Digitale Welt: Herzlich willkommen, Herr Hansen. Lassen Sie uns direkt einsteigen. Warum sollten Anleger und Investoren gerade jetzt in europäische KI-Startups investieren?

Hauke Hansen: Nun, der aktuelle Trend in der Venture Capital-Branche zeigt, dass Wagniskapital-Investitionen in 2023 deutlich zurückgegangen sind. Künstliche Intelligenz kann diesem Trend jedoch trotzen. Etwa 40% aller Venture-Investitionen in diesem Jahr flossen in KI-Unternehmen. Dabei befinden wir uns trotz beeindruckender Fortschritte wie dem Siegeszug der generativen KI immer noch am Anfang der KI-Revolution. Das sind Goldgräberzeiten für Investoren, die sich technologieorientiert aufstellen wollen.

Digitale Welt:  Sicherlich haben ChatGPT & Co. viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Aber warum kann sich gerade KI dem allgemeinen Trend widersetzen? Viele Anleger glauben, hierbei handele es sich um eine Eintagsfliege.

Hauke Hansen: ChatGPT und andere Large Language Modelle haben seit letztem Jahr die Welt im Sturm erobert, 22 Mal so schnell wie ehemals Facebook bzw. Meta. Dabei spielt der einfache Zugang zu neuen KI-Modellen eine wichtige Rolle: Jeder kann diese neue Technologie einsetzen, um Aufgabenstellungen zu adressieren, die bisher nur von qualifizierten Fachkräften ausgeführt werden konnten. Die neue KI überzeugt durch ihre Sprachkompetenz und einfache Anwendbarkeit. Das fasziniert die Menschen. Das ist keine Eintagsfliege. Was wir beobachten ist der Beginn einer neuen Epoche technologischen Fortschritts. So wie im 19. Jahrhundert die industrielle Revolution durch den schnelleren Zugriff auf Energie befeuert wurde, so beschleunigt heute der leichtere Zugriff auf Information die Disruption durch Daten.

Digitale Welt: Und was genau bedeutet das für Anleger und Investoren?

Hauke Hansen: In den letzten vier und über die letzten 20 Jahre war Technologie für diese Zielgruppen der renditestärkste Trend. Heute ist KI der Technologie-Turbo: Die führenden Beratungsunternehmen sagen ein jährliches Wachstum des KI-Segments von 40% pro Jahr bis 2030 voraus. Dadurch hebt sich KI in puncto Ertragskraft von anderen Kerninvestitions-Themen wie Gesundheit, Finanzen und grüner Energie ab. Wobei sich diese Mega-Trends gegenseitig verstärken.

Digitale Welt: Das heißt, KI beeinflusst nicht nur die Wirtschaft, sondern auch andere Bereiche wie Klimaschutz, Ernährung und Gesundheit? Welche Rolle spielt KI für impact-orientierte Anleger und Investoren?

Hauke Hansen: KI hat eine weitreichende Bedeutung über die wirtschaftlichen Vorteile hinaus. Sie ermöglicht spürbare Fortschritte in entscheidenden Bereichen wie Umweltschutz, Ernährung, Bildung und Gesundheit. Experten erwarten, dass der Einsatz von KI in der Medizin hilft, jedes Jahr 400.000 Leben zu retten und Einsparungen in Höhe von 200 Milliarden € ermöglicht. Darüber hinaus leistet KI einen Beitrag zum Umweltschutz: Schon heute hilft sie, extreme Wetterlagen besser vorherzusagen und deren Folgen abzumildern. Zudem soll KI nach Berechnungen von Fachleuten dazu beitragen, die weltweiten CO₂ -Emissionen um mehr als 4% zu senken. Damit ist KI auch für impact-orientierte Investoren von hoher Relevanz. Die KI-Technologie dringt in immer mehr Gebiete vor und ihr Potenzial ist noch längst nicht ausgeschöpft.

Digitale Welt: Europa hinkt bei den Investitionen in KI im internationalen Vergleich hinterher. Gibt es auch positive Ansätze hinsichtlich Europas KI-Expertise?

Hauke Hansen: Definitiv. Europa liegt bei den KI-Investitionen zwar deutlich hinter den USA und Asien, aber wenn man sich die Herkunft der Code-Beiträge auf Plattformen wie Github ansieht, steht Europa auf Platz 2 hinter China. Besonders ermutigend: Etwa die Hälfte der KI-Experten in OECD-Ländern stammt aus Europa. Der alte Kontinent hat ein hohes Humankapital, aber zu wenig Wagniskapital. Wir sollten die Kompetenz unserer Köpfe nutzen, um wirtschaftliche Innovationen zu initiieren und so Werte zu schaffen, die den Wohlstand zukünftiger Generationen sichern.

Digitale Welt: Deutschland investiert bekanntermaßen zu wenig in Innovationen. Ist der deutsche Markt überhaupt attraktiv für Wagniskapitalgeber?

Hauke Hansen: Trotz des Innovationsstaus und der teilweise nicht mehr zeitgemäßen Infrastruktur hat Deutschland sich als führender Standort innerhalb Europas etabliert. In einer Umfrage der Financial Times gaben 44% der befragten VCs Deutschland den Vorzug. Das liegt daran, dass Deutschland als größte Volkswirtschaft innerhalb von Europa immer noch die besten Skalierungsmöglichkeiten bietet und dass wir viele KI-Experten im Land haben – wir müssen sie nur entsprechend nutzen und fördern.

Digitale Welt: … aber es fehlt in Deutschland an Wagniskapital?

Hauke Hansen: In der Tat: In Deutschland gibt es eine Investitionslücke, für innovative Ideen ist viel zu wenig Kapital vorhanden. 10 Mal weniger pro Kopf als in den USA, 16 Mal weniger als in Israel. Das betonten auch die Wirtschaftsweisen in ihrem kürzlich veröffentlichten Jahresgutachten. Dadurch sind KI-Unternehmen hierzulande deutlich günstiger als in den USA oder Asien – mit Discounts von 40 – 80 Prozent. Was wiederum interessante Chancen für Wagniskapitalgeber bietet: Wer heute in KI investiert, steigt bei niedrigen Bewertungen in eine Branche mit außergewöhnlichen Wachstums- und Renditechancen ein.

Digitale Welt: Wie können Anleger konkret in KI investieren, insbesondere wenn sie nicht über umfassendes Fachwissen verfügen?

Hauke Hansen: Das ist eine wichtige Frage. Für weniger erfahrene Investoren ist es schwer, direkt in einzelne KI-Startups zu investieren, weil ihnen häufig die Zeit und die technische Expertise fehlt, die erfolgversprechendsten KI-Startups zu identifizieren und zu analysieren. Hier empfehle ich, indirekt über spezialisierte VC-Fonds zu investieren. Diese Fonds haben das notwendige Know-how und das entsprechende Netzwerk, um mögliche zukünftige KI-Champions zu finden und den direkten Zugang zu den Gründern, um bei den interessantesten Investitionen zum Zug zu kommen. Gleichzeitig bieten sie eine ausreichende Streuung der Investitionen über mehr als 20 Startups. Das verringert das Risiko. Das Outsourcing der Investment-Tätigkeit an Profis ist dadurch effizienter und in der Regel auch erfolgreicher.

Digitale Welt: Venture Capital hat sich in Europa etabliert, aber ist deutlich weniger präsent als in den USA. Lohnt sich ein Invest in europäische VC in unsicheren Zeiten wie diesen überhaupt?

Hauke Hansen: Tatsächlich haben europäische VC-Firmen in den letzten fünf bis zehn Jahren höhere Renditen erwirtschaftet als ihre Kollegen in den USA und dem Rest der Welt. Die VC-Investitionen sind aber seit dem Peak im Jahr 2021 um mehr als 50% gefallen, und seit dem dritten Quartal 2022 herrscht eine Art Eiszeit in der VC-Branche. Zur Zeit gilt: Cash is King. Gleichzeitig liegen die Bewertungen von Startups im Vergleich zum langjährigen Mittel derzeit auf einem günstigen Niveau, mit der Erwartung schneller Wertsteigerung in den kommenden Jahren. Wer in dieser Situation investiert, hat die Chance auf überproportionale Erträge.

Digitale Welt: Abschließend: Welche strategischen Vorteile bietet ein Investment in einen KI-fokussierten VC-Fonds zusätzlich zur finanziellen Rendite?

Hauke Hansen: Neben der puren finanziellen Rendite bietet ein Investment in KI-Fonds auch strategische Vorteile. Anleger erhalten ein besseres Verständnis von KI und können so mögliche KI-Anwendungsfälle für den Eigenbedarf besser beurteilen und schneller umsetzen.  Der Austausch über Stärken und Schwächen der KI-Technologie ist von hohem Wert und aus dem aufgebauten KI-Netzwerk können sich interessante Optionen ergeben. Große Tech-Konzerne haben dies erkannt und integrieren KI-Innovationen gezielt in ihre Strategien. Wer bei der KI mitspielen will, sollte jetzt seinen Einsatz platzieren. Investitionen in KI lohnen sich nicht nur finanziell, sondern bieten auch die Möglichkeit, die Zukunft aktiv mitzugestalten. KI ist nicht nur ein Investment, sondern eine Reise in die Zukunft.