Digitale Etikette: Welchen Mehrwert sie für Menschen, Unternehmen und die Gesellschaft hat

Im Laufe der Jahrhunderte haben Menschen gelernt, sich auf bestimmte Weise zu verhalten, um auf ein vorhersehbares Muster in ihrer Lebenswelt zu reagieren. Denn unsere biologische Uhr ist rhythmisch und darauf ausgelegt, nach diesen vorhersehbaren Aktionen zu funktionieren.
Von   Lax Gopisetty   |  Vice President, Global Practice Head for Microsoft Business Applications & Digital Workplace Services   |  Infosys
26. Mai 2023

Im Laufe der Jahrhunderte haben Menschen gelernt, sich auf bestimmte Weise zu verhalten, um auf ein vorhersehbares Muster in ihrer Lebenswelt zu reagieren. Denn unsere biologische Uhr ist rhythmisch und darauf ausgelegt, nach diesen vorhersehbaren Aktionen zu funktionieren.

Mit dem Einzug technologischer Innovationen wurden diese Muster jedoch obsolet. Denn die Erwartungshaltung, immer digital „on“ zu sein, hat die Art und Weise, wie Menschen funktionieren, kommunizieren, Kontakte knüpfen, Beziehungen aufbauen, arbeiten und leben, erheblich verändert. Dabei kristallisieren sich zwei entscheidende Faktoren heraus, die unseren gewohnten Lebensstil auf den Kopf stellen: zum einen die Notwendigkeit, immer erreichbar zu sein (beruflich und privat), und zum anderen die Angst, etwas zu verpassen, umgangssprachlich unter dem Begriff FOMO (fear of missing out) häufig anzutreffen. Zusammen führen diese beiden Faktoren zu einer digitalen Müdigkeit, die sich auf alle Aspekte unseres Lebens auswirken kann.

In Beziehungen kann der Druck, eine perfekte Online-Präsenz aufrechtzuerhalten, zu Vergleichen führen, die Neid und Ängste hervorrufen und persönliche Beziehungen belasten. Am Arbeitsplatz kann dies zu verminderter Produktivität oder Kreativität und zu einer Verschlechterung der psychischen Gesundheit führen. Laut Eurostat gaben im Jahr 2020 44,6 Prozent der Erwerbstätigen an, dass ihr psychisches Wohlbefinden bei der Arbeit gefährdet ist. In Bezug auf das soziale Gefüge kann sich die digitale Müdigkeit auf die Fähigkeit auswirken, Beziehungen aufzubauen und zu pflegen.

Um sicherzustellen, dass die Technologie ein Werkzeug ist, um unser Leben zu verbessern, zu erweitern und neue Potenziale freizusetzen, und nicht unser Leben beherrscht, ist ein Balanceakt erforderlich. Unternehmen, Menschen und die Gesellschaft müssen gemeinsam daran arbeiten, ein Gleichgewicht zwischen Arbeit, Leben und Technologie zu schaffen. Wenn dies geschieht, wird die digitale Müdigkeit durch eine digitale Etikette ersetzt. Und dabei geht es nicht um eine Reihe von Regeln und Richtlinien, die das angemessene Verhalten bei der Kommunikation und Interaktion mit anderen über digitale Plattformen regeln. Es geht vielmehr darum zu verstehen, wie man digitale Technologien für ein besseres Leben, Arbeit, Gesellschaft und menschliches Ökosystem nutzen kann.

Digitale Etikette und Unternehmen

In früheren Zeiten waren Arbeit und Privatleben ausdrücklich durch Geografie, Zeit und soziale Konstruktionen getrennt. Heute können Menschen dank entsprechender Technologien von jedem Ort und mit jedem verfügbaren Gerät arbeiten, was dem Einzelnen mehr Freiheit und Kreativität gibt. Die Kehrseite ist jedoch eine wachsende Abhängigkeit vom Bildschirm und das ständige Wechseln zwischen digitalen Kanälen, um ungeschriebene Erwartungen hinsichtlich einer schnellen Reaktionsfähigkeit zu erfüllen.

