Digitale Stadt München: eine Standortbestimmung mit den Stadtwerken München

Im bundesweiten Vergleich ist die Stadt München an zweiter Stelle, was ihren Smart City Index betrifft. Nur Hamburg liegt marginal voraus. Mit insgesamt 85,3 von maximal möglichen 100 Punkten kann sich München sehen lassen. Münchens Stärken liegen dem Index zufolge im Bereich der Mobilität, wo man mit 91,4 von 100 Punkten abgeschnitten hat. Die insgesamt guten Werte sind aber kein Grund, um sich auf erreichten Lorbeeren auszuruhen – im Gegenteil: Sie sind ein Ansporn, jetzt erst recht mit der Digitalisierung voranzuschreiten. Die Stadtwerke München sind bei zahlreichen Digitalisierungsprozessen direkt oder indirekt beteiligt. Ein Grund mehr für eine kleine Standortbestimmung mit Perspektiven für die nahe Zukunft.
Interview von Hannes Mittermaier
25. Juli 2023
Interviewpartner
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Dr. Jörg Ochs im Gespräch

Reden wir nicht um den heißen Brei herum: Wie digital ist die Stadt München?

Ich spreche aus der Sicht der Stadtwerke München. Wir sind in Deutschland auf Platz 2 im Digitalisierungsindex, von daher sehe ich uns als Konzern relativ gut. Im Thema Asset-Digitalisierung sind wir ganz weit vorne dran. Sei es unser Trinkwassernetz, seien es unsere ganzen Rolltreppen und auch die Infrastruktur im Allgemeinen. Da machen wir Stand heute auch schon viel mit IoT. Mittlerweile haben wir seit über fünf Jahren ein flächendeckendes LoRa-Netz aufgebaut, also ein IoT Netz, um Sensoren energieeffizient mit uns kommunizieren zu lassen. Beim Thema Machine Learning und Predictive Maintenance sind wir ebenso vorne dabei. Ein schönes Beispiel für Predictive Maintenance sind unsere Rolltreppen: Wir als Stadtwerke München sind wir ja einer der größten Rolltreppenbetreiber in ganz Deutschland bei U-Bahnstationen. Es ist uns ein Anliegen, dass wir gerade im Winter die Rolltreppen am Laufen halten. Ein kleiner Stein kann zu einem Betriebsausfall führen, sodass eine Rolltreppe verklemmt und sich schlimmstenfalls ein kleineres Verkehrschaos daraus entwickelt, weil Leute nicht vernünftig aus und in die U-Bahnstation kommen. Deswegen setzen wir hier auf KI-Algorithmen, die aus den Daten der verbauten Sensoren erkennen, wenn sich eine Betriebsstörung ankündigen könnte. Durch die Voraussicht können wir sie dann schon präventiv reinigen.

Sind derlei Mechanismen auch an anderen Stellen schon im Einsatz?

Ja. Denn ähnlich machen wir es beim Wasser. Das Wassernetz in München ist ein relativ großes und altes Netz. Das kann man einmal im Jahr nur von Lecksuchern begehen, die mit Stethoskopen die Wasserleitungen abhören und anhand der Wassergeräusche dann Leckagen erkennen. Das Problem dabei ist freilich, wenn wir heute suchen, morgen aber die Leckage entsteht, dann sehen wir sie ein ganzes Jahr nicht. Hier setzen wir auf Maschinen-Learning-Algorithmen, in denen wir Körperschallsensoren auf den Wasserleitungen erforschen, die uns dann Auswertungen geben. Gleiches tun wir mit Wasserbilanzzonen, die durch Maschinen-Learning-Algorithmen anzeigen, wenn der Wasserverbrauch atypisch ist. Ein weiteres Beispiel: Auch mit unseren E-Bussen, die wir bis 2035 flächendeckend einführen, haben wir eine künstliche Intelligenz am Start, die uns eine Routenoptimierung bereitstellt. Das heißt, wir können online nachschauen, wie es um den Ladezustand steht und wie ich die Busflotte optimiert einsetzen kann. Stand heute hat die MVG mehr als 400 Busse im SWM eigenen Fuhrpark. 14 davon sind Elektro-Solobusse, 10 E-Gelenkbusse. 35 weitere E-Gelenkbusse werden im Laufe des Jahres 2023 erwartet. Außerdem sind weitere 13 E-Solobusse und 58 E-Gelenkbusse ausgeschrieben, die bis 2025 geliefert werden sollen.

