Warum radikale Transparenz eine CFO-Priorität sein sollte

Von   Marco Schulten   |  Market Director   |  Proactis
30. Dezember 2020

Radikale Transparenz sickert langsam durch Organisationsfunktionen. Das Konzept, das auf einer radikalen Erhöhung der Offenheit von organisatorischen Prozessen und Daten beruht, ist relativ neu. Internationale Aufmerksamkeit erhielt es im Jahr 2017 in einem Buch von Ray Dalio, einen etablierten Teil des Geschäftsalltags ist es bislang nicht.
Dennoch ist ein Wandel im Gange. Was als strategisches, fast visionäres, Konzept began, ist heute zu einem greifbaren und messbaren Ansatz der Unternehmensführung geworden. Die Digitalisierung von Beschaffungsprozessen ist hierbei ein zentrales Element.

Radikale Transparenz ist vor allem in den Bereichen Beschaffung, Nachhaltigkeit und Management zu Hause. Ihr wertvollster Nutzen zeigt sich im Management von Lieferketten, die 5,5-mal[1] mehr CO2-Emissionen verursachen als die direkte Geschäftstätigkeit eines Unternehmens und in jeder Phase mit ethischen Herausforderungen verbunden sind.

Mittlerweile ist es derart wichtig das Lieferkettenmanagement optimal zu gestalten, dass die meisten CPOs[2] mehr in Transparenz und Nachhaltigkeit investieren als in die Suche nach neuen Partnerschaften oder die Erschließung weiterer Beschaffungsquellen in neuen Ländern. In der Tat zeigt eine Deloitte-Umfrage[3] unter CPOs auf, dass eine Verlagerung weg von globalen Wertschöpfungsketten und hin zu inländischen oder regional ausgerichteten Lieferketten stattfindet. Dies bietet den zusätzlichen Vorteil, dass in einer Zeit in der Komplexität nicht willkommen sein dürfte, Risiken verringert und Prozesse vereinfacht werden.

Letztendlich ist der Prozess entscheidend. In Anbetracht der steigenden Beschaffungskosten durch die Auswirkungen von Covid-19 auf die Produktion sowie die Vertriebsnetzwerke, können Unternehmen nicht riskieren, dass sich schwarze Löcher in ihren Lieferketten befinden.

Viele Aspekte der radikalen Transparenz werden im Grunde durch die Finanzfunktion gestaltet. Es ist an der Zeit, dass das Konzept bei den Finanzteams ankommt und zu einer strategischen Priorität der CFOs wird.

Die wichtigsten Elemente der radikalen Transparenz betreffen den Finanzbereich auf zwei Arten. Einerseits erfordern einige dieser Maßnahmen langfristige Investitionen – zum Beispiel könnte die Digitalisierung einer Rückverfolgbarkeitsstrategie die Einführung neuer Technologien zur Kennzeichnung oder Nachverfolgung von Produkten beinhalten. Andererseits erfordern einige Entscheidungen bereits heute ein aktives Finanzmanagement, wie etwa die Lohnverwaltung, die Harmonisierung von Beschaffungsstandards oder die Automatisierung von Prozessen.

Was sind die Risiken des Nichthandelns? Der gesamte Source-to-Pay-Prozess ist ein Balanceakt zwischen Compliance und Effizienz. Wenn Unternehmen jedoch nicht sicher sein können, dass ihre Lieferanten die Leistungs- und ethischen Standards einhalten, geschweige denn, dass sie behördliche Auflagen oder Zahlungsbedingungen erfüllen, besteht ein erhebliches Risiko von Betriebsstörungen, Kosten und Imageschäden.

Daher werden Unternehmen, die das Thema aus dem Blickwinkel des Finanzwesens betrachten, besser in der Lage sein die Kunst des Möglichen zu verstehen.

Dies ist auch der Grund, weshalb CFO und CPO ihr Vorgehen aufeinander abstimmen müssen. Das Ausgabenmanagement, insbesondere das Supply Chain Management, ist ein kontinuierlicher Prozess. Von der Konsolidierung eines Lieferantenstamms, der regelmäßigen Prüfung des Marktes, der Reaktion auf Geschäftsanforderungen und sogar der Nutzung von Ausgaben bis hin zur Verwaltung von Budgetüberschüssen, stellt das Lieferantenmanagement eine Konstante dar. Keine andere Unternehmensfunktion hat mehr Einfluss und Einblick in diese Prozesse als das Finanzwesen.

