Digitale Barrierefreiheit: essenziell im digitalen Zeitalter

In einer digitalisierten Welt geht Barrierefreiheit über den physischen Raum hinaus. Digitalisierung verbindet Menschen und macht Informationen zugänglich, bringt jedoch auch Herausforderungen für Menschen mit Beeinträchtigungen. Digitale Barrierefreiheit ist zentral für Inklusion und Chancengleichheit im digitalen Raum.
Von   Eva-Maria Kynast   |  Senior Consultant adesso SE   |  adesso SE
5. März 2025

Digitale Barrierefreiheit: essenziell im digitalen Zeitalter

 

In einer zunehmend digitalisierten Welt sind die Anforderungen an Barrierefreiheit längst nicht mehr nur auf den physischen Raum begrenzt. Die Digitalisierung bietet zahlreiche Chancen, Menschen miteinander zu verbinden und Informationen zugänglich zu machen – doch sie birgt auch Herausforderungen für diejenigen, die aufgrund von Beeinträchtigungen Schwierigkeiten mit digitalen Inhalten haben. Digitale Barrierefreiheit ist ein zentraler Bestandteil der Inklusion und Chancengleichheit im digitalen Raum.

Dieser Artikel widmet sich der Bedeutung der digitalen Barrierefreiheit und erläutert, warum sie auch für Kleinstunternehmen von zentraler Bedeutung ist. Die digitale Welt muss für alle zugänglich sein. Nur so kann eine echte digitale Teilhabe erreicht werden.

 

Digitale Barrieren

Um digitale Barrieren besser zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf den Mensch-Maschine-Dialog. Ein System stellt Informationen bereit, die wahrgenommen, kognitiv verarbeitet und dann in eine motorische Reaktion umgesetzt werden müssen. Diese Interaktion verändert das System und seine Darstellung. Barrieren entstehen dort, wo Wahrnehmung oder Interaktion eingeschränkt sind – sei es sensorisch, motorisch oder kognitiv. Einschränkungen können jederzeit auftreten, unabhängig von dauerhaften Beeinträchtigungen. Unfälle oder altersbedingte Einschränkungen, wie Seh- oder Hörverlust, betreffen immer mehr Menschen und zeigen, dass Barrieren alle betreffen können.

 

Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz im Überblick

Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) tritt am 28. Juni 2025 in Kraft. Es ist die deutsche Umsetzung der EU-Richtlinie des European Accessibility Act (EAA). Diese Richtlinie schafft europaweit einheitliche Standards für die Barrierefreiheit im digitalen Raum. Dem Gesetz unterliegen eine Vielzahl von Produkten und Dienstleistungen, darunter insbesondere Websites im E-Commerce sowie elektronische Dienstleistungen. Als Maß der Barrierefreiheitsstufen dienen die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG). Sie unterteilen sich in drei Konformitätsstufen: A (niedrigste), AA (mittlere) und AAA (höchste). Diese Stufen umfassen verschiedene Anforderungen, wie etwa Alt-Texte für Bilder, Transkriptionen und die Tastaturzugänglichkeit. Für Unternehmen im privaten Sektor sind die Stufen A und AA von Bedeutung. Das Gesetz gilt für alle Produkte und Dienstleistungen, die ab dem 28. Juni 2025 in den Verkehr gebracht werden. Alles, was bereits vorher veröffentlicht wurde, unterliegt einer Übergangsfrist und muss erst bis Mitte 2030 barrierefrei sein. Die Zeit der Anpassung ist jedoch nicht zu unterschätzen. Bis Produkte vollständig barrierefrei sind und alle Tests bestehen, können mehrere Monate vergehen. Die Marktüberwachungsbehörde wird alle Applikationen und digitalen Angebote prüfen. Bei Feststellen einer Missachtung wird das jeweilige Unternehmen zunächst informiert und muss binnen einer vorgeschriebenen Frist alle Barrieren beseitigen. Bei Missachtung droht eine Geldstrafe von bis zu 100.000 Euro oder die vorübergehende Einstellung des Geschäftsbetriebs.