Im Verkehrsbereich kümmern wir uns um Fahrgastzählungen im U-Bahn-Bereich, um festzustellen, wie viele Leute sich auf den Fahrtreppen, im Sperrengeschoss und am Gleis befinden, um sie möglichst gut transportieren zu können.

Es wird derzeit viel über Chat GPT gesprochen. Spielt das für Sie auch eine Rolle?

Tatsächlich ist Chat GPT bei uns derzeit auch ein großes Thema, weil wir uns davon eine eigene Instanz aufgebaut haben. Das heißt, diese läuft bei uns in unserer Azure Cloud, damit wir auch sicher sind, dass die Daten nicht nach draußen gelangen. Es gibt mehrere Möglichkeiten, wie wir Chat GPT nutzen können: Wir nutzen Chat GPT in der IT, um einen Quellcode zu generieren, aber auch um Quellcodes überprüfen zu lassen. Weitere Möglichkeiten befinden sich im Bereich des Kundenservices. Wir haben über eine Million Kunden und haben dementsprechend ein großes Callcenter. Viele unterschiedliche Tarife bedeuten unterschiedlichste Bedürfnisse und Anfragen unserer Kund*innen. Wenn wir nun Chat GPT mit unseren internen Systemen verbinden, erhoffen wir uns eine zusätzliche Komponente für guten Kundenservice und vor allem eine große Entlastung unserer Callcenter-Agent*innen, die von der KI beispielsweise Antworten aus der Historie zusammengemappt bekommen. Und ganz persönlich: Ich denke, es gibt noch viele weitere Anwendungsmöglichkeiten von Chat GPT. Kennen Sie das Phänomen der Angst vor einem weißen Blatt Papier? Sie müssen etwas kreieren, sitzen aber und finden keinen Anfang. Hier kann Chat GPT schnell Abhilfe schaffen. Insgesamt kann Chat GPT aus meiner Sicht deutlich zum Effizienzgewinn eines Unternehmens beitragen.

Was funktioniert aus Ihrer Sicht noch schlecht in puncto Digitalisierung in der Stadt München?

Allgemein sind das oft Prozesse, die kompliziert, lang und komplex sind. Es gibt insgesamt zu viele Beteiligte. Es gibt viele Möglichkeiten, einen Prozess zu durchlaufen. Dazu kommt Fachkräftemangel, der wird sich in den nächsten Jahren verstärken. Hier müssen wir schauen, dass wir bis dorthin unsere Prozesse effizienter gestalten und so viel wie möglich digitalisieren, dass wir trotz schwindender Arbeitnehmerzahlen weiterhin gut unsere Dienstleistungen erbringen können. Ein großes Thema dabei ist das Mindset, weil jeder natürlich dazu neigt, seinen Prozess jetzt schon als optimal einzuschätzen. Der menschliche Faktor zählt auch beim Thema Digitalisierung: Wir müssen die Leute mitnehmen und überzeugen, damit diese bereit sind, sich auf Neues einzulassen.

Stockt dieser digitale Wandel auch an zu viel Bürokratie?

Das muss man zweiseitig sehen: Im Bereich der Bürokratie sind wir schon einen großen Schritt weitergekommen, aber wir sind noch nicht bei der Digitalisierung bürokratischer Prozesse angekommen. Ein Beispiel: Wenn ich ein Papierformular in ein PDF-Dokument umwandle, dann ist das für mich noch keine Digitalisierung. Wir haben lediglich ein Formular, das man früher in Papierform ankreuzen und unterschreiben konnte. Wenn ich das am Rechner mit meiner Maus öffne, ankreuze, digital unterschreibe, abspeichere und verschicke, dann dauert das wesentlich länger. Welchen Nutzen soll die Digitalisierung hier haben? Da müssen wir in Tools und Workflows reinkommen, um wirklich zu digitalisieren, was für mich vor allem bedeutet, effizient arbeiten zu können. Gerade einfache Workflows und Durchläufe sind leicht zu optimieren, das macht auch Spaß, weil man schnell einen praktischen Nutzen sieht.

