Unternehmenskäufe im digitalen Zeitalter: Wo überall Fallstricke lauern – und unternehmerische Chancen

Von   Christian Saxenhammer   |  Managing Director   |  Saxenhammer & Co. Corporate Finance GmbH
20. Dezember 2018

Viele mittelständische Unternehmen erleben, wie sich ihre Märkte gewaltig verändern. Die Technologien erneuern sich rasant und haben damit fundamentale Auswirkungen auf die Geschäftsmodelle der Unternehmen. Mit dieser Entwicklung können mittelständische Unternehmen mit begrenzten Ressourcen oft nicht Schritt halten. Tun sie es doch, ist das gerade ihr Erfolgsgeheimnis. Denn gleichzeitig haben die Kunden neue Bedürfnisse und sind auch illoyaler geworden. In vielen Branchen bleibt daher kein Stein mehr auf dem anderen, zumal Start-ups eben diese Chancen erkannt haben und gekonnt in die Lücke stoßen. Die Etablierten müssen reagieren, die essentielle Frage ist jedoch wie. Ein Weg kann die Akquisition eines Startups sein.  Doch was ist neben der reinen Kaufabwicklung und den klassischen juristischen und finanziellen Themen, die auf der Hand liegen, bei solchen Geschäften zu beachten?
M&A-Transaktionen mit deutscher Beteiligung auf Käufer-, Verkäufer- und Zielunternehmensseite haben nach wie vor einen großen Schwung. Das Transaktionsvolumen ist auf knapp 83 Milliarden Dollar angestiegen, ein Rekordniveau. Die Konjunktur auf diesem Feld liegt auch an dem positiven Umfeld und den Rahmenbedingungen für Käufe, darunter nicht zuletzt den nach wie vor niedrigen Kreditzinsen sowie Zugang zu Fremdkapital.

Daneben stehen wir an der Schwelle zu einer völlig neuen Wirtschaftswelt. Die Märkte werden künftig nach ganz anderen Gesetzmäßigkeiten funktionieren. Bei Firmen etwa, die etwas herstellen, ist heute das handfeste, greifbare Produkt eben das Produkt. Beispielsweise das Auto. In der Zukunft wird das Produkt eine allumfassende Dienstleistung mit vielen Facetten sein. Und zwar, weil dies den Bedürfnissen der Kunden entspricht, aber so auch über den Verkauf des schieren Produkts permanent Erlöse erzielt werden können. Das Produkt nennt sich dann in diesem Fall „Mobilität“ und ist eine Dienstleistung, bei der das Auto „nur“ noch einen Teil darstellt.

Hinzu kommen Märkte, die sich völlig verändert haben und aufgrund des technischen Fortschritts und der Kundenwünsche ganz anderes funktionieren – oder sich zumindest erweitern; und zwar ohne dass das Alte verschwindet. Praktisch kann es so aussehen, dass ein Handelsunternehmen, das überwiegend mit Katalogen gearbeitet hat, nun einen Online-Shop aufkauft. Es ist ein verwandtes Geschäftsfeld, bedeutet aber vor allem die Zukunft. Viele traditionelle Firmen laufen Gefahr solche Entwicklungen zu verschlafen, während die neuen Märkte von hochinnovativen Jungunternehmen aufgerollt werden.

Kommen nun beide Unternehmen – durch einen Kauf/eine Fusion – zusammen, ist die professionelle Abwicklung des Geschäfts mit seinen rechtlichen und finanziellen Aspekten das eine. Genauso wichtig ist es aber auch, auf allen anderen Gebieten der Unternehmenspolitik Einigkeit zu erzielen. Denn schließlich möchte der „Etablierte“ später gerade mit den Führungs- und Fachkräften des Startups zusammenarbeiten. Anders als bei Käufen/Fusionen früherer Zeit geht es nicht um Wachstum und „größer werden“. Vielmehr ist heute die Haupt- und oft auch einzige Motivation, der Zugang zu Digital-Know-how sowie auch -Experten, die sich durch Startup-Mentalität und Verständnis von digitalen Geschäftsmodellen auszeichnen.  Der Katalogversand beispielsweise, der den Online-Shop integriert, kauft sich auf diese Weise Expertenwissen zum Online-Marketing, zu Social Media und zur Suchmaschinenoptimierung.

Die Otto Group ist ein Beispiel dafür, dass man sich permanent verändern und erweitern kann – vom soliden Katalogversandhandel zum internationalen E-Commerce-Konzern –, ohne dass aber das Bewährte ausrangiert wird. Das 1949 gegründete Unternehmen hat sich über die Jahre an sage und schreibe 100 Onlineshops beteiligt oder diese aufgebaut. Bei ihren Übernahmen, vor allem von Techunternehmen, haben sie dabei unschätzbares Wissen inhaliert, um den gesamten Digitalisierungsprozess zu gestalten. Nur so haben sie den Weg ins 21. Jahrhundert geschafft und zählen heute zu den größten Onlinehändlern weltweit. Auf diese Weise ist der Handelsbereich – in dem die Hälfte der Mitarbeiter arbeitet und drei Viertel des Umsatzes erzielt werden – stark diversifiziert worden und besteht aus den Segmenten E-Commerce, stationäre Einzelhandel und Katalog, wovon übrigens immer noch 1.800 verschiedene Versionen gedruckt werden. Doch zweifelsohne dominiert der E-Commerce mit mehr als 70 Prozent vom kompletten Handelsvolumen.

Ebenfalls eine Weiterentwicklung – aber gewissermaßen in die andere Richtung – ist bei Amazon zu beobachten, das vor zwei Jahren die größte weltweite Biosupermarktkette Whole Foods übernahm. Denn Amazon, im Kern kein Händler, sondern ein IT-Unternehmen, weiß bestens, dass die Kunden auf absehbare Zeit auch in ein Geschäft vor Ort gehen, wenn sie Lebensmittel kaufen möchten. Also holen sie sich dort ebenso Expertise, weitere Absatzplattformen und besonders auch Daten zum Einkaufsverhalten.

Diese Komponente wird auch auf einem anderen Gebiet wichtig, das wiederum stark im Interesse des Erwerbers liegt: Wird ein Betrieb in eine bestehende Unternehmensgruppe integriert, muss der Käufer um die Mitarbeiter kämpfen. Entscheidend wird es dann sein, auch den menschlichen Draht zum Team zu finden, zumal wenn die neue Tochtergesellschaft am angestammten Standort verbleibt. Daher muss zuallererst die Kultur stimmen, aber auch die unternehmerische Denkweise hinsichtlich Wachstum und Profitabilität, also schlicht ein Agreement über die Unternehmensstrategie. Ein Käufer, dem die gewünschten Experten von Bord gehen, weil solche Dinge nie besprochen worden sind oder das Kulturverständnis fehlt, hat am Ende nichts gewonnen.

Neben einer exzellenten Ausführung der „üblichen“ M&A-Aufgaben bedeutet dies somit für einen M&A-Spezialisten, diese sensiblen Punkte im Blick zu haben und entsprechend zu begleiten. Also: technisch kompetente, pragmatische Herangehensweise mit unternehmerischen Denke, gepaart mit strategischer Beratung.

Christian Saxenhammer ist Managing Director der Berliner M&A Boutique Saxenhammer & Co. Corporate Finance GmbH. Vor seiner Tätigkeit bei Saxenhammer & Co. arbeitete er bei der Lincoln International AG als Managing Director der der von ihm gegründeten Special Situations Group.

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