Das E-Rezept: Wie die digitale Infrastruktur den Arzneimittel-Alltag verändert

Seit dem 1. Januar 2024 ist das E-Rezept in Deutschland Pflicht. Knapp 500 Millionen digitale Verordnungen wurden im ersten Jahr eingelöst. Die Rezepte werden zentral in der Telematikinfrastruktur gespeichert und können per Gesundheitskarte, QR-Code oder App eingelöst werden. Während Patienten von mehr Komfort und flexibler Einlösung profitieren, stehen Praxen und Apotheken vor hohen Investitionen, komplexer Software und Doppelstrukturen für Sonderfälle. Das E-Rezept erleichtert den Alltag, erfordert aber stabile Systeme und benutzerfreundliche Lösungen.
Von   Martin Schulze   |  Leiter der pharmazeutischen Kundenbetreuung & Apotheker   |  mycare
12. Dezember 2025

Das E-Rezept:

Wie die digitale Infrastruktur den Arzneimittel-Alltag verändert

 

 

Seit dem 1. Januar 2024 ist das elektronische Rezept für verschreibungspflichtige Medikamente in Deutschland verpflichtend. Was für Patienten zunächst nach einem einfachen Digitalisierungsprojekt aussieht, bedeutet für Arztpraxen, Apotheken und Krankenkassen einen tiefgreifenden technischen Wandel. Im ersten Jahr wurden bereits knapp 500 Millionen E-Rezepte eingelöst, das entspricht im Schnitt rund 42 Millionen pro Monat, also etwa 1,4 Millionen pro Tag. Hinter der scheinbar simplen Idee, das Papierrezept durch ein digitales Pendant zu ersetzen, steckt eine hochkomplexe Infrastruktur. Diese muss Sicherheit, Interoperabilität und Alltagstauglichkeit gleichermaßen gewährleisten.

 

Die technische Basis: Telematikinfrastruktur und sichere Übermittlung

Das E-Rezept wird nicht lokal in der Arztpraxis oder der Apotheke gespeichert, sondern zentral in der Telematikinfrastruktur (TI). Diese TI ist das hochsichere Datennetz des deutschen Gesundheitswesens, das speziell dafür entwickelt wurde, alle Leistungserbringer über eine gemeinsame digitale Plattform miteinander zu verbinden. Dazu zählen Arztpraxen, Apotheken, Krankenhäuser und Krankenkassen. Technisch funktioniert das über spezielle Konnektoren und zertifizierte Praxis- und Apothekensoftware, die die Verbindung zur TI herstellen.

Wenn ein Arzt ein Rezept ausstellt, wird dieses in der Praxissoftware digital erstellt und anschließend verschlüsselt auf den zentralen E-Rezept-Server der gematik übertragen. Auf dem lokalen Praxisrechner bleibt das Rezept zwar in der Patientenakte dokumentiert, die eigentliche „gültige“ Verordnung liegt aber ausschließlich in der TI. Dadurch wird sichergestellt, dass Rezepte unabhängig von der Praxis jederzeit sicher und eindeutig abrufbar sind.

Der Zugriff auf das System ist streng reglementiert: Nur die ausstellende Praxis, die Apotheke, bei der das Rezept eingelöst wird, und die Patienten selbst können das jeweilige E-Rezept einsehen. Die Authentifizierung erfolgt über die elektronische Gesundheitskarte (eGK) oder eine autorisierte App. In Apotheken bedeutet das, dass in Echtzeit auf Verordnungen zugegriffen werden kann.

Schnittstellenmanagement: Von der Arztpraxis in die Apotheke

Das Einlösen des E-Rezepts funktioniert über mehrere Kanäle. In der Apotheke vor Ort wird das Rezept entweder durch das Einlesen der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) oder durch das Scannen eines ausgedruckten QR-Codes aufgerufen. Darüber hinaus können Patienten ihr Rezept auch digital übermitteln, etwa über die E-Rezept-App der gematik oder über Apps von Versandapotheken und zunehmend auch von Vor-Ort-Apotheken, die eigene digitale Angebote entwickelt haben.

Für Apotheken bedeutet das eine umfassende Anpassung ihrer Systeme an die Schnittstellen der Telematikinfrastruktur. Technisch nötig sind zertifizierte Apothekensoftwaresysteme, die über sogenannte Konnektoren eine sichere Verbindung zum E-Rezept-Fachdienst herstellen können. Während große Apothekenketten und Versandapotheken in diese Infrastruktur frühzeitig investieren konnten, stellt die Umsetzung für viele kleinere Vor-Ort-Apotheken eine größere Herausforderung dar.

Die Gründe liegen vor allem in den hohen Investitionskosten für Hardware (Konnektoren, Kartenterminals), die komplexe Einbindung in bestehende Warenwirtschaftssysteme sowie in einem teils aufwendigen Schulungsbedarf für das Personal. Für viele kleinere Apotheken bedeutet das nicht nur eine technische Umstellung, sondern auch eine organisatorische: neue Prozesse im Alltag, ein höherer Wartungsaufwand und Abhängigkeiten von IT-Dienstleistern.
Entscheidend ist dabei, dass die Systeme reibungslos miteinander funktionieren: von der Arztpraxis über die TI hin zur Apotheke.

Sonderfälle: Wo Papier weiter regiert

Trotz der verpflichtenden Einführung ist das E-Rezept noch nicht universell einsetzbar. Bestimmte Verordnungen, etwa Betäubungsmittelrezepte (BtM), Hilfsmittel oder Blutzuckerteststreifen, müssen weiterhin auf Papier ausgestellt werden. Auch technische Störungen sind eingeplant: Fällt die TI oder die Internetverbindung aus, dürfen Arztpraxen weiterhin klassische Papierrezeptblätter nutzen. Für Arztpraxen und Apotheken bedeutet das: Doppelstrukturen sind noch auf längere Sicht nötig.

