Zwei Milliarden Menschen sind von jedem Stromnetz abgeschnitten. Sie leben mit notdürftigen Generatoren oder ganz ohne Elektrizität. Gerade für die Gesundheitsversorgung in Zeiten einer globalen Pandemie ist dies eine massive Herausforderung: 600 Millionen Menschen werden von Gesundheitszentren versorgt, die nicht über den nötigen Strom verfügen, um elektronische medizinische Geräte aufzuladen, eine Internetverbindung für Kommunikation und Information herzustellen oder die Kühlung für die Lagerung von Medikamenten und Impfstoffen zu betreiben.
Datenarme Märkte hemmen Investitionen
Es sind gerade Entwicklungsländer, die von diesem Infrastrukturmangel betroffen sind. Entwicklungsorganisationen, NGOs und Unternehmen versuchen seit Jahren, dieses Problem zu beheben, doch mit mäßigem Erfolg. Dabei mangelt es nicht an Ideen – sondern an belastbaren Daten. Investitionen lassen sich nur unzureichend planen, die Auswirkungen von Hilfsprojekten in ländlichen Dörfern nicht messen, weil Daten unvollständig, nicht vorhanden oder veraltet sind.
Im krassen Gegensatz zu datengesättigten Volkswirtschaften gibt es in Entwicklungsländern nicht genügend zuverlässige Echtzeit-Entscheidungsinformationen, um Investitionen sinnvoll einsetzen zu können. In datenarmen Märkten wissen Regierungen oft nicht, wo Dörfer liegen, wie viele Menschen dort leben, wohin das eigene Stromnetz reicht, wo sich Gesundheitszentren befinden und wo die meisten Menschen funktionierende Gesundheitszentren benötigen. Sie können keine optimalen Investitionen in die ländliche Gesundheitsinfrastruktur planen, die sich an den Bedürfnissen der Dörfer orientieren. So werden Milliarden verschwendet, ohne das Leben der Menschen zu verbessern.
Satelliten als Datenquelle
Derzeit muss, wer die Lage von Dörfern, die Bevölkerungszahl oder Versorgungsdichte wissen will, persönlich dorthin reisen. Um Daten zu sammeln, die verwertet werden können, ist ein großer Aufwand nötig. Der ist im Umfang kleiner Hilfsprojekte noch möglich – zwei Milliarden Menschen jedoch kann niemand persönlich befragen.
Projekte wie „Village Data Analytics“, kurz VIDA, sammeln daher Satellitendaten, um die Informationslücken zu schließen. KI-basierte Algorithmen analysieren dabei Satellitenbilder und Vor-Ort-Daten, um Versorgungslücken aufzudecken, Karten zu vervollständigen und die kürzesten Wege aufzuzeigen. Planer und Elektrifizierungsunternehmen können so gezielt in die Elektrifizierung von Gesundheitszentren investieren.
Regierungen, Unternehmen und Investoren, können sich so drüber informieren, wo sie strategisch und effektiv ansetzen können, um möglichst vielen Menschen zu helfen. Ein konkretes Beispiel ist das Projekt „VIDA vs. COVID“, welches Gesundheitszentren ohne Zugang zum Stromnetz erkennt und Kennzahlen wie Fahrtzeit, versorgte Bevölkerung, Servicegrad und Zugang zur Infrastruktur errechnet. Die Ergebnisse werden in einem großen, vom Kunden ausgewählten Interessengebiet in einer interaktiven, intelligenten Karte dargestellt.
Machine Learning und lokale Validierung
Um belastbare Daten aus Satellitenbildern zu gewinnen, kommen Machine Learning und sich dadurch selbst optimierende Algorithmen zum Einsatz. Diese werten beispielsweise Nachtlicht-Satellitenbilder der NASA aus, und testen mit einem Vorhersagemodell für den kürzesten Weg, ob das Gesundheitszentrum bereits am nationalen Stromnetz angeschlossen ist. Ein weiterer Algorithmus identifiziert die Ausdehnung und die Eigenschaften der Siedlungen in der Nähe der Gesundheitseinrichtungen mit Hilfe von Satellitenbildern bei Tageslicht, die vom Sentinel-2-Sensor der ESA stammen. Die Software extrahiert Merkmale wie die Größe und Dichte von Siedlungen, Straßenzugang und landwirtschaftliche Nutzung.
Satellitenbilder, die bereits seit Jahren oder Jahrzehnten aufgenommen wurden, können für Zeitreihenanalysen genutzt werden. So lässt sich die Geschichte jeder Siedlung verfolgen und eine prädiktive Modellierung betreiben: Wie stark wird ein Dorf in den nächsten Jahren wachsen? Wie stark wird sich seine Wirtschaftsleistung verändern? Diese Fragen lassen sich mit den gewonnenen Daten modellieren.
Die Ergebnisse stammen jedoch nicht alleine aus den Berechnungen der Algorithmen. Umfragen und Datenerhebungen vor Ort, sowie Datenströme von IoT-Geräten, die bereits in bestehenden Mini-Netzen eingesetzt werden (Smart Meter), dienen der Validierung. Diese Daten stammen oft von den Regierungen und Unternehmen selbst. Auch die Weltbank stellt Datensätze zur Verfügung, die für granulare Datenauswertungen benötigt werden.
Erfolgsfaktoren: Erfahrung und Technologie
Der Erfolg von „VIDA vs. COVID“ besteht darin, den Zugang zu einer funktionierenden Gesundheitsversorgung für die ländliche Bevölkerung in den Ländern Afrikas südlich der Sahara zu verbessern und damit die Widerstandsfähigkeit dieser Länder gegen die COVID-Pandemie und andere Gesundheitsrisiken zu erhöhen. Derzeit sind bis zu 80 Prozent der ländlichen Gesundheitseinrichtungen nicht elektrifiziert. Aufgrund des strategischen Charakters kann so hunderten von Millionen Menschen geholfen werden, Zugang zu Strom und zu Gesundheitsversorgung zu erhalten.
Die Technologie alleine kann jedoch den nötigen Erfolg nicht liefern. Ein Team aus Experten ist in jedem Anwendungsfall von Bedeutung, doch der Einsatz in und für Entwicklungsländer bedarf einer besonderen Kombination aus lokaler Erfahrung, Marktkenntnis und technischer Expertise. Ein Team vor Ort zu unterhalten, ist unerlässlich: Nur vor Ort wird klar, welche Parameter wichtig sind und nur vor Ort können die gefundenen Lösungen angewendet und getestet werden.
Das Digitale Rückgrat
Konkret helfen solche Projekte beispielsweise bei der Elektrifizierung ganzer Landstriche. Dies ist die wichtige und essenzielle Voraussetzung für den nächsten Schritt: Die Digitalisierung. Menschen und Märkte, die vom Stromnetz abgeschnitten sind, haben keinen Zugang zum globalisierten digitalen Markt und fallen hinter andere zurück.
Eine andere wichtige Einsatzmöglichkeit ist die optimale Platzierung von Infrastruktur wie beispielsweise Funktürmen. Auch beim Bau von Schulen oder Krankenhäuser lassen sich mögliche Standorte, um möglichst viele Menschen zu erreichen, besser bestimmen. Zudem geben die Daten auch ganz konkret Händlern eine belastbare Informationsquelle in die Hand, in welchen bisher unzureichend kartographierten Gebieten sie Produkte wie Solaranlagen, Wasserpumpen oder landwirtschaftliche Geräte sinnvoll anbieten können.
In der Informationsgesellschaft wird der Standort zunehmend zum Nebenfaktor. Hier bietet sich durch Digitalisierung die Chance, den weltweiten Markt mit Lösungen und Services zu bedienen – und den lokalen Markt mit digitalisierten Dienstleistungen effizient zu fördern. So entsteht ein digitales Rückgrat für Gebiete, die von der Digitalisierung bisher abgeschlossen waren. Diese Leistung ist langfristig lebenswichtig und bietet eine gewaltige Chance für Entwicklungsländer.
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