Bisher sind Elektrofahrzeuge für die Automobilindustrie nicht profitabel. Während die Batterieentwicklung rasant voranschreitet, gibt es noch viel zu tun, um die hohen Herstellungskosten zu reduzieren. Es gilt Skaleneffekte in der Produktion zu erzielen, die Gesamtbetriebskosten zu senken sowie die Reichweite und Ladeinfrastruktur zu verbessern. Erst dann werden E-Autos mit Verbrennern gleich ziehen können. Trotz aller Herausforderungen bieten sich Automobilherstellern und Energieversorgern durch die Elektromobilität große Chancen, um den Kundennutzen und die Kundenakzeptanz zu steigern.
Kosten als größtes Kaufhindernis
Laut der Verbraucherstudie „The Digital Life Index“[1] sind die Gesamtbetriebskosten (Total Costs of Ownership) das größte Hindernis für den Kauf eines E-Fahrzeugs. Es geht dabei nicht um den Preis des Fahrzeugs allein, sondern um Faktoren wie die Installation und den Betrieb einer Ladestation zu Hause, das öffentliche Laden, Steuern, Versicherung und den Restwert. In vielen großen Märkten wird die Nachfrage durch Subventionen und Kaufanreize stimuliert, um das Angebot eines Elektrofahrzeuges attraktiv zu gestalten. Diese Kaufanreize sind jedoch oft kompliziert und erfordern bei der Antragsstellung viel Papierarbeit. Auch gelten nicht alle Steuerermäßigungen gleichermaßen für alle Käufer. Dazu ist nicht jedes E- oder Hybridfahrzeug und auch nicht jedes Gebrauchtfahrzeug für Subventionen qualifiziert. Subventionen sind aber grundsätzlich langfristig keine Lösung, um den Absatz und die Akzeptanz bei den Kunden zu fördern. Solange die Gesamtbetriebskosten eines E-Fahrzeugs nicht konkurrenzfähig bzw. besser sind als die eines Verbrenners, wird es mit der breiten Etablierung dauern.
Die hohen Herstellungskosten von E-Fahrzeugen sind hauptsächlich der Batterie geschuldet. Im Jahr 2010 lag der Preis für die Energiespeicher[2] noch bei 600 Euro pro Kilowattstunde. Bis zum Jahr 2025 wird jedoch eine Preisreduzierung von Lithium-Ionen-Akkus auf 83 Euro pro Kilowattstunde prognostiziert. Das Rennen ist im vollen Gange. Die rasanten Fortschritte von Tesla und General Motors dürften sogar noch früher zu erschwinglichen EV-Modellen führen. Ein weiterer elementarer Faktor, den Verbraucher bei der Entscheidung für ein Elektroauto berücksichtigen müssen, ist der Wertverlust. Die Batterien werden immer leistungsfähiger, langlebiger und preiswerter. Der Restwert der alten bzw. aktuellen E-Fahrzeuge dürfte daher schneller sinken, wenn neue Modelle mit höherer Reichweite zu niedrigeren Preisen auf den Markt kommen. Unterm Strich ist daher für viele Fahrer Leasing finanziell sinnvoller als der Kauf eines xBEVs (Batterie-Elektrofahrzeug, Plug-in-Hybrid etc.). Dem Problem des Wiederverkaufs wird aktuell allerdings kaum Beachtung geschenkt.
Mit vereinten Kräften gegen die Reichweitenangst
Weltweit bedingt die limitierte Reichweite und die begrenzte Ladeinfrastruktur die Zurückhaltung der Verbraucher beim Kauf von Elektrofahrzeugen. Selbst in europäischen Ländern mit einer höheren Ladestationversorgung stehen diese Faktoren neben den Kosten ganz oben auf der Bedenkenliste. 2020 lag die durchschnittliche Batteriereichweite[3] von E-Fahrzeugen weltweit bei 375 Kilometern. Bis 2025 soll sie auf über 750 Kilometer ansteigen. Doch gerade bei längeren Strecken gibt es in Sachen Ladeinfrastruktur noch Ausbaubedarf. Da die Menschen aufgrund der Pandemie häufiger längere Strecken mit dem Auto anstatt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln oder dem Flugzeug zurücklegen, schreckt die löchrige und uneinheitliche Ladeinfrastruktur vor dem Kauf eines E-Fahrzeugs ab.