Stichwort: Smart City München. Welchen Beitrag leisten die Stadtwerke München dazu?

Das Thema Infrastruktur ist ein großes Thema. Alles, was mit Energie und Energieflüssen sowie mit Verkehr und Verkehrsflüssen zu tun hat, das betrifft uns. Das sind die Themen, die wir jetzt aus unserem Business bereitstellen und optimieren. Allerdings sind wir auch im Auftrag der Stadt unterwegs, einen digitalen Zwilling der Landeshauptstadt München zu bauen. Wir reden hier von Geodaten, die wir in ein System einspeisen, um eine digitale Version der Stadt München am Computer zu haben. Am Ende sehe ich den geografischen Zwilling der Stadt, sehe, wo welche Leitungen liegen, wie hoch der Verkehrsfluss ist oder welche Schadstoffbelastung herrscht. Ferner sind wir natürlich bei Förderprogrammen dabei, wie beim „Horizon 2022“, wo wir in Aubing einen Stadtteil mit intelligenten Laternen versorgt haben. Gleichzeitig sind wir auch im Wärmebereich daran, Nahwärmenetze aufzubauen mit Geothermie als Beitrag zur Wärmewende der Stadt.

Wie würden Sie die Zusammenarbeit mit Universitäten oder generell Bildungseinrichtungen einschätzen für Ihre Zwecke? Gibt es da eine Kooperation? Wie sieht diese aus und was hilft Ihnen das?

Wir haben mehrere Kooperationen, die ich allesamt klasse und wichtig finde. Zum einen, weil man mit Hochschulen und Universitäten neue Ideen ausprobieren kann. Mit der LMU beispielsweise machen wir ziemlich viel im Bereich der Künstlichen Intelligenz und im Bereich Quantencomputing. In einer Kooperation haben wir ein System entwickelt, das Wasserleckagen detektiert. Mit diesem System waren wir 2021 auf der IK, einer internationalen Konferenz für Künstliche Intelligenz, zum besten Industrie-Paper nominiert worden. Auch mit der TU München sind wir im Bereich von Umweltmanagement beim Messen von Umweltgasen verbunden. Wir geben auch Vorlesungen an den Universitäten. Mittlerweile ist ein früherer Mitarbeiter von mir Professor geworden an der FH. Insgesamt ist der Austausch zwischen mit den Bildungseinrichtungen ziemlich hoch. Es gilt auch zum anderen zu betonen, dass wir ein Interesse haben, die Student*innen früh zu kontaktieren, um sie als potenzielle künftige Mitarbeiter*innen für die Stadtwerke München zu interessieren.

Welche anderen Marketingstrategien haben Sie, um die richtigen Leute für Ihre Projekte zu akquirieren? Immerhin kann der digitale Wandel ja nur mit den richtigen Fachkräften gelingen.

Wir als Stadtwerke München bewegen uns in München in einem spannenden Wettbewerbsumfeld im Bereich des Personals. Wir konkurrieren mit Apple, mit Google und mit Microsoft. Um da dagegenzuhalten, investieren wir zum einen viel in IT-Personal-Marketing. Wir bringen echte Mitarbeiter*innen auf Plakate, die ihre Projekte vorstellen. Wir sind in der Kinowerbung, wir sind auf Litfaßsäulen. Wir machen aber auch neue Sachen. Wir sind zum Beispiel auf Spotify vertreten mit eigenen Podcasts. Wir bieten öffentliche virtuelle Tech-Talks mit Fachleuten von uns an, wo einfach mal über ein Thema diskutiert werden kann. Und ganz neu sind sogenannte Bootcamps. Gerade im SAP-Umfeld ist es schwer, Mitarbeiter*innen zu gewinnen. Da haben wir im letzten Jahr das erste Bootcamp durchgeführt und sind auf viele Quereinsteiger zugegangen. Dabei waren Bäcker, Metzger, Lehrer – alle möglichen beruflichen Hintergründe. Am Ende haben wir zwölf Leute zusammengebracht, die wir innerhalb von vier Monaten erfolgreich zu SAP-Spezialist*innen ausgebildet haben.

