Wie KI zu einer nachhaltigen Energieversorgung beitragen kann

Künstliche Intelligenz (KI) kann in Kombination mit anderen Technologien einen wichtigen Beitrag für eine klimafreundliche und effiziente Energieversorgung leisten. Mit dem Wandel unserer Energiesysteme weg von großen Atom- und Kohlekraftwerken hin zu vielen kleinen Photovoltaik- und Windkraftanlagen entstehen verteilte Strukturen, die eine zunehmend dezentrale Steuerung erfordern. Eine weitere Herausforderung beim Ausbau regenerativer Energiequellen: Das Wetter über einen großen Einfluss auf die Energiegewinnung aus, sodass eine höhere Flexibilität der Systeme erforderlich ist.  Mithilfe von KI-Systemen können wir den neuen Anforderungen in unserem Energiesystem gerecht werden.
Von   Astrid Niesse   |  Professorin   |  Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg
10. November 2022

Unsere Energiesysteme befinden sich in einem Wandel, der mit steigender Komplexität einhergeht. Nur durch eine vollständige Digitalisierung der Systeme kann die Koordination von Energieerzeugung und -verbrauch künftig gelingen. Wie die Digitalisierung und KI-Systeme unsere Energiesysteme effizienter und resilienter gestalten kann, erforscht der Forschungsbereich Energie des Oldenburger Informatikinstituts OFFIS.

Um zum Beispiel Wetterdaten auszuwerten, können KI- Verfahren des maschinellen Lernens herangezogen werden. Auf Grundlage dieser Daten können dann Prognosen zur Einspeisung von wetterabhängigen Verbrauchern erstellt werden. Eine solche Prognose kann anschließend verwendet werden, um die Erzeugung und den Verbrauch anderer Anlagen darauf abzustimmen, Abregelungen zu vermeiden und so die Nutzung von grünem Strom zu maximieren. In ihrem Whitepaper „Mit Künstlicher Intelligenz zu nachhaltigen Geschäftsmodellen“ sowie auf ihrer KI-Landkarte zeigt die Plattform Lernende Systeme weitere Praxisbeispiele auf, wie ein sicheres und effizientes Management der Stromnetze durch KI-basierte Vorhersagen ermöglicht wird. 

Neue Herausforderungen im nachhaltigen Stromnetz

Während große Anlagen der Energieerzeugung, wie Atom- und Kohlekraftwerke, an Hoch- und Höchstspannungsnetze angeschlossen sind, findet die dezentrale Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien auf niedrigeren Spannungsebenen in den Verteilungsnetzen statt. Daher werden die Verteilnetze derzeit in einer Weise genutzt, für die sich nicht ausgelegt sind. Auf den unteren Netzebenen gibt es wenig Messtechnik und Sensorik zur Überwachung der Betriebszustände. Bisher war die rechnerische Auslegung des Betriebs ausreichend, da die Energie der zentralen Kraftwerke von oben nach unten an die Verbraucher geleitet wurde und keine Einspeisungen stattfanden. Ein Problem für die Netze stellen nun etwa Elektrofahrzeuge dar, da deren hohe Verbräuche zu den unvorhersehbaren Einspeisungen hinzukommen. Um die drohenden Überlastungen von Netzelementen rechtzeitig erkennen und verhindern zu können, müssen die Zustände der Verteilnetze transparent gemacht werden. Allerdings gilt der flächendeckende Ausbau von Sensorik in den Verteilnetzen als unwirtschaftlich. KI-Systeme können hier einen wichtigen Beitrag leisten. Durch neuronale Netze, die auf der KI-Methode des Deep Learnings beruhen, können die Netzzustände zuverlässiger und präziser vorhergesagt werden, selbst wenn keine umfassenden Kenntnisse zum jeweiligen Netzteil vorliegen. 

Auch durch eine intelligente Koordination der vielen Klein- und Kleinstanlagen können Netzengpässe vermieden werden. Ein Beispiel dafür findet sich bei den Elektrofahrzeugen, die das Risiko einer Überlastung erhöhen. Oftmals werden diese etwa nach Feierabend geladen, sodass zu diesem Zeitpunkt sehr viel Energie auf einmal erforderlich wird. In den meisten Fällen müssen diese Fahrzeuge aber nicht gleichzeitig mit voller Leistung aufgeladen werden, was zu Netzengpässen führen kann. Stattdessen reicht es in den meisten Fällen, wenn durch eine intelligente Koordination die Fahrzeuge am nächsten Morgen vollgeladen sind. 

