Disruptive Making – die Notwendigkeit exponentieller Anpassung von Unternehmen im Kontext Digitalisierung und Sektorenkopplung

The terms " digitalization " and "digital transformation" are ubiquitous in all areas of economy. The goal of digital transformation is the continual adaptation to technological advances. It applies the adaption of digital processes and even to link different sectors of the economy in the form of sector coupling. If a company continues to adapt in a linear velocity, it will not be able to keep pace with exponentially growing developments. A gap develops between digitization on the market and the innovative capability of the company or economic sector, so-called disruption.
Von   Prof. Dr. rer. pol. habil. Dr.-Ing. Tobias Teich   |  Professor für Vernetzte Systeme der Betriebswirtschaft   |  Westsächsische Hochschule Zwickau
  Nicole Gabryelski   |  Wissenschaftliche Mitarbeiterin Fakultät Wirtschaftswissenschaften   |  Westsächsische Hochschule Zwickau
  Tim Neumann   |  Wissenschaftlicher Mitarbeiter Fakultät Wirtschaftswissenschaften   |  Westsächsische Hochschule Zwickau
  Sebastian Junghans   |  Wissenschaftlicher Mitarbeiter Fakultät Wirtschaftswissenschaften   |  Westsächsische Hochschule Zwickau
  Sven Leonhardt   |  Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Projektkoordinator   |  Stadt Zwickau
  Carolin Albrecht   |  Wissenschaftliche Mitarbeiterin Fakultät Wirtschaftswissenschaften   |  Westsächsische Hochschule Zwickau
15. August 2022

Zusammenfassung

Die Termini „Digitalisierung“ und „Digitale Transformation“ sind in allen Wirtschaftsfeldern allgegenwärtig. Ziel der digitalen Transformation ist die fortwährende Bewältigung technologischer Fortschritte. Durch die enorm hohe Entwicklungsgeschwindigkeit von digitalen Systemen, werden Unternehmen dabei zu immer schnellerer Handlungsfähigkeit gezwungen, um am Markt bestehen zu können. Die Entwicklung von digitalen Produkten und Dienstleistungen ist für Unternehmen jedoch nicht mehr singulär ausreichend. Viel mehr bedarf es der Adaption von digitalen Prozessen bis hin zur Sektorenkopplung verschiedener Wirtschaftszweige. Erfolgt die Anpassungsgeschwindigkeit des Unternehmens weiterhin linear, kann den exponentiell wachsenden Entwicklungen nicht standgehalten werden. Es entsteht eine Lücke zwischen Digitalisierung am Markt und Innovationsfähigkeit des Unternehmens oder Wirtschaftszweiges – die sogenannte Disruption. „Disruptive Making“ impliziert in diesem Zusammenhang die Bewältigung von gegenwärtig linearen Anpassungsprozessen hin zu einer exponentiellen Weiterentwicklung. Ein Ansatzpunkt zur Realisierung von Disruptive Making ist die Bereitstellung eines Methodenbaukastens, welcher ganzheitlich auf die digitale Transformation von Prozessen, Produkten, Dienstleistungen sowie der Sektorenkopplung abzielt.

Abstract

The terms “ digitalization “ and „digital transformation“ are ubiquitous in all areas of economy. The goal of digital transformation is the continual adaptation to technological advances. Due to the enormously fast development of digital systems, companies are forced to act ever faster in order to survive on the market. However, the development of digital products and services is no longer singularly sufficient for companies. What is needed much more is the adaption of digital processes and even to link different sectors of the economy in the form of sector coupling. If a company continues to adapt in a linear velocity, it will not be able to keep pace with exponentially growing developments. A gap develops between digitization on the market and the innovative capability of the company or economic sector, so-called disruption. „Disruptive making“ in this context implies coping with currently linear adaptation processes towards exponential further development. One starting point for the realization of disruptive making is the provision of a methodology toolkit that is aimed holistically at the digital transformation of processes, products, services and sector coupling.

