Zeit für ein neues Betriebsmodell für Nachhaltigkeit

Der Aufbau einer Software Defined Sustainability Organization ermöglicht Unternehmen, nicht nur regulatorische Anforderungen zu erfüllen, sondern Nachhaltigkeit digital und aktiv zu steuern – wie einen operativen Kernprozess.
Von   Alexander Appel   |  Manager Sustainability & Mobility Transformation   |  MHP Management- und IT-Beratung
27. August 2025

Zeit für ein neues Betriebsmodell für Nachhaltigkeit

 

 

Der Aufbau einer Software Defined Sustainability Organization ermöglicht Unternehmen, nicht nur regulatorische Anforderungen zu erfüllen, sondern Nachhaltigkeit digital und aktiv zu steuern – wie einen operativen Kernprozess.

Im vergangenen Jahr wurde die 1,5-Grad-Marke erstmals überschritten und aktuelle Berechnungen zeigen, dass die Zeit drängt, um die weltweiten klimaschädlichen CO2-Emissionen massiv zu senken. Laut dem aktuellen wissenschaftlichen Report „Indicators of Global Climate Change“, der in Vorbereitung auf die Uno-Klimakonferenz vorgestellt wurde, könnte das CO2-Budget in etwas mehr als drei Jahren aufgebraucht sein, bleibt der Ausstoß von Treibhausgasen auf einem hohen Niveau.

Doch noch ist das Ziel des Pariser Klimaabkommens nicht gerissen und Unternehmen können gegensteuern. Dafür ist ein Umdenken erforderlich: Weg vom reinen ESG-Reporting hin zur aktiven Steuerung über Software. Denn: Neben steigenden regulatorischen Anforderungen wie CSRD, EU-Taxonomie und Lieferkettengesetz, fordern auch Investoren, Kundinnen und Kunden sowie Mitarbeitende immer mehr Transparenz und Nachweis. Berichte und Kennzahlen, die einmal jährlich manuell geliefert werden, reichen da nicht aus. Vielmehr sollten Unternehmen eine dynamische Datenstruktur aufbauen. Sie dient als Entscheidungsgrundlage für Strategie, Geschäftsmodell, Einkauf und Produktion und nutzt strukturierte Daten in Echtzeit aus allen Fachabteilungen und den Bereichen Umwelt, Soziales und Governance.

 

Eine neue Vision

Die Vision dahinter ist der Aufbau einer Software Defined Sustainability Organization, eine Art neues Betriebsmodell für Nachhaltigkeit. Unternehmen verstehen sich als datengetriebene, durch Software orchestrierte Funktion – skalierbar, flexibel und automatisiert. Im Zentrum jeder Software Defined Sustainability Organization steht eine leistungsfähige ESG-Datenplattform. Sie dient als „Single Source of Truth“. Anstatt für jede Verordnung eine Einzellösungen zu wählen, die dann zu einer fragmentierten IT-Struktur führt, werden alle internen und externen Systeme einmalig an diesen zentralen Hub angebunden: ERP, SCM, PLM und HR sowie Datenquellen wie Klimadaten, Ratings, regulatorische Anforderungen. Dadurch schafft sie eine einheitliche Datengrundlage und konsistente, intelligente Datenflüsse, und sie verhindert Redundanzen von Datenpunkten. Indem Unternehmen alle relevanten Kennzahlen und Messgrößen – vom Quellsystem ausgehend – über eine Plattform erfassen, auswerten und konsolidieren, gewinnen sie klare und umsetzbare Erkenntnisse und können ihre Leistung schneller optimieren. Außerdem sind sie gegenüber Aufsichtsbehörden und Investoren jederzeit reportingfähig. Interne Entscheidungsträger können die Daten darüber hinaus nutzen, um digitale Produkte und Services zu analysieren, bewerten und strategisch weiterzuentwickeln. So entsteht ein intelligenter Kreislauf: Die Plattform hilft, Risiken frühzeitig zu erkennen, regulatorische Lücken zu schließen – und gleichzeitig neue Chancen zu identifizieren.

Wichtige Merkmale solcher Plattformen sind Datenintegration über die Harmonisierung von ESG-relevanten Daten, Transparenz über Dashboards, KPI-Tracking und automatisierte Alerts, Auditfähigkeit sowie Schnittstellenfähigkeit zu etablierten Reporting-Standards im Unternehmen.

