Auf die mentale Gesundheit kommt es an – was HR Manager tun können

Von   Lenka Kaciakova   |  Vice President für Human Resources   |  Wooga GmbH
9. August 2021

Die neuen und meist stressbehafteten Arbeitsbedingungen in der Corona-Krise haben das Thema Mental Health in vielen Unternehmen in den Fokus gerückt – dabei sind viele Arbeitgeber noch unsicher, wie sie mit dem sensiblen Thema umgehen sollen. Der Berliner Spielesoftwareentwickler Wooga hat während der letzten Monate eine Reihe an Maßnahmen aufgesetzt, um die mentale Gesundheit seiner Mitarbeiter zu gewährleisten und Überlastungen entgegenzuwirken. In 7 Punkten erklärt Lenka Kaciakova, VP Human Resources bei Wooga, wie Unternehmen einen Grundstein für ihre eigene Wellbeing-Strategie legen können.
Die Corona-Pandemie und zugehörige Regierungsmaßnahmen haben große Auswirkungen auf die mentale Gesundheit. Stress und Ungewissheit nehmen zu – auch im Job. Aufgrund von Pandemiebedingten Wirtschaftseinbußen bangen viele Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen um ihren Job. Der Lockdown machte vielen Menschen zu schaffen, insbesondere wenn die Maßnahmen sie von Familie und Freunden isolieren. Viele arbeiten seit über einem Jahr im Homeoffice. Das damit einhergehende Verschwimmen von Beruf und Privatem bekommt nicht allen gleichermaßen gut. Insbesondere Eltern standen in dieser Zeit vor der schwierigen Herausforderung, kontinuierlich den Beruf und das Privatleben gleichzeitig zu bewältigen. Manager stehen derweil unter großem Druck, weil sie sich bzgl. des Wohlbefindens ihrer Mitarbeitenden in der Verantwortung sehen und in Folge noch größere Last als üblich auf sich nehmen. Es hat sich zudem bereits herauskristallisiert, dass weniger Urlaub genommen wird, u.a. weil die Möglichkeiten zu Verreisen stark eingeschränkt sind. Durch die Ausnahmesituation wird in vielen Unternehmen deutlich offener über ein Thema diskutiert, das bislang vorrangig in Arztpraxen stattfand: Psychische Erkrankungen und wie unternehmensintern damit umzugehen ist.

Psychische Erkrankungen sind längst auch eine wirtschaftliche Belastung für viele Unternehmen

Dabei waren psychische Erkrankungen wie Depression und Burnout bereits vor der Pandemie ein ernstzunehmender Wirtschaftsfaktor, denn immer häufiger sorgen sie für Fehlzeiten am Arbeitsplatz. Etwa 15 Prozent aller Fehltage gehen inzwischen auf mentale Belastungen zurück. Zudem fällt die Krankheitsdauer in diesen Fällen mit durchschnittlich 36 Tagen dreimal so hoch aus wie bei anderen Erkrankungen. Zu den Faktoren, die zur psychischen Erschöpfung von Mitarbeitenden führen, zählen mitunter ein anhaltender Zeit- und Leistungsdruck, zu dünne Personaldecken, fehlende Gestaltungsspielräume sowie die allgemeine Beschleunigung der Arbeitswelt. Auch die ständige Erreichbarkeit und Unterbrechung durch digitale Kommunikationsmedien haben Einfluss auf die Psyche von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen. Prävention und die Förderung der psychischen Gesundheit als Teil eines nachhaltigen HR-Managements gewinnen daher zunehmend an Bedeutung. Gerade durch die gesellschaftsverändernden Impulse der New Work-Bewegung gerät die psychische Gesundheit am Arbeitsplatz verstärkt in den Fokus.

Viele Betriebe fragen sich nun, welche Schritte sie einleiten können, um die mentale Gesundheit von Arbeitnehmenden zu stärken. Die folgenden 7 Punkte zeigen Ansätze auf, die sich bei Wooga als erfolgreich herausgestellt haben. Die Maßnahmen beschäftigen sich nicht nur mit einer oberflächlichen Umstrukturierung, sondern verbessern gezielt das Unternehmensklima und somit auch das Wohlergehen der Mitarbeitenden. In allen der genannten Ansätze sind eine gute interne Kommunikation essenzielle Grundlage für den Erfolg.

