupt keine direkte Interaktion mehr mit Verkäufern.

Gleichzeitig werden auch Nachhaltigkeitskriterien für die Kundenseite immer wichtiger. Das zwingt die Anbieterseite zum Handeln: Immer mehr Unternehmen gewinnen Kunden oder neue Mitarbeitende, weil sie gemeinwohl-zertifiziert handeln und entsprechende Projekte mit rein sozialen Zielen durchführen. In der Automobil-Branche gibt es fast keine Investitionen mehr ohne ESG-konformes Verhalten und Reporting. Auch in Auftragsausschreibungen wird Nachhaltigkeit zunehmend in die Bewertung der Ausschreibung einbezogen.

In der Studie „Der moderne B2B-Einkauf“ des IFH Köln geben 68 Prozent der befragten Unternehmen an, auf einen möglichst geringen CO2-Abdruck bei der Online-Beschaffung zu achten. Für 86 Prozent stellen nachhaltige Lieferketten und faire Arbeitsbedingungen einen Wettbewerbsvorteil dar. B2B-Kunden werden also zunehmend digitaler und nachhaltigkeitsbewusster. Was bedeuten diese Trends für Unternehmen und deren Vertriebsstrategien?

Vorreiter, Nachahmer und Nachzügler

Eine Antwort lautet: Verantwortliche müssen diese Trends ernstnehmen, digitaler werden und Nachhaltigkeit in ihr unternehmerisches Handeln integrieren. Dafür sollten sie ihren digitalen Reifegrad und ihren ökologischen Fußabdruck kennen, um klare Handlungsfelder zu identifizieren. Der technologische Wandel schreitet unaufhaltbar voran und vergrößert die Schere zwischen Vorreitern, frühen Nachahmern und späten Nachzüglern. Für die Vorreiter bedeutet „Digitalisierung“ vor allem: Extended Reality (XR), virtuelle Showrooms, Remote Services und Konfiguration an Digitalen Zwillingen. Für die Nachzügler bedeutet „Digitalisierung“ dagegen: PDF statt Drucker und E-Mail statt Fax. Je nach digitalem Reifegrad haben Unternehmen also unterschiedliche Handlungsfelder zu bearbeiten.

Die digitalen Nachzügler sollten dringend ihre Hausaufgaben machen und überlegen: Wie können auch wir Digitalisierung gewinnbringend nutzen? Die Chance dabei: Sie können wichtige aktuelle Themen wie Nachhaltigkeit und umweltschonendes Wirtschaften direkt in ihre Digitalstrategie einbeziehen. Das spart Zeit und Kosten, die andere Unternehmen erst einmal wieder reinholen müssen. Für digitale Vorreiter und Unternehmen, die ihre digitalen Hausaufgaben bereits gemacht haben, gilt: Die Vermarktungsstrategien müssen zunehmend und nachhaltig auf das veränderte Bewusstsein der Kunden angepasst oder erweitert werden.

Walk the Talk!

Beim Thema Nachhaltigkeit gilt heute mehr, denn je: Verantwortliche sollten ihre Vertriebsstrategien ganzheitlich betrachten. Dazu gehört, die Reputation und die Marke des Unternehmens langfristig zu stärken. Somit beginnt Vertrieb schon in der Supply Chain. Angefangen mit den Fragen: Woher kommen die Produkte? Wie umweltschonend ist der Herstellungsprozess? Wie fair sind die Lieferketten? Und wie nachhaltig sind die Zulieferer und Logistikpartner? Die Zeiten sind längst vorbei, in denen Unternehmen sich auf ihren Websites mit leeren Nachhaltigkeitsversprechen ein grüneres Image verpassen konnten, um mehr Umsatz zu generieren.

Heute ist Transparenz in allen Bereichen und damit auch rund um die Aktivitäten der Nachhaltigkeitsarbeit entscheidend. Dabei gilt: Lieber direkt offenlegen, wo noch Handlungsbedarf herrscht, als Defizite zu verschleiern. Kunden sind nicht dumm: Sie verstehen, dass ein Unternehmen nicht von heute auf morgen einen ökologischen Fußabdruck von null Prozent haben kann. Was sie aber erwarten: Dass Unternehmen transparent darstellen, welche Maßnahmen sie bereits umsetzen, um auf die null Prozent zuzugehen. Das müssen alle Beteiligten vorleben und nach außen tragen.  Von der elektrischen Fahrzeugflotte, zu intelligent genutzter Abwärme, über grüne Stromquellen bis hin zu umweltschonenden Herstellungsprozessen und sozialer Verantwortung: Unternehmen und ihre Mitarbeitenden müssen zeigen, dass sie es ernst meinen!

