Wie Unternehmen Citizen Developer erfolgreich einsetzen

Prozesse erfolgreich zu digitalisieren, ist für Unternehmen mittlerweile erfolgskritisch. Der IT-Fachkräftemangel stellt dafür jedoch eine große Herausforderung dar – es gibt in vielen Fällen nicht genügend Mitarbeitende, um die Digitalisierung vieler Routine-Prozesse schnell genug voranzutreiben. Eine Lösung sind Citizen Developer. Darunter versteht man technisch bewanderte Mitarbeitende, die einen Job abseits der IT-Abteilung haben und demnach keine oder wenig Erfahrung in der Softwareentwicklung mitbringen.
Von   Larissa Wissmann   |  Head of Digitalization   |  Haufe Group
1. April 2023

Mit Hilfe der IT-Expert:innen im Unternehmen und mit Unterstützung spezieller Tools sind Citizen Developer in der Lage, standardisierte Prozesse aus ihrem Arbeitsumfeld selbst zu optimieren und zu automatisieren. Wie lässt sich der Ansatz jedoch optimal in der Praxis umsetzen, damit die IT-Abteilung entlastet wird und die Belegschaft fähig und motiviert ist, eigenständig digitale Lösungen für ihren Arbeitsalltag zu entwickeln?

Balance zwischen Freiraum und Regulation

Wollen Unternehmen Citizen Development etablieren, müssen sie zunächst festlegen, wie frei die Entwickler:innen arbeiten sollen und wie genau ihre Rolle definiert ist. Besonders beim Thema Freiraum gibt es einen schmalen Grat zwischen zu viel und zu wenig Kontrolle: Eine zentrale Koordinationsstelle ist sinnvoll, um redundante Projekte zu vermeiden. Ginge die Kontrolle jedoch zu weit, würde das die Kreativität der Mitarbeitenden schmälern und sie demotivieren. Mit dem passenden Mittelweg ist es jedoch möglich, Mitarbeitende von der internen IT zu entkoppeln und die Citizen Developer in ihren jeweiligen Ressorts eigene Softwareanwendungen programmieren zu lassen.

Damit es nicht zu Problemen kommt, wenn die IT-Abteilung die Programmierung bestimmter Aufgaben an die Citizen Developper abgibt, sollten die Verantwortlichen einige zentrale Governancevorgaben machen. Diese sichern qualitativ hochwertige, sichere und stringent dokumentierte Ergebnisse. Dazu gehören etwa, wie präzise und umfassend die entwickelten Softwarelösungen zu testen sind, wer die Software wartet und wer bei Problemen anzusprechen ist. Sind diese Leitlinien klar definiert, können die  Entwickler:innen ihrer Kreativität freien Lauf lassen, um innovative Lösungen zu entwickeln, ohne dabei Chaos fürchten zu müssen. Die IT-Abteilung ist dabei gerade während der Implementierung des Citizen Developments noch stärker in den Prozess eingebunden. Sie schult die fachfremden Entwickler:innen, was es bei Datenschutz und IT-Security zu beachten gilt und schafft eine Awareness für die Verantwortung, die mit dem Programmieren einhergeht.

Mit den richtigen Tools zum Erfolg

Neben diesen Guidelines benötigen die neugewonnenen Entwickler:innen Tools, um ihre Softwarelösungen entwickeln zu können. Sogenannte „Low-Code-“ und „No-Code-Plattformen“ bieten eine leicht zugängliche Entwicklungsumgebung, da für deren Gebrauch keine oder nur wenige Programmierkenntnisse nötig sind. In den Plattformen können die Citizen Developer selbstständig kleinere Applikationen oder Programme zur Lösung bestimmter Probleme generieren.

Nutzen Citizen Developer „Low-Code-Platforms”, schreiben sie einen klassischen Code, wie man ihn aus der Softwareentwicklung kennt. Dabei kommen jedoch visuelle und grafische Hilfsmittel zum Einsatz. Das macht das Codieren einfacher und reduziert die Komplexität. Diese Art der Code-Plattformen ist besonders für Applikationen geeignet, die rund um zentrale Unternehmensprozesse oder die wichtigsten Systeme im Unternehmen zum Einsatz kommen.

Wie der Name „No-Code“ bereits vermuten lässt, vereinfacht diese Methode die Softwareentwicklung noch stärker und ist daher auch für Developer geeignet, die bislang noch keinen Kontakt mit Softwarecodes hatten. Die Entwicklung läuft in „No-Code-Platforms“ nämlich gänzlich ohne klassische Codes ab. Damit diese Methode erfolgreich ist, hat es sich bewährt, vor der Implementierung in einem Workshop Ideen für potenzielle Anwendungsfälle zu entwickeln. In einem solchen Workshop kann zudem geklärt werden, welches Wissen im Team bereits vorhanden ist und wie ein vorläufiger Plan für die Umsetzung aussehen kann.

