QC aus Anwendersicht

hat 1999 am MPI für Festkörperforschung in Stuttgart mit einer theoretischen Arbeit zu inelastischer Lichtstreuung an Hochtemperatursupraleitern promoviert. Danach ging er direkt in die Bosch-Forschung, wo er zunächst für mehr als 10 Jahre auf dem Gebiet des Software-Engineering forschte und als System- und Software-Architekt arbeitete. Im Jahr 2013 begann er, Quantenkryptographie und später Quantencomputing zu scouten. Momentan koordiniert Thomas die Quantentechnologie-Aktivitäten bei Bosch. Er ist außerdem das zweite deutsche Mitglied des europäischen Quantum Community Network (QCN) und Mitarbeiter des Flagship Coordination Office (FCO). Thomas ist sehr aktiv bei der Gründung des European Quantum Industry Consortium (QuIC) und Projektmitarbeiter im europäischen QRANGE-Projekt, wo er Beiträge zur quantentheoretischen Modellierung von Zufallszahlengeneratoren leistet.
Interview von DIGITALE WELT Magazin
18. März 2021
Interviewpartner

Dr. Thomas Strohm

hat 1999 am MPI für Festkörperforschung in Stuttgart mit einer theoretischen Arbeit zu inelastischer Lichtstreuung an Hochtemperatursupraleitern promoviert. Danach ging er direkt in die Bosch-Forschung, wo er zunächst für mehr als 10 Jahre auf dem Gebiet des Software-Engineering forschte und als System- und Software-Architekt arbeitete. Im Jahr 2013 begann er, Quantenkryptographie und später Quantencomputing zu scouten. Momentan koordiniert Thomas die Quantentechnologie-Aktivitäten bei Bosch. Er ist außerdem das zweite deutsche Mitglied des europäischen Quantum Community Network (QCN) und Mitarbeiter des Flagship Coordination Office (FCO). Thomas ist sehr aktiv bei der Gründung des European Quantum Industry Consortium (QuIC) und Projektmitarbeiter im europäischen QRANGE-Projekt, wo er Beiträge zur quantentheoretischen Modellierung von Zufallszahlengeneratoren leistet.
Interviewpartner

Thomas Strohm ist Senior Expert und Coordinator Quantum Technologies bei Bosch. Bosch arbeitet aktuell – wie viele andere Konzerne auch – an der Erforschung, Entwicklung und Nutzung des Quantencomputings. Der Weg dazu ist nur über gemeinsame und internationale Vorhaben zu bewerkstelligen. So ist Thomas Strohm sehr aktiv bei der Gründung des European Quantum Industry Consortium (QuIC). Von seiner technischen Erfahrung bei Bosch profitierend, spricht er über die aktuelle Quantencomputing-Situation in der Industrie.

Welche Rolle spielen „Quanten“ in Ihrem Metier?

Bosch ist einer der größten Technologiekonzerne. Insofern ist es ganz natürlich, dass die „Quanten“ eine große Rolle für Bosch spielen werden. Bosch ist Weltmarktführer bei mikroelektromechanischen Sensoren: Drei von vier Mobiltelefonen sind mit Beschleunigungssensoren und ähnlichen Sensoren von Bosch ausgestattet. Auf „Quanten“ basierende Sensoren können um mehrere Größenordnungen empfindlicher sein als konventionelle Sensoren. Quantensensoren haben das Potenzial, neue Anwendungen zu ermöglichen und die Stellung von Bosch im Sensorgeschäft zu verfestigen. Beim Quantencomputing ist man ziemlich sicher, dass es in einigen Gebieten wie der Simulation und Entwicklung von Materialien, chemischen Stoffen und Medikamenten völlig neue Möglichkeiten eröffnen wird. Man ist auch sehr zuversichtlich, dass es darüber hinaus große Vorteile gibt, etwa bei den allgegenwärtigen Optimierungsaufgaben oder beim Maschinenlernen. Hier ist aber auf der Algorithmenseite noch viel Forschung durchzuführen, und natürlich müssen die dafür benötigten Quantencomputer gebaut werden. Hier stellen die unterschiedlichen Anwendungen teilweise stark unterschiedliche Anforderungen an die Quantencomputer-Hardware. Schließlich haben wir auch eine kleinere Aktivität auf dem Gebiet der Quantenkryptographie. Das ist wichtig für uns, denn es trägt zu einer Verbesserung der Datensicherheit in den zunehmend vernetzten Systemen bei.

