Resiliente Lieferketten für Europa: Warum die Logistik einen digitalen Neustart braucht

Geopolitische Unsicherheiten, Fahrermangel und steigende Kosten bedrohen Europas Lieferketten. Besonders betroffen sind Hersteller mit komplexen Netzwerken. Digitale Transportlösungen und interoperable Systeme sind entscheidend, um Effizienz, Transparenz und Resilienz zu stärken. Nur durch Zusammenarbeit, offene Plattformen und moderne TMS lässt sich ein robustes, nachhaltiges Logistik-Ökosystem für Europa schaffen.
Von   Todd DeLaughter   |  CEO   |  Alpega
22. Oktober 2025

Resiliente Lieferketten für Europa:

Warum die Logistik einen digitalen Neustart braucht

 

Lieferketten sind das Rückgrat der europäischen Wirtschaft. Sie sichern Produktion, Verfügbarkeit und Wettbewerbsfähigkeit. Doch aktuell steht das Rückgrat unserer Wirtschaft unter massivem Druck. Eine Kette globaler Krisen trifft auf strukturelle Schwächen, die zu lange unentdeckt blieben oder ignoriert wurden. Geopolitische Spannungen, steigende Energiepreise, Inflation und instabile Märkte belasten Logistiknetzwerke in ganz Europa. Unternehmen kämpfen mit Versorgungsengpässen, steigenden Transportkosten, Personalnot und wachsender Unsicherheit. Besonders betroffen sind Branchen mit komplexen, grenzüberschreitenden Lieferstrukturen. Und die Folgen sind spürbar: Lieferverzögerungen stören Abläufe in der Industrie, leere Regale frustrieren Konsumenten und volatile Spotmarktpreise erschweren Planung und Preissetzung.

Die Erfahrungen der letzten Jahre, von der Corona-Pandemie über den Ukraine-Krieg bis hin zu globalen Störungen im See- und Luftverkehr, haben gezeigt, wie verletzlich selbst hochentwickelte Ökonomien sind, wenn Lieferketten nicht widerstandsfähig aufgestellt sind.

 

Unterschiedliche Belastung in Ost, West, Süd und Nord

Dabei sind die Herausforderungen keineswegs überall gleich verteilt. Während in Westeuropa die Märkte vergleichsweise stabil agieren, kommt es in Süd- und Osteuropa zu spürbaren Engpässen. In Südeuropa verschärft der Mangel an qualifiziertem Fahrpersonal die Situation, was dazu führt, dass die Transportkosten deutlich steigen. In Osteuropa wiederum verdrängt der wirtschaftliche Druck kleinere Anbieter zunehmend aus dem Markt. Das sorgt für ein wachsendes Ungleichgewicht im europäischen Logistiksystem, das sich auf Angebot, Verlässlichkeit und Preisgefüge gleichermaßen auswirkt.

Zahlen untermauern diese Entwicklung. Laut der „Creditreform Default Study 2025” lag die Ausfallrate im Transport- und Logistiksektor im Jahr 2024 bei 3,37 Prozent. Kein anderer Wirtschaftsbereich wies eine höhere Quote auf. Das ist besorgniserregend, denn die Logistikbranche trägt zwischen 11 und 12 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt der Europäischen Union bei. Ihre Funktion als wirtschaftliches Rückgrat darf also nicht unterschätzt werden.

Hinzu kommt, dass einzelne Regionen von spezifischen Herausforderungen betroffen sind: Skandinavische Länder müssen sich etwa stärker mit den Auswirkungen extremer Wetterlagen auseinandersetzen, die den Transport auf Straßen und Seewegen erschweren. In Mitteleuropa belasten Bürokratie, Infrastrukturstaus und überlastete Knotenpunkte den Verkehrsfluss. Dieses Mosaik an Schwierigkeiten macht eine einheitliche Strategie umso notwendiger.

 

Strukturprobleme statt Einzelfälle

Die Ursachen für diese Entwicklung sind nicht punktuell, sondern strukturell. Zu den bekannten Faktoren wie Energie- und Fahrzeugkosten, instabiler Nachfrage und Fahrermangel kommt eine generelle Überforderung vieler Betriebe mit der aktuellen Komplexität hinzu. Besonders kleinere Logistikunternehmen geraten durch fehlende Digitalisierung, manuelle Prozesse und mangelnde Systemintegration heute schnell an ihre Grenzen.

Der Wettbewerbsdruck steigt, die Margen sinken. Ohne strukturelle Entlastung und gezielte Modernisierung droht ein langfristiger Rückbau von Kapazitäten, der das gesamte System anfällig für externe Disruptionen macht. Dabei geht es längst nicht mehr nur um betriebliche Optimierung, sondern um die langfristige Sicherung funktionierender Versorgungsketten in Europa.

Studien zeigen, dass rund 40 Prozent der europäischen Logistikbetriebe noch überwiegend papierbasiert arbeiten. Frachtpapiere, Lieferscheine und Zollunterlagen werden ausgedruckt, abgezeichnet und abgeheftet. Das ist ein Vorgehen, das in einer globalisierten Welt nicht mehr zeitgemäß ist. Verzögerungen durch unleserliche Dokumente, verlorene Papiere oder doppelte Erfassungen sind die Folge. Digitalisierung ist daher nicht nur ein Trend, sondern ein Überlebensfaktor.

 

Zusammenarbeit und digitale Infrastruktur als zentrale Hebel

Eine nachhaltige Antwort auf diese Herausforderungen setzt auf zwei zentrale Elemente: bessere Zusammenarbeit und konsequente Digitalisierung. Beide sind eng miteinander verknüpft. Innerhalb der EU braucht es ein Umdenken, weg von nationalen Silos und isolierten Plattformlösungen hin zu gemeinsamen Standards, offenen Schnittstellen und einer digitalen Infrastruktur, die alle Beteiligten effizient vernetzt.

Digitale Plattformen sind der Schlüssel zur neuen Resilienz. Transport-Management-Systeme, intelligente Frachtenbörsen, Tools für Hoflogistik, Slotbuchung, Frachtenabrechnung und Packstückverwaltung ermöglichen eine durchgängige, transparente und planbare Abwicklung von Transportprozessen. Dabei geht es nicht nur um Automatisierung, sondern um bessere Steuerung auf Basis verlässlicher Daten.

Ein Beispiel ist die Echtzeitverfolgung von Lieferungen. Während früher Telefonate oder E-Mails nötig waren, um den Status einer Lieferung zu klären, ermöglichen moderne Plattformen eine minutengenaue Übersicht. Verlader wissen jederzeit, wo sich ihre Waren befinden. Kunden können informiert werden, wenn Verzögerungen auftreten. Diese Transparenz reduziert Unsicherheit und erhöht die Planbarkeit.

 

Intelligente Netzwerke statt Leerläufe und Blindflug

Besonders große Wirkung entfalten offene digitale Netzwerke, in denen Verlader und Transportunternehmen ihre Kapazitäten und ihren Bedarf in Echtzeit abgleichen können. So lassen sich Leerfahrten reduzieren, Kapazitäten optimal nutzen und CO₂-Emissionen senken. Die Vorteile liegen auf der Hand: höhere Rentabilität, mehr operative Effizienz und eine deutlich bessere Umweltbilanz. Und das ist dringend nötig, denn aktuell fährt jeder vierte LKW auf Europas Straßen leer.

Wenn Transportplanung, Ausschreibung, Ausführung und Abrechnung nicht länger getrennt betrachtet, sondern über integrierte Systeme zusammengeführt werden, entsteht ein echter Wandel. Voraussetzung dafür ist Interoperabilität. Systeme müssen miteinander kommunizieren können – unabhängig davon, wer sie betreibt oder wie groß das Unternehmen ist. Diese Offenheit und Vernetzung erzeugt nicht nur operative Vorteile. Sie schafft strategische Mehrwerte. Echtzeitdaten, Erfahrungswerte und Markteinblicke werden nutzbar, um fundierte Entscheidungen zu treffen und Risiken frühzeitig zu erkennen.

In der Praxis bedeutet das zum Beispiel, dass ein Spediteur freie Kapazitäten spontan für einen Verlader anbieten kann, der kurzfristig zusätzlichen Transportbedarf hat. Anstatt dass der LKW leer in sein Depot zurückfährt, wird die Fahrt wirtschaftlich genutzt. Solche Modelle funktionieren allerdings nur, wenn Daten schnell, zuverlässig und standardisiert ausgetauscht werden. Genau hier liegt der Hebel der Digitalisierung.

