Blockchain: Für den Durchbruch braucht es mehr als Technik.

Von   Klaus Schilling   |  Director   |  Sapient Consulting
19. Juli 2017

Crypto Currencies, Hashwerte, Mining, Smart Contracts, private, public, permissioned chains – haben Sie schon einmal versucht, einem Nicht-Techniker die Welt von Blockchain zu erklären? Falls nicht, versuchen Sie es einfach. Bereiten Sie sich aber gut vor, machen Sie sich insbesondere Gedanken, wie Sie komplexe Sachverhalte einfach visualisieren können, und nehmen Sie sich mindestens 30 Minuten Zeit.
Und dennoch werden sich Fragen wie „Was kann ich jetzt damit anfangen?“ oder „Welche Vorteile wird mir Blockchain bieten?“ nie vermeiden lassen – dafür ist das Thema schlicht zu erklärungsbedürftig. Nach zwei Jahren mit Pilotversuchen und Kundenprojekten fällt meine persönliche Bilanz und Erfahrung mit der Blockchain durchwachsen aus. Für einen wirklich disruptiven Megatrend fehlen immer noch erfolgreiche Fallbeispiele. Zudem wird das Thema noch viel zu technisch diskutiert. Der Durchbruch einer Innovation wie Blockchain kann aber nur dann stattfinden, wenn eine große Anzahl von Nutzern die Technik einsetzt und einen klaren Vorteil darin erkennt – ohne tieferes Wissen über die zugrundeliegenden technischen Details zu benötigen.

Ein Beispiel: Viele Menschen senden E-Mails, haben aber keine Ahnung von der darunterliegenden Technik. Blockchain ist auch eine Basistechnologie, die im Hintergrund einfach und verlässlich funktionieren muss, ohne das Anwender verstehen müssen, was im Detail passiert.

Problem: Fehlende User Experience in der Blockchain

Damit Blockchain ein Erfolg wird, sollte der Fokus auf den Anwendungsmöglichkeiten und nicht auf der Technologie liegen. Es gibt in der Bockchain das Konzept der sogenannten Smart Contracts (intelligente Verträge). Smart Contracts sind kleine Programmschnipsel, die dafür sorgen, dass die fachlichen Abläufe eines Geschäfts in einer Blockchain abgewickelt und dort gespeichert werden können. Das Smarte daran ist, dass diese Verträge selbstständig Entscheidungen treffen können. Haben Sie schon Ihren ersten Smart Contract entwickelt und auf eine Blockchain gespielt? Nein? Keine Sorge, Sie sind in guter Gesellschaft. Denn die Mehrzahl der Menschen, die in Branchen wie dem Bankwesen über Blockchain nachdenkt, hat noch nie einen Contract kodiert. Die Erwartung von Anwendern ohne technischen Hintergrund ist heutzutage zurecht, dass sie ein Tool an die Hand bekommen, das fachliche Details in Programmcode umsetzt, ohne dass Programmierkenntnisse erforderlich sind. Ein solches Tool fehlt leider noch für die Blockchain.

Tatsache ist, dass die Blockchain-Oberfläche bisher sehr komplex ist. Ein Beispiel: Über die hexadezimale Ethereum-Adresse 0x6e3664e0029503bcD36518d1d4cf0aE49ec983B9 können Sie mir gerne ein paar digitale Coins zum Dank für diesen spannenden Artikel überweisen. Leicht zu merken, oder?

Das grundsätzliche Problem: Der Endnutzer will nicht kodieren müssen und nicht mit Hexadezimaladressen hantieren. Er erwartet Apps mit guter User Experience, damit die Services leicht nutzbar sind. Daher gehören in jedes Blockchain-Projekt zwingend von Anfang an Designer, die dafür sorgen, dass das Look und Feel der Lösung passen.

Blockchain-Konzepte benötigen interdisziplinäre Teams

In unseren Projekten stellen wir immer wieder fest, dass Nicht-Technologen sehr still werden, sobald es um Blockchain geht. Denn keiner sagt offen, dass er aufgrund des ganzen ‚Techspeak’ nicht mehr folgen kann. Aber gerade das ist fatal. Im Blockchain-
Universum gilt: „code is law“. Das bedeutet, dass was als Programmcode im Smart Contract steht, gesetzt ist und später für einen in der Blockchain gespeicherten Vertrag nicht mehr verändert werden kann. Die Fachexperten müssen jedoch dafür sorgen, dass ein neues digitales Konzept auch gegenüber regulatorischen Vorgaben aus der realen Welt bestehen kann. Nimmt man die Fachspezialisten nicht mit, läuft man Gefahr, dass innovative Konzepte sehr schnell scheitern, da sie gegen reale Gesetze verstoßen. Daher müssen in den Projekten Experten aus unterschiedlichen Disziplinen zusammenarbeiten, sich verstehen und ergänzen – vom Fachexperten über den Designer bis hin zum Tech-Profi.