Auf Ihrer Website schreiben Sie: „Quantentechnologien sind ein Technologiebereich, der heute noch in den Kinderschuhen steckt; daher kommen der Zusammenarbeit mit der akademischen Gemeinschaft und öffentlichen Förderprogrammen hier besondere Bedeutung zu.“ Wie sieht diese Zusammenarbeit mit Forschung und Öffentlichkeit konkret aus?

Sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene gibt es Förderinitiativen, die Projekte beinhalten, an denen explizit Akademia und Industrie zur Teilnahme aufgerufen sind. Wir sind selbst an einigen solchen Projekten beteiligt und schätzen den engen Austausch mit Akademia. Des Weiteren haben wir auch eine enge Zusammenarbeit mit einigen Universitätsinstituten in unserer Umgebung.

Sie sind als Vertreter der deutschen Industrie im European Quantum Community
Network aktiv. Wie steht es um die Quantentechnologie im internationalen Vergleich? Wo steht Europa? Wo steht Deutschland?

Das hängt sehr stark von der Quantentechnologie ab. Wenn wir einen Blick ins Gebiet des Quantencomputings machen, muss ich leider feststellen, dass die USA, aber auch China, Europa gerade davonlaufen. Unsere Akademia ist zwar in vielen Bereichen sehr gut aufgestellt, aber bei der industriellen Umsetzung hinken wir momentan hinterher. Ein Grund dafür ist, dass wir keine oder wenige so kapitalstarke IT-Unternehmen wie in den USA haben. US-amerikanische Startups können sich aber auch einfacher und erfolgreicher mit Kapital versorgen als deren europäische Pendants.

Der Mischkonzern Honeywell feierte Anfang 2020 einen Durchbruch beim Quantencomputing. Man spricht selbst vom weltbesten Quantencomputer, weil er doppelt so viele Quantenvolumen als andere Computer dieser Art habe. Doch das Selbstlob ist durchaus umstritten. Wie be- werten Sie die Invention?

Honeywell ist ein erfolgreicher Entwickler von Quantencomputer. Dass deren Quantencomputer der weltbeste sein soll, liegt aber eher an den Unzulänglichkeiten des Leistungsmerkmals „Quantum Volume“ als an den Fähigkeiten des Honeywell-Systems. Wie sieht die Implementierung von Quantentechnologie bei Bosch aus? Können Sie angewandte Beispiele nennen und erläutern? Ein Beispiel sind Farbzentren in Diamanten. Reiner Diamant besteht lediglich aus Kohlenstoff-Atomen. In der Regel hat man aber eine minimale Verunreinigung mit Stickstoff-Atomen, die dem Diamanten eine schwache rote Färbung geben. Die Farbzentren verhalten sich ähnlich wie Qubits, allerdings mit Energien, die von der Stärke des anliegenden Magnetfeldes abhängen. Eine Energiemessung ergibt dann direkt die Feldstärke. Solche Magnetfeldsensoren entwickeln wir.

Was ist der Unterschied zwischen „Quanten“ und „Qubits“?

