Quantencomputing und andere Quantentechnologien

Von   Thomas Strohm   |  Koordination im Bereich Quantentechnologien   |  Robert Bosch GmbH
  Dr. Robert Rölver   |  Technologiescouting   |  Bosch
25. Juli 2018

Was sind Quantentechnologien?

Die Entwicklung der Quantentheorie wurde Ende der 1920er Jahren abgeschlossen. Auf dieser Basis entstand in den 1930er Jahren die Theorie der Halbleiter. Nochmals ein Jahrzehnt später wurde der erste Transistor gebaut. Und mit der Erfindung des integrierten Schaltkreises wurde schließlich der Grundstein für die Mikro­elektronik­industrie gelegt. Die Chiphersteller schafften es, etwa alle zwei Jahre die Leistungsfähigkeit eines Mikro­prozessors zu verdoppeln. All dies wäre ohne die Quantentheorie nicht möglich gewesen. Ein anderes Beispiel ist der von Einstein entdeckte Quanteneffekt der stimulierten Lichtemission, der zum Laser geführt hat. Ohne den Laser wäre eine schnelle optische Datenübertragung und damit unser heutiges Internet nicht möglich. Mittels der Quantentheorie haben wir gelernt, wie mikroskopische Systeme (Atom, Photon etc.) und auch viele bis damals unverstandene makroskopischen Systeme (Halbleiter, Laser, Supraleitung etc.) funktionieren.

Diese erste Quantenrevolution, die mit dem Abschluss der Quantentheorie begann, ist dadurch gekennzeichnet, dass wir dieses theoretische Wissen über makroskopische Systeme in die Praxis umgesetzt haben und beispielsweise auf der Basis von Halbleitern elektronische Bauelemente herstellen und immer weiter verbessern.

Momentan stecken wir inmitten der zweiten Quantenrevolution. Diese ist dadurch gekennzeichnet, dass wir nun auch einzelne mikroskopische Systeme manipulieren können. In den 1970er Jahren hat man es (zuerst in Deutschland) geschafft, einzelne Ionen im Vakuum zu isolieren und später deren Zustand zu manipulieren. Auf dieser Basis kann man etwa einen Quantencomputer bauen und durch Manipulation einzelner Photonen in der Quantenkryptographie geheime Schlüssel zur sicheren Kommunikation erstellen. Im Gegensatz zu den Dingen unserer Erfahrungswelt sind zwei Atome desselben Typs exakt gleich aufgebaut. Konstruiert man auf dieser Basis Sensoren, also Quantensensoren, so hat man eine ideale Reproduzierbarkeit, ohne z. B. dem Einfluss von Fertigungstoleranzen oder der Bauteilealterung zu unterliegen. Manche der Eigenschaften von Atomen hängen stark von ihrer Umgebung ab, sie stellen eine ideale Basis zum Bau von Sensoren dar. Andere Eigenschaften wiederum hängen praktisch gar nicht von der Umgebung ab und eignen sich, Standards zu implementieren. Das prominenteste Beispiel sind Atomuhren, welche inzwischen so genau sind, dass sie in den fast 15 Milliarden Jahren seit dem Entstehen des Universums weniger als eine Sekunde Laufzeitfehler hätten.

Die Quantentechnologien werden in vier Bereiche eingeteilt: (a) Quantencomputing, (b) Quantensimulation, (c) Quantenkommunikation mit dem Hauptbereich Quantenkryptographie und (d) Quantensensorik und -metrologie. In diesem Artikel werden wir die Bereiche Quantencomputing, Quantensensorik und Quantenkryptographie diskutieren.

Quantencomputing

Anwendungen

Quantencomputer können bestimmte Probleme lösen, die mit unseren heutigen Computern („klassischen Computern“) nicht lösbar sind. Das bekannteste dieser Probleme ist sicherlich das Knacken von asymmetrischen Verschlüsselungsverfahren. Die Verfahren, mit denen zwischen zwei Kommunikationspartnern im Internet gemeinsame geheime Schlüssel erzeugt werden (was beispielsweise der Internet-Browser macht, wenn der Link mit https:// beginnt), kann durch einen Quantencomputer geeigneter Größe geknackt, die Schlüssel bestimmt und damit der Datenverkehr entschlüsselt werden. Für diese Anwendung werden allerdings sehr leistungsfähige Quantencomputer benötigt, die frühestens in einem Jahrzehnt verfügbar sein werden.