Blockchain in der Praxis

Erfolgsversprechend ist Blockchain immer dann, wenn mehrere Parteien – am besten aus unterschiedlichen Branchen – gemeinsam einen neuen Anwendungsfall kreieren. Dabei helfen die Anonymität der Nutzer, die Unveränderlichkeit der einmal eingefügten Daten sowie die Offenheit des Peer-2-Peer-Netzes bei der Konzeption wirklich neuer Services. Hingegen ist es weniger sinnstiftend, wenn brancheninterne Konsortien geschlossene Zirkel bilden, um bestimmte althergebrachte Anwendungsfälle mit Hilfe der Blockchain-
Technik zu modernisieren. In diesem Fall sprechen wir von sogenannten private Blockchains. Private Blockchains können zwar ggf. zu Effizienzverbesserungen zwischen den Partnern führen – aber eben nur zwischen diesen. Wirklich neu und disruptiv sind offene Konzepte, sogenannte public Blockchains.

Ein Anwendungsbeispiel

Aus Smart Contracts in Verbindung mit dem Internet-of-Things (IoT) ergeben sich spannende Anwendungsfelder, beispielsweise in der Automobilindustrie: Mithilfe eines Smart Contracts könnten PKWs wöchentlich ihren Kilometerstand in die Blockchain übermitteln. Sollte der übermittelte Kilometerstand kleiner als der bereits gespeicherte sein, erkennt der Smart Contract, dass da etwas nicht stimmen kann und ändert automatisch den Status des mit dem Contract verbundenen Fahrzeugs. Das Zurückdrehen des Tachometers, um einen Gebrauchtwagen teurer zu verkaufen, wird damit hochriskant und die Wahrscheinlichkeit eines Betrugs unwahrscheinlicher. Werden (Online-)Händler, Werkstätten, Versicherer und PKW-Finanzierer an ein solches Netzwerk angebunden, entsteht ein neues Ökosystem mit Leistungen, die über das Erkennen der Kilomerstandsmanipulation weit hinausgehen (automatische Schadenserkennung, Speicherung der Anzahl der Vorbesitzer, Dokumentation von Wartung und Reparaturen etc.). Als Gegenargument der Autohersteller wird häufig vorgebracht, dass man ein eigenes, markeninternes Qualitätssystem für Gebrauchtwagen betreibe. Stimmt: Die Betonung liegt aber auf den Begriffen „eigenes“ und „markeninternes“. Aber genau das ist der Unterschied zwischen einem disruptivem Ökosystem und althergebrachter Markenpflege – oder anders ausgedrückt: zwischen einem öffentlichen (public) und einem privaten (private) Modell.

Blockchain – ein Ausblick

Noch handelt es sich um Zukunftsmusik, aber weiter gedacht bietet die Blockchain-
Technologie das Potenzial, ein Internet-of-Value (IoV) zu erschaffen. Das IoV speichert Informationen zu physischen und immateriellen Wertgegenständen unterschiedlichster Art – nachvollziehbar, dauerhaft und unveränderlich. Das Ziel: Werte nachhaltig vor Manipulation schützen. In Verbindung mit einer digitalen Währung wird zusätzlich erreicht, dass solche Werte schnell und sicher von einem Eigentümer auf einen anderen übertragen werden können. Dieses Szenario zeigt, dass die richtigen Ideen für neue Services, eine konsequente Ausrichtung an den Kundenerwartungen, gutes Design sowie eine stabile und verlässliche technische Implementierung wichtige Erfolgsfaktoren darstellen, um Blockchain zum Durchbruch zu verhelfen. Und nicht nur das: Wenn die Technologie richtig eingesetzt wird, hat sie das Potenzial, unser Leben grundsätzlich zu verändern. Wenn die Blockchain-Community dabei alles richtig gemacht hat, wissen Endnutzer nicht, dass sie Blockchain einsetzen, sondern freuen sich einfach über neue, schnellere und günstigere Möglichkeiten, die ihr Leben einfacher und sicherer machen.

Klaus Schilling, Director bei Sapient Consulting, verantwortet das Beratungsgeschäft im Bereich der digitalen Transformation. Seine Projektschwerpunkte liegen seit über 16 Jahren im Umfeld der Mobile- und Internet-Banking-Anwendungen, in der Durchführung von Strategieprojekten zum Multikanalvertrieb, zu Blockchain und zu Digital Banking sowie in der Erarbeitung neuer Softwarekonzepte für die Kundenberatung im Multikanal.

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