Wo stecken sie nur, die jungen Talente?

Berufsstarter gehören zur “Generation Remote“. Doch was müssen Unternehmen tun, um die besten Talente global verstreut zu finden? Laura Ryan thematisiert die veränderten Arbeitsanforderungen von HR-Verantwortlichen und Personalabteilungen, die im „War for Talents“ auch künftig noch gewinnen möchten.
Von   Laura Ryan   |  Director of International HR bei Dropbox   |  Dropbox
27. Mai 2022

 

Wo stecken sie nur, die jungen Talente?

Wo und wie gelingt heute die Suche nach den besten Talenten fürs eigene Unternehmen? Ein Ratgeber für HR-Verantwortliche im neuen Remote-Zeitalter.

 

Die Pandemie hat Spuren in der Arbeitswelt hinterlassen: Sowohl Einstellungs- als auch Austrittsgespräche finden heute vorwiegend remote statt. Die Besprechung von Beförderungen, Gratifikationen und Vorteilsprogrammen für Mitarbeitende oder auch Feedback- oder Teamgespräche finden häufig noch vor der Kamera statt. Und so hat sich auch das Arbeitsleben von HR-Managerinnen und HR-Managern sowie der ganzen Personalabteilung grundlegend geändert. Und nichts ist so herausfordernd, wie Personal aus Distanz neu einzustellen und einzulernen. Da zukunftsorientierte, krisenresiliente Unternehmen auch weiterhin mindestens auf Hybridmodelle, wenn nicht sogar großteilig oder pur auf Remote-Zusammenarbeit setzen, beleuchte ich hier die neuen Herausforderungen und neuen Chancen der aktuellen und zukünftigen Talentsuche.  

 

Den Such-Radius erweitern

Eigentlich haben Unternehmen schon immer gewusst, dass die Einstellung von Mitarbeitenden an verschiedenen Standorten positive Auswirkungen auf das Unternehmen hat: Schließlich baut man mit jedem Kilometer Radiuserweiterung auch die Fülle und Möglichkeiten des Hirings aus. Jedes Talent bringt unterschiedliche Perspektiven mit, hat einen anderen Hintergrund und zehrt von unterschiedlichen Erfahrungen. Das katapultiert die Vielfalt und Diversität des ganzen Unternehmens in eine neue Dimension, macht es offener und integrativer. Beispielhaft genannt: Bewerberinnen und Bewerber, die außerhalb von Ballungszentren in ländlichen Gegenden leben, haben einen ganz anderen Erfahrungshintergrund und bringen neue Perspektiven in eine zuvor oft ausschließlich urban geprägte Unternehmenskultur ein. Das kann zu einem tiefen Mentalitätswandel beitragen, der offen und neugierig hält und dafür sorgt, motiviert zu bleiben und eine hohe Lernbereitschaft an den Tag zu legen.

Fokus weg vom Standort und hin zu den Talenten

Remote Work klingt gut, hat sich auch während der vergangenen zwei Jahre durchaus bewährt, aber das verteilte, ortsungebundene Arbeiten stellt Unternehmen vor eine Herausforderung: Wo auf der Welt findet man nur die Nachwuchstalente, die bevorzugt oder ausschließlich remote arbeiten wollen oder können? Personalsuchende müssen sich neu ausrichten und Ausschau halten nach Personen, die sich am, aber auch außerhalb des Firmenstandortes befinden. Das ist neu, denn zuvor war ein Umzug an den Ort der Firmenzentrale feste Grundbedingung für einen Anstellungsvertrag. Wer heute versteht, wie man Talente völlig losgelöst vom Standort finden und anheuern kann, hat genau die richtigen Strategien für den Kampf um Talente gewählt. Denn dieser wird immer härter, und althergebrachte Standards helfen den händeringend suchenden Unternehmen nicht mehr weiter.

Neues Aufgabenspektrum und Rollenverständnis

Ein großer Vorteil von Remote-Arbeit ist die Möglichkeit, den Talentpool zu erweitern, indem man die richtigen Leute unabhängig vom Standort rekrutieren kann. Um eine größtmögliche Vielfalt von Talenten zu erreichen, müssen Einstellungspraktiken neu ausgerichtet werden, da Kandidaten, die außerhalb von Großstädten oder in abgelegenen Gebieten leben, häufig nicht dieselbe Berufserfahrung haben wie die Kandidaten, die in den Zentren leben. Infolgedessen sollte nach Potenzial, Lernbereitschaft und einer Reihe von Soft Skills Ausschau gehaltenhalten werden.