Um die Reichweitenangst der Verbraucher zu lindern, gibt es diverse Bemühungen. Ionity beispielsweise ist ein Joint Venture diverser Automobilhersteller, darunter die BMW Group, Ford Motor Company, Mercedes Benz AG und die Volkswagen Group mit Audi und Porsche. Man hat sich zum Ziel gesetzt, europäische Langstreckenfahrten mit E-Fahrzeugen möglich zu machen. Durch die Initiative wurde entlang der wichtigsten europäischen Autobahnen ein großflächiges Ladenetz geschaffen. Außerdem bieten alle beteiligten Autohersteller ihren Kunden kostenlosen oder vergünstigten Zugang zu den Stationen. Projekte wie dieses können maßgeblich dabei helfen, die Reichweitenangst der Verbraucher zu lindern.
In den letzten drei Jahren hat sich der Absatz von E-Fahrzeugen in Europa mehr als verdoppelt, aber die Anzahl der Ladepunkte ist nur um 58 Prozent auf knapp 200.000 gestiegen. Trotz dieser langsamen Entwicklung gibt es auf Seiten der Energieunternehmen positive Fortschritte zu verzeichnen. Ubitricity beispielsweise, ein Berliner Start-up für Ladestationen, das kürzlich von Shell übernommen wurde, arbeitet an einem Ladenetz für E-Fahrzeuge in Wohngebieten. Um die Installations- und Wartungskosten niedrig zu halten, werden dafür Straßenlaternen zu Ladepunkten umgerüstet. Auch Anbieter wie Fortum, Octopus und Shell Recharge bieten ihren Kunden einen vereinfachten Zugang zum Laden an Tausenden von öffentlichen Ladepunkten – mit Plänen zur Ausweitung auf Ladepunkte zu Hause und am Arbeitsplatz.
Digitale Helfer im Dschungel der Elektromobilität
Digitale Tools können Verbrauchern dabei helfen, die Komplexität der Anschaffung und des Besitzes eines E-Fahrzeugs zu reduzieren. Auch bei der Grundsatzentscheidung, ob ein Elektroauto die richtige Wahl für die individuellen Ansprüche ist, kann Hilfestellung geleistet werden.
So überwacht beispielsweise die EQ Ready App von Mercedes das Fahrverhalten des Nutzers über einen Zeitraum von mehreren Tagen, um eine individuelle Bewertung der EV-Bereitschaft der jeweiligen Person zu erstellen. Die App zeichnet die Routen des Nutzers auf, registriert, ob Ziele in Reichweite eines Elektrofahrzeugs liegen, gibt Auskunft über den Energiebedarf und berät über die verfügbare Infrastruktur.
Mit dem Kostenrechner von Nissan lassen sich beispielsweise die Kosten für den Besitz des Elektromodells „Leaf“ direkt mit den Kosten des Benziners im Besitz eines Kunden vergleichen. Der Rechner berücksichtigt den Standort des Fahrers, den täglichen Arbeitsweg, die lokalen Benzinpreise, den durchschnittlichen Verbrauch pro Kilometer, die Dauer des geplanten Besitzes des E-Fahrzeugs und die Stromtarife, um die potenziellen Einsparungen beim Benzinverbrauch zu berechnen. Bei Tesla wiederum finden sich bezüglich verfügbarer Subventionen und Incentives je nach Region einige hilfreiche Informationen auf der Website. Der Autobauer Chevrolet verlinkt dafür auf externe Quellen, wodurch das Thema komplex bleibt.