1. Mentale Gesundheit als neue Aufgabe für HR

HR-Abteilungen sind in den allermeisten Unternehmen inzwischen gang und gäbe, doch oft beschäftigen sich diese lediglich mit dem Recruitment und Onboarding neuer Mitarbeiter, klassischen Personalfragen und manchmal mit der internen Konfliktschlichtung. Selten sind HR-Abteilungen auch dezidiert verantwortlich für Belange, die von den meisten Mitarbeitenden als privat empfunden werden, etwa als Anlaufstelle für Menschen, die unter psychischen Erkrankungen leiden. Empfehlenswert sind dabei auch Kollaborationen mit professionellen externen Anbietern von psychologischer Beratung am Arbeitsplatz, die den Mitarbeitenden regelmäßig und unabhängig für Gespräche zur Verfügung stehen. Darüber hinaus bieten sich Kooperationen an, die ebenfalls positiv auf die mentale Gesundheit der Mitarbeiter einzahlen wie zum Beispiel Yoga- und Sportangebote oder auch Meditations-Apps.

2. Führungsetage für das Thema Mental Health sensibilisieren

Damit Mitarbeitende das Gefühl erhalten, dass ihre Sorgen ernst genommen werden, muss das Thema Mental Health zunächst von der Führungsetage die notwendige Gewichtung erhalten, die in Folge das Anliegen glaubwürdig in der Unternehmenskultur etablieren. Um jedoch eine ernsthafte Stütze darstellen zu können, benötigen gegebenenfalls auch die Führungskräfte zunächst ein Training. Wie mit den psychischen Problemen anderer am besten umgegangen werden kann? Welche Ressourcen können angeboten werden? Wie verliere ich meine eigene mentale Gesundheit nicht aus dem Blickfeld? Neben effizienten Strategien sollten Führungskräfte auch Empathie und Reflektionsvermögen mitbringen, um die psychischen Belastungen ihrer Mitarbeitenden erfolgreich lindern zu können. Entsprechende Herangehensweisen sowie ein Zugang zum Thema können sie von professionellen Coaches erhalten.

Gleichzeitig sollte es niemals Anspruch des Managers oder der Firma sein, ein gesundes soziales Umfeld, Familie oder gar einen Psychologen ersetzen zu wollen. Bei all den neuen Erwartungen an Manager ist es wichtig die Waage zu halten. Und wie immer hilft es wenn Führungskräfte entsprechendes Verhalten vorleben und beispielsweise selbst offen über ihren mentalen Zustand sprechen um Vertrauen aufzubauen und Nähe zu schaffen. Dies kann in 1:1 Situationen passieren oder auch in “Check-ins” zu Beginn von Meetings, in dem jeder Teilnehmer die Chance hat Dinge anzusprechen, die dazu führen dass der eigene Fokus abgelenkt ist.

3. Hierarchien überdenken

Oft gehen Stress und Überbelastung von Personal mit starren Hierarchien einher, die dafür sorgen, dass Verantwortlichkeiten und hoher Workload sich immer bei den gleichen Mitarbeitenden sammeln und diese sich nicht trauen die empfundene Belastung offen mit dem Manager anzusprechen. Führungskräften tut es allerdings auch einmal gut, von Verantwortungen freigesprochen zu werden – z.B. indem Leitungsfunktionen von Projekt zu Projekt neu verteilt werden. Ebenso sind Organisationsstrukturen ratsam, die Wettbewerbsdruck zwischen Mitarbeitenden und Teams minimieren und Teammitgliedern eine Vielzahl von Berichtswegen und vertrauensvollen Ansprechpartnern ermöglichen, damit sie sich an jemanden wenden können, sollten sie mit Konflikten zu kämpfen haben.

4. Regelmäßige Schulungen durchführen

Schulungen und Workshops zu Themen wie Stressmanagement, Organisationsskills und Teamwork sollten in Unternehmen ebenso regelmäßig durchgeführt werden wie Weiterbildungsmaßnahmen, die offensichtlicher mit dem jeweiligen Arbeitsfeld zusammenhängen. Dem Personal wichtige Tools an die Hand zu geben, die sie benötigen, um die psychische Gesundheit am Arbeitsplatz zu wahren, wirkt nicht nur präventiv, sondern zeigt ihnen auch, dass dem Unternehmen ihre Gesundheit am Herzen liegt. Das steigert die Arbeitsmoral und verbessert das Unternehmensklima. Denkbar sind dabei vor allem auch Schulungen zu spezifischen Gegebenheiten, im Rahmen der Pandemie etwa die Vermittlung von gesunden, stressminimierenden Homeoffice-Arbeitsmethoden.