1 Hintergrund

1.1 Ausgangssituation Digitalisierung

Gesellschaft und Unternehmenswelt sind aktuell im Wesentlichen durch Begriffe wie Internet of Things, Künstlicher Intelligenz oder Smart Data geprägt. Untergeordnet werden diese alle dem Kontext Digitalisierung. Über eine genaue Definition von Digitalisierung wird bis heute kontrovers diskutiert. Eine ursprüngliche Auffassungen nach BarNir (2003) beschreibt Digitalisierung als „[…] the transition from conducting business activities in a traditional manner to conducting them in a digital form“. Auch Wolf und Strohschen (2018) stützen sich in einer Definition auf die Umwandlung von analogen in computergestützten Informationen. Demnach liegt Digitalisierung vor, wenn „[…] analoge Leistungserbringung durch Leistungserbringung in einem digitalen, computerhandhabbaren Modell ganz oder teilweise ersetzt wird.“. Entsprechend ist Digitalisierung auch auf alle Objekte verwendbar, die eine Leistung vollziehen. Da Digitalisierung immer vielschichtiger vorzufinden ist, kann zunehmend von einer Verschmelzung der analogen und digitalen Welt ausgegangen werden. Demnach reicht es für Unternehmen heute nicht mehr aus, die Umwandlung von analogen in digitalen Informationen als Hauptzielstellung betrachten. Vielmehr müssen die vorhandenen digitalen Informationen sinnvoll weiterverarbeitet werden, beispielsweise im Kontext von Big Data Analytics.

1.2 Digitale Transformation

Die Digitalisierung kann in allen Bereichen als Ausgangspunkt der digitalen Transformation bezeichnet werden. Das Ziel dieser Transformation aus wirtschaftlicher Sicht besteht in der fortlaufenden und dauerhaften Umgestaltung des Unternehmens, hin zu einer Organisation, welche die fortwährenden technologischen Fortschritte bewältigen kann (Kofler 2018).

Während die digitale Innovationsgeschwindigkeit in der Vergangenheit als linear zu charakterisieren war, erfolgt diese mittlerweile in einem exponentiellen Tempo (Kreutzer 2017). Unter aktuellen Umständen sind Unternehmen jedoch lediglich auf lineare Entwicklungszyklen vorbereitet, wodurch eine Divergenz zwischen Anforderungen und vorhandenen Bewältigungsmechanismen entsteht. Beispiele zeigen sich gegenwärtig und prospektiv unter anderem in der Notwendigkeit von IT-Fachpersonal sowie der Automatisierung von Geschäftsprozessen. Es zeigt sich, dass die Handlungsdringlichkeit in Zukunft zunehmend verschärft wird, da davon ausgegangen werden kann, dass die Innovationsgeschwindigkeit weiterhin exponentiell zunimmt (siehe Abbildung 1). Weiterhin macht die hohe Anpassungsgeschwindigkeit eine übergreifende Wertschöpfungskette unabdingbar, wodurch langfristig die Sektorenkopplung verschiedener Wirtschaftszweige notwendig wird.

 


Abbildung 1: Veränderung der Anpassungsgeschwindigkeit

Ein weiterer Begriff, welcher im Zusammenhang mit dem technologischen Fortschritt geprägt wurde, umfasst den Digitalen Darwinismus. In Anlehnung an den von Charles Darwin geprägten Selektionsmechanismus, umfasst dieser einen durch Digitalisierung ausgelösten Auswahlprozess. Demzufolge werden alle Unternehmen, Industriezweige bis hin zu ganzen Wirtschaftsregionen vom Markt ausscheiden, wenn diese sich den veränderten Rahmenbedingungen nicht oder nicht ausreichend schnell anpassen (Kreutzer 2017). Somit müssen sich alle Unternehmen langfristig die Frage stellen, wie der Transformationsprozess für deren individuelle Bedingungen realisiert werden kann. Die vorliegende Arbeit soll daher die Relevanz eines neuen Begriffs für den notwendigen Wandel sowie die daraus resultierenden Methoden im digitalisierten Unternehmensumfeld verdeutlichen.

2 Paradigma und Begriffsbestimmung Disruptive Making

Gegenwärtig erreicht der Begriff Digitale Transformation eine hohe Aufmerksamkeit im Kontext der rasanten Entwicklungsgeschwindigkeit im IT-Sektor. Dieser beschreibt den fortwährenden, durch digitale Technologien begründeten, Veränderungsprozess von Unternehmen und der gesamten Gesellschaft (Strauß 2019). Mit digitaler Transformation wird somit bereits ein Prozess definiert, der den notwendigen Wandel aufgreift. Die Abweichung zwischen veralteter und aktueller Anpassungsgeschwindigkeit und daraus abzuleitende Mechanismen sind als thematischer Teilbereich hiervon zu sehen, werden jedoch durch Digitale Transformation nicht definiert. In zahlreichen Praxisprojekten wird sichtbar, dass eben diese Mechanismen fehlen und innovative Vorhaben durch fehlende Kommunikationsnetzwerke, rechtliche Bestimmungen oder veraltete Prozessabläufe ausgebremst oder verhindert werden.

Trotz der akuten Relevanz besteht bisher weder in der Literatur noch in der Praxis ein einheitlicher Terminus für die Diskrepanz zwischen der bisherigen Anpassungsgeschwindigkeit von Unternehmen und der künftig erforderlichen exponentiellen Weiterentwicklung (siehe Abbildung 2). Beim Versuch einer Begriffserklärung kommt dem Terminus „Disruption“ eine fundamentale Bedeutung zu. Dieser beschreibt im Allgemeinen zunächst die Ablösung bestehender Geschäftsmodelle durch neue Strukturen. Am Beispiel Digitalisierung bedeutet dies, eine Entwicklung hin zu Strukturen, die eine exponentielle Anpassungsgeschwindigkeit in allen Geschäftsbereichen gewährleisten. Die Bewältigung der Divergenz zwischen bestehenden Mechanismen und dieser Zielsetzung kann daher als Disruptive Making charakterisiert werden.

 


Abbildung 2: Disruptive Lücke

 

2.1 Digitalisierung der Wertschöpfungskette

In der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur umfasst der Ansatz der Wertschöpfungskette die Gesamtheit aller Aktivitäten von Konzeptionierung über Herstellung bis Absatz von Produkten oder Dienstleistungen (Bieger et al. 2011).

Die gleichzeitig zunehmende Dematerialisierung und Digitalisierung von Produkten und Dienstleistungen sowie die Verwertung intangibler Ressourcen wie Wissen oder Partnerschaften erfordern einen neuen Ansatz für die Aufdeckung von Wertschöpfungsquellen. Im Kontext des Internet der Dinge können Unternehmen beispielsweise mittels ihrer Produkte Daten sammeln und daraus wertvolle Kontextinformationen ableiten. Daraus ergibt sich ein komplexes Konstrukt bestehend aus einer Vielfalt an Anspruchsgruppen und Lösungspartnern, welche es in Einklang zu bringen gilt (Meinhardt und Pflaum 2019a).

Die Digitalisierung ermöglicht Unternehmen ökonomischen Vorteil aus der Konzeption und Entwicklung datenbasierter Kombinationen von Produkten und Dienstleistungen zu ziehen. Die vormals reinen Produktanbieter entwickeln sich dabei zu digitalisierten Lösungsanbietern. Gleichzeitig sorgt diese Entwicklung für eine vermehrte Verbreitung von kundenindividuellen und datenbasierten Lösungspakete (Meinhardt und Pflaum 2019b). Dies führt zu dem Ansatz der Wertschöpfungsnetzwerke bestehend aus wirtschaftlich unabhängigen Unternehmen, welche ein strategisches und kooperatives Netzwerk bilden. In diesem Netzwerk fokussieren sich die partizipierenden Unternehmen auf ihre jeweiligen Kernkompetenzen und richten die Wertschöpfungsaktivitäten entsprechend auf ihre Ziele aus. Dabei nutzen die Unternehmen intensiv die modernen Informations- und Kommunikationstechnologien (Becker et al. 2019).

Der Einsatz digitaler Lösungen beginnt im Unternehmen mit der Vernetzung der einzelnen Abteilungen und Prozesse mittels einer vollständig vernetzten IT-Lösung. Diese unternehmensweite Vernetzung birgt sowohl Effizienz- als auch Effektivitätspotenziale bei Qualität, Kosten und Terminen. Ferner ermöglicht dies die weitere Vernetzung mit Lieferanten und Kunden (Becker et al. 2017).

2.2 Disruptive Making am Beispiel der Automobilindustrie

Das Phänomen der Disruption ist in allen Unternehmensbereichen und Branchen vorzufinden. Häufig beschränkt sich das ursprüngliche Verständnis von Disruptionen in Zusammenhang mit Digitalisierung jedoch auf die Entwicklung neuer, technischen Lösungen. An vielen Beispielen, wie der rasanten Transformation der Künstlichen Intelligenz, von Smart Devices oder Robotik, zeigt sich, dass innovative Lösungen ein Umdenken im Unternehmen auslösen (Pflaum & Klötzer 2018). Wird jedoch die aktuelle Unternehmenswelt betrachtet, fällt auf, dass die Relevanz von Disruptive Making auch in Sektoren ohne direkte Produktionsbeteiligung an digitalen Lösungen essenziell ist. Dies kann auch am Beispiel der Automobilindustrie verdeutlicht werden. Durch einen anderen globalen Megatrend, der Neo-Ökologie, ist in kurzer Zeit ein Umdenken hin zu ressourcenschonenden Fahrzeugantrieben erfolgt. Nach den fokussierten Zielsetzungen der Bundesregierung sollen bis 2030 rund sieben bis zehn Millionen Elektrofahrzeuge im deutschen Straßenverkehr zugelassen sein (BMWi et al. 2011).

Wird die Zahl der Elektroautos in Deutschland im Januar 2020 betrachtet, so werden mit einem Stand von 136.617 Elektrofahrzeugen knapp zwei Prozent der Zielvorgabe erreicht (KBA 2020). Dies lässt sich unter anderem auch auf die geringe Nutzerakzeptanz zurückführen. Denn die Durchsetzung der Elektromobilität ist direkt an diese gekoppelt. Wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass erste Erfahrungswerte mit Elektrofahrzeugen die Akzeptanz deutlich erhöhen können (GGEMO 2012). Die Praktikabilität von Elektrofahrzeugen hinsichtlich der Ladeinfrastruktur sowie der Ladedauern gilt als ein weiteres Hemmnis bezüglich der Nutzerakzeptanz.

Insbesondere die unzureichende Infrastruktur stellt laut Experten einen der Hauptgründe für das mögliche Scheitern der Elektromobilität dar (Strathmann 2019). Der Ausbau einer flächendeckenden Ladeinfrastruktur ist an verschiedene Akteure gekoppelt. Das aktuelle öffentliche Ladenetzwerk lässt sich zu einem Großteil auf Pilot- und Kooperationsprojekte von Energie- und Automobilherstellern zurückführen (Seeberger 2016). Ein kleiner Anteil aufgestellter Ladesäulen entfällt dabei auf Städte, Gemeinde oder Kommunen. Aufgrund der geringen Anzahl von Elektrofahrzeugen hat bisher keiner der Akteure stärker in diese Infrastruktur investiert. Hinzu kommt, dass Automobilhersteller sich nicht als federführend im Aufbau von Ladeinfrastrukturen sehen. Martin Winterkorn äußerte 2015 im Rahmen der Nationalen Konferenz Elektromobilität, dass „Es […] nicht Aufgabe und Geschäftsmodell der Automobilindustrie [ist], Ladesäulen aufzubauen“ (Seeberger 2016). Neben dem grundsätzlichen Aufbau einer Ladeinfrastruktur stellt der Betrieb dieser Ladesäulen eine weitere Herausforderung dar. Mit einem reinen Stromverkauf sind Ladesäulen aller Wahrscheinlichkeit nicht rentabel. Des Weiteren resultiert aus den vielen Einzelprojekten von Automobilherstellern, Energieversorgern und Öffentlichkeit die Problematik des Zugangs zu den Ladesäulen. Aufgrund der Vielzahl der Betreiber und Systeme bedarf es für die Nutzung der Ladesäulen entsprechende Nutzerkarten, Kundenkonten oder weitere Zugangsberechtigungen (Seeberger 2016). Dies zeigt, dass die Konzepte der einzelnen Akteure die Elektromobilität als eine unzureichende Alternative für den Nutzer darstellen. Über eine Verbindung und Zusammenarbeit der einzelnen Beteiligten und Sektoren lässt sich jedoch ein größeres und innovativeres Wertschöpfungsnetzwerk aufbauen.

Um diese Art von Netzwerkpartizipation und Zusammenarbeit zu gewährleisten, müssen die Unternehmen entsprechend befähigt beziehungsweise transformiert werden. Vielmals bestehen als auch interorganisationale Barrieren, welche jedoch bei zielgerichtetem Management als Erfolgsfaktoren positiv auf die digitale Transformation im Unternehmen einwirken und diese bisweilen verstärken und beschleunigen können (Appelfeller und Feldmann 2018).

Eine starke Fokussierung auf Abteilungen fördert maßgeblich ein Denken in funktionalen Silos. Zurückführen lässt sich dies gemäß Appelfeller und Feldmann (2018) unter anderem auf konkurrierende Abteilungsziele oder spezifische IT-Altsysteme. Diese Umgebung trägt kein funktionsübergreifendes, verzahntes IT-System oder ermöglicht die Implementierung von agilen Ansätzen zur iterativen Weiterentwicklung von innovativen Lösungen. Der fehlende Blick über die Abteilungsgrenzen hinaus resultiert aus einer mangelnden Prozessorientierung und fehlender integrativer Datennutzung. Dafür müssen funktionale, individuelle Interessen überwunden werden. Für Gesamtunternehmensziele und funktionsübergreifende Prozesse bedarf es daher einer digitalen Vision. Diese ist ein wichtiges Führungs- und Kommunikationsinstrument, welches als angestrebtes Zukunftsbild richtungsweisend, motivierend und aktivierend wirkt. Zusammen mit der digitalen Strategie bildet die digitale Vision die Grundlage für operative Maßnahmenpläne oder die systematische Planung von Projekten. Zudem fördert eine digitale Vision die Information und Motivation der Mitarbeiter. Diese ist mitunter fragil, da die digitale Transformation die gewohnte Landschaft aus IT-Systemen und Prozessen verändert. Folglich erfahren die Hilfsmittel und Arbeitsweisen der Mitarbeiter eine tiefgreifende Veränderung und kollidieren bisweilen auch mit Geisteshaltungen. Somit sind die Wandlungsbereitschaft und die Wandlungsfähigkeit für eine erfolgreiche digitale Transformation im Unternehmen erfolgskritisch. Dies bedeutet in der Schlussfolgerung, dass Veränderungen nur dann langfristig erfolgreich sind, wenn diese auch von den Mitarbeitern mitgetragen werden. Vor diesem Hintergrund fördert die digitale Vision die Wandlungsbereitschaft. Die Wandlungsfähigkeit wiederum resultiert aus dem Wissen und Können der Mitarbeiter und Organisationseinheiten, Wandlungsprozesse erfolgreich durchzuführen. So kann der mangelnden Kompetenz von Mitarbeitern durch eine gezielte Weiterentwicklung begegnet werden. Ferner ermöglicht dies die Rekrutierung von Kompetenzträgern im Unternehmen (Appelfeller und Feldmann 2018).

2.3 Relevanz von Sektorenkopplung

Die Entwicklungen in der Fahrzeugbranche und anderen Industriezweigen zeigen, dass es nicht ausreicht interne Unternehmensprozesse auf die Digitalisierung abzustimmen, sondern dass Strukturen der gesamten Unternehmenslandschaft transformiert und aufeinander abgestimmt werden müssen. Die hohe Entwicklungsgeschwindigkeit und Dynamik, welche durch technologischen Fortschritt entsteht, erfordert die interdisziplinäre Zusammenarbeit in Wertschöpfungsnetzwerken. Um eine Durchgängigkeit der digitalen Prozesse zu gewährleisten ist sowohl eine horizontale als auch eine vertikale Zusammenarbeit zu ermöglichen.  Ableitend aus der Relevanz von Sektorenkopplung ergibt sich beispielsweise die Schaffung von Service-Ökosystemen als Methode zur interdisziplinären Zusammenarbeit. Diese stellen ein reguliertes System in Form eines Netzwerkes dar, welches aus verschiedenen Geschäftseinheiten besteht (Bruhn und Hadwich 2019).

Diese Entwicklung zeigt sich auch in der beispielhaft dargestellten Einführung von Elektromobilitätslösungen. Im Rahmen der Entwicklung und industriellen Fertigung der Fahrzeuge ist zunächst die Zusammenarbeit zwischen Lieferanten und Original Equipment Manufacturer (OEM) notwendig. Obgleich die Entwicklung durch die hohe Innovationskraft in der Regel nicht viel Zeit beansprucht, wird die tatsächliche Realisierung und der praktische Einsatz neuer Produkte häufig verhindert. Im Bereich der Elektromobilität müssen die Fabrikate zahlreiche technische und gesetzlichen Anforderungen des Verkehrswesens gerecht werden. Beim nachgelagerten praktischen Einsatz von Elektrofahrzeugen machen örtliche Gewerbe eine große Benutzergruppe aus, deren Bedürfnisse ebenso einzubeziehen sind. Zuletzt besteht gegenwärtig eine große Herausforderung hinsichtlich der Verfügbarkeit von Ladestationen. Um diese in ausreichender Zahl bereitzustellen, sind im Sektor Wohnen sowohl Privateigentümer als auch Wohnungsgeber in Lösungsstrategien einzubeziehen. Gegenwärtige Strukturen verlangsamen die notwendigen Transformationsprozesse und verhindern diese teilweise ganz. Die Kopplung von Wissenschaft und unternehmerischer Praxis sowie der Einsatz moderner, digitaler Weiterbildungskonzepte lassen sich daher als deutlich zweckmäßige Maßnahmen herausstellen.

3 Entwicklungsfelder zur Bewältigung der Disruption

Die vorangehend aufgezeigten Entwicklungen zeigen, dass Unternehmen zur Bewältigung des exponentiellen digitalen Wandels gezwungen sind, aktuelle Strukturen zu transformieren. Dabei lassen sich die notwendigen Schritte kaum auf einen einzelnen Vorgang festlegen, da die Maßnahmen fortlaufend auf verschiedene Problemstellungen anzuwenden sind. Abbildung 3 zeigt Entwicklungsfelder nach Appelfeller und Feldmann (2018), die in Unternehmen im Rahmen von disruptive Making berücksichtigt werden sollten.

Der erste Ansatzpunkt zur Transformation in eine digitale Unternehmenswelt ist die Etablierung von digitalen Prozessen im Unternehmen. Dies umfasst nicht die Maximierung von digitalen Prozessen per se, welche häufig mit Divergenzen einhergeht, sondern die strukturierte Anpassung hin zu einer digitalen Prozesslandschaft. Die Unternehmens- und Geschäftsprozesse müssen entsprechend auf die Digitalisierung und Automatisierung ausgerichtet werden. Diese erste Implementierung interner digitaler Lösungen ermöglicht dem Unternehmen sich auf dem Markt mit digitalen Produkten zu positionieren. Des Weiteren werden darüber digitale Marktideen generiert und umgesetzt. Zudem können Anbieter von digitalen Produkten ihr Leistungsspektrum um digitale Services und Dienstleistungen erweitern. Dementsprechend sind Dienstleister ebenfalls von der Digitalisierung betroffen. Ihre Angebote müssen entsprechend des digitalen Wandels angepasst werden, um gleichermaßen digitale Dienstleistungen anbieten zu können. Die übergreifende und lückenlose Verbindung von digitalen Prozessen, Produkten und Dienstleistungen mit anderen Unternehmen, insbesondere anderen Sektoren, ermöglicht die Sektorenkopplung im Sinne einer schöpferisch-disruptiven Zusammenarbeit mehrerer beteiligter Unternehmen.


Abbildung 3: Methoden zur Bewältigung von Disruption

Die dargestellten Entwicklungsfelder stellen jedoch die übergeordnete Verzahnung im digitalisierten Unternehmen dar, woraus jeweils konkretisierte Strukturen und Prozesse zur digitalen Transformation abgeleitet werden müssen.

