Gesucht: Qualifizierte Fachkräfte für Finance & Controlling

Des einen Freud, ist des anderen Leid. So könnte man die derzeitige Arbeitsmarktsituation in der Finanzbuchhaltung umschreiben. Während sich Studienabgänger, Wechselwillige und Jobsuchende aus dem Accounting-Umfeld vor Angeboten kaum retten können, ist die Mehrheit der Unternehmen einem enormen Fachkräftemangel ausgesetzt. Doch es gibt Möglichkeiten: Organisationen, die das Arbeitsumfeld im eigenen Finance und Accounting attraktiver gestalten beziehungsweise optimieren, werden gute Mitarbeiter für sich gewinnen.
Von   Ralph Weiss   |  GEO VP DACH   |  BlackLine
14. Juni 2022

Ende 2021 hat das unabhängige Marktforschungsunternehmen Censuswide die personelle Situation in den Finance-und-Accounting-Abteilungen (F&A) genau analysiert. Dafür wurden in Deutschland, Großbritannien, Frankreich, USA, Singapur und Australien die Führungskräfte und Finanzfachleute von 1.150 Großunternehmen und Konzernen befragt. Die Ergebnisse der Studie sind bemerkenswert, zeigen sie doch, dass der Fachkräftemangel inzwischen nicht mehr nur ein Problem der HR-Abteilungen ist, sondern auch in den Führungsetagen ganz oben auf der Agenda steht: International gaben 30 Prozent der Befragten die Gewinnung von Nachwuchstalenten im F&A als wichtigstes Ziel an; in Deutschland waren es immerhin 26 Prozent.

Zwei Seiten einer Medaille

Zwar ist das Bewusstsein auf höchster Führungsebene für die Not der HR-Verantwortlichen durchaus positiv zu bewerten, doch praktisch hilft es nur bedingt. Denn oft kämpfen Unternehmen generell damit, dass die Arbeitsfelder bzw. die Arbeitsumgebung nicht neuesten Maßstäben entsprechen. Gerade in den Finanzabteilungen stößt man noch auf Technologien und Prozesse, die nicht mehr zeitgemäß sind. Durch die Pandemie trat dieser Mangel umso eklatanter in den Vordergrund. Weltweit und auch in Deutschland beklagten 28 Prozent der Unternehmen, dass sie davon ausgehen, dass sich interessierte Bewerber gegen sie entscheiden, weil sie keine hybriden Arbeitsmöglichkeiten anbieten können.

Doch damit nicht genug. Auch auf Seiten der Bewerber ist nicht immer alles tip-top. So beklagen die Unternehmen durchaus konkrete Defizite bei den Bewerbern. 36 Prozent der international und sogar 46 Prozent der in Deutschland im Rahmen der Studie Befragten gaben an, dass es schwierig ist Kandidaten zu finden, die sowohl über die technologischen als auch erforderlichen F&A-Fähigkeiten verfügen.

Digitalisierung gezielt einsetzen

Mitarbeiter insbesondere für die Finanzbuchhaltung zu finden, erweist sich heutzutage als weitaus schwieriger als noch vor einigen Jahren. Fakt ist, qualifizierte Fachleute können sich ihre Jobs aussuchen. Sie können pokern bei Gehalt, Urlaub, flexiblen Arbeitszeiten etc.. Und hat es ein Unternehmen erst einmal geschafft, einen neuen Mitarbeiter an Bord zu holen, muss es schon wieder zittern, dass dieser auch bleibt. Laut Studie gefährden vor allem diese drei Aspekte die langfristige Bindung von Accounting-Mitarbeitern: zu wenige Möglichkeiten sich weiterzubilden, mangelnde Karrierechancen und die Tatsache, dass zu viele sich wiederholende Tätigkeiten ausgeführt werden müssen. Aber dem können die Unternehmen etwas entgegensetzen, denn neben diesen weichen Faktoren spielt auch eine moderne Arbeits- und IT-Umgebung eine wichtige Rolle. Sie können unterstützend einwirken, wenn es darum geht, einen Job für Bewerber aber auch für existierende Mitarbeiter attraktiv zu gestalten. Die Studie hat gezeigt, dass monotone, wiederkehrende Arbeiten durch Software-gestützte Automation oder den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) maßgeblich reduzieren und so ein Jobprofil deutlich interessanter machen. Konkret stehen dabei Tools im Fokus, die es erlauben, fehleranfällige manuelle Tätigkeiten, die sich wiederholen, durch Technologie zu ersetzen, um Kapazitäten für wertschöpfende Tätigkeiten freizusetzen.

Dieser Aspekt spielt vor allem in den Finanzabteilungen eine wichtige Rolle, denn nicht selten müssen hier hochqualifizierte Mitarbeiter ihre Arbeitszeit damit verbringen, die Zahlen und Daten unzähliger Excel-Tabellen zu konsolidieren oder diverse Konten manuell abzugleichen. Gleichzeitig – teilweise vermutlich auch gerade deswegen – ist es für Unternehmen schwer, qualifiziertes Finanzfachpersonal zu finden. Durch einen hohen Grad an Automation, der viele der klassischerweise manuellen Arbeiten eliminiert, lässt sich ein Umfeld schaffen, dass sowohl auf Mitarbeiter als auch auf Bewerber eine große Anziehungskraft ausübt. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von Modern Accounting. Hierin sehen auch die in Deutschland befragten Accounting-Spezialisten Abhilfe. Sie sind davon überzeugt, dass die Integration von Finanzsystemen (28 Prozent), intelligente Automation (30 Prozent) und Prozess-Automatisierung (26 Prozent) bei der Gewinnung neuer Talente helfen.

Veränderungen mit Veränderung begegnen

Die Herausforderungen bei der Suche nach geeigneten Fachkräften für F&A spitzt sich durch einen weiteren Aspekt zu. Das Phänomen, das in den USA seit dem vergangenen Jahr zu beobachten ist und als „Great Resignation“ bezeichnet wird, scheint auch in Europa an Fahrt aufzunehmen. In den USA kämpft die Wirtschaft damit, dass fast 4 Millionen Arbeitnehmer im zurückliegenden Jahr ihren Job gekündigt haben. Diese Great Resignation zieht sich durch nahezu alle Branchen und wurde durch die Pandemie zumindest verstärkt, wenn nicht sogar ausgelöst. Dafür gib es eine Vielzahl an Ursachen, etwa Überarbeitung, Druck, eine mangelnde Work-Life-Balance, unattraktive Arbeiten oder auch fehlende Karrierechancen. Hinzu kommt, dass in den USA, ebenso wie in Europa, die Arbeitslosenrate niedrig ist und den interessierten Fachkräften viele Jobs zur Auswahl stehen. Ergo sind diese wechselwilliger und schneller bereit sich einen neuen Job zu suchen als in der Vergangenheit.

Auch in Deutschland gab es in den zurückliegenden Monaten grundlegende Veränderungen: Lockdowns, das Homeoffice oder Kurzarbeit haben auch hier und in anderen europäischen Staaten die Arbeitnehmer nervös gemacht. Laut Censuswide-Studie haben 25 Prozent der befragten Finanzspezialisten vor, noch ein bis zwei Jahre in ihrem Unternehmen zu bleiben. Hingegen beabsichtigen 14 Prozent, sich innerhalb des nächsten Jahres einen neuen Arbeitgeber zu suchen.

Durch die Ukrainekrise und deren Auswirkungen auf die Wirtschaft könnte sich diese Verunsicherung und Wechselwilligkeit noch verstärken und vor allem die Sinnfrage in den Vordergrund drängen. Die Unternehmen stehen deshalb vor der großen Herausforderung, dieser Verunsicherung konkrete Konzepte entgegenzusetzen. Im Finance und Accounting sollte man sich daher schnellstmöglich damit beschäftigen, wie die eigene Rolle im Unternehmen zukünftig aussehen soll.

Weniger Buchhalter – mehr Berater

Die Rolle des F&A hat sich bereits während der letzten Jahre grundlegend geändert. Das hat viele Ursachen: Im Kern beschäftigen sich Unternehmen damit, wie sie durch Akquisition und die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle agil auf sich immer schneller verändernde Marktbedingungen reagieren können. Diese Bestrebungen laufen in Finance, Accounting und Controlling zusammen. Denn hier wird nicht nur die Performance von Unternehmen überwacht, sondern es werden auch Analysen für wichtige Zukunftsentscheidungen durchgeführt.

Infolgedessen ist die Automatisierung und Digitalisierung des Accountings längst kein Nice-to-Have mehr, sondern überfällig. Nur Unternehmen, die eine akkurate tagesaktuelle Zahlenbasis haben, d.h. Unternehmen, die bereits ein Continuous Accounting umgesetzt haben, sind in der Lage, die erforderlichen Analysen zu erstellen und auf einer gesicherten Datenbasis den Blick nach vorne wagen. Folglich wird sich auch die Rolle der Mitarbeiter in den Finanzabteilungen ändern. Sie werden wertigere Arbeiten durchführen und die Ergebnisse werden sich intensiver in der Unternehmensplanung niederschlagen. Voraussetzung dafür ist ein Modern Accounting, das auf durchgehende Prozesse ohne Medienbrüche und auf einen hohen Automationsgrad setzt. Das wiederum wird motivierte Mitarbeiter und Bewerber nach sich ziehen, die digitale Accounting-Prozesse, hybrides Arbeiten und Cloud-basierte Arbeitsplatzkonzepte zu schätzen wissen.

Unternehmen, die bestehende Prozesse hinterfragen und Standardisierung in den Vordergrund rücken, ihr Finanzteam aktiv einbeziehen und sich die Mehrwerte digitaler Technologien zunutze machen, werden die Früchte dieser Veränderungen schnell ernten – sowohl aus Managementperspektive als auch aus Sicht der Finanzprofis. F&A-Mitarbeiter nehmen automatisch neue Positionen ein. Durch neue Aufgaben sowie neu geschaffene Analysemöglichkeiten verändert sich die Rolle des Buchhalters. Es wird dazu führen, dass die Finanzteams immer öfter in Businessprozesse einbezogen und ihre Aussagen wertgeschätzt werden. Schon in naher Zukunft sind Finanzexperten nicht mehr nur Buchhalter oder Controller, sondern vielmehr Businesspartner.

Fakt ist: Eine innovative Vorgehensweise motiviert Mitarbeiter und automatisierte Prozesse und neuen Rollen im Finance und Accounting wirken sich überaus positiv darauf aus, neue Mitarbeiter zu gewinnen – nicht zuletzt junge Leute, die in einem modernen Finanzwesen Karriere machen wollen.

Ralph Weiss ist Geo VP DACH bei BlackLine und verantwortet das gesamte Geschäft des NASDAQ-Unternehmens in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Seit über 30 Jahren ist Weiss in der Softwarebranche aktiv – über 20 Jahre davon in Führungspositionen in namhaften Unternehmen wie Adobe, Macromedia und Winshuttle. Er verfügt über eine weitreichende und nachhaltige Expertise in diesem Markt, gilt als ausgewiesener SAP Experte und hat sich als jemand, der in der Lage ist Märkte zu öffnen, einen Namen gemacht.

Um einen Kommentar zu hinterlassen müssen sie Autor sein, oder mit Ihrem LinkedIn Account eingeloggt sein.

28596

share

Artikel teilen

Top Artikel

Ähnliche Artikel