 

Von der Fragmentierung zur europäischen Lösung

Die Realität sieht in vielen Bereichen noch anders aus. Nationale Plattformen, papierbasierte Prozesse und Insellösungen prägen vielerorts das Bild. Doch diese Strukturen stoßen zunehmend an ihre Grenzen. Wer heute noch manuell plant, verliert im globalen Wettbewerb an Geschwindigkeit und Anpassungsfähigkeit.

Die Antwort liegt in einer europäischen Lösung, die Zusammenarbeit entlang der gesamten Lieferkette ermöglicht. Wenn Verlader, Spediteure, Frachtführer und Plattformbetreiber an einem gemeinsamen Ziel arbeiten, entsteht ein System, das nicht nur wirtschaftlicher funktioniert, sondern auch stabiler auf externe Störungen reagiert. Die Technologien dafür stehen längst zur Verfügung. Was fehlt, ist der Wille zur Umsetzung und die breite Anwendung in der Praxis.

Erste Ansätze zeigen, dass grenzüberschreitende Kooperation möglich ist. Projekte wie das digitale Frachtpapier (e-CMR) oder europäische Pilotinitiativen zur Vernetzung von Häfen und Terminals verdeutlichen, wie sehr einheitliche Standards Prozesse beschleunigen können. Doch solange nationale Sonderwege überwiegen, bleibt Europa hinter seinem Potenzial zurück.

 

Europas Wettbewerbsfähigkeit hängt auch von der Logistik ab

Wirtschaftliche Souveränität bedeutet auch logistische Unabhängigkeit. In einer Welt, in der Lieferketten zunehmend zu geopolitischen Hebeln werden, ist Resilienz keine optionale Verbesserung, sondern eine strategische Notwendigkeit. Andere Märkte investieren bereits massiv in digitale Infrastruktur. China und die USA treiben autonome Transportsysteme, KI-basierte Liefernetzwerke und umfassende Datenintegration voran. Europa darf hier nicht ins Hintertreffen geraten.

Das Potenzial ist da. Die europäische Logistik verfügt über enormes Know-how, leistungsfähige Akteure und eine starke industrielle Basis. Jetzt gilt es, dieses Potenzial zu vernetzen und mit digitalen Mitteln auszuschöpfen.

Bleibt Europa passiv, droht eine Abhängigkeit von internationalen Plattformen und Technologien, die nicht den europäischen Standards und Werten entsprechen. Datensouveränität, Transparenz und Fairness sind jedoch zentrale Grundsätze, die verteidigt werden müssen. Darum ist es entscheidend, eigene Lösungen zu entwickeln und konsequent einzusetzen.

 

Jetzt ist der richtige Zeitpunkt

Die aktuelle Lage ist herausfordernd, aber sie bietet auch eine Chance. Wer jetzt in digitale Plattformen, offene Standards und interoperable Systeme investiert, schafft die Grundlagen für stabile Lieferketten der Zukunft. Es braucht ein starkes Signal aus Wirtschaft und Politik. Die richtigen Werkzeuge existieren. Es ist an der Zeit, sie konsequent und mutig einzusetzen.

Entscheider in Unternehmen sollten die Krise nicht als Bremse verstehen, sondern als Katalysator. Investitionen in digitale Lösungen zahlen sich doppelt aus: Sie verbessern kurzfristig Effizienz und sparen Kosten, während sie langfristig die Grundlage für ein widerstandsfähiges, nachhaltiges und wettbewerbsfähiges System schaffen. Europas Lieferketten können zu einem Modell werden, das weltweit Maßstäbe setzt – wenn wir jetzt den Mut haben, den digitalen Neustart konsequent anzugehen.

Todd DeLaughter ist CEO von Alpega. Mit über 20 Jahren Erfahrung in der internationalen Softwarebranche führt Todd leistungsstarke Teams, die effektive Lösungen entwickeln und herausragende Kundenerlebnisse schaffen. Als einziger Logistikanbieter, der die gesamte Wertschöpfungskette – von der Beschaffung bis zur Auslieferung – abdeckt, gestaltet Alpega die Transportbranche auf besondere Weise mit und unterstützt durch intelligente Digitalisierung sowohl Kostensenkungen als auch die Reduktion von CO₂-Emissionen. Todd besitzt einen Bachelor-Abschluss in Elektrotechnik von der University of Houston.

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