Die Geheimwaffe auf dem Weg zur digitalen Reife
Wie Low-Code Unternehmen agiler, widerstandsfähiger und innovativer macht
Jethro Borsje im Gespräch.
Low-Code ist längst keine Nischentechnologie mehr und wird auch außerhalb der IT-Abteilungen als Alternative zur klassischen Anwendungsentwicklung wahrgenommen. Was sind Ihrer Erfahrung nach die Hauptgründe für den Erfolg von Low-Code, die nicht nur IT-Manager und CIOs, sondern auch CEOs und Vorstände überzeugen?
Das C-Level sucht nach zukunftssicheren, einfach zu adaptierenden IT-Lösungen, die ihren Teams helfen, die steigende Zahl komplexer digitaler Transformationsprojekte zu bewältigen. Low-Code erfüllt all diese Anforderungen, da es in vielerlei Hinsicht zur Weiterentwicklung von Unternehmen beiträgt. So ermöglicht Low-Code nicht nur eine schnellere Entwicklung und Bereitstellung von Anwendungen, die Modernisierung von Prozessen oder ganzer Legacy-Landschaften, sondern erlaubt es Unternehmen auch, von verschiedenen KI-Funktionen zu profitieren, um schneller zu innovieren.
Darüber hinaus ist der Mangel an qualifizierten Entwickelnden nach wie vor ein Thema für viele Branchen, insbesondere in Deutschland. Der Bitkom hat kürzlich festgestellt, dass in der ITK-Branche rund 149.000 Stellen unbesetzt sind. Das bremst die Bemühungen der Unternehmen, ihre digitale Transformation zu beschleunigen. Die Low-Code-Softwareentwicklung ermöglicht es Personen mit unterschiedlichem Hintergrund, sich auf kollaborative Weise in den Softwareentwicklungszyklus einzubringen. Durch die Förderung der Zusammenarbeit können Kreativität und kollektives Wissen in einer Organisation freigesetzt werden. Dies ist für die Führungsebene in der Regel von größtem Interesse.
Diese verstärkte Zusammenarbeit führt nicht nur zu einer schnelleren Digitalisierung, sondern auch zu mehr qualitativ hochwertigen Software-Projekten, die auf Anhieb funktionieren. Um eine beispielhafte Zahl zu nennen: In den USA kostete Unternehmen schlechte Softwarequalität im Jahr 2022 mindestens 2,41 Billionen Dollar.
Dies führt uns zu einem weiteren relevanten Aspekt, der für Low-Code spricht: signifikante Kosteneinsparungen. Das ist insbesondere für Branchen wichtig, die mit der Schnelligkeit der Digitalisierung zu kämpfen und einen großen Nachholbedarf haben sowie ihre Budgets sehr gezielt einsetzen müssen.
Low-Code hat aber immer noch mit Vorurteilen zu kämpfen. Denn vor allem professionellen Entwickelnden ist die Technologie ein Dorn im Auge. Woran liegt das und wie können Unternehmen etwaigen internen Widerständen entgegenwirken, wenn sie sich für Low-Code entscheiden?
Mit dem Aufkommen von Low-Code entstand bei einigen Entwickelnden der Eindruck, dass die modellgesteuerte Drag-and-Drop-Oberfläche, die die App-Entwicklung für alle Qualifikationsstufen ermöglicht, den Weg für Schatten-IT und nicht autorisierte Anwendungen ebnen wird. Ein weiteres Vorurteil, das noch nicht vollständig ausgeräumt werden konnte, ist, dass mit Low-Code erstellte Anwendungen qualitativ minderwertig seien und das Risiko von Sicherheitslücken oder Schwachstellen bergen könnten. Da Low-Code-Plattformen jedoch so konzipiert sind, dass sie im Kern Governance und Kontrolle unterstützen und zum Beispiel Transparenz über den gesamten Lebenszyklus der Anwendungsentwicklung garantieren, lässt sich die Skepsis gegenüber Low-Code abbauen. Neben den Governance- und Kontrollmöglichkeiten fördern Low-Code-Plattformen die Wiederverwendung von Modulen, die auf öffentlichen und privaten Marketplaces zugänglich gemacht werden. Diese unterliegen ebenfalls Regeln, die die IT-Abteilung im Voraus als Leitfaden für Subject Matter Experts (SMEs) definiert.
Da sich bei professionellen Entwickelnden immer mehr die Erkenntnis durchsetzt, dass sich mit Low-Code die Entwicklung von Unternehmensapplikationen beschleunigen lässt – zum Beispiel durch den Wegfall von wiederkehrenden Aufgaben durch den Einsatz von Templates, vorgefertigten Modulen, APIs oder Konnektoren – werden etwaige Widerstände schnell wieder abgebaut. Vor allem dann, wenn erste Anwendungsfälle zeigen, dass Low-Code dringend benötigte Kapazitäten freisetzt, so dass sich Entwickelnde auf das Wesentliche konzentrieren können – nämlich Geschäftsergebnisse voranzutreiben, statt sich mit banalen technischen Aufgaben zu befassen.