5. Das Thema Diversität und Inklusion im Unternehmen ernst nehmen

Jeder Mitarbeitende bringt eine einzigartige Kombination von Talenten und Fähigkeiten in die Unternehmenskultur ein – und genauso hat jeder mit spezifischen und persönlichen Stressfaktoren zu kämpfen. Manchmal sind diese Stressfaktoren auch an Geschlecht, Hautfarbe, Sexualität, Geschlechtsidentität oder Religion geknüpft. Eine Unternehmenskultur, die entsprechende Diversität und Inklusion nicht nur fördert, sondern auch auf die spezifischen Stressfaktoren der Mitarbeitenden Rücksicht nimmt, sorgt für ein offenes, freundliches und nahbares Betriebsklima, das effektiv gegen psychische Belastung vorbeugt und von dem alle Betriebszugehörigen profitieren.

6. Den Betrieb umweltfreundlich gestalten

Ebenso fördert es das Betriebsklima, wenn sich ein Unternehmen glaubwürdig an höheren Zielen wie dem Umweltschutz und Nachhaltigkeit beteiligt. Grüne Initiativen steigern nachweislich das Wohlbefinden von Personal, denn der Arbeitgeber beweist mit den Maßnahmen ein Gemeinschaftsbewusstsein auch über das eigene Unternehmen – und über die eigenen Profite – hinaus. Eine grüne Unternehmenskultur legt somit auch den Grundstein für einen offeneren und gemeinschaftlichen Umgang miteinander, der psychische Belastungen am Arbeitsplatz lindert.

7. Effektivität der Maßnahmen regelmäßig messen

Es ist wichtig den Nutzen der unternommenen Maßnahmen zur Steigerung des allgemeinen psychischen Wohlbefindens regelmäßig zu überprüfen. Hilfreich sind hierbei etwa anonyme Umfragetools, die es Mitarbeitenden erlauben, offen und ehrlich Feedback zur Unternehmenskultur und zum eigenen Wohlbefinden zu geben.  Ein weiterer Indikator kann etwa die Anzahl der Krankentage sein. In jedem Fall gilt: Keine Maßnahmen sind in Stein gemeißelt. Wenn eine Maßnahme nicht oder nicht mehr den erwünschten Effekt erzielt, sollte sie gegen einen effektiveren Ansatz ausgetauscht werden.

Für jede Form der Mental Health-Prävention gilt: Unternehmen könne ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zur Nutzung dieser Maßnahmen ermutigen, jedoch niemals verpflichten. Alle Schritte, die man als Unternehmen auf dem Weg zu einer funktionierenden Wellbeing-Strategie geht, beruhen auf freiwilliger Basis. Niemand darf sich unter Druck gesetzt fühlen. Für den Arbeitgeber außerdem wichtig: Auch kleine Maßnahmen können schon große Wirkung erzielen, etwa flexiblere Arbeitszeiten oder Homeoffice-Regelungen, die Bereitstellung einer Meditations-App, die Kostenübernahme des Fitnessstudios oder regelmäßige Teambuilding-Events. Am wichtigsten ist, dass Mitarbeitende das Gefühl haben, dass sie und ihre Arbeit geschätzt werden, dass sie nicht unfehlbar sein müssen und sich bei Problemen auch ohne Ängste an ihren Arbeitgeber wenden können. Eine solche vertrauensvolle Unternehmenskultur zu etablieren klingt theoretisch einfach, ist es häufig jedoch nicht, denn vielen Menschen fällt es nach wie vor schwer, im Falle von psychischen Problemen um Hilfe zu bitten. Insofern hat die Corona-Krise eventuell einen positiven Nebeneffekt, denn konfrontiert mit der Ausnahmesituation scheinen viele Menschen und Unternehmen zu lernen, offener mit dem Tabuthema Mental Health umzugehen. Von dieser neuen Offenheit und Menschlichkeit kann die Arbeitswelt auch weit über die aktuelle Krise hinaus profitieren.

Eins stellen wir bei Wooga immer wieder fest: eine erfolgreiche Wellbeing-Strategie ist nie abgeschlossen, sondern ein fortlaufender und dynamischer Prozess. Es bedarf stetig an Korrekturen und Anpassungen an die jeweiligen Umstände und die individuellen Bedürfnisse der Mitarbeiter. Die Herausforderungen der globalen Corona-Pandemie sind hierbei nur ein Beispiel. Agilität wird bei Wooga daher großgeschrieben: mein Team und ich müssen als HR-Management stets flexibel handeln und auf neue Gegebenheiten eingehen können.

stieg 2012 als HR Business Partner bei dem Berliner Spielesoftwareunternehmen Wooga ein. Heute ist sie dort Vice President für Human Resources. Gemeinsam mit ihrem Team arbeitet sie unter anderem an einer erfolgreichen Wellbeing-Strategie für die Mitarbeiter.

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