Um der Unsicherheit der Verbraucher zu begegnen, gilt es, eine verlässliche Informationsquelle zu etablieren. Diese sollte ein besseres Verständnis vermitteln, ob und welche Subventionen bzw. Incentives beim Kauf einen bestimmten Modells in Frage kommen und wie diese in Anspruch genommen werden können.
Nahtlose Customer Experience im Fokus
Die Kundenerfahrung beim Kauf und Besitz eines E-Fahrzeugs ist derzeit extrem fragmentiert. Die Suche nach dem richtigen Modell, der Kauf oder das Leasing des Fahrzeugs, die Beantragung von Fördermitteln, der Abschluss einer Versicherung, die Installation einer Ladestation, der Erwerb eines Energietarifs und der Zugang zu öffentlicher Ladeinfrastruktur, erfordert vom Kunden die Interaktion mit einer Vielzahl von Unternehmen, Apps, Websites und Unterlagen. Alle Marktteilnehmer müssen sich darauf fokussieren, das individuelle Kundenerlebnis zu optimieren und durch etwaige Kollaborationen zu vereinfachen.
Tesla ist sehr erfolgreich darin, seinen Kunden einen Großteil dieser Komplexität abzunehmen. Das Unternehmen bietet zusätzliche Dienstleistungen wie die Installation von Ladepunkten, Versicherungen und den Zugang zu Supercharger-Stationen an. Andere Player wie Volkswagen engagieren sich in neuen Branchen, um Lücken in der Customer Journey zu schließen. Der Ökostrom-Anbieter Elli ist der Vorstoß von VW in den Bereich der Energieversorgung. Elli bietet Haushaltsstrom, Zugang zu Ladestationen zu Hause sowie Zugang zu Tausenden von Ladestationen am Arbeitsplatz, zu Hause und bei VW-Händlern. Elli soll so omnipräsent werden wie das Smartphone. VW will damit ein Ökosystem schaffen, das sich den Ängsten und Fragen von Elektroautobesitzern und potenziellen Kunden widmet.
Überzeugende Kundenangebote werden oft nicht ohne Partnerschaften möglich sein. Autobauer und Energieversorger müssen zusammenarbeiten, um Kunden für sich zu gewinnen und neue Einnahmequellen zu erschließen. Energieversorger können zum Beispiel ein E-Fahrzeug zusammen mit einem Vertrag für Haushaltsstrom anbieten, ähnlich wie Telekommunikationsunternehmen ihren Kunden neue Smartphones zur Verfügung stellen, wenn diese den Anbieter wechseln. Auch branchenübergreifende Partnerschaften mit Dritten können Differenzierungspunkte bieten. Das türkische Automobilunternehmen TOGG beispielsweise ist ein Joint Venture von fünf Partnern, darunter ein Telekommunikations- und ein Energieversorgungsunternehmen.
Der globale Markt für E-Fahrzeuge wird derzeit maßgeblich durch staatliche Regulierungen angetrieben, die darauf abzielen, Emissionen zu senken. E-Fahrzeuge sind eine der praktikabelsten Optionen, um die Umweltfolgen des Verkehrs zu reduzieren. Für eine breite Etablierung der Elektromobilität bedarf jedoch noch Verbesserungen in der Customer Experience, gerade was Preis, Reichweite und Convenience angeht. Der einfache Zugang und die unkomplizierte Nutzung – voll integriert und connected – sind erfolgsentscheidend. Hier stehen Automobilhersteller wie Energieversorger gleichermaßen in der Pflicht.
Quellen und Referenzen:
[1] https://thedigitallifeindex.publicissapient.com/industry-insights/transportation
[2] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/534429/umfrage/weltweite-preise-fuer-lithium-ionen-akkus/
[3] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/443614/umfrage/prognose-zur-reichweite-von-elektroautos/
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