Apple nutzt z. B. zunehmend recycelte Materialen für seine Geräte und möchte bis 2030 CO2-neutral werden. Dell Technologies möchte bis 2040 in allen Niederlassungen 100 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energiequellen beziehen. Mercedes hat eine strenge Lieferanten-Richtline entwickelt, die die Arbeitsbedingungen, die Einhaltung der Menschenrechte, Umwelt und Sicherheit sowie Geschäftsethik und Compliance der Geschäftspartner umfasst. Und der Maschinenbauer Liebherr entwickelt innovative Konzepte für Containerschiffe mit elektrischen Segeln.

Erfolgsfaktoren in der Vertriebsstrategie

All diese Aspekte zahlen in die Markenwahrnehmung ein und stellen einen Wert für den Vertrieb dar. Wenn sich das Einkaufsverhalten auf Kundenseite verändert und Umweltschutz bei der Herstellung sowie soziale Gerechtigkeit in der gesamten Supply Chain zunehmend zu Entscheidungskriterien werden – dann muss die Anbieterseite mitziehen und diese Kriterien umsetzen. Nur so werden sie noch als relevant wahrgenommen. Das bietet einige Chancen. Die Erfolgsfaktoren einer zeitgemäßen Vertriebsstrategie umfassen drei Stellschrauben, die miteinander verzahnt sind:

Stellschraube 1: Mehrwert durch Digitalisierung:

Verantwortliche sollten sich fragen, wie sie die Customer Experience (CX) über die gesamte Customer Journey hinweg verbessern können. Dafür sollten sie klar analysieren: Was sind die relevanten Vertriebskanäle? Wie können sie bespielt werden? Welche Technologien können eingesetzt werden, um einen zusätzlichen Mehrwert über diese Kanäle zu bieten? Das kann für manche Unternehmen ein intelligenter Chatbot sein, für andere ein virtueller Konfigurator und VR-Simulator – und für wieder andere digitale Servicelösungen wie remote Maintenance. Wichtig ist: Die Investition in digitale Technologie muss für B2B-Kunden einen spürbaren Mehrwert bieten. Nur unsichtbare interne Prozesse im Hintergrund zu optimieren, reicht nicht aus.

Stellschraube 2: Mehrwert durch Nachhaltigkeit

Der Begriff „Nachhaltigkeit“ bezieht sich um Unternehmenskontext auf die Frage: Wie können wir effizienter und schonender mit Ressourcen, dem Kapital und den Menschen umgehen? Anbieter sollten ihren gesamten Product Lifecycle nachhaltiger gestalten – auch mithilfe digitaler Tools. Und selbst bei digitalen Anwendungen stellt sich die Frage: Geht das auch schonender? Unter den Programmiersprachen verbrauchen z. B. Python und Perl die meiste Energie. Hier könnten sich Entwickler fragen: Können wir Alternativen verwenden? Auch für Vertrieb und Vermarktung finden sich klare Handlungsfelder: So kann KI-gestützte Hyperpersonalisierung dafür sorgen, dass Kunden Produkte schneller finden – und dadurch weniger Zeit und Strom bei der Suche verbrauchen.

Mithilfe digitaler Technologie wie Virtual Reality (VR) oder Augmented Reality können ganze Prozessschritte übersprungen werden, was ebenfalls Ressourcen schont und Kunden eine solide Entscheidungsgrundlage bietet. Z. B. können sie mit VR völlig ortsunabhängig virtuelle Showrooms der Anbieterseite betreten und digitale Zwillinge der Produkte testen. Stellen Sie sich, wie das Kundenunternehmen aus Brasilien seinen ökologischen Fußabdruck verringert, wenn es Produkte des deutschen Anbieters im virtuellen Raum testen kann – anstatt mehrmals zum Standort fliegen zu müssen. Ein klarer Mehrwert!

