Das Thema Künstliche Intelligenz (KI) ist – nicht zuletzt durch die starke Präsenz von ChatGPT – in den vergangenen Monaten in aller Munde. Oft wird gar deren Durchbruch gefeiert. Dies bedarf einer kritischen Betrachtung: Geht man von einem Reifegrad-Modell für KI-Module aus, befinden wir uns aktuell bestenfalls im Übergang von einer schwachen KI (Reifegrad 1), die mit rein unterstützenden maschinellen Funktionen arbeitet, hin zu einer automatisierten KI (Reifegrad 2), die automatisiert wiederholende Tätigkeiten durchführen kann und ggf. kodifiziert. Von einer starken KI (Reifegrad 3), die autonom und zielorientiert arbeitet, sind wir hingegen noch ein weites Stück entfernt.
Das Ziel von KI ist es, eine Simulation der Intelligenz des Menschen mittels Technologie zu erschaffen [1]. In der Theorie wird die Künstliche Intelligenz definiert als ein System, welches in der Lage ist, kognitive Problemstellungen zu bewältigen, die mit dem kognitiven menschlichen Vorbild zu vergleichen sind oder als solches wahrgenommen werden. In diesem Zusammenhang stehen Fähigkeiten wie das Wahrnehmen, Argumentieren und autonome Lernen sowie analog dazu eigene Ansätze zur Lösung von Problemstellungen [2].
Daran erkennt man bereits, dass ChatGPT eine Ausprägung der Artificial Narrow Intelligence ist, also eine schwache Form der KI. Dies soll aber keinesfalls heißen, dass ChatGPT schwach ist. Je nach Einsatzfeld leistet dieser Außergewöhnliches und in dieser Qualität Erstmaliges. Da jede Form des autonomen Lösens von Aufgaben und Problemen durch eine technologische Lösung als KI bezeichnet wird, [1] sind auch ChatGPT und andere ähnliche Technologien wesentliche Bestandteile davon. Bei der Analyse der Flut von Veröffentlichungen zu Corona und der Erstellung von Texten dazu hätte ein entsprechender KI-Textgenerator auch während der Pandemie eingesetzt werden können.
Einsatz von KI im Gesundheitswesen
KI ist dafür prädestiniert, große Datenmengen auszuwerten. Voraussetzung für verwendbare Ergebnisse sind die Methodik sowie Qualität und Menge der vorliegenden Daten. Im Gesundheitswesen ist eben jene Menge sehr groß und selbst für einen medizinischen Spezialisten nur schwer zu überblicken und zu analysieren. Schon seit den 1970er-Jahren wird daran geforscht, wie diese Datenmenge besser genutzt werden kann [3]. Insbesondere im Bereich der Onkologie, der Kardiologie und bei genetischen Krankheiten ist man mit KI jetzt in der Lage, die hohe Datenmenge im Gesundheitswesen besser zu nutzen [4].
Anwendung findet KI beispielsweise in Radiologischen Instituten bei der Untersuchung von Gewebeveränderungen wie Tumoren [3]. Dazu wird im Deep-Learning-Verfahren eine KI mit Bildern trainiert, auf denen der Arzt gesundes und auffälliges Gewebe markiert. Anschließend untersucht die KI im konkreten Fall ggf. auch mehrfach die Aufnahmen von 900 Schichten und sortiert die Bilder aus, bei denen es seit der letzten Untersuchung keine Veränderungen gab. Dank dieser Untersuchungsmethode lässt sich beispielsweise das Tumorwachstum bei bestimmten Brustkrebsarten wesentlich genauer vorhersagen und therapieren. Eine KI-gestützte Analyse kann die Bilder nicht nur viel schneller als ein Mensch untersuchen, sondern wesentlich genauer Pixel für Pixel vergleichen. Damit ist neben der Zeitersparnis auch das Risiko, eine Gewebeveränderung zu übersehen, wesentlich geringer.
Einsatz von KI in den Anfängen der Pandemiebekämpfung
Das Spannende beim Einsatz von KI in den Anfängen der Coronapandemie ist, dass es sich dabei um ein schwierig vorauszusagendes Ereignis handelte und damit auch relativ wenige nutzbare Daten zur Verfügung standen [5].
Die Coronapandemie hat weltweit zu Ideenwettbewerben geführt, in denen innovative Lösungen vorgestellt wurden, um die Pandemie u.a. mittels KI-Technologien zu bekämpfen. Einige dieser Lösungen sind umgesetzt worden oder befinden sich in der Umsetzung. Die Europäische Kommission hat beispielsweise eine Initiative unter dem Namen „AI-ROBOTICS vs. COVID-19“ zur Sammlung von Ideen über einsetzbare Künstliche Intelligenz und Robotiklösungen sowie Informationen über andere Initiativen gestartet. Sie könnten langfristig zur Bewältigung der andauernden COVID-19-Krise beitragen. Die Initiative zielt darauf ab, ein einzigartiges Repository zu schaffen, das für alle Bürger, Interessengruppen und politischen Entscheidungsträger leicht zugänglich ist und Teil der gemeinsamen europäischen Reaktion auf den Ausbruch von COVID-19 wird.