Gleichzeitig wächst ein ganz neues Rollenverständnis von Personalverantwortlichen: Sie brauchen mehr Zeit und Befugnisse, die Grundsätze der Vielfalt, Gleichberechtigung und Integration aktiv in den Teams zu verankern, mit den Unternehmenszielen zu verknüpfen und damit zahlreiche neue Chancen für das Unternehmen zu eröffnen. Denn spiegelt man eine neue Diversität auf den Markt, kann ein vielfältigerer Stamm an Mitarbeitenden auch die Vielfalt der Kundschaft und deren mannigfaltige Bedürfnisse besser einschätzen und widerspiegeln.

Doch die Umstellung auf eine verteilte Talentstrategie kann nicht über Nacht erfolgen. Es bedarf grundlegender Veränderungen in der Funktion und in den Prozessen der Personalabteilung. Um das Potenzial zu heben, neue Personen mit neuen Fähigkeiten zu finden, müssen Personalverantwortliche und Personalvermittelnde eine viel engere Beziehung zueinander und zum gesamten Unternehmen aufbauen. Personalvermittelnde müssen Personalverantwortliche im Unternehmen kontinuierlich auf dem neuesten Stand halten, was sich im Markt tut und wo sie Herausforderungen und Chancen sehen.

Personalverantwortlichen müssen mehr Befugnisse erhalten, um die neuen Gebote der Vielfalt, Gleichberechtigung und Eingliederung in die Teams einzupflanzen und dies mit den Unternehmenszielen zu verzahnen. Und sind die neuen Kandidatinnen und Kandidaten erst einmal gefunden und eingestellt, liegt die nächste Challenge darin, sie zu halten. Auch da liegt es insbesondere an der Personalabteilung, nachhaltig das richtige Umfeld zu schaffen, alle Mitarbeitenden optimal zu unterstützen und sicherzustellen, dass das Unternehmen die richtigen Verhaltensweisen für ein Hybrid- oder Remote-Arbeitsmodell so verankert, dass neue Talente gebunden sind und bleiben möchten.

Veränderungsbereitschaft ist an sich auf allen Ebenen gefragt. 88,3 % aller Befragten einer Untersuchung des Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation sind fest überzeugt, dass sich auch Betriebs- und Personalrat in Sachen Kulturwandel und Maßnahmen hin zu einem vertrauensvolleren Miteinander im New Normal künftig stark einbringen müssen.

Zu jeder effektiven Strategie für verteilte Talente gehört auch die richtige Technologie. Die Mitarbeitenden müssen mit einfachen und benutzerfreundlichen Tools ausgestattet werden, damit sie mit Kolleginnen und Kollegen auf der ganzen Welt nahtlos, schnell und authentisch zusammenarbeiten können. Mehr Technologie bedeutet nicht immer bessere Technologie. Zum erweiterten Aufgabenspektrum der Personalabteilung gehört auch, in enger Zusammenarbeit mit der Unternehmensleitung sicherzustellen, dass neue Technologien nicht um ihrer selbst willen eingesetzt werden, sondern weil sie das Arbeitsleben wirklich erleichtern. Glücklicherweise sind wir hier nicht so hintendran, wie manch einer befürchten mag: In der oben bereits zitierten Studie des Fraunhofer IAO bestätigten schon 87,1 % aller Befragten, im betrieblichen Umfeld so gut wie ausschließlich digital – also nicht mehr papierbasiert – zu arbeiten.

Ein Ausblick auf eine talentierte Zukunft

Es besteht kein Zweifel darin, dass die Zukunft der Talente verteilt sein wird. Allerdings liegt es an den Personalverantwortlichen und der Unternehmensleitung, diese Idee Realität werden zu lassen. Ein langfristiges Ziel bei der Einführung dieser neuen Arbeitsmethoden ist es, die Arbeit menschlich zu halten. Auch wenn die Fernarbeit große Vorteile bietet, müssen wir uns bewusst darum bemühen, sinnvolle Verbindungen und Interaktionen mit anderen zu erhalten, um Kultur, Empathie und Zugehörigkeitsgefühl zu bewahren.

Für mich steht glasklar fest: Geografische Grenzen werden für Arbeitgebende an Bedeutung verlieren, sodass sie aus einem größeren Pool von Talenten schöpfen und in neue Märkte expandieren können. Maßgeblich helfen könnte dabei ein grundlegender Perspektivwechsel: Remote Work, Homeoffice und global verteiltes Arbeiten sollten nicht mehr als Bonus oder Luxus für die (jungen) Mitarbeitenden betrachtet werden, sondern als gigantische Überlebens- und Wachstumschance für zukunftsbewusste Unternehmen!

 

Laura Ryan kam 2015 zu Dropbox, um die internationalen Personalstrategien des Unternehmens zu leiten und verfügt heute über 16 Jahre Erfahrung in der HR-Branche. Davor war sie fünf Jahre lang bei Google tätig, wo sie die Geo-Operations-Funktion für Europa aufbaute und Rekrutierungsaktivitäten leitete.

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