Zusammenfassend sagt Gartner, dass Disruption nicht per se gut oder schlecht ist. Sie kann als Chance oder als Bedrohung gesehen werden. Der Einzelne sollte Tools nach eigenem Ermessen einsetzen und Technologien priorisieren, um persönliche oder berufliche Beziehungen auszugleichen. Am Arbeitsplatz nutzen Mitarbeiter heute Technologie, um in Verbindung zu bleiben und den Alltag zu bewältigen. Diese zunehmende Abhängigkeit von der Technologie hat jedoch auch zu einem sprunghaften Anstieg des Burnout bei Mitarbeitern geführt. Eine Deloitte-Umfrage ergab, dass über 24 Prozent der Befragten von der Anzahl der Geräte und Abonnements, die sie verwalten müssen, überfordert sind. Diese digitale Ermüdung kann zu einer Reihe von Problemen führen, zum Beispiel verringerte Produktivität, zunehmende Ängste und ein Mangel an Motivation und Engagement.

Um dem entgegenzuwirken, empfiehlt Forrester, dass Unternehmen bei der digitalen Transformation einen menschenzentrierten Ansatz verfolgen sollten, bei dem die Bedürfnisse und Erfahrungen des Einzelnen im Vordergrund stehen. Die Gestaltung digitaler Erlebnisse, die intuitiv und einfach zu nutzen sind und sich auf das Erreichen bestimmter Ziele konzentrieren, wird unser digitales Leben erleichtern. Unternehmen können dazu beitragen, indem sie eine Kultur der flexiblen Work-Life-Technology schaffen und pflegen. In dieser sind bestimmte Arbeitszeiten und die Einschränkung oder Unterbindung der Kommunikation nach Feierabend definiert und festgelegt. Sie können ihre Mitarbeiter ermutigen, regelmäßig Pausen von der Technologie zu machen – wie ein kurzer Spaziergang oder Dehnungsübungen. Das Angebot flexibler Arbeitsregelungen, wie Remote Work, flexible Arbeitszeiten oder Jobsharing, um die Arbeitsbelastung zu bewältigen, kann Stress reduzieren. Vorgesetzte sollten eine positive Arbeitskultur fördern, die offene Kommunikation, Zusammenarbeit und Teamwork begünstigt. Und schließlich sollte jeder seiner psychischen Gesundheit Priorität einräumen und Ressourcen wie Beratung oder gesunde Praktiken in Anspruch nehmen.

Die Gesellschaft kann ebenfalls ihren Beitrag dazu leisten, die digitale Müdigkeit zu verringern und ein gesundes Gleichgewicht zwischen dem digitalen und dem Offline-Leben zu fördern. Zu nennen sind hier insbesondere Aktivitäten wie die digitale Kompetenz zu fördern, zu Pausen von der Technologie zu ermutigen, Grenzen zu setzen sowie Achtsamkeit zu fördern wie auch Interaktionen von Angesicht zu Angesicht.

Ein Balanceakt zwischen Individuum, Digital und der Gesellschaft

Unternehmen, Einzelpersonen, politische Entscheidungsträger und die Gesellschaft tragen Verantwortung für den Umgang mit der digitalen Etikette. Der Einzelne sollte auf seine digitalen Gewohnheiten achten, sein digitales Arbeitspensum reduzieren und der Selbstfürsorge Vorrang einräumen. Sie müssen sich über ihre Rechte und Pflichten in der virtuellen Welt informieren und die notwendigen Sicherheitsmaßnahmen und ethischen Praktiken ergreifen, um Risiken zu minimieren und Chancen zu maximieren.
Gleichzeitig sollten Unternehmen sich engagieren, ein Arbeitsumfeld zu schaffen, das das Wohlbefinden der Mitarbeiter fördert und angemessene Ressourcen und Unterstützung bereitstellt. Sie müssen neue Wege der Produktivitätsmessung definieren, anstatt sich auf die digitale Präsenz oder Reaktionsfähigkeit zu konzentrieren. Indem sie sich für Flexibilität einsetzen, fördern sie ein gesundes Gleichgewicht zwischen Privatleben und Arbeit.

Die Gesellschaft kann zum Fundament für den Wandel werden, indem sie die digitale Kompetenz fördert und Grenzen schafft, um Cybermobbing und Cyberkriminalität zu verhindern. Gemeinsam können alle Beteiligten dazu beitragen, die digitale Müdigkeit zu reduzieren und einen gesünderen, produktiveren Arbeitsplatz zu schaffen.

Lax Gopisetty treibt das Wachstum der digitalen Transformation mit Digital Workplace Services und Microsoft Business Applications für Global-2000-Kunden in verschiedenen Branchen und Regionen voran. Er verfügt über mehr als 25 Jahre Erfahrung in der globalen Unternehmensberatung bei Infosys, Accenture, PWC und IBM.

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