Die Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie auf die Lieferketten sind ein anschauliches Beispiel. Wo die Globalisierung die Lieferketten einst stärker und zugänglicher machte, sind sie heute fragil. Logistik-Entscheidungen wurden durch mangelnde Mobilität gekippt und komplette Produktionsprozesse wurden unterbrochen oder stillgelegt. Es liegt in der Verantwortung des CFO, die finanziellen Prioritäten neu auszubalancieren und die betroffenen Abteilungen – Beschaffung, Audit, Nachhaltigkeit und sogar Marketing – in die Lage zu versetzen, mit schnellen Veränderungen umzugehen.

Zentral für den Wandel ist die Digitalisierung. Ein klassisches Beispiel aus der Finanzfunktion ist der Anstieg der elektronischen Rechnungsstellung seit dem Lockdown. Wir wissen von unserem eigenen internationalen Kundenstamm, dass es in den Monaten nach der Abschottung einen wichtigen Schwenk in Richtung papierlose Rechnungsstellung gab. Außerdem wissen wir, dass die Geschwindigkeit, mit der dies geschah, für viele Unternehmen, welche nicht über eine geeignete Software zum Lesen oder Einreichen elektronischer Dokumente verfügten, ein schnelles On-Boarding erforderlich machte.

Selbstverständlich gibt es eine längere Liste von Beispielen dafür, wie die Digitalisierung zu finanziellen Einsparungen und Ressourceneffizienz in der Lieferkette führen kann. Die CFOs müssen dies mit Nachdruck verfolgen und Hand in Hand mit denjenigen arbeiten, die die Lieferanten managen, um zu erkennen, wo die besten Erträge erzielt werden können. Von der Distribution und Sendungsverfolgung bis hin zur Qualitätskontrolle, der Einhaltung von Vorschriften und sogar der Risikobewertung, können viele Aufgaben jetzt bis zu einem gewissen Grad automatisiert werden.

Die häufigsten Schwachstellen in Lieferketten finden sich bei manuellen Prozessen. Nicht selten lassen sich unerwartete Ergebnisse durch diesen grundlegenden Faktor begründen. So kann dieser erklären warum gekaufte Artikel nicht dem tatsächlichen Bedarf entsprechen, wie der Kauf außerhalb des Vertrags zu einem teuren Problem wird und warum unerwünschte Verträge automatisch verlängert werden, wenn sie hätten annulliert oder neu verhandelt werden müssen.

Wenn diese Aufgaben in der Praxis manuell und ad-hoc durchgeführt werden, können die Ergebnisse ein Unternehmen Geld sowie Ressourcen kosten. Häufig handelt es sich hierbei jedoch um tief verwurzelte Abläufe, die innerhalb der Finanz- oder Beschaffungsteams liegen und schwer zu erkennen sein können.

Abgesehen von den finanziellen Einsparungen und dem Management von Lieferketten im Besonderen, gibt es auch Reputations- und strategische Vorteile durch radikale Transparenz in der Finanzfunktion. Verbraucher und Aktionäre erwarten in zunehmendem Maße, dass zweckgebundene Gewinne erzielt werden. Wenn man also offen demonstrieren kann wie aktives Finanzmanagement die eigene Geschäftsstrategie unterstützt, wird sich dies langfristig rentieren. Erklärungen, warum und wie Ihre Gewinnausschüttung funktioniert, was Ihre Anlagestrategie ist oder wie Sie den geschlechtsspezifischen Lohnunterschied bekämpfen, sind nur drei Beispiele dafür, wie Sie wichtige Interessengruppen für sich gewinnen können.

Radikale Transparenz kennzeichnet ein modernes und offenes Unternehmen. Aber sie bietet viel mehr als das: Wenn sie innerhalb der Finanzbereiche angewendet wird, kann sie Ressourcen freisetzen, Kosten reduzieren und ein Unternehmen zum Vorteil aller Beteiligten optimieren. Für CFOs ist es höchste Zeit, diese Grundsätze bereits jetzt zu verinnerlichen.

 

 

Quellen und Referenzen:

[1] https://www.cdp.net/en/research/global-reports/global-supply-chain-report-2019

[2] McKinsey Apparel CPO Survey 2019

[3] Deloitte CPO survey 2019

Marco Schulten, Market Director bei Proactis, ist seit über 20 Jahren spezialisiert auf Cloud-basierte Software und Dienstleistungen, die an Unternehmen aller Größenordnungen und Branchen vermarktet werden. Dies umfasst Workflow-Lösungen für eCommerce, eProcurement, eInvoicing, ePayment und auch eLearning.

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