Eine weitere Unterstützung können KI-Systeme im Bereich des Datenschutzes darstellen. Beispielsweise dürfen smarte Kleinstanlagen, etwa die Wärmepumpe eines Eigenheimbesitzers, keine Rückschlüsse auf sensible Informationen ermöglichen. Im Falle des Eigenheimbesitzers könnten etwa Einbrecher aus den Daten die Urlaubszeiten des Bewohners ableiten, um einen geeigneten Zeitpunkt für den Einbruch zu finden. Eine Lösung stellen verteilte selbst-organisierte Systeme dar, bei denen jede relevante Einheit im Stromnetz mit einer KI-Software ausgestattet wird. Dieses System kann dann die benötigten Daten der Wärmepumpe als „Agent“ erfassen, mit anderen intelligenten Geräten interagieren, um Probleme zu lösen und auf lokaler Ebene eigenständige Entscheidungen treffen. 

Mehr Sicherheit und Stabilität durch verteilte KI

Der Batteriespeicherschwarm, den OFFIS in enger Zusammenarbeit mit Partnern aus der Praxis entwickelte, ist ein Beispiel für ein solches System. Batteriespeichersysteme werden an verschiedenen Standorten für unterschiedliche Zwecke eingesetzt, etwa in der Optimierung des Eigenverbrauchs in Kombination mit Photovoltaik- oder Windanlagen und bei der Spitzenlastkappung bei industriellen Verbrauchern. Die Batteriespeichersysteme bieten jedoch noch mehr Anwendungsmöglichkeiten. Jeder Speicher wurde im Sinne einer Mehrzwecknutzung mit einem digitalen Agenten ausgestattet, der die Eigenschaften und den Zustand seines Batteriespeichers kennt. Zudem kann er auf Basis historischer Daten und mittels maschinellen Lernens Prognosen über die Erzeugung oder den Verbrauch der Kundenanlagen vor Ort erstellen. Anschließend kann der Agent bestimmen, wann und in welchem Umfang der Batteriespeicher für seinen primären Anwendungsfall benötigt wird und ob der Speicher darüber hinaus zu anderen Tageszeiten für weitere Einsatzzwecke genutzt werden kann. Außerdem können die Agenten selbst-organisiert die Verpflichtungen untereinander aufteilen, wenn ein Agent aufgrund einer Prognoseabweichung seine Verpflichtung aus der Sekundärvermarkung nicht einhalten kann.

Durch die Nutzung des Agentensystems entstehen mehrere Vorteile, wie dieses Beispiel zeigt. Es werden nur die notwendigen Daten übermittelt, da die Agenten die Informationen lokal verarbeiten. Somit wird der Datenschutz gewahrt, die Skalierbarkeit erhöht und der Kommunikationsaufwand reduziert. Zudem sind diese Systeme besonders robust, da durch den Ausfall einzelner Agenten nicht die Funktionsfähigkeit des Gesamtsystems in Gefahr ist. Auch die Flexibilität ist eine Stärke. Die selbst-organisierten Systeme sind fähig, Probleme möglichst lokal zu lösen, wenn unerwartete Änderungen auftreten. Damit tragen sie zu einem stabilen Netzbetrieb in der fortschreitendenden Energiewende bei und stellen einen wertvollen Bestandteil unserer zukünftigen digitalisierten Energiesysteme dar.

In der aktuellen Forschung werden auch die Herausforderungen diskutiert, die mit dem KI-Einsatz im Energiesystem einhergehen. Eine zentrale Fragestellung ist etwa, wie die KI-Systeme vor Angriffen geschützt werden können. Darüber hinaus müssen Entscheidungen, die von KI-Systemen getroffen werden, für den Menschen nachvollziehbar sein, insbesondere, wenn die kritische Infrastruktur betroffen ist. Wie sich das kollektive Verhalten von selbst-organisierten Systemen erklären, begründen und verifizieren lässt, ist daher ebenfalls Gegenstand der Forschung. 

Astrid Nieße ist Professorin für Digitalisierte Energiesysteme an der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg und betreut anwendungsbezogene Forschungsprojekte am universitären An-Institut OFFIS – Institut für Informatik. Zudem ist sie Mitglied der Arbeitsgruppe Geschäftsmodellinnovationen der Plattform Lernende Systeme.

Um einen Kommentar zu hinterlassen müssen sie Autor sein, oder mit Ihrem LinkedIn Account eingeloggt sein.

32080

share

Artikel teilen

Top Artikel

Ähnliche Artikel