Digitalisierung im Mittelstand – Erfolgstreiber M&A

Die Corona-Krise hat zweifellos für einen deutlichen Digitalisierungsschub gesorgt – das bestätigen auch die Ergebnisse einer aktuellen KfW-Umfrage. Und dennoch hinkt der deutsche Mittelstand seinen eigentlichen Digitalisierungszielen weiter hinterher. Dabei gibt es die unterschiedlichsten Lösungsansätze, darunter auch M&A: Findet sich für ein Unternehmen nämlich keine geeignete organische Lösung, kann es sich durchaus rentieren, Digitalisierungskompetenzen via Fusionen oder Übernahmen in die eigene Organisation zu integrieren.
Von   Andre Wassmann   |  Mitglied der Geschäftsleitung   |  Helbling Business Advisors
28. Oktober 2022

Inzwischen ist allgemein anerkannt, dass die Digitalisierung des Geschäftsmodells unabdingbar für eine nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit ist und deshalb fester strategischer Bestandteil nahezu aller Branchen und Unternehmensgrößen sein muss. Dabei darf die Digitalisierung mittelständischer Geschäftsmodelle weder ein reiner Selbstzweck noch ausschließlich im Zuständigkeitsbereich der IT-Abteilung verankert sein. Vielmehr bildet sie ein strategisches Kernthema, das alle Mitglieder des Unternehmens gleichermaßen betrifft – von den Angestellten über Bereichsleiter bis hin zu Geschäftsführern, Vorständen und Aufsichtsräten. Am Anfang des Digitalisierungsprozesses steht die Prüfung der verschiedenen Lösungsansätze auf ihre Eignung für das jeweilige Unternehmen. Nachdem Zielbild und digitale Roadmap entwickelt und festgelegt sind, werden die Maßnahmen für die Transformation hin zu einem digitalen Produkt und Serviceanbieter definiert. Auf diesem schwierigen und vor allem langwierigen Weg haben Unternehmen im Wesentlichen drei Möglichkeiten, ihre Prozesse zu transformieren: interne Softwareentwicklung, operative Kooperationen und schließlich Akquisitionen.

Kein Erfolgsgarant für etablierte Ansätze

Die erste Möglichkeit, nämlich durch die hauseigene IT eine eigene Software zu entwickeln, ist gerade für den Mittelstand schwer zu bewältigen. In der Regel fehlen Kapazitäten und digitale Kompetenzen. Selbst wenn bereits eine ERP-Software vorhanden ist, kann deren Weiterentwicklung aufgrund von Individualisierungen intern kaum realisiert werden. Ein noch größerer Gegenspieler hierbei ist der Faktor Zeit: Auch wenn ein etabliertes Unternehmen exakt das richtige Produkt mit entsprechender Technologie inhouse entwickelt, vergehen dabei viele Monate bis Jahre, sodass sich dies in alle Regel negativ auf die Wettbewerbsfähigkeit auswirken wird. Reine „Verbesserungsprojekte“ nehmen oft schon eineinhalb Jahre in Anspruch, die Einführung von ERP-Systemen meist mehrere Jahre – bei Kosten von mehreren Millionen Euro.

Auch die zweite naheliegende Möglichkeit, die operative Kooperation mit etablierten Firmen und/oder Technologie-Start-ups, ist kein Garant für Erfolg. Unternehmen können so zwar Know-how aufbauen und Fachwissen nutzen, in der Praxis müssen allerdings häufig erhebliche kulturelle Differenzen überwunden werden, die sich vor allem in der Projektplanung und -umsetzung zeigen. Interne Widerstände, Regulatorik, Datenschutz sowie Wettbewerbseinschränkungen führen zu formellen Schwierigkeiten und oftmals zum Scheitern. Die Resultate von Kooperationen geben daher ein eher heterogenes Bild ab und erfüllen nicht in allen Fällen die Erwartungen und Ziele der Unternehmen. Schaut man auf die Kooperationsbemühungen mit Jungunternehmen, so zeigt die Praxis, dass die Möglichkeiten, die sich aus der Kooperation etablierter Firmen besonders im Mittelstand mit Start-ups ergeben, bislang nicht voll ausgeschöpft werden – trotz der wachsenden deutschen Start-up-Szene.

Hohe Effektivität, Rentabilität und schnellerer Ausbau der Marktführerschaft durch Akquisitionen

Ein weitaus vielversprechenderer Lösungsansatz ist hingegen, Digitalisierungskompetenzen via Fusionen oder Übernahmen, gegebenenfalls von Jungunternehmen und Start-ups, gänzlich in die eigene Organisation zu integrieren. Derzeit sind Mittelständler mit Eigenkapitalinvestments eher zurückhaltend. Zwar nimmt die Zahl von Investitionen in Europa wieder zu, allerdings bildet nach wie vor Private Equity die größte Gruppe der Käufer und Verkäufer. Dies kann am Beispiel der Computer-Software-Branche veranschaulicht werden: Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum sind die Transaktionen in Europa in den ersten drei Quartalen um 20 Prozent gestiegen, das Volumen sogar um 34 Prozent. Die größte Käufergruppe stellt hier mit über der Hälfte der Transaktionen und 60 Prozent des Volumens Private Equity dar.