 

Digitale Barrierefreiheit als Chance – auch für Kleinstunternehmen

Mit der Einführung des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes wurden zunächst nur Unternehmen der Privatwirtschaft verpflichtet, ihre Angebote barrierefrei zu gestalten. Für Kleinstunternehmen, die Dienstleistungen anbieten, gilt diese Pflicht bislang nicht. Darunter fallen alle Unternehmen mit weniger als 10 Beschäftigten und einem Jahresumsatz oder einer Jahresbilanzsumme von maximal 2 Millionen Euro. Auch wenn Kleinstunternehmen auf den ersten Blick weniger von gesetzlichen Auflagen betroffen sind, ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass es in Zukunft auch eine Verpflichtung für sie geben wird. Springen diese Unternehmen erst später auf den Zug auf, wenn sie per Gesetz verpflichtet werden, entgehen ihnen möglicherweise viele neue Kunden und eine Umsatzsteigerung. Laut Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation leben weltweit über eine Milliarde Menschen mit einer Behinderung, was etwa 15 Prozent der globalen Bevölkerung entspricht. Wenn Kleinstunternehmen ihre Dienstleistungen barrierefrei gestalten, erschließen sie ein viel größeres Kundenpotenzial, da sie nicht nur den traditionellen Markt bedienen, sondern auch diese potenziell bislang ausgeschlossenen Kunden erreichen. Deshalb ist jetzt auch der Moment für diese Unternehmen, am Ball zu bleiben und so ihren Wettbewerbsvorteil zu nutzen.

 

Ethik und soziale Verantwortung

Es gibt auch einen ethischen Grund, warum Kleinstunternehmen ihre Dienstleistungen barrierefrei anbieten sollten: Inklusion und Chancengleichheit. Menschen mit Behinderungen sind Teil der Gesellschaft und sie sollten die gleichen Möglichkeiten haben wie alle anderen, um am Wirtschaftsleben teilzunehmen. Wenn ein Kleinstunternehmen seine Website nicht barrierefrei gestaltet, könnte es unbeabsichtigt Menschen mit Behinderungen ausschließen und damit ihre Fähigkeit einschränken, Zugang zu Dienstleistungen und Informationen zu erhalten. Indem Unternehmen Barrieren abbauen, fördern sie eine Gesellschaft, in der niemand aufgrund seiner körperlichen oder geistigen Einschränkungen benachteiligt wird. Dies kann nicht nur zu einem positiven Ruf in der Öffentlichkeit führen, sondern auch eine starke Markenbindung bei Kunden hervorrufen, die den Wert sozialer Verantwortung schätzen.

Kleinstunternehmen haben oft die Möglichkeit, eine enge und persönliche Beziehung zu ihren Kunden aufzubauen. Indem sie sich für Barrierefreiheit und Inklusion einsetzen, können sie als Vorbilder in ihren jeweiligen Branchen auftreten und zeigen, dass sie über den rein finanziellen Aspekt des Geschäfts hinausdenken. Dies kann zu einer stärkeren Kundenbindung und positiven Mundpropaganda führen, was für Kleinstunternehmen besonders wertvoll ist.

 

Verbesserte Nutzererfahrung für alle

Ein häufig übersehener, aber äußerst wichtiger Vorteil von barrierefreien Websites ist die Verbesserung der Benutzererfahrung für alle Nutzende. Barrierefreiheit umfasst eine Vielzahl von Aspekten, wie etwa eine klare und strukturierte Navigation, gute Lesbarkeit von Texten, eine benutzerfreundliche Bedienung auch ohne Maus oder eine einfache und intuitive Gestaltung von Formularen. Diese Merkmale kommen allen Menschen gleichermaßen zugute und verbessern die Nutzererfahrung allgemein. Untersuchungen haben gezeigt, dass Websites, die barrierefrei sind, eine niedrigere Absprungrate und eine höhere Konversionsrate aufweisen, was letztlich zu einer besseren Kundenzufriedenheit und höheren Verkaufszahlen führt. Gerade Kleinstunternehmen, die oft mit begrenzten Ressourcen und starker Konkurrenz zu kämpfen haben, können durch die Verbesserung der Nutzererfahrung einen direkten Wettbewerbsvorteil erzielen.

 

SEO-Vorteile und Sichtbarkeit

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Auswirkung von Barrierefreiheit auf die Suchmaschinenoptimierung (SEO). Barrierefreie Websites sind auf Grund der vielen konkreten Vorgaben im Aufbau der Seite besser strukturiert, was Suchmaschinen zugutekommt. Wenn Alt-Text für Bilder, korrekte HTML-Tags, klare Überschriften und eine saubere Seitenstruktur verwendet werden, verbessert sich die Sichtbarkeit der Website in den Suchergebnissen. Dies ist besonders relevant für Kleinstunternehmen, die auf die Auffindbarkeit im Internet angewiesen sind, um neue Kunden zu gewinnen. Barrierefreie Websites erfüllen viele der Kriterien, die auch für ein besseres Ranking erforderlich sind. Kleinstunternehmen, die diese Standards einhalten, verbessern nicht nur ihre Zugänglichkeit für Menschen mit Behinderungen, sondern können auch in den Suchergebnissen weiter oben erscheinen, was ihre Sichtbarkeit und Reichweite erheblich steigern kann.

 

Kosten-Nutzen-Analyse

Viele Unternehmen sind der Meinung, dass die Schaffung einer barrierefreien Website zu teuer und aufwändig sei, insbesondere in Anbetracht der begrenzten Ressourcen, die zur Verfügung stehen. Tatsächlich kann der initiale Aufwand für die Erstellung einer barrierefreien Website höher sein, jedoch sind die langfristigen Vorteile nicht zu unterschätzen. Der Aufwand für die Barrierefreiheit während der Entwicklung einer Website ist in der Regel gering, wenn er von Anfang an berücksichtigt wird. Hierfür ist es jedoch notwendig, gut geschulte Mitarbeitende zu haben, die sowohl in der Konzeption als auch in der Umsetzung die Kriterien der Barrierefreiheit beachten. Nachträgliche Anpassungen hingegen können erheblich teurer sein und mehr Ressourcen in Anspruch nehmen. Der Aufbau einer barrierefreien Website von Beginn an spart nicht nur Geld, sondern kann auch langfristig die Kundenzufriedenheit und die Markenwahrnehmung steigern. Auch hier zeigt sich, dass Barrierefreiheit nicht nur ein Kostenfaktor ist, sondern eine Investition in die Zukunft des Unternehmens.

 

Fazit

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Barrierefreiheit von Websites und digitalen Diensten nicht nur eine moralische oder rechtliche Verpflichtung ist, sondern auch eine unternehmerische Chance für Kleinstunternehmen darstellt. Die Erweiterung des Kundenkreises, die rechtliche Absicherung, die Verbesserung der Nutzererfahrung und die Vorteile im Bereich der Suchmaschinenoptimierung sind nur einige der vielen positiven Aspekte einer barrierefreien Website. Für kleine Unternehmen, die in einer zunehmend wettbewerbsintensiven digitalen Welt bestehen wollen, ist Barrierefreiheit nicht nur ein Vorteil, sondern eine Notwendigkeit. Unternehmen, die ihre digitalen Angebote inklusiv gestalten, investieren in die Zukunft und stellen sicher, dass sie allen Kunden – unabhängig von deren Fähigkeiten – gerecht werden. In einer Welt, in der Chancengleichheit und Inklusion immer wichtiger werden, sollten auch Kleinstunternehmen als aktive Gestalter einer barrierefreien digitalen Welt auftreten.

Eva-Maria Kynast ist seit 2018 für die adesso SE als Senior Consultant tätig und arbeitet als Requirements Engineer oder UX Designerin in Projekten der Business Lines Cross Industries und Public. Sie beschäftigt sich intensiv mit dem Thema digitale Barrierefreiheit und gibt interne Schulungen.

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