Stellschraube 3: Erfolgsmessung nach gemeinwohlökonomischen Kriterien

Die Veränderungen des Einkaufsverhaltens machen auch neue Ansätze in der Erfolgsmessung von Vertriebsaktivitäten erforderlich. Anstatt allein Wachstumszahlen wie Umsatz, Kundenstamm oder verkaufte Produkte als Messgrößen zu definieren, sollten Verantwortliche auch die Metaebene betrachten: Unternehmen müssen gesellschaftliche Verantwortung übernehmen. Die maximale finanzielle Rendite darf nicht der einzige Treiber wirtschaftlichen Handelns sein. Ebenso wichtig ist das Interesse des Gemeinwohls, denn: Gesellschaftlicher Wohlstand bedeutet nicht nur ein hohes BIP, sondern auch soziale Gerechtigkeit, Gleichberechtigung, Diversity, sauberes Wasser, saubere Luft und Sinnhaftigkeit für wirtschaftliches Handeln. Das sind KPIs, die Unternehmen ebenfalls messen sollten, und, die auch für das Reporting an Finanzpartner immer wichtiger werden. Hierzu ist es z. B. hilfreich, sich die Gemeinwohl-Matrix als Checkliste oder Leitbild heranzuziehen – und in das eigene Handeln einzubeziehen:

Grafik: <https://germany.ecogood.org/tools/gemeinwohl-matrix/>

Bild: Die Gemeinwohlmatrix. © Wirtschaftsmodell der Gemeinwohlökonomie. Quelle: https://germany.ecogood.org/tools/gemeinwohl-matrix/ (Lizenz : CC-BY-SA).

Die neue Rolle des Verkaufsberaters

Das zunehmend digitale Einkaufsverhalten verbreitet bei so manchen Vertriebsmitarbeitenden Sorgen: „Werden wir nicht mehr gebraucht?“ Die klare Antwort lautet: Doch! Wer im Vertrieb arbeitet, wird nicht obsolet. Allerdings verändert sich die Rolle des Vertriebspersonals. Klassische Verkaufsberatung und direkte Interaktion findet, wenn überhaupt, eher am Ende des Entscheidungsprozesses der Kunden statt. Die neue Aufgabe der Vertriebsteams besteht zunehmend im Monitoring einer einwandfreien digitalen Customer Experience und in der Beratung zu ganz spezifischen Kundenfragen.

Der Vertrieb muss ein tiefgreifendes Verständnis der Kundenbedürfnisse haben und in der Lage sein, die richtigen Lösungen anzubieten. Mitarbeitende im Vertrieb benötigen die Fähigkeit, Dienstleistungen digital zu präsentieren und zu verkaufen. Sie müssen dafür sorgen, dass die Online-Interessenten schnell die passenden Inhalte und Informationen finden, nach denen sie suchen: Nachhaltigkeitsberichte, Produktinformationen, Grafiken und Videos über Herstellungsprozesse oder Test-Zugänge zum virtuellen Showroom. Dafür müssen Vertrieb und Marketing näher zusammenrücken und gemeinsam eine digitale Content-Strategie erarbeiten.

Fazit: Neue Chance für den Vertrieb!

Die sich wandelnde Wirtschaftswelt und das neue Kundenverhalten bieten Unternehmen im Vertrieb enorme Chancen, Marktanteile neu zu verteilen. Wer den wirtschaftlichen Fokus auch auf das Gemeinwohl verlagert und es damit ernst meint, schafft starke Argumente für Mitarbeitende und für die Kundenseite – und kreiert guten Inhalt für die digitale Vermarktungsstrategie. Menschenwürde in der Zulieferkette, Solidarität, Gerechtigkeit, Transparenz, Mitentscheidung sowie ökologische Nachhaltigkeit sind gute Möglichkeiten, die Welt ein Stückchen besser zu machen – und sich am Markt durchzusetzen.

Eckhart Hilgenstock ist Interim Executive, international erfahrener Berater und Coach. Als Digital Transformation Manager führt er Unternehmen durch den Wandel, und strukturiert Prozesse hin zu einem gewinnbringenden Business Rhythmus. Mehr Infos: www.hilgenstock-hamburg.de

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