Die Hauptbotschaft ist, dass Low-Code gekommen ist, um zu bleiben – um die Software-Entwicklung weniger zeitaufwendig und effizienter zu machen – und dass die Demokratisierung der Software-Entwicklung ohne Einschränkungen in Bezug auf Qualität oder Sicherheit erfolgt. Low-Code soll nicht die klassische High-Code-Entwicklung verdrängen, sondern diese ergänzen und das Leben von Entwickelnden erleichtern.
Im Zusammenhang mit Low-Code ist von so genannten „Fusion Teams“ die Rede. Was bedeutet das, und ist das in deutschen Unternehmen bereits Realität?
Fusion Teams sind multidisziplinäre Teams, die sich weniger auf einzelne Softwareprojekte konzentrieren, sondern vielmehr den übergeordneten Geschäftserfolg im Blick haben. Low-Code ermöglicht es sowohl unerfahrenen Entwickelnden als auch SMEs, am gesamten Prozess der Anwendungsentwicklung teilzunehmen. Die Zusammenarbeit von Fachabteilungen und professionellen Entwickelnden in Fusion Teams führt zu einer schnelleren Bereitstellung von Software. Da es keine Silos mehr gibt, ist es einfacher, Wissen und Feedback auszutauschen. Dies beseitigt Engpässe und trägt dazu bei, den Lebenszyklus der Anwendungsentwicklung von der Ideenfindung und Planung bis hin zum Testen und zur Bereitstellung zu straffen, da die Erwartungen der Interessengruppen bereits beim ersten Mal erfüllt werden.
Studien zeigen, dass deutsche Unternehmen Low-Code und klassische Softwareentwicklung gleichermaßen nutzen, und Gartner hat sogar vorausgesagt, dass bis 2025 70 Prozent aller Anwendungen mit Low-Code erstellt werden. Fusion Teams sind also bereits Realität. Aber es braucht noch Zeit und mehr erfolgreich umgesetzte Projekte, um sowohl Entwickelnden als auch SMEs den großen Wert von Low-Code zu zeigen und ihnen Zeit zu geben, sich auf diese neue Art der Zusammenarbeit einzustellen.
Sie haben vorhin erwähnt, dass Low-Code nicht nur für die Entwicklung singulärer Anwendungen, sondern auch für komplexe Herausforderungen eingesetzt werden kann. Bedeutet das, dass Low-Code auch für Unternehmen geeignet ist, die ihre gesamte IT-Landschaft und Legacy-Systeme transformieren müssen?
Korrekt. Low-Code kann für eine Vielzahl von Anwendungsfällen eingesetzt werden – auch für die komplexen. Es beschränkt Unternehmen nicht in ihren Transformationsbestrebungen und ist wertstiftend, wenn es um Automatisierung und Modernisierung geht. Vor allem in sehr komplexen Landschaften, in denen bestehende, selbst entwickelte Systeme nahtlos mit neuen Lösungen integriert werden müssen. Low-Code-Enterprise-Application-Plattformen bieten beispielsweise eine Vielzahl von Standardintegrationen, die dies ermöglichen. Mit Low-Code wird die Umwandlung, Erweiterung oder Migration von Legacy-Systemen zur Performance-Verbesserung endlich durchführbar.
Neben Unternehmen, die Low-Code für die interne Anwendungsentwicklung nutzen, sind sogenannte Independent Software Vendors (ISVs) eine weitere große Anwendergruppe. Diese fokussieren sich darauf, mit Low-Code maßgeschneiderte und erweiterbare Produkte zu entwickeln. Mit dem Ziel, ihren Kunden zügig kommerzielle Softwarelösungen und Komponenten zu liefern, die deren branchenspezifischen Geschäftsanforderungen ganz konkret begegnen können.
Das Thema Künstliche Intelligenz, derzeit vor allem generative KI, ist in der Tech-Welt nicht mehr wegzudenken. Wie beeinflusst der aktuelle Fortschritt Low-Code-Projekte und inwieweit nutzen Low-Code-Plattformen bereits heute das Potenzial von KI?