Lassen Sie sich in Ihrer Arbeit auch inspirieren von anderen Städten? Beschäftigen Sie sich mit Ideen, die anderswo schon funktionieren, um sie nach München zu bringen?

Natürlich holen wir uns von städtischen Bünden und unserer Verbandsarbeit immer wieder neue Impulse. Dennoch liegt unser Fokus vor allem auf der Landeshauptstadt München. Es gibt ja den Smart-City-Index, da sind wir auf Platz zwei in Deutschland. Nur Hamburg ist mit einem kleinen Vorsprung vor München. Da haben wir in den letzten Jahren gut aufgeholt. Der große Unterschied ist in den digitalen Bürgerservices und der digitalen Verwaltung zu sehen, wo München einfach noch hintendran ist. Aber ich glaube in dem ganzen Thema Assets, Glasfaserausbau, WLAN, IoT-Netzwerke – kurzum alles, was wir machen können, da sind wir europaweit vorne dran.

Wie hängt unser Energieproblem auch in Bezug auf den Klimawandel mit der Frage der Digitalisierung zusammen?

 Das ist sicher eine der entscheidenden Fragen. Die notwendige Umstellung auf regenerative Energien macht das Ganze volatil. Also wir müssen schauen, dass wir Energie verbrauchen, wenn etwa Wind da ist; wenn die Sonne scheint und keine Wolken da sind, dann müssen wir auf die Sonne setzen. Das heißt, wir müssen dynamischer werden. Dazu muss der ganze Energiemarkt, das ganze Energienetz digitalisiert werden. Stand heute sind wir mittendrin. Wir digitalisieren unsere Trafo-Stationen. Wir haben als Produkt schon vor ca. zehn Jahren ein virtuelles Kraftwerk entwickelt, bei dem wir anbieten, große Erzeugungsanlagen, also beispielsweise große Dieselgeneratoren in Rechenzentren mit in das Netz einzubinden. Das hat Vorteile etwa für die Eigentümer von Generatoren – wenn die im virtuellen Kraftwerk immer wieder laufen und nicht nur, wenn ein Stromausfall passiert, verdienen die Eigentümer der Generatoren damit Geld. Zum Start war die Steuerungstechnik noch relativ teuer. Mittlerweile ist die Digitalisierung aber so weit fortgeschritten, dass die Kommunikationseinrichtungen für die Fernsteuerung sehr erschwinglich sind. Deswegen sind wir jetzt schon so weit, auch kleine PV-Anlagen mit einzubinden, aber auch Elektromobilität oder auch andere Kühlanlagen.

Interview geführt durch:

Hannes Mittermaier, geboren 1994 in Sterzing/Italien, seit 2013 in München lebend, schloss 2019 sein Master-Studium an der Ludwig-Maximilians-Universität in München in den Fächern Germanistik und Philosophie ab. Seit 2020 promoviert Mittermaier an der germanistischen Fakultät zu einer Arbeit, die sich mit der Rezeption der Sokrates-Figur im Zeitalter der deutschsprachigen Aufklärung beschäftigt. Damit einhergehend ist Mittermaier Lehrbeauftragter an der Ludwig-Maximilians-Universität. Aktuell hält er ein Proseminar zu Thomas Manns früher Novellistik. Unabhängig von seiner Promotion arbeitet Mittermaier seit September 2019 als Redakteur der ebenso von der Ludwig-Maximilians-Universität herausgegebenen Zeitung Digitale Welt. Darüber hinaus engagiert sich Mittermaier nebenberuflich als freier Musiker.

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