Das Wort „Quant“ lässt sich nur schwer definieren. Ursprünglich wurde damit gemeint, dass die Energie eines Quantensystems unter Umständen nur diskrete „quantisierte“ Werte annehmen kann. So ist das z. B. beim Elektron eines Wasserstoff-Atoms. Und wenn es Energie abgibt, kann es das nur in „Energiequanten“ einer bestimmten Größe tun. Daher rühren die Fraunhofer-Linien in Lichtspektren. Die Energie eines Feldes (wie z. B. einer Mode des elektromagnetischen Feldes) ist ebenfalls quantisiert, und hier beschreibt man das durch Photonen. Die Energie des Feldes ist dann proportional zur Anzahl der vorhandenen Photonen, welche wiederum eine nichtnegative ganze Zahl ist. Hier nennt man die Photonen „Quanten“. Qubits hingegen sind Quantensysteme, die, grob gesagt, genau zwei verschiedene Zustände annehmen können. Ein Spin (den man sich als kleinen Elementarmagnet vorstellen kann) kann im magnetischen Feld zwei Zustände annehmen: entweder parallel oder antiparallel zum magnetischen Feld. Oben sagte ich „grob gesagt“, denn diese zwei Zustände können wiederum interferieren und dadurch entstehen neue Zustände. Qubits sind für Quantencomputer, was Bits für konventionelle Computer sind.

Wie werden Qubits hergestellt?

Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, Qubits zu realisieren. Man kann dazu Elektronen in Atomen verwenden. Mit einem Laserpuls kann man den Elektronen Energie zuführen oder wegnehmen. Und um die Atome „festzuhalten“, kann man sie elektrisch aufladen (ionisieren) und dann mit einem elektromagnetischen Feld im Vakuum „fixieren“. Eine Alternative sind supraleitende Kontakte. Hier handelt es sich um zwei Metallkontakte, beispielsweise aus Aluminium, die supraleitend (also u. a. ideal stromleitend) und durch eine sehr dünne isolierende Schicht voneinander getrennt sind. In diesen Systemen, die bis knapp vor den absoluten Temperaturnullpunkt abgekühlt werden, existieren dann auch zwei klar getrennte Energiezustände. Zur Manipulation dieser verwendet man Mikrowellen.
Die ionisierten Atome und die supraleitenden Kontakte sind im Moment die für Quantencomputing reifsten Technologien. Es gibt aber etliche weitere vielversprechende Alternativen.

Was würden Sie einem Kleinunternehmen heute raten: Wie schafft es am besten den Sprung in die digitale Zukunft?

Die Unternehmen sollten zunächst herausfinden, inwieweit Quantencomputing ihr Geschäft beeinflussen wird. In der Regel werden Unternehmen die notwendige Kompetenz nicht „an Bord“ haben. Aber es gibt Dienstleister, die die Untersuchung übernehmen können.

Welche Rolle spielt der Zufall in der Quantentechnologie?

Wenn man ein Qubit in den Zustand Null initialisiert, dann „um 90° dreht“ und danach misst, erhält man idealen Zufall: mit jeweils 50% Wahrscheinlichkeit resultiert eine Null oder eine Eins. Um die Wahrscheinlichkeit selbst zu bestimmen, muss man den Versuch aber sehr oft wiederholen und die Anzahl der resultierenden Nullen und Einsen messen. Wenn man mit dem Quantencomputer eine Berechnung macht, will man aber ein möglichst deterministisches (also nicht zufälliges) Ergebnis, denn sonst muss man die Berechnung ja sehr oft wiederholen. Die Konstruktion von Algorithmen, die ein deterministisches Ergebnis liefern, ist aber eine sehr große Herausforderung.

Die Nutzung von Quantencomputern wirft auch ethische Fragen auf. Zum Beispiel benötigen Quantencomputer viel Strom. Außerdem ist bei der enormen Macht, die Quantencomputer generieren, die Gefahr eines Missbrauchs groß. Wie stehen Sie persönlich zu diesem Thema?

Wie stark ein Quantencomputer unsere Stromrechnung belastet, hängt von dessen Realisierung ab. Es gibt kein Gesetz, das besagt, dass ein Quantencomputer mehr Energie „verbrät“ als ein konventioneller Computer. Ganz im Gegenteil könnte ein geschickt implementierter Quantencomputer diesbezüglich günstiger sein.

Interview geführt durch:

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