Wie zukunftsorientiert gründet Deutschland?

Auf medialen und politischen Bühnen werden dieser Tage viele Stimmen laut, die eine Digitalisierungs- und Innovationsscheu der deutschen Wirtschaft sowie eine Gründungszurückhaltung beklagen. Aber ist das wirklich so und haben wir zu wenig Startups und andere Neugründungen, die technologische Zukunftsthemen als Geschäftsgegenstand auserkoren haben? In meiner Wahrnehmung als Datenanalyst brodelt unsere techbasierte Startup-Szene bundesweit. Ein prüfender Blick ins Handelsregister bestätigt das und meldet, dass sich alleine im vergangenen Jahr 2022 15.181 Unternehmen gegründet haben, die sich technologisch mit Zukunftsthemen beschäftigen. Damit sind als Basis dieses Beitrags junge Unternehmen gemeint, die Umweltschutz, Erneuerbare Energien, Softwareentwicklung und KI, Mobilität und Lebensmittelforschung in ihrer Firmen-DNA tragen. 
Von   Robert Sperl   |  Geschäftsführer   |  databyte GmbH
6. Juli 2023

In puncto Geschlechterverteilung der Führungspersonen könnte sich die Tech-Szene jedoch zeitgemäßer zeigen. Frauen sind in der bundesweiten Gründerszene nach wie vor unterrepräsentiert und das gilt insbesondere für Unternehmensgründungen mit technologischen Themen. In den meisten hier vorgestellten Branchen existieren nicht mehr als 10 % weiblich geführte Firmen. Einzig Food Tech ist hier schon einen Schritt weiter und kann mit immerhin 17 % Unternehmen punkten, in denen mindestens eine Frau die Geschäfte führt.

Wo stehen wir denn nun mit IT und KI?

Ohne Software keine Digitalisierung. Im letzten Jahr spiegelte das Handelsregister den großen  Bedarf an frischen Begleitern des digitalen Wandels wider: 5.466 IT-Unternehmen betraten das Parkett. Mehr, also jeweils über 6.000 neue IT-Startups, gab es nur in den drei Jahren zuvor, was sicher mit dem sprunghaften Anstieg benötigter IT-Unterstützung zu Corona Zeiten zu tun hat. Die prozentual höchste Dichte an IT-Startups weist übrigens unsere Hauptstadt auf: 5,6 % aller wirtschaftsaktiven Unternehmen in Berlin agieren in der Softwarebranche. Leider offenbart die Branche jedoch noch einen tiefen Gender Gap: In nur 9 % aller deutschen IT-Unternehmen wirkt eine Frau als Geschäftsführerin.

Die kommenden Jahre werden zeigen, ob sich deutsche Entwickler auch im Zukunftsmarkt der Künstlichen Intelligenz auf internationalem Parkett beweisen können. Die Szene entwickelt sich dynamisch und konzentriert sich hierzulande noch stärker als andere IT-Zweige auf Großstädte. Laut einer aktuellen Untersuchung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz[1] sind 93 % aller KI-Startups in Ballungszentren mit  Hotspots in  Berlin, München, Hamburg, Köln und Frankfurt angesiedelt.

Mit Innovationen die Energiewende schaffen

Nach einem jahrelangen Rückgang der Gründungszahlen für Unternehmen im Bereich Erneuerbarer Energien steigt die Zahl seit zwei Jahren wieder an und lag 2022 bei 4.073 Neufirmierungen. Hier liegt in Menge der Norden vorne: Gemessen am Gesamtwirtschaftsgeschehen führt Bremen das Bundeslandranking mit  6,1 % an, gefolgt von Mecklenburg-Vorpommern mit 5,8 % und Schleswig-Holstein mit 5,2 %.  Jede zehnte Company agiert unter weiblicher Regie.

Der aktuelle Anstieg von Neugründungen ist wahrscheinlich eine direkte Konsequenz erhöhten Drucks auf die Verwertbarkeit verfügbarer, energiewirtschaftlich nutzbarer Flächen. Angesichts des Bundesziels, bis 2030 den Anteil der Erneuerbaren am Bruttostromverbrauch auf bis zu 80 % zu erhöhen, werden diese Dringlichkeiten weiter zunehmen. Die aktuelle Heizungs- und Wärmepumpendiskussion wird sich aller Voraussicht nach in den kommenden Quartalen im Handelsregister durch Klima-Startups positiv niederschlagen   Das Erreichen der Klimaschutzziele gelingt nur mittels innovativer Ideen und dem Ausbau zukunftsfähiger Technologien, wie sie gerade bundesweit entstehen. Auch hier: 90 % der Companies haben ausschließlich männliche Mitglieder in der ersten Führungsebene.

Für die Umwelt gründen

Umweltschutz entwickelt sich laut Marktanalysen zu einem Milliardenmarkt mit Wachstumsraten zwischen 7 und 9 %.[2] Bei der Auswertung im Bereich Green Impact Startups fällt auf, dass auch hier das kleinste Bundesland Bremen quantitativ vorne liegt: Von den 4.228 handelsregisterlich erfassten Startups, die sich mit Umweltschutzthemen beschäftigen, stammen 1.304 aus Bremen. Das Branchenspektrum fächert sich hier sehr breit auf und reicht von der Herstellung biologischer Putzmittel über Recycling bis zu Wasseraufbereitung und Biotechnologie. Zahlreiche Green Impact Startups beschäftigen sich aktuell auch mit der Umsetzung von ESG-Richtlinien. Die Geschlechterverteilung bei den Geschäftsführenden ist identisch zum Erneuerbare Energien-Sektor.

