Wer hat Angst vor der Maschine
Vermutlich gibt es wenige technologische Debatten, die so stark polarisieren wie das Thema Künstliche Intelligenz (KI). Die Skala reicht von utopischen Idealen, in denen uns Maschinen von mühseliger Erwerbsarbeit befreien, bis zu dystopischen Sorgen, in denen Menschen überflüssig werden. Auch die Popkultur trägt zu diesen Vorstellungen bei. Daher ist es höchste Zeit, die derzeitigen Entwicklungen sachlich einzuordnen.
Fachkräftemangel, niedrige Produktivitätssteigerungen, abnehmende Wettbewerbsfähigkeit – für Deutschland und die hiesigen Unternehmen wird die Fähigkeit zum KI-Einsatz immer wichtiger. Die Hoffnung: Intelligente Maschinen können die Fachkräftelücke verkleinern und in der Wirtschaft neue Wachstumsimpulse auslösen.
Prominente Beispiele für solche KI-Lösungen finden sich mittlerweile integriert in diversen Suchmaschinen sowie in vielen Sprachtools. So sind Letztere mittlerweile dazu in der Lage, selbst komplizierte Texte nah am Original zu übersetzen. Die Suchmaschinen entwickeln sich zeitgleich immer mehr zu Wissensdatenbanken, die komplexe Fragen scheinbar eigenständig verstehen und beantworten können.
Insofern ist es nachvollziehbar, wenn Personen – je nach Perspektive – die KI mit Hoffnung oder auch Ängsten betrachten. Doch: Inwiefern sind diese berechtigt? Sind diese Entwicklungen Boten einer neuen Ära oder lediglich medial inszenierte Leuchtturmprojekte? Ein Blick in den Unternehmensalltag gibt Auskunft darüber.
KI im Unternehmensalltag
Dort trifft der Einsatz von KI auf positiven Widerhall. Nach einer Umfrage[1] des Branchenverbandes Bitkom aus dem September 2023 sahen zwei Drittel der befragten Unternehmen KI als die entscheidende Zukunftstechnologie. Mögliche Einsatzgebiete für die nähere Zukunft sehen sie vor allem
- bei der Texterstellung und bei Übersetzungen (82 Prozent),
- im Marketing und der Kommunikation, etwa in der Bilderstellung (59 Prozent),
- in der IT-Abteilung, insbesondere bei Softwareerstellung und -tests sowie
- in Forschung und Entwicklung, zum Beispiel in Form verbesserter Datenauswertungen (jeweils 50 Prozent)[2].
Diese Ergebnisse – die lediglich einen Ausschnitt aus der Befragung darstellen – zeigen, dass sich KI-Anwendungen auf absehbare Zeit in weiten Teilen der Unternehmenslandschaft vermutlich durchsetzen werden – schon deshalb, weil der Wettbewerb Unternehmen zum Ausschöpfen aller erreichbaren Effizienzgewinnen drängt. Diese können enorm sein. Die Motivation der Arbeitgeberseite ist also klar. Damit wird es Zeit, die Perspektive der Arbeitnehmenden zu beleuchten.
KI auf Arbeitnehmerseite: Fluch oder Segen?
Viele der Anwendungsfelder, für die Unternehmen in naher Zukunft KI einsetzen wollen, haben vor allem unterstützende Funktionen – oder werden zumindest engmaschig von den Mitarbeitenden kontrolliert. Die Ursache hierfür: Wie rasant sich KI derzeit auch entwickelt, eine zentrale, menschliche Eigenschaft besitzt sie aktuell noch nicht – die Fähigkeit, sich selbständig in völlig neue Situationen ohne Erfahrungswissen einzufinden. Zudem hinterfragt sie ihre Entscheidungen und deren Bedeutung nicht. Für moralische oder ethische Abwägungen sind KI-basierte Systeme daher bisher ungeeignet.
Eine Ausweitung ihres Einsatzes wird daher auch deshalb die Mitarbeitenden kurz- bis mittelfristig nicht im großen Stil ersetzen – und so für zunehmende Arbeitslosigkeit sorgen. Eher wird es darum gehen, die maschinellen Agenten so weiterzuentwickeln, dass sie regelbasierte Aufgaben noch autonomer ausführen können. Dadurch könnten sie dazu beitragen, die zunehmenden Personallücken zu schließen. Exemplarisch ist dafür das autonome Fahren, das vor allem die USA und China aktuell austesten – und das helfen soll, Engpässe bei Berufskraftfahrer*innen zu kompensieren. Damit wären wir dann an einen Punkt, bei dem KI zu einem spürbaren Strukturwandel auf dem Arbeitsmarkt führen könnte. Wie Gesellschaften damit umgehen sollen, beispielsweise in Hinblick auf ihre Bildungssystems, bleibt dann natürlich zu diskutieren.