Wesentliche Gründe für das Zögern der mittelständischen Käufer liegen in dem wahrgenommenen Risiko einer potenziellen Fehlinvestition, in der teils geringen Erfahrung mit solchen Prozessen sowie in der aktuellen Lage mit der vorrangigen Stabilisierung des Geschäfts aufgrund der makroökonomischen Verwerfungen an den Märkten. Die Bedenken sind verständlich. Die Unternehmen müssen jedoch – oder besser gesagt gerade deshalb – parallel weiterhin innovative Lösungen für die Probleme, insbesondere aber für die veränderten Kundenwünsche entwickeln. Hier ist es nun an der Zeit, die aus der letzten Wachstumsphase überschüssige Liquidität sinnvoll zu investieren. Da gerade durch Akquisitionen, neue Geschäftsfelder generiert und auf sämtlichen Ebenen Systeme und Prozesse sinnvoll integriert werden können, hat diese Strategie drei wesentliche Vorteile für die Beteiligten mit Digitalisierungsbedarf: sie kann effektiver und zugleich rentabler sein, sowie zusätzlich eine Marktführerschaft ermöglichen.

Die Übernahme von Technologie-Firmen und die anschließende Integration des Zielunternehmens in die eigene Organisation bewähren sich meist als äußerst effektiv. Die Möglichkeiten direkter Einflussnahme sind für Mittelständler hier weitaus größer als im Rahmen einer Kooperation, da die strategische Ausrichtung und somit auch die Entscheidungsprozesse weiterhin der Muttergesellschaft obliegen. Hier gilt es jedoch darauf zu achten, dass das Zielunternehmen nicht gelähmt wird und weiterhin die Möglichkeit zu Innovationen hat. Nur wenn Zielunternehmen bezüglich Strategieumsetzung und Organisationsgestaltung eigenständig agieren können, werden beide Seiten die Vorteile der Übernahme nutzen können. Das heißt, dass es auch auf das Design und den Umfang der Integration ankommt. Diese sind so individuell zu gestalten, wie die Transaktion selbst.

Auch der Rentabilitätsaspekt ist nicht zu vernachlässigen. Das Investment kann sich im Falle einer klugen Umgestaltung des eigenen Produkt- und Leistungsportfolios als äußerst rentabel erweisen, da einerseits der Unternehmenswert durch eine strategisch passende Integration erheblich steigt und sich andererseits eine attraktive Beteiligungsrendite durch einen möglichen Exit erzielen lässt.  So muss M&A nicht rein strategisch gedacht sein. Durch die Effektivität und die im Vergleich zum Greenfield-Ansatz, also dem organischen Aufbau digitalen Know-hows, deutlich reduzierte Time-to-Market kann sich ein M&A-Prozess gegenüber der eigenen Entwicklung oder Kooperation finanziell positiv abheben. Die Transaktionskosten sind dabei nicht zwangsläufig höher als die Kosten zur Eigenentwicklung.

War die Akquisition letztendlich erfolgreich, so kommt hinzu, dass der Mittelständler dank des oftmals einzigartigen Know-hows des „neuen“ Unternehmens, möglicherweise des Start-ups, dem Wettbewerb voraus ist und somit weitaus schneller seine Marktführerschaft ausbauen kann. Und auch das Zielunternehmen profitiert von der Übernahme in mehreren Hinsichten. Erstens ist durch die Herstellung eines größeren Marktteilnehmers die Ökonomie für das Gesamtunternehmen vorteilhafter: Es können Kostensynergien erwirkt werden, die für beide Teile – alt und neu – relevant sind. Man verhandelt bessere Rahmenverträge, z. B. im Einkauf, und kann in der Regel neue Umsätze in höherem Umfang mit Zugang zu bislang unerreichten Kundengruppen erzielen – wohl gemerkt kann, nicht muss. Es kommt dabei auf die Qualität der Transaktionsumsetzung, das richtige Zielunternehmen und eine sorgsam vorbereitete und strukturiert umgesetzte Integration, die sogenannte Post-Merger-Integration, an. Das gilt ganz besonders für Startups, da sich diese so voll und ganz auf das operative Geschäft und den Aufbau neuer Geschäftsmodelle konzentrieren können und nicht mehr permanent frisches Kapital einwerben müssen.

Win-Win-Situation

Um die digitale Transformation im eigenen Unternehmen entscheidend voranzubringen, kann sich ein Blick in das direkte Angebots-, insbesondere ins Tech-Start-up-Umfeld für eine Übernahme lohnen. Beachten Unternehmen dabei bestimmte Vorgehensweisen sowie kulturelle und organisatorische Unterschiede, kann sich ein solches Investment positiv auf beide Transaktionspartner auswirken und die Digitalisierung im industriellen Mittelstand entscheidend voranbringen. Um die Rentabilität solcher Transaktionen zu erhöhen, ist es hilfreich, eine kompetente Prozessbegleitung in Anspruch zu nehmen. Erfahrene M&A-Berater verfügen über das passende Netzwerk und profunde Kenntnisse, um das geeignete Zielunternehmen zu finden und erfolgreich zu integrieren.

Andre Waßmann ist Mitglied der Geschäftsleitung bei Helbling Business Advisors und verantwortlich für den Bereich M&A und Corporate Finance. Mit seiner langjährigen Erfahrung in der Strategieberatung und der strategischen Entwicklung von Unternehmen und Konzernen liegt sein Fokus auf Geschäftsmodellen, die mit den aktuellen Megatrends wie Konnektivität, Gesundheit, Sicherheit, Neu-Ökologie und Mobilität im Einklang stehen. Ein weiteres Spezialgebiet sind Transaktionen im Digitalisierungsumfeld, insbesondere im Zusammenhang mit modernen, plattformbasierten Geschäftsmodellen.

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