 

Einsatz von künstlicher Intelligenz

Ein zentrales Element der Software Defined Sustainability Organization ist der Einsatz von künstlicher Intelligenz – nicht als Selbstzweck, sondern als Enabler für bessere Entscheidungen und mehr Effizienz. KI-Systeme analysieren kontinuierlich große Datenmengen aus verschiedenen Quellen und erkennen Abweichungen von festgelegten Standards in Echtzeit. Typische Anwendungsfelder sind die Vorhersage von Emissionen basierend auf Produktionsdaten oder Lieferantenverhalten, die automatische Identifikation von ESG-Risiken in der Lieferkette, die Simulation bestimmter Maßnahmen auf Scope-3-Emissionen und dynamische Vorschläge für Maßnahmen, die auf ESG-Ziele einzahlen. Folglich können bei der Überprüfung der Compliance potenzielle Verstöße frühzeitig erkannt und behoben werden.

Entscheidend ist, dass Künstliche Intelligenz richtig eingesetzt wird. Werden Entscheidungen an künstliche Intelligenz delegiert, ergeben sich daraus neue rechtliche Herausforderungen, die vor allem mit Verantwortung und Haftung zusammenhängen. Hier kommt es auf Corporate Digital Responsibility an. Unternehmen müssen sich den ethischen Fragen aktiv zuwenden, diese im Rahmen einer gesellschaftlichen Debatte klar beantworten und die Erkenntnisse und Vorhaben deutlich kommunizieren. Nur auf diese Weise entsteht Akzeptanz, die für den Erfolg von Künstlicher Intelligenz notwendig ist.

Für die Umsetzung von Corporate Digital Responsibility in der Praxis ist Folgendes wichtig. Erstens: Governance-Strukturen und -Rollen zu überdenken. Sowohl Sustainability als auch Digital Responsibility sind zwar mittlerweile auch auf C-Level-Ebene ein Thema, sie sind aber nicht wie andere Gebiete entsprechend verankert – sie sollten klar umrissen, definiert oder positioniert werden. Beispielsweise durch die Installation eines Chief Ethics Officers oder Chief Trust Officers. Dies ist ein klares Signal sowohl nach außen als auch nach innen in das Unternehmen. Zweitens: Sich einem Vorgehensmodell zu bedienen, das die verantwortungsvolle Digitalisierung als Kernelement der Transformation versteht und dabei definierte Unternehmenswerte sowie SDG- und ESG-Ziele berücksichtigt. Damit führt der erweiterte Ansatz der Corporate Social Responsibility strategisch zwei wesentliche Bausteine zusammen: Digitalisierung und Nachhaltigkeit.

 

Cost of Compliance senken

Nachhaltigkeit wird komplexer, digitaler und aufwendiger – mit analogen Mitteln kommen Unternehmen zunehmend an ihre Grenzen. Wer in den Aufbau einer Software Defined Sustainability Organization investiert, stellt nicht nur sicher, gesetzeskonform zu handeln, sondern profitiert auch wirtschaftlich. Automatisierte Prozesse senken den Personaleinsatz, standardisierte Reports minimieren den Prüfaufwand, Frühwarnsysteme und aktives Risikomanagement verhindern Verstöße oder Lücken, Audit-Trails machen nachhaltige Kennzahlen prüfungssicher. Gleichzeitig steigert eine solche Herangehensweise das Vertrauen, da Entscheidungen datenbasiert, nachvollziehbar und professionell getroffen werden.

Die Umsetzung ist leichter, als viele denken und erfordert kein großes Transformationsprojekt. Der erste Schritt ist eine neue Denkweise und ein interdisziplinärer Ansatz, der Nachhaltigkeit, IT, Compliance und Strategie vereint. Die technischen Bausteine sind oft schon vorhanden: eine reife ESG-Datenplattform, KI-Tools, APIs und Schnittstellen, Templates und Taxonomien. Verbunden mit einer intelligenten Nachhaltigkeitsstrategie und effizienten Prozessen entsteht ein wirkungsvolles, zukunftsfähiges Betriebssystem, das zum 1,5-Grad-Ziel beiträgt.

Alexander Appel begleitet die ganzheitliche Transformation zur Nachhaltigkeit von Unternehmen von der Strategie bis zur Implementierung. Seine Fokusthemen sind die Etablierung der Kreislaufwirtschaft, die Emissionsberechnung auf Unternehmens- und Produktebene sowie die Entwicklung neuer, nachhaltiger Geschäftsmodelle.

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