Um die Flut der weltweiten Beiträge und Artikel, die seit dem Auftreten der Pandemie täglich erscheinen, zu filtern und um die relevanten und faktenbasierten zu identifizieren, hat die nicht-kommerzielle Organisation Allen Institute for Artificial Intelligence (AI2) ein Tool namens SciFact entwickelt. Das System basiert auf einem neuronalen Netzwerk namens VeriSci und verwendet Wikipedia-Daten, wissenschaftliche Daten und Semantic Scholar einer frei zugänglichen Datenbank von wissenschaftlichen Aufsätzen [6] [7].
Folgende beiden Beispiele für Studien zeigen, wie die KI die Qualität von Diagnosen verbessert hat:
- Untersuchungen des klinischen Spektrums der Krankheit und prädiktiver Indikatoren in einer Fallserie aus Wenzhou, Zhejiang, China. Dabei wurde mittels Machine Learning das Risiko eines schweren Krankheitsverlaufes, beispielsweise die Entwicklung des Atemnotsyndroms ARDS, oder eines letalen Verlaufs vorhergesagt [8].
- Eine Studie in „Nature Medizin“ zeigt auf, wie mittels KI die Treffsicherheit von Verdachtsdiagnosen erhöht wird. Damit kann durch ein natives Niedrigdosis-CT des Thorax COVID-19 nachgewiesen werden, bevor die Ergebnisse der PCR-Testung vorliegen [9].
Ausblick auf die KI-Entwicklung im medizinischen Bereich
KI-basierte Verfahren und Methoden werden zunehmend in der Diagnose und Befunden im medizinischen Bereich eingesetzt werden. Ein Beispiel dafür ist die Verwendung der Ada Health App durch Privatpersonen. Ziel war es innerhalb von Minuten eine qualitativ hochwertige Symptomanalyse und sichere Handlungsempfehlungen zu geben. Ada erkennt ernste Gesundheitsprobleme, darunter seltene pädiatrische, geburtshilfliche und psychische Erkrankungen. Dies dient als Instrument, Erkrankten die Zeit vom Auftreten von Symptomen bis hin zur richtigen Diagnose zu Verkürzen und damit eine schnelle Therapie und Medikation durch medizinisches Fachpersonal zu ermöglichen. Dass mittlerweile über 13 Millionen Personen diese Technologie genutzt haben und über 30 Millionen Symptomanalysen abgeschlossen wurden, zeigt das enorme Potenzial [10].
Das Tool ist nur eines der Beispiele, die zeigen, dass KI uns bereits heute hilft, Krankheiten effektiver und effizienter zu diagnostizieren. Sie wird damit auch ein Treiber für Smart Medicine. Die Pharmaindustrie setzt beispielsweise KI ein, um neue Medikamente erfolgreicher zu entwickeln. Daraus ergeben sich immer mehr personalisierte Behandlungsmöglichkeiten. Die Künstliche Intelligenz ist dabei die Basistechnologie, um schnell relevante Krankheitsmuster in komplexen Zusammenhängen zu identifizieren und zu analysieren. Daraus lassen sich präzisere, individualisierte und kostengünstigere Behandlungen initiieren. Abschließend anzumerken ist in diesem Kontext, dass der Einsatz von KI im Gesundheitssektor teilweise durch hemmende Faktoren ausgebremst wird – sei es durch den Datenschutz oder die Akzeptanz seitens der Patientinnen und Patienten. Dies ist aber mit Sicherheit ein Thema, das in naher Zukunft gelöst sein wird.
Quellen:
[1] Djeffal, C. (2018). Künstliche Intelligenz in der Öffentlichen Verwaltung. Berlin: Nationales E-Government Kompetenzzentrum, S. 6
[2] Kreutzer, R. T., & Sirrenberg, M. (2019). Künstliche Intelligenz verstehen. Grundlagen – Use-Cases –unternehmenseigene KI-Journey. Wiesbaden: Springer, S. 2/3
[3] Lenzen, M. (2019). Künstliche Intelligenz: Was sie kann & was uns erwartet (3. Aufl.). München: C.H. Beck., S. 154-159
[4] Ramge, T. (2018). Mensch und Maschine: Wie Künstliche Intelligenz und Roboter unser Leben verändern (5. Aufl.). Stuttgart: Reclam, S. 62
[5] Matthias Neu , Melanie Müller , Biju Pothen , Moritz Zingel (2023), Anwendungsfelder und Herausforderungen der Künstlichen Intelligenz, Wiesbaden: Springer, S. 89-91
[6] Allen Institute for Artificial Intelligence, 2020. https://allenai.org/data/scifact
[7] Allen Institute for Artificial Intelligence, 2020 https://scifact.apps.allenai.org/
[8] Xiangao Jiang, Megan Coffee, Anasse Bari,Junzhang Wang, Xinyue Jiang, Jianping Huang, Jichan Shi, Jianyi Dai, Jing Cai, Tianxiao Zhang, Zhengxing Wu, Guiqing He, Yitong Huang. Towards an Artificial Intelligence Framework for Data-Driven Prediction of Coronavirus Clinical Severity 2020
[9] Schulze-Hagen M, Hübel C, Meier-Schroers M, Yüksel C, Sander A, Sähn M, Kleines M, Isfort P, Cornelissen C, Lemmen S, Marx N, Dreher M, Brokmann J, Kopp A, Kuhl C: Low-dose chest CT for the diagnosis of COVID-19—a systematic, prospective comparison with PCR. Dtsch Arztebl Int 2020; 117: 389–95. DOI: 10.3238/arztebl.2020.0389
[10] https://ada.com/de/
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