Wie geht es weiter? Starke versus schwache KI
Einige KI-Trends für die nähere Zukunft sind somit grob vorhersehbar. Anders sieht es mit den langfristigen Perspektiven aus, auf die sich auch die meisten Utopien und Dystopien bezüglich Künstlicher Intelligenz beziehen. Hier beginnt die Schwierigkeit bereits mit der genauen Definition. Forscher*innen unterscheiden nämlich mindestens zwischen zwei Formen der KI: der starken und der schwachen.[3]
- Unter schwacher KI (engl.: Narrow AI) versteht beispielsweise die Technische Hochschule Würzburg-Schweinfurt – vereinfacht skizziert – alle Systeme, die klar definierte Aufgaben mit einer im Vorfeld festgelegten Methodik bearbeiten können. Die Aufgaben können komplex sein, müssen aber ein wiederkehrendes („regelbasiertes“) Muster aufweisen.[4] Selbst autonomes Fahren gehört daher zur schwachen KI. Schwach bedeutet in diesem Kontext allerdings nicht „leistungsschwach“, sondern eher: „nicht universell einsetzbar“[5].
- Autonom handelende Maschinen, ein beliebter Topos im Science-Fiction-Genre, gehören dagegen zur starken KI (engl.: Artificial General Intelligence – AGI). Forschende verstehen darunter üblicherweise KI-Formen, die die menschliche Intelligenz (teilweise vollständig) simulieren und daher Probleme unterschiedlichster Art ohne deren Unterstützung lösen. Dafür müsste diese KI-Form allerdings eigenständig lernen, in die Zukunft planen und selbstbezogen handeln können.[6]
Diese wichtige Unterscheidung verdeutlicht, wie schnell es beim Thema KI zu Unklarheiten kommen kann. Während die schwache KI rasante Fortschritte verzeichnet und viele Unternehmen und Behörden sie längst anwenden, ist starke KI noch Zukunftsmusik und Gegenstand der Grundlagenforschung. Bis heute sind sich Expert*innen dabei uneinig, ob sie überhaupt realisierbar ist[7] und führen darüber bisweilen umfangreiche, philosophische Debatten.[8]
Auch deshalb wendet sich die praktische KI-Forschung weltlicheren Fragestellungen zu – und arbeitet momentan etwa an ressourcenschonenderen KI-Systemen und anderen inkrementellen Verbesserungen. Die KI-Entwicklung setzte so bisher vor allem stark auf die Skalierung von Trainingsdaten und Rechenleistung mit entsprechend hohem Energiebedarf. Mittlerweile gibt es dagegen vielfach Bestrebungen, auch die Nachhaltigkeit von KI-Systemen stärker in den Blick zu nehmen: sowohl durch veränderte Modell-Architekturen, die schlanker sind und mit weniger Trainingsdaten auskommen, als auch durch den Einsatz energieeffizienterer Hardware. Wahrscheinlich werden diese Trends zukünftig zentrale Anforderung an KI-Systeme definieren – ähnlich wie schon heute der Datenschutz. Wir setzen unseren Fokus daher auch verstärkt auf die Entwicklung solcher Systeme.
[1] https://www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/Deutsche-Wirtschaft-drueckt-bei-Kuenstlicher-Intelligenz-aufs-Tempo
[2] Vgl. zu den Ergebnissen https://www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/Deutsche-Wirtschaft-drueckt-bei-Kuenstlicher-Intelligenz-aufs-Tempo
[3] Vgl. z.B. https://ki.thws.de/thematik/starke-vs-schwache-ki-eine-definition/
[4] Technische Hochschule Würzburg-Schweinfurt (thws.de)
[5] Der englische Begriff „narrow AI“ ist daher vermutlich treffender als die deutsche Entsprechung.
[6] ki_in_studium_und_lehre_-_empfehlungen_zum_umgang_an_der_ude_v1.0.pdf (uni-due.de), Seite 3
[7] ki_in_studium_und_lehre_-_empfehlungen_zum_umgang_an_der_ude_v1.0.pdf (uni-due.de), Seite 3
[8] https://www.fr.de/kultur/gesellschaft/philosophen-ueber-kuenstliche-intelligenz-was-denken-die-sich-92172058.html
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