Zu den Anwendungen zählt zunächst die Materialsimulation bzw. Quantenchemie. In der Materialsimulation werden die Eigenschaften von Materialien berechnet (ggf. von Materialien, die erst im Computer entstehen). Dieses Problem kann von einem klassischen Computer nur in sehr beschränkter Art und Weise gelöst werden, während ein Quantencomputer in dieser Disziplin nach aller Voraussicht glänzen wird. Experten gehen davon aus, dass in einem Jahrzehnt mittels Quantencomputern zielgerichtet Materialen mit gewünschten Eigenschaften (z.B. für den Einsatz in neuartigen Batterien) entwickelt werden können. Ähnliches ist Gegenstand der Quantenchemie, wo es darum geht, die Eigenschaften von Molekülen und den Ablauf von chemischen Reaktionen zu simulieren. Gelingt dies, könnte es u. a. für die Entwicklung von Katalysatoren oder Medikamenten weitreichende Konsequenzen haben. Ein Beispiel, das in Publikationen von Wissenschaftlern für die Allgemeinheit gerne angeführt wird, ist das Haber-Bosch-Verfahren. Mit diesem Verfahren wird aus atmosphärischem Stickstoff und Wasserstoff Ammoniak synthetisiert, woraus dann u. a. Düngemittel entsteht. Etwa zwei Prozent des weltweiten gewerblichen Energiebedarfs geht auf das Konto des Haber-Bosch-Verfahrens. Experten hoffen, dass man mittels der Quantenchemie einen neuen Katalysator entwickeln kann, mit dem die Ammoniaksynthese wesentlich energieeffizienter wäre. Das wäre den hohen Entwicklungsaufwand eines Quantencomputers definitiv wert.

Eine weitere vielversprechende Klasse von Anwendungen ist die der Optimierung. Optimierungsprobleme sind allgegenwärtig, u. a. in der Produktentwicklung. Andere Beispiele kommen aus den Bereichen Verkehr (Verkehrsflussplanung), Medizin (die Erforschung der Proteinfaltung, die für das Verständnis der Krebsentstehung wichtig ist) und Fertigung (Verbesserung der Effizienz von Fertigungsprozessen).

Last but not least sieht man auch Anwendungen in der künstlichen Intelligenz, wo z. B. das Lernen beschleunigt werden könnte.

Quantencomputer

Seit einigen Jahren gibt es mit Nachdruck betriebene Aktivitäten, um Quantencomputer zu bauen. Insbesondere große Konzerne wie IBM und Google sind engagiert, aber auch Startups und akademische Institute. Die Herausforderungen sind sehr groß. Man erwartet aber, dass man in fünf Jahren schon einfachere, aber für klassische Computer nicht mehr lösbare Aufgaben auf dann vorhandenen rudimentären Quantencomputern lösen können wird. Quantencomputer werden auf absehbare Zeit sehr groß sein. Rechenzeit auf solchen wird wohl als Dienstleistung von Rechenzentren angeboten werden.

Funktionsweise von Quantencomputern

In Gegensatz zu einem klassischen Computer, der Daten in Form von Bits speichert und verarbeitet, verwendet der Quantencomputer Quantenbits oder Qubits. Das Bit repräsentiert eine Informationseinheit und kann einen von zwei Werten speichern: 0 oder 1. Das Qubit dagegen kann zusätzlich zu 0 und 1 auch jede beliebige Überlagerung (Superposition; eine Art von Kombination) von 0 und 1 speichern. Sein Zustand besteht dann aus einer Überlagerung von 0 und 1. Das Qubit kann die Werte 0 und 1 also gleichzeitig darstellen – genauso wie sich in der Quantenwelt ein Elektron an zwei Orten gleichzeitig befinden kann. Damit sind die Möglichkeiten der Quantenwelt aber noch nicht erschöpft. Der Zustand eines Quantenregisters aus mehreren Qubits kann auch aus einer Verschränkung bestehen. Dann kann man nur noch Gruppen von Qubits einen Zustand zuschreiben, nicht aber jedem einzelnen Qubit. Bei zwei Qubits kann der Zustand aus einer Überlagerung von „beide Qubits sind 0“ und „beide Qubits sind 1“ bestehen. Misst man dann den Wert des einen Qubits ist das Resultat komplett zufällig. Das andere Qubit hat dann aber genau denselben Wert (man redet von Quantenkorrelationen). Die Menge der möglichen Zustände ist bei einem Quantenregister wesentlich größer als bei einem klassischen Bit-Register. Sie wächst exponentiell mit jedem weiteren Qubit, aber nur linear für ein Bit-Register bei einem zusätzlichen Bit. Umgangs­sprachlich erklärt mag sich all das etwas nebulös anhören, in der Mathematik und der Interpretation der Quantentheorie sind diese Konzepte aber eindeutig definiert.

Ein klassischer Computer rechnet dadurch, dass er digitale Operationen (Logikgatter) auf die Daten anwendet. Dies ist bei einen Quantencomputer ähnlich. Dort handelt es sich um lineare und reversible Operationen (Quantengatter), die die oben genannten Eigenschaften der Zustