Produktivität im Fokus der digitalen Transformation: Mitarbeiter als Kunden betrachten und genauso behandeln

Von   Alexander Jonke   |  Senior Manager Strategy & Consulting   |  Publicis Sapient
  Tim Buesing   |  Group Creative Director Experience   |  Publicis Sapient
30. Juli 2020

In der aktuellen Krise taucht immer wieder eine Frage auf. Wer hat im Jahr 2020 die digitale Transformation nun wirklich angestoßen? War es der CIO, der CEO oder doch COVID-19? In dieser sarkastischen Betrachtung liegt ein großer Funke Wahrheit. Die Auswirkungen der Pandemie sind massiv. So revolutioniert die die Corona-Pandemie beispielsweise die innere Organisation des größten europäischen Versicherers: Die Allianz will die Hälfte der Reisen streichen und ein Drittel der Büroräume aufgeben[1]. Home Office ist heute in vielen Organisationen an der Tagesordnung. Als positiver Effekt der Krise scheint die digitale Transformation endlich in vollem Gange zu sein. Auch bisher zögerliche Unternehmen steigen nun voll in die digitale Zukunft ein. Die offene Frage dabei ist: Wird die Transformation erfolgreich und nachhaltig sein?

Motivation = Wert x Wahrscheinlichkeit

Um die digitale Transformation eines Unternehmens zu meistern, gilt es, den Menschen in den Mittelpunkt zu rücken. Damit ist nicht nur der Kunde gemeint, sondern auch der eigene Mitarbeiter. Der erste Blick sollte dabei nicht neuen technologischen HR-Lösungen à la Software as a Service (SaaS)[2], deren Infrastruktur oder der Prozessoptimierung gelten. Für den Erfolg der digitalen Business Transformation ist es unabdingbar, die Mitarbeiterschaft, deren Produktivität und Motivation zu analysieren und daraus entsprechende Maßnahmen abzuleiten. Dabei gilt die Devise: Motivation = Wert x Wahrscheinlichkeit[3]. Das heißt, die Mitarbeiter eines Unternehmens sind dann motiviert, wenn sie den Wertbeitrag einer Transformation verstehen, und/oder wenn sie glauben, die entsprechenden Fähigkeiten mitzubringen, die Ziele mit hoher Wahrscheinlichkeit erreichen zu können.

Das Management in der Pflicht

Digitale Transformation fängt in der Chefetage an. Der erforderliche Wandel muss durch das Management vorangetrieben werden. Es gilt, Umsetzungsverantwortung zu übernehmen. Entscheider sollten bei der Zielsetzung einen vorsorglichen Blick darauf richten, ob die Organisation über ausreichende Kompetenzen zur erfolgreichen Umsetzung des Transformationsvorhabens verfügt. Die Ziele jeglicher Transformation sind divers und von vielen Faktoren abhängig. Die Beurteilung der digitalen Kompetenzen hingegen ist vergleichbarer und lässt sich einheitlicher fördern.

Bei der Beurteilung der digitalen Kompetenzen im Unternehmen gilt es zweierlei Perspektiven zu berücksichtigen: die der Mitarbeiter und die der Organisation selbst. Beide stehen in einem kontinuierlichen und bidirektionalem Wirkungszusammenhang, der aktuell durch starke, externe Einflussfaktoren auf den Prüfstand gestellt wird.

  • Der Mitarbeiter hat persönliche Bedürfnisse, die die Organisation im Idealfall befriedigen soll. Ein Beispiel ist die eigene Entwicklung im Karrierepfad, der mit den richtigen Erfahrungswerten in den individuellen Wachstumsfeldern abgesteckt werden soll. Der Mitarbeiter wünscht sich, dass ihm eine kontinuierliche Zukunftsperspektive geboten wird, um so eine steile Lernkurve zu halten und Anreize zu haben, die seine Produktivität fördern.
  • Gleichzeitig muss die Organisation diversen Voraussetzungen entsprechen, die regulatorischer und strategischer Natur sein können, oder durch Faktoren wie Ressourcenknappheit bedingt sind, beispielweise in Bezug auf die vorhandene IT-Systemlandschaft oder die Haltung von personenbezogenen Daten. Das heißt, eine Organisation kann die Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter nur im Rahmen der eigenen Spielregeln erfüllen.

Organisationen stehen unter Zugzwang, denn die Transformation muss realisiert werden, sonst verlassen die guten Talente das Unternehmen. Es geht darum, wie und wie schnell die Mitarbeiterbedürfnisse im Rahmen der Organisation befriedigt werden können. Die Employee Experience folgt dabei denselben Ansprüchen wie die Customer Experience: Denn Mitarbeiter sind im Privaten auch User, die nahtlose Kundenerlebnisse an digitalen Schnittstellen gewohnt sind.

Der Mitarbeiter als Kunde

Spricht man über digitale Kompetenzen im Unternehmen, geht es nicht allein um die Entwicklung der Kompetenzen des einzelnen Mitarbeiters. Es geht in erster Linie darum, über welche Kompetenzen eine Organisation verfügt, um den aktuellen Wert der vorhandenen Fähigkeiten zu maximieren. Der Fokus muss darauf liegen, das vorhandene Potenzial der Mitarbeiter bestmöglich zu entfalten und auszuschöpfen.

Wie dies in Unternehmen geschieht, ist unterschiedlich. Ein Konzept, das sich bewährt hat, ist den Begriff des „Kunden“ neu zu definieren. Der Kunde ist in diesem Falle nicht außerhalb, sondern innerhalb der Organisation, also der Mitarbeiter selbst:

Von                                                            Zu

Kunde                                                   Mitarbeiter

Kundenzentrierung                              Mitarbeiterzentrierung

Customer Journeys                              Employee Journeys

Customer Experience                           Employee Experience

Brand Loyalty                                       Employer Brand Loyalty

Der Ansatz, den Mitarbeiter als Kunden zu betrachten, macht es erforderlich, dass Personalabteilungen vermehrt wie Marketingabteilungen denken. Und das macht Sinn, denn die Marke, also das Unternehmen als Arbeitgeber selbst, ist die Klammer, die beide Perspektiven schlussendlich vereint.

Die Employee Journey nach dem SUPA-Modell

Eine Methode, die im Bereich der Kundenzentrierung häufig verwendet wird, um den Status Quo oder einen Zielstatus zu ermitteln, ist das Customer Journey Mapping[4]. Customer Journeys unterschieden sich jedoch von Employee Journeys, da Unternehmensinterna stärker geschützt werden müssen als Informationen im reinen Marketingkontext. Das im Folgenden beschriebene „SUPA“-Modell kann Organisationen dabei helfen, ihre Employee Journeys zu evaluieren und nachhaltig zu verbessern:

  • Simple: Digitale Klickpfade müssen intuitiv sein und radikale Einfachheit mit maximaler Reduktion auf die Information, die vermittelt werden soll, vereinen.
  • User-Centric: Der Anwender eines digitalen Prozesses, in diesem Fall der Mitarbeiter, muss stets im Mittelpunkt stehen. Es muss ein Umdenken innerhalb der Unternehmen stattfinden, wie Prozesse unter dieser Zielsetzung verändert werden können. HR-Self-Services, beispielsweise für den Urlaubsantrag oder die Einsicht in den Schichtplan, können dem Mitarbeiter viel Zeit zu sparen.
  • Personalization: Die Personalisierung ist die Königsdisziplin der Employee Journeys. Viele Unternehmen sind zwar gut darin, ihre Kunden extern über verschiedene Touch Points hinweg personalisiert anzusprechen. Bei internen Prozessen scheitern jedoch viele Organisationen. Oftmals erhalten Mitarbeiter interne E-Mails, beispielsweise zur Erinnerung an ein Training, mit der falschen Geschlechteransprache oder sogar in der falschen Sprache. Die Devise lautet: Für interne Kommunikation muss der gleiche hohe Maßstab gelten wie für die externe Personalisierung.
  • Accessible: Alle Mitarbeiter müssen Zugang zum Angebot ihres Arbeitgebers haben, ausnahmslos. Organisationen müssen beispielsweise sicherstellen, dass auch Außendienst-Mitarbeiter, die unterwegs keinen Zugriff auf einen Desktop-PC haben, eingebunden sind. Unternehmen sollten sich daher die Frage stellen, wie sie personalisierte Unternehmensinformationen beispielsweise über eine App in der Benutzerschnittstelle des Dienstfahrzeugs bereitstellen können, um die Bindung der Mitarbeiter zu fördern.

Kurzfristige vs. langfristige Kompetenzentwicklung

Wenn man über die Entwicklung der digitalen Kompetenzen von Mitarbeitern spricht, sollte zwischen einem kurzfristigen und einem langfristigen Horizont unterschieden werden.

Kurzfristig gilt es, die Mitarbeiter dabei zu unterstützen, sich bestimmte Kompetenzen anzueignen. In der neuen Normalität bedeutet dies, sich im Home Office zu disziplinieren, an Gegebenheiten wie Video Calls anzupassen und die eigene Produktivität zu managen. Da der persönliche Austausch limitiert ist, muss Fachwissen durch individuelle Vor- und Nachbereitung stärker vertieft werden. Die neue Situation birgt aber auch Chancen. In digitalen Meetings können Fähigkeiten von Mitarbeitern in den Vordergrund rücken, die bei großen physischen Meetings aufgrund des sogenannten „HiPPO Effects“[5] möglicherweise nicht zum Vorschein gekommen wären. Die neue, fragmentierte Realität kann also die Kreativität und Ideation von Mitarbeitern beflügeln und frische Lösungsansätze befruchten.

Langfristig sollten Unternehmen in die organisatorischen Rahmenbedingungen für ein progressives und lebenslanges Lernen ihrer Mitarbeiter investieren. Um Kompetenzen zu fördern, bedarf es nicht nur eines attraktiven Lernangebotes. Organisationen müssen Möglichkeiten schaffen, das Erlernte auch in der Praxis anzuwenden. Der Trend zum agilen Arbeiten in crossfunktionalen Teams und zur Kollaboration über Unternehmensbereiche hinweg kann ein Wegbereiter dessen sein. Es gilt diverse Fragen zu klären: Wie stark sollte das Learning-Management in diese Teams integriert sein? Welche Rolle können neue Formen der Wissensvermittlung wie Microlearning oder Technologien wie Augmented Reality spielen? In welchem Maße bekommen Mitarbeiter die Möglichkeit, Short Term Assignments außerhalb ihrer Komfortzone wahrzunehmen? Die Antworten sind individuell für jede Organisation zu geben.

Für den Erfolg von Transformationsinitiativen ist es unabdingbar, dass sich Entscheider an der bereits erläuterten Gleichung orientieren: Motivation = Wert x Wahrscheinlichkeit. Entscheider haben es in der Hand, diese beiden Parameter positiv zu beeinflussen, um gemeinsam mit ihren Mitarbeitern den Wandel ihrer Organisation erfolgreich voranzutreiben. Es gilt mit einem scharfen Blick auf die eigene Mannschaft die richtigen Ziele zu setzen. Schließlich ist gerade in der heutigen Zeit ein Perspektivwechsel wichtiger denn je: Der Mitarbeiter muss als Kunde betrachtet und genauso behandelt werden.

Quellen und Referenzen:

[1] https://www.manager-magazin.de/unternehmen/allianz-chef-oliver-baete-will-laenger-im-homeoffice-bleiben-a-d5f8e61e-f8c4-4099-935f-4ee71759cf47

[2] https://www.computerwoche.de/a/was-ist-software-as-a-service,3332266

[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Erwartung-mal-Wert-Modell

[4] https://www.marktforschung.de/dossiers/themendossiers/customer-experience-research/einzelansicht/es-gibt-nichts-schlimmeres-fuer-kunden-als-wenn-sie-sich-nicht-wahrgenommen-fuehlen-1/

[5] https://www.forbes.com/sites/bernardmarr/2017/10/26/data-driven-decision-making-beware-of-the-hippo-effect/#7dcd8da880f9

 

Alexander Jonke ist zertifizierter Agile Product Owner bei dem Beratungshaus Publicis Sapient und verantwortet Digital & Human Transformation-Programme bei diversen Kunden. Er ist davon überzeugt, dass durch Experiences beflügelte Mitarbeiterproduktivität der Schlüssel zur Stabilisierung und Modernisierung jedes Unternehmens ist.

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