4 Ausblick

Die digitale Weiterentwicklung wird zukünftig in noch kürzeren Zyklen erfolgen, wodurch alle Unternehmen zur Bewältigung von disruptiven Entwicklungen gezwungen sind. Auch wird der Markt an digitalen Produkten und Dienstleistungen zu einer grundsätzlichen Veränderung der Wertschöpfungskette führen. Um diese zu bewältigen sind neue Partner- und Kommunikationsstrukturen sowie die Transformation veralteter Prozesse unabdingbar. Die Maßnahmen, die dieser Vorgang der Digitalisierung erfordert, können aus Unternehmensperspektive zusammenfassend als Disruptive Making beschrieben werden. Handlungsmöglichkeiten in der Umsetzung liegen in der Minimierung von Prozessschnittstellen, der Automatisierung der Datenverarbeitung bis hin zur ganzheitlichen Sektorenkopplung von Unternehmen und Branchen. Perspektivisch müssen die dargestellen Entwicklungsfelder in konkrete Ansätze für das praktische Unternehmungsumfeld transformiert werden.

Kernthesen

·        Die digitale Transformation ist exponentiell, unumkehrbar und umfasst alle Bereiche der Wertschöpfung

·        Durch die Geschwindigkeit digitaler Innovationen entsteht eine Divergenz zwischen Anforderungen und vorhandenen Bewältigungsmechanismen

·        Digitale Transformation impliziert einen abgeschlossenen Prozess, welcher der Fähigkeit von Unternehmen zur exponentiellen Weiterentwicklung nur bedingt gerecht wird.

Zukunftsausblick

·        Durch die Integration des Disruptive Making Gedankens sollen Unternehmen angehalten werden, exponentielle und schnelle technologische Herausforderungen zu erkennen und zu bewältigen.

·        Um digitale Transformation gelingsicher zu machen, benötigt es die Umstrukturierung veralteter Prozesslandschaften und die übergreifende Zusammenarbeit mit weiteren Sektoren.

·        Langfristiges Ziel muss in vollständig integrierten IT-Systemen liegen. Hierzu ist in vielen Fällen eine Reduktion von Redundanzen und Komplexität notwendig.

 

Literatur        

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Becker W, Eierle B, Fliaster A, Ivens B, Leischnig A, Pflaum, A, Sucky E (2019): Geschäftsmodelle in der digitalen Welt. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden.

 

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Meinhardt S, Pflaum A (2019a): Digitale Geschäftsmodelle – Band 1. Wiesbaden: Springer Fachmedien.

 

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Pflaum A, Klötzer C (2018): Von der Pipeline zur Plattform – Strategische Implikationen für das Unternehmen. In: Geschäftsmodelle in der digitalen Welt. Strategien, Prozesse und Praxiserfahrungen. Wiesbaden: Springer Fachmedien.

 

Seeberger M (2016): Der Wandel in der Automobilindustrie hin zur Elektromobilität. Veränderungen und neue Wertschöpfungspotenziale für Automobilhersteller: Dissertation, Universität St. Gallen.

 

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Strauß RE (2019): Digitale Transformation – Strategie, Konzeption und Implementierung in der Unternehmenspraxis. Stuttgart: Schäffer-Poeschel Verlag.

 

Wolf J, Strohschen J.-H.: Digitalisierung: Definition und Reife. Quantitative Bewertung der digitalen Reife. Informatik Spektrum 41(1). S.  56–64, 2018.

 

Vita • 2013: Dissertation: „Geschäftsprozessgetriebene Konfiguration wandlungsfähiger Gebäudeinfrastrukturen“ • since 2002: Professor at the Westsächsischen Hochschule Zwickau • 1998 – 2002: Scientific assistant at the TU Chemnitz • 1998: Dissertation: „Optimierung von Maschinenbelegungsplänen unter Benutzung heuristischer Verfahren“ • 1993 – 1998: Research assistant at the Chair of Production Management and Industrial Management • until 1993: Research assistant at the chair of Artificial Intelligence in the Faculty of Computer Science at the TU Chemnitz-Zwickau

Nicole Gabryelski

Wissenschaftliche Mitarbeiterin Fakultät Wirtschaftswissenschaften bei Westsächsische Hochschule Zwickau

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Tim Neumann

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Sebastian Junghans

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Sven Leonhardt

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Carolin Albrecht

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