Machine Learning und Mensch – Hand in Hand

Die Vernetzung von Maschinen, Anlagen und Produkten schreitet voran. Mit jeder Neuanschaffung holen sich Unternehmen ein Stück mehr IIoT ins Haus – und übersehen dabei zu leicht den Teil, der ihr digitales Konstrukt erst komplett macht: den Menschen.
Von   Carsten Hunfeld   |  Director EMEA   |  Augmentir
17. April 2024

Es ist ein interessantes Phänomen: Auch in Unternehmen, die Industrie 4.0 seit Jahren auf ihre Fahnen schreiben, kommt wenig bei den Mitarbeitenden an. Während Maschinen selbsttätig miteinander sprechen, arbeitet die Belegschaft immer noch mit Laufzetteln und Arbeitsanweisungen, die mehr oder weniger aktuell in dicken Ordnern verstauben. Anders gesagt: Alles ist vernetzt, nur der Mensch steht großteils außerhalb der digitalen Infrastruktur.

Die Brücke zu einer durchgängigen Vernetzung von Maschinen, Systemen und Mitarbeitenden schlagen smarte Lösungen für Connected Worker. Diese noch relativ junge Softwarekategorie geht dank Machine Learning (ML) weit über die bloße Digitalisierung von Checklisten in der Fertigung, Montage und Qualitätskontrolle hinaus. Und auch mit einem Werkerassistenzsystem sind diese Anwendungen nicht mehr zu vergleichen – wie die folgenden Anwendungsbeispiele zeigen.

Punktgenaue Schulung

Das beginnt schon bei der Einarbeitung neuen Personals, weil die modernen Software-Tools effiziente Onboarding-Prozesse unterstützen. Sie helfen Unternehmen, flexibel zu agieren und resilienter zu werden. Gab es früher eine klare Trennung zwischen Schulung und der eigentlichen Ausführung der Arbeit, so verschmilzt beides heute: Suiten für Connected-Worker-Anwendungen schulen die Belegschaft nämlich genau dann, wann sie Anleitung brauchen, dort, wo sie sie brauchen. Und – das ist neu – auch mit der Ausführlichkeit, in der sie Hilfe benötigen.

Denn sie arbeiten KI-gestützt und das heißt: Sie kombinieren Arbeitsanweisungen mit digitaler Schulung. Aus einem Mix von User-Profil und User-Verhalten erkennt die App, in welcher Detailtiefe unterstützende Inhalte gebraucht werden. Einmal ist das vielleicht ein zusätzliches Schulungsvideo zur Wartung einer Maschine, ein andermal können dies Anleitungen für mehr oder weniger komplexe Montage-Szenarien sein – egal ob im One-Piece-Flow oder in der Losfertigung. Welchen Support das System wem anbietet, legt übrigens jedes Unternehmen selbst für seine Belegschaft fest. Das situativ optimierte Ausspielen der nötigen Informationen übernehmen Machine-Learning-Methoden.

Qualifikationslücken schließen

Diese Kontext-gesteuerte Leistungsunterstützung macht es möglich, Qualifikationslücken im Moment des Bedarfs auf intelligente Art zu schließen. Fällt eine Kraft aus, ist es dadurch leichter, sie durch jemand anderen zu ersetzen: insbesondere dann, wenn er oder sie längere Zeit nicht mehr an dem entsprechenden Handarbeitsplatz oder dieser Maschine im Einsatz war. Die App führt anhand von digitalen Anweisungen sicher durch alle nötigen Arbeitsschritte. Das ermöglicht zum einen autonomes, unabhängiges Arbeiten. Gleichzeitig sinkt das Risiko, dass länger ungenutztes Wissen zu Fehlern, Produktionsmängeln oder Qualitätseinbußen etwa bei der Lebensmittelsicherheit führt. Unternehmen gewinnen so Flexibilität bei der Einsatzplanung ihres Personals.

Schnelle Problemlösung durch Wissensaustausch

Ein zusätzliches Sicherheitsnetz spannen Connected-Worker-Systeme, indem sie Wissensaustausch und direkte Zusammenarbeit erleichtern. Beispiel: Bei Wartungsarbeiten tauchen Fragen auf. Dann kann sich der Arbeiter in der Fabrikhalle ebenso leicht wie die Technikerin auf Montage mit Supervisoren, Vorgesetzten oder externen Experten in Verbindung setzen. Und das direkt aus der App heraus, eben nicht nur per Telefon. Ein Chat mit Videos oder Fotos macht viele Worte überflüssig. Geht es um diffizilere Fragen wie Reparaturen oder das Umrüsten von Maschinen, kann der Einsatz von Augmented Reality den On-the-Job-Austausch verbessern.

