Wie KI der Luftfahrtbranche Aufschwung verleiht

Von   Ruchir Budhwar   |  SVP and Industry Head – Europe   |  Infosys
19. Mai 2022

Die Luftfahrtbranche erholt sich langsam von den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie und erlebt einen neuen wirtschaftlichen Aufschwung. Neben stetig steigenden Passagierzahlen, kommen beispielsweise auch wieder vermehrt Frachtflugzeuge zum Einsatz. Hersteller müssen auf diese Entwicklung entsprechend reagieren, bereits bestehende Aufträge schnellstmöglich ausliefern sowie den Auftragsschub bei Verkehrs-, Fracht- und Verteidigungsflugzeugen vorbereiten. Gleichzeitig gilt es, Kohlenstoffemissionen zu reduzieren, und die auf der UN-Klimakonferenz COP26 in Glasgow festgelegten Ziele von klimafreundlichem Transport zu erreichen.

Angetrieben wird der Aufschwung der Luftfahrtbranche durch innovative Technologien wie künstliche Intelligenz (KI), Machine Learning (ML), Computer Vision, prädiktive Analytik und 3D-Druck. Mithilfe der Technologien sind Erstausrüster (Original Equipment Manufacturers / OEMs) in der Lage, gleich mehrere Ziele zu adressieren und zu erreichen: bessere Flugeffizienz, betriebliche Leistung und Durchsatz sowie Qualitätssteigerung, Maximierung der Kapazitätsauslastung, Abbau von Auftragsrückständen und Reduzierung der Kohlenstoffemissionen. Eine Cloud-Infrastruktur fördert darüber hinaus die Einführung von Technologien; die zusätzliche Integration von KI-gesteuerten Lösungen in Kernprozesse beschleunigt die Automatisierung zudem signifikant.

KI an Bord

Das klassische Flugzeug-Cockpit hat sich seit 1914 erheblich weiterentwickelt – damals stellte der Pilot und Luftfahrtpionier Lawrence Sperry auf dem Concours de la Securité en Aéroplane in Paris das erste Autopilotsystem vor. Die Systeme sind mit zahlreichen Instrumenten und Kontrollalgorithmen ausgestattet, die Piloten bei Nachtflügen und widrigen Wetterbedingungen unterstützen. Darüber hinaus reduzieren automatisierte Systeme die Arbeitsbelastung der Piloten. Sie gewährleisten das zuverlässige Ausführen von betrieblichen Prozessen und verbessern den Komfort für Passagiere auf längeren Reisen. Künftig soll hier auch verstärkt KI zum Einsatz kommen.

Die European Aviation High Level Group on AI, die sich aus führenden Vertretern des europäischen Luftfahrtsektors zusammensetzt, wurde gegründet, um die Anwendung von KI zu erforschen und zu erweitern. Ziel ist es, die Einführung digitaler Werkzeuge zu maximieren und eine KI-Roadmap für die europäische Luftfahrtindustrie zu entwickeln. Darüber hinaus soll die umfassende Anwendung von KI-Frameworks in der Luft- und Raumfahrtbranche gefördert werden.

KI-Systeme verändern den gesamten Betrieb – die Montagelinie, den Maintenance- Repair- and Overhaul-Hangar (MRO), die Lieferkette, den Kundenservice, die Geschäftsprozesse und das Flugerlebnis sowohl für die Besatzung als auch für die Reisenden. Mithilfe KI-gestützter Designlösungen sind OEMs in der Lage, kohlenstoff- und materialintensive Produktionsmethoden durch nachhaltige Alternativen wie Verbundwerkstoffe zu ersetzen. Gleichzeitig analysieren ML-Modelle reale Konstruktions- und Flottendaten, um KI-Anwendungen zu verbessern. Ergebnisse von Big Data-Analysen bieten eine höhere Genauigkeit als statistische Analysen – Entscheidungen rund um Sicherheit, Materialermüdung oder zur Reaktion auf Notfälle können so schneller und besser getroffen werden.

Kognitive Lösungen minimieren menschliche Eingriffe in der gesamten Wertschöpfungskette und unterstützen die Umsetzung von Human Factors Engineering (HFE) innerhalb und außerhalb des Cockpits. KI/ML-Systeme ermöglichen es Design- und Produktionsteams, Zielanforderungen zu definieren und Ergebnisse zu visualisieren – sei es Korrosionserkennung oder Landeführung. Bedingungsabhängige MRO Services erhöhen darüber hinaus die Unversehrtheit und Lebensdauer von Flugzeugen. Die autonomen Systeme benötigen für die Entscheidungsfindung jedoch Echtzeitdaten und automatisierte Aktionen.

Daten spielen eine wichtige Rolle bei der Entwicklung und Schulung kognitiver Software. Eine unbegrenzt skalierbare IT-Infrastruktur ist ein Muss, um große Datensätze zu hosten, zu extrapolieren und zu kuratieren. Darüber hinaus benötigt es eine hohe Rechen-/Verarbeitungsleistung sowie eine zuverlässige Entwicklungsumgebung, um Simulationswerkzeuge und digitale Plattformen für die Entwicklung von Prototypen, die Schaffung nahtloser Mensch-Maschine-Schnittstellen und das Testen von Anwendungen vor Inbetriebnahme zu nutzen.

Daten in der Cloud

Die Leistung von KI/ML-Lösungen hängt von der Qualität und dem Umfang der Daten ab, die für deren Entwicklung und Training zum Einsatz kommen. Darüber hinaus ist eine robuste Simulationsumgebung für strenge Tests erforderlich. Die Cloud bietet ein skalierbares und belastbares System zur Verwaltung sowohl von historischen als auch von Validierungsdatensätzen. Außerdem sind Datenwissenschaftler in der Lage, die Betriebs-, Flugverkehrskontroll-, Wartungshangar- oder Kabinenumgebung zu Test- und Validierungszwecken nachzubilden, bevor KI-Systeme in den Echtbetrieb integriert werden. Zudem unterstützt die Cloud AIOps-Tools, Echtzeit-Kollaboration zwischen Teams, Testprotokolle für Luftfahrtsysteme, mechanische Teile und kritisches Equipment – auf diese Weise werden schneller Anwendungsfälle geschaffen.

Unterbrechungen in der Lieferkette erfordern nahezu Echtzeit-Transparenz im gesamten Ökosystem. Zusätzlich zu den finanziellen Verlusten sehen sich OEMs aufgrund dysfunktionaler Lieferketten auch mit Reputationsrisiken konfrontiert. Die Cloud ermöglicht es Herstellern von Luft- und Raumfahrtteilen, Zulieferern und Händlern, die Risiken durch 3D-Druck zu mindern. Additive Fertigung hat das Potenzial, sowohl in der Inbound- als auch in der Aftermarket-Lieferkette eingesetzt zu werden. Darüber hinaus ermöglichen Cloud-gehostete Procurement-Lösungen einen kollaborativen Ansatz für die Beschaffung von 3D-gedruckten Teilen. Die nahtlose Zusammenarbeit zwischen Erstausrüstern, Zulieferern, Fluggesellschaften, MRO-Unternehmen und Technologieanbietern in der Luft- und Raumfahrt ermöglicht die bedarfsgerechte Beschaffung wichtiger Komponenten, flugfertiger Teile und kundenspezifischer Werkzeuge. Solche intelligenten, schlanken Lieferketten verkürzen die Vorlaufzeiten drastisch und rationalisieren gleichzeitig die Lagerbestände.

Ein Cloud- und KI-gestützter Wandel in der Luftfahrt geht über eine intelligente Flotte und Wartung hinaus. Roboterarme in Produktionslinien steigern Produktivität und Qualität, ergonomische Systeme optimieren die Gestaltung Flugzeugen sowie Fertigungs- und MRO-Einrichtungen, und IIoT-Lösungen maximieren die Treibstoffeffizienz und die Auslastung der Mitarbeiter. Die Ultrahochgeschwindigkeits-Konnektivität von 5G-Netzwerken verbessert zudem Diagnosen während des Fluges und verkürzt Durchlaufzeiten am Boden.

Erstausrüster können Algorithmen in großem Maßstab in der Cloud einsetzen, um robuste Flugzeugflotten aufzubauen, kleine Jets erschwinglicher zu machen und die Sicherheit zu verbessern. Darüber hinaus vereinfachen datengesteuerte autonome Systeme den Betrieb und verringern gleichzeitig die Umweltauswirkungen der Luftfahrt.

 

Ruchir Budhwar ist Senior Vice President und Industry Head – Europe bei Infosys. Seit fast 20 Jahren spielt er eine entscheidene Rolle für die Unternehmenspräsenz im Fertigungssektor, der die Bereiche Automobil, Luft- und Raumfahrt, diskrete/industrielle Fertigung und Chemie/Ressourcen umfasst.

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