Auf Programmierung folgt Integration

War die Implementierung des Citizen Developments erfolgreich und sind die ersten Softwarelösungen bereit für ihren Einsatz, geht es an die Integration der Applikationen in den jeweiligen Abteilungen. Teils kann es, insbesondere bei komplexeren Lösungen, sinnvoll sein, dabei auf die Unterstützung der IT-Abteilung zurückzugreifen. Simplere Lösungen lassen sich jedoch häufig direkt ohne weitere Überprüfung produktiv einsetzen.

Um eine möglichst gute Performance der generierten Software zu gewährleisten, kann es helfen, schon an verschiedenen Stellen des Entwicklungsprozesses ein zweites Augenpaar hinzuzuziehen. Ein:e Kolleg:in erkennt potenzielle Bugs eher, da diese Person neu in den Prozess eintritt und weniger „betriebsblind“ ist.

Win-Win für Unternehmen und Mitarbeitende

Die Vorteile von Citizen Development sind evident, und dementsprechend groß ist das Interesse an diesem Konzept. Ein großer Pluspunkt: Kommen die fachfremden Entwickler:innen zum Einsatz, ist die Entwicklungszeit von der Idee bis zur finalen Applikation deutlich kürzer. Was das Konzept für die Anwender:innen selbst so attraktiv macht, ist die Möglichkeit, sich selbst bei alltäglichen Problemen helfen zu können. Sie sind fähig, Prozesse eigenständig zu digitalisieren. Durch die Automatisierung repetitiver Prozesse helfen sie damit zudem nicht nur sich selbst, sondern auch ihrer ganzen Abteilung langfristig effizienter zu arbeiten.

Damit steigert Citizen Development die Innovationskraft des Unternehmens und gleichzeitig auch die Motivation der Mitarbeitenden. Gemeinsam etwas Neues abseits des bekannten Arbeitsalltags zu schaffen, ist für viele Mitarbeitende ein zusätzlicher Anreiz. Ein klassisches Beispiel für eine Abteilung, in der Citizen Development besonders gut wirken kann, ist die Buchhaltung. Die Entwickler:innen haben hier die perfekte Grundlage, sich wiederholende Abläufe zu digitalisieren. Mit einigen intuitiven Prozessen in „Low-Code-“ oder „No-Code-Plattformen“ helfen sich die Citizen Developer selbst, indem sie sich mit neuen Softwarelösungen von unnötigen Aufgaben befreien und sich selbst mehr Zeit für komplexere Aufgaben schaffen.

Auch wenn sich die Tätigkeit als Citizen Developer in einigen Unternehmen auch auf dem Gehaltsbescheid positiv niederschlägt, steht diese intrinsische Motivation im Vordergrund. Sie ist die Basis für langfristige Veränderungen und Synergien zwischen Mitarbeitenden und ganzen Abteilungen.

Mit Citizen Developern die digitale Transformation vorantreiben

Dass Applikationen auch abseits der IT-Abteilung programmiert werden, ist bei vielen Unternehmen heute Gang und Gäbe. Der Einsatz von Citizen Developern erhöht dabei deutlich die Flexibilität, Innovationskraft und Produktivität, ohne dass Support seitens der IT nötig wird. Neben den Vorteilen für das ganze Unternehmen profitieren aber besonders die einzelnen Abteilungen von Citizen Developern: Sie können sich selbst genau die Lösungen entwickeln, die ihre konkreten Probleme beseitigen – und das auch noch schneller und unkomplizierter als zuvor. Damit leisten Citizen Developer einen entscheidenden Beitrag zur digitalen Transformation und profitieren gleichzeitig direkt selbst von ihrem Einsatz – eine Win-Win-Situation im Kampf gegen den Fachkräftemangel!

Larissa Wissmann ist seit 2014 bei der Haufe Group in unterschiedlichen Rollen im Bereich IT Service Management tätig. Seit November 2021 verantwortet sie als Head of Digitalization das Vorantreiben der Digitalen Transformation der Haufe Group. In dieser Rolle beschäftigt sie sich vor allem mit Performance-Themen, die Potenziale innerhalb des Unternehmens freilegen sollen und hat sich dem Thema Citizen Developer verschrieben.

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