Doch nicht immer muss ein Spezialist Zeit opfern, um weniger Erfahrenen live beizuspringen: Moderne Suiten für die Vernetzung von Industriearbeitern setzen nämlich vermehrt auf Machine Learning, um Experten zu entlasten. Häufig gestellte Fragen beantworten dann Chatbots. Bei deren Training kommen Unternehmen außerdem in den Genuss willkommener Nebeneffekte. Zum einen besteht die Chance, automatisch eine Wissensdatenbank aufzubauen, die jegliche Mitarbeiterfluktuation übersteht. Zum anderen können sie dank Analysefunktionen lohnende Potenziale zur Prozessoptimierung erkennen.

Kontinuierliche Verbesserung vorantreiben

Gerade in diesem Bereich offenbart die KI-Unterstützung ihre wahre Stärke. Denn indem der Mensch Teil der gesamten digitalen Fabrik-Infrastruktur wird, gewinnt nicht nur er Zugang zu einer Fülle an Wissen, er speist auch eine Menge an Daten ins System ein. Ob Dokumentation von Fehlern oder erfolgten Arbeitsschritten, Statistiken, wie oft das eine oder andere Video in welcher Abteilung abgerufen wurde: All dies liefert konkrete Einblicke darüber, wo Schulungs-, Beratungs- und Unterstützungsbedarf herrscht und welche Maßnahme den höchsten Effizienzgewinn verspricht.

Team-Auswertungen in Echtzeit ermöglichen es somit, dort den Hebel anzusetzen, wo Verbesserungen der Arbeitsprozesse am meisten fruchten. Auch dies wäre übrigens ohne künstliche Intelligenz nicht möglich. Denn die ungefilterten Connected-Worker-Daten sind zu „verrauscht“ für herkömmliche Business-Intelligence-Tools. Daher braucht es erprobte KI-Algorithmen, um sie zu bereinigen und die Fülle an Zahlen und Statistiken in verwertbare Informationen zu verwandeln.

Integration mit der vorhandenen Infrastruktur

Wichtig, damit aus Daten schnell echte Verbesserungen entstehen, ist freilich die Integration der Connected-Worker-Lösung mit vorhandenen Softwaresystemen wie ERP, MES oder CRM. Genauso müssen Trainings- und Personaldaten aus Learning-Management-Anwendungen und Human-Capital-Software eingebunden werden. Führende Anbieter erweitern ihre Systeme daher mit Konnektoren, um Unternehmen beispielsweise bei der Instandhaltung und Wartung von Anlagen und Systemen noch besser zu unterstützen. Dadurch dehnen sie die Fähigkeiten der bereits etablierten ERP-Software bis in die Werkshalle hinein aus, beispielsweise um damit Wartungsanforderungen, Arbeitsaufträge und Standardarbeitsanweisungen zu optimieren. Unternehmen gewinnen zudem einen umfassenden Überblick über die Verfügbarkeits- und Wartungshistorie jeder Maschine. Dadurch können sie Ausfallzeiten reduzieren und die allgemeine Zuverlässigkeit ihrer Anlagen verbessern.

Bereits etabliert haben sich auch Integrationen im Bereich Qualitätsmanagement (QM). Damit lassen sich vernetzte Arbeitskräfte in der Fabrikhalle und im Außeneinsatz in die Wertschöpfungskette der Qualitätsprozesse einbinden. Es entsteht ein geschlossenes QM-Ökosystem, innerhalb dessen sich die Auswirkungen von Mängeln noch wirksamer reduzieren und zugleich stetige Verbesserungen erzielen lassen.

Unbedingt KI-gestützt

All dies zeigt: Die Vernetzung von Arbeitskräften in Produktion und Montage schließt die letzte große Lücke, um in der digitalisierten Fabrik Durchgängigkeit zu erzielen. Gleichzeitig werden dadurch zahlreiche Probleme gelöst, vor denen Arbeitgeber in Zeiten eines immer stärkeren Fachkräftemangels hinsichtlich der Schulung und Fortbildung ihrer Belegschaft stehen. Gute Gründe also, möglichst bald in smarte Connected-Worker-Software zu investieren. Wer diesen Schritt machen will, sollte aber darauf achten, dass diese Anwendung ein Skillmanagement idealerweise gleich mit unterstützt und von Grund auf mit Machine-Learning-Technologie ausgestattet ist. Dann wird er mit Individualisierung, Effizienz, Entlastung und qualitativ hochwertigen Handlungsempfehlungen belohnt.

Carsten Hunfeld ist Director EMEA bei Augmentir. Er ist Experte für die Entwicklung und den Einsatz von KI-basierten Lösungen, mit denen Industrieunternehmen ihre Arbeitsprozesse verbessern, Mitarbeiter individuell unterstützen sowie die Erfassung und Analyse von Unternehmensdaten optimieren. Vor seinem Start bei Augmentir war Carsten Hunfeld bei marktführenden Unternehmen im Bereich Connected Work, Content Management und Business Prozess Management in leitenden Positionen beschäftigt, darunter EMC(Documentum), Hyland(Alfresco) und Oracle(Plumtree).

Um einen Kommentar zu hinterlassen müssen sie Autor sein, oder mit Ihrem LinkedIn Account eingeloggt sein.

47008

share

Artikel teilen

Top Artikel

Ähnliche Artikel