Sicherheit und Datenschutz: Zugriffsrechte klar geregelt

Ein zentrales Thema bei der Einführung war die Frage, wer Zugriff auf die sensiblen Gesundheitsdaten erhält. Grundsätzlich gilt: Nur Patienten selbst, die ausstellende Arztpraxis sowie die Apotheke, in der das Rezept tatsächlich eingelöst wird, haben Zugriff auf die jeweilige Verordnung. Es gibt also keine feste Vorab-Bindung an eine bestimmte Apotheke, Patienten entscheiden flexibel, wo sie ihr Rezept einlösen möchten. Standardgemäß sehen Ärzte und Apotheker ausschließlich das aktuelle Rezept, nicht die gesamte Medikationshistorie. Mit Einführung der neuen elektronischen Patientenakte (ePA) können Patienten jedoch über die Funktion „Mediaktionsliste“ aktiv eine Übersicht freigeben, sodass auch eine Historie sichtbar wird.

Die technische Absicherung erfolgt über eine Kombination aus verschlüsselter Speicherung, personalisiertem Zugriff über die eGK oder eine autorisierte App sowie einer zeitlich begrenzten Gültigkeit. Ein E-Rezept ist in der Regel drei Monate gültig, bleibt aber noch zehn zusätzliche Kalendertage nach Ablauf auf dem Server hinterlegt. Die Kosten übernimmt die Krankenkasse allerdings nur, wenn das Rezept innerhalb von 28 Tagen eingelöst wird, danach muss es in der Regel selbst bezahlt werden.
Für Patienten bedeutet das in der Praxis: Wer die Frist verpasst oder ein Folgerezept braucht, kann einfach telefonisch ein neues Rezept anfordern, sofern die eGK im laufenden Quartal bereits eingelesen wurde.

Chancen und Herausforderungen für das Gesundheitssystem

Für Patienten bringt das E-Rezept vor allem Komfort: weniger Papier, weniger Wege, schnellere Prozesse. Rezepte können zudem schnell und ortsunabhängig an Apotheken übermittelt werden, die Medikamente anschließend per Versand oder Botendienst bis nach Hause liefern – ein Vorteil, gerade für Menschen in ländlichen Regionen. Gleichzeitig verdeutlichen Studien, dass die Nutzerzufriedenheit insgesamt hoch ist. Laut einer Umfrage von Deloitte sind 86 Prozent der Befragten zufrieden mit der Ausstellung und Einlösung des E-Rezepts, 64 Prozent berichten sogar von völlig reibungslosen Abläufen.
In der Praxis zeigt sich dennoch: Die technische Usability ist nicht in allen Fällen ausgereift. Viele Patienten empfinden die E-Rezept-App der gematik als umständlich und nutzen stattdessen Apps von Apotheken, oder verzichten ganz auf eine App, da die Krankenkassenkarte im Alltag völlig ausreicht. Vorteile bieten Apps vor allem dort, wo Rezepte vorab an eine Apotheke geschickt werden sollen.

Auch die Integration in Praxis- und Apothekensoftware verläuft bislang nicht überall reibungslos. So meldeten laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV) im ersten Halbjahr 2024 zahlreiche Praxen wiederholt Probleme beim Ausstellen oder Signieren von E-Rezepten, häufig verursacht durch instabile Konnektoren oder Software-Updates. Auch Apotheken berichteten von Verzögerungen beim Abruf über die TI, die zu Wartezeiten führten. Wichtig dabei: Diese Schwierigkeiten liegen nicht bei den Ärzten oder Apothekern selbst, sondern sind in erster Linie auf die noch unzureichende Umsetzung durch die Softwarehäuser zurückzuführen. Da der Markt der Anbieter sehr klein ist, sind die Leistungserbringer stark von deren Leistungsfähigkeit abhängig, was die Stabilität der Systeme zusätzlich beeinflusst. Diese Praxisberichte verdeutlichen, dass trotz Millionen erfolgreich eingelöster E-Rezepte die Stabilität und Alltagstauglichkeit der Systeme noch verbessert werden müssen.

Digitalisierung mit Nachjustierungsbedarf

Das E-Rezept zeigt exemplarisch, wie komplex die Digitalisierung im deutschen Gesundheitswesen ist. Es ist mehr als ein Symbolprojekt: Es zwingt alle Beteiligten, Ärzte, Apotheken, Krankenkassen und Patienten, in eine gemeinsame digitale Infrastruktur.
Die bisherigen Erfahrungen sind ermutigend, die breite Nutzung belegt, dass die Einführung grundsätzlich funktioniert. Doch die Digitalisierung im Gesundheitswesen braucht mehr als gesetzliche Vorgaben: stabile Systeme, benutzerfreundliche Anwendungen und eine konsequente Einbindung aller Akteure. Erst wenn diese Punkte erfüllt sind, kann das E-Rezept sein volles Potenzial entfalten, als Baustein für ein digital vernetztes, effizientes und patientenorientiertes Gesundheitssystem.

Martin Schulze ist Apotheker und leitet seit 2014 die pharmazeutische Kundenbetreuung bei mycare.de. Bereits 2010 stieg er während seines praktischen Jahres ein und ist dem Unternehmen seitdem treu geblieben. Zunächst war er als Leiter der Qualitätskontrolle in der hauseigenen Verblisterung tätig, bevor er die Leitung der pharmazeutischen Abteilung übernahm. Zusätzlich verantwortet er heute Aufgaben als Großhandelsbeauftragter und als Beauftragter für Medizinproduktesicherheit.

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