Das ist richtig. Im vergangenen Jahr haben wir gesehen, dass generative KI das Potenzial hat, von großem Wert zu sein und enorme Auswirkungen auf alle Formen der Arbeit hat. Wir glauben, dass KI-Tools und Low-Code-Entwicklung eine natürliche Kombination sind, um intelligente Software schneller zu entwickeln. Wir sehen bei unseren Kunden eine Verlagerung von der Erstellung und dem Training benutzerdefinierter Modelle hin zur Einbindung von vortrainierten Modellen, die nur noch fein abgestimmt werden müssen. Unternehmen, die Low-Code einsetzen, können mit all den Funktionen, die Low-Code-Anwendungsplattformen bereits bieten, auf effiziente Weise mehr Nutzen aus KI ziehen.
KI beschleunigt Low-Code-Projekte, zum Beispiel durch den Wegfall zeitaufwändiger Aufgaben wie die Erstellung von Datenmodellen. Die geringere Latenzzeit eingebetteter KI-Modelle in einigen Low-Code-Plattformen, im Vergleich zur API-basierten Integration, führt zu einer besseren Performance von KI-verbesserten Anwendungen, da das ML-Modell im selben Container wie die Anwendung läuft. Darüber hinaus ermöglicht die Bereitstellung eingebetteter KI-Modelle eine robuste Kontinuität der KI-Services, wenn sie offline, on-edge oder in IoT-Anwendungsfällen eingesetzt werden.
Low-Code-Plattformen schöpfen also bereits einen Großteil des Potenzials von KI aus. Aber diese Reise hat gerade erst begonnen, und die Nutzer können noch viel mehr KI-Funktionen erwarten, die sie für ihre tägliche Arbeit nutzen können.
Wie wichtig wird Künstliche Intelligenz in Zukunft für die Softwareentwicklung sein?
Da Unternehmen daran interessiert sind, das Potenzial von KI zu nutzen, um Innovationen voranzutreiben und Wettbewerbsvorteile zu erlangen, kann Künstliche Intelligenz ein entscheidender Faktor für die Softwareentwicklung sein. Von der KI-gestützten Entwicklung bis hin zu KI-gestützten Anwendungen und mehr kann die IT innovativer werden und intelligentere, exaktere Lösungen liefern. Der Einsatz von KI und maschinellem Lernen hilft dabei, die Effizienz zu optimieren, die Entscheidungsfindung zu verfeinern und aufkommende Probleme proaktiv zu erkennen. Außerdem können KI-affine Unternehmen hohe Performance, Kosteneffizienz und Datenschutz gewährleisten.
Insbesondere GenAI ist mehr als ein Beschleuniger oder ein Co-Pilot und ihr Potenzial sollte nicht unterschätzt werden. Laut den Analysten von Gartner wird bis zum Jahr 2027 jeder zweite Softwareentwickler in Unternehmen GenAI-Tools zum Entwickeln, Testen und Bereitstellen von Software einsetzen – heute sind es gerade einmal zehn Prozent.
Darüber hinaus erwarte ich, dass der Erfolg von KI im Jahr 2024 vor allem von sehr diskreten, domänenspezifischen Anwendungen und nicht von Allzweck-LLMs ausgehen wird. Durch die Fokussierung auf spezifischere Bereiche, auf die GenAI angewendet werden kann, lässt sich ihre Leistungsfähigkeit zunutze machen, um Kunden eine umfangreiche User Experience zu bieten. Auch die Art und Weise, wie Daten genutzt und Informationen dargestellt werden, wird erheblich vereinfacht.
Man liest immer öfter vom „Composable Enterprise“, einem Ansatz, den Unternehmen verfolgen, um in Zukunft agiler auf Marktveränderungen und Krisensituationen reagieren zu können. Kann Low-Code zur Entwicklung eines Composable Business beitragen?
Da das Grundprinzip der Modularität auch Low-Code inhärent ist, kann es nicht nur dazu beitragen, ein Unternehmen in ein Composable Business zu verwandeln, sondern der Katalysator dieser Transformation sein. Mit geringem Ressourcen- und Zeitaufwand lassen sich skalierbare Anwendungen erstellen oder Services entwickeln. Diese können als wiederverwendbare Bausteine vom gesamten Unternehmen genutzt werden –vorausgesetzt, die Organisation ist auf übergreifende Zusammenarbeit ausgerichtet und es wurden Strukturen geschaffen, die eine derartige Kollaboration ermöglichen. Die Integration bestehender Komponenten und Konnektoren befeuert die Idee der Composability. Die erhöhte Flexibilität und Modularität wird zum Wettbewerbsvorteil. Deshalb ist der Composable-Enterprise-Ansatz ein wichtiger Treiber der Digitalen Transformation und hilft Unternehmen, widerstandsfähiger zu werden, um mit Marktveränderungen Schritt zu halten und neue Chancen schneller als der Wettbewerb zu nutzen.
Um einen Kommentar zu hinterlassen müssen sie Autor sein, oder mit Ihrem LinkedIn Account eingeloggt sein.