Future Food

Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion sehen sich zunehmend herausgefordert: Während die  Weltbevölkerung wächst, sorgt die Klimakrise für Extremwetter und damit verbundene Nahrungsengpässe. Hier treten Unternehmen weltweit mit technologischen Innovationen an, Lösungen unter Einsatz von beispielsweise Robotik, 3D-Druck oder Labortechnik  zu finden.

In Deutschland nahmen insgesamt 1.247 Unternehmen 2022 die Herausforderung an und gründeten in diesem Branchenumfeld. Rheinland-Pfalz und das Saarland weisen knapp die höchste Dichte an Food Techs auf. Doch das Feld liegt eng beieinander und auch in Schleswig-Holstein agieren insgesamt 900 Food-Tech-Unternehmen.

E-Mobilität als Schlusslicht

2022 haben sich 167 Unternehmen neu gegründet, die sich mit E-Mobilität beschäftigen. Baden-Württemberg, Sachsen und Thüringen liegen dabei mit jeweils 0,2 % im Bundelandvergleich vorne. Ein Jahr vorher kamen mit 225 Startups noch rund ein Drittel mehr Firmen auf die Straße. E-Mobilität zeigt sich aktuell, ganz anders als die öffentliche Wahrnehmung dies suggeriert, als die Zukunftsbranche mit den geringsten Anteilen am bundesweiten Wirtschaftsgeschehen. Ein Blick in die Finanzbranche verrät, dass auch die Investitionsfreude der Anleger an Mobility-Themen nachlässt. Eine Ausnahme bildet der Trend smarter Fahrzeuge, die sich mit Geräten in ihrer Nähe vernetzen, Daten erheben und im Bereich Internet of Things ihre Funktionen erfüllen. Ob sich aus diesem Trend verstärkt neue Unternehmen herausbilden, wird erst das kommende Jahr zeigen.

Gründerinnen: noch mehr Social als Tech

Wenn wir in Deutschland aktuell eine Frauenquote bei deutschen Startups von 20 % haben, und diese Frauen bei techbasierten Gründungen selten vertreten sind, dann finden sie sich folgerichtig an anderen Orten der deutschen Wirtschaft. Laut Handelsregister starten Frauen hauptsächlich im Sozialwesen ihr eigenes Geschäft. Dieser Wirtschaftssektor umfasst zahlreiche Einsatzfelder in der sozialen Unterstützung von Pflegebedürftigen wie ambulante soziale Dienste oder Kindertagesbetreuungen. Über 39 % deutscher Unternehmen dieser Art wurden insgesamt von Frauenhand gegründet. Mit ihren Weiterentwicklungen bei Pflegehilfsmitteln und Methoden und dem steigenden Bedarf an Pflegedienstleistungen stellt die Pflegewirtschaft weiterhin eine Wachstumsbranche auf Expansionskurs dar[3].

Mit knapp über 33 % zählen auch die Herstellung von Waren und Erbringung von Dienstleistungen durch private Haushalte für den Eigenbedarf ohne ausgeprägten Schwerpunkt sowie die Herstellung von Bekleidung zu den Branchen mit dem höchsten Frauenanteil. In diesem unternehmerischen Sammelbecken fasst das Handelsregister meist kleine Unternehmen vom Hausmeisterservice bis zur lokalen Marketingagentur zusammen.

In den letzten 12 Monaten allerdings gründeten Frauen zumeist in einer ganz anderen Wirtschaftskategorie: im Bereich Großhandel. 12,7 % aller im letzten Jahr von Frauen gegründeten Unternehmen finden sich in diesem Umfeld wieder. Gründerinnen ziehen damit fast mit ihren männlichen Kollegen gleich, die zu 13,3 % Firmen in diesem Sektor auf die Beine stellten. An zweiter und dritter Stelle im prozentualen Vergleich bauten Frauen Unternehmen in der Immobilienwirtschaft mit knapp 9 % sowie im Bereich Unternehmensberatung mit ca. 8,5 % auf.

Was vielen Frauen mit Gründungsmotivation fehlt, ist eine gezielte finanzielle Förderung und Wissensvermittlung vor der Haustür. Doch auch in diesem Feld ist viel Bewegung und Stand heute positioniert sich jedes Bundesland mit eigenen Förderprogrammen und Netzwerken für Frauen, die ihre Selbständigkeit planen. Wie zugkräftig die Förderungen und Initiativen sind, darüber gibt auch die Anzahl an Neugründungen durch Frauen seit 2019 pro Bundesland Aufschluss. Hier liegt Brandenburg vorne: In den letzten vier Jahren lag der Anteil an weiblich geführten Startups bei 9,98 %. Niedersachsen bildet das Schlusslicht  mit 4,3 %.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich im Gründungsgeschehen viel Bewegung abzeichnet. Welche Rolle Female Founder in den nächsten Jahren spielen, das hängt in meiner Wahrnehmung sowohl von weiblichen Vorbilder und ihrer Präsenz, als auch von Finanzierungsmitteln für Unternehmensgründerinnen und neuen Arbeitsmodellen wie Remote-Arbeit ab.

 

[1] https://www.de.digital/DIGITAL/Redaktion/DE/Digitalisierungsindex/Publikationen/publikation-download-ki-startups.pdf?__blob=publicationFile&v=3
[2] https://www.top50startups.de/branchen/green-economy
[3] BMWI Gesundheitswirtschaft Fakten & Zahlen 2021

Robert Sperl ist Geschäftsführer des Wirtschaftsinformationsanbieters databyte in Lübeck. Der Wirtschaftspsychologe (Bachelor of Science) ist Experte für Big Data, B2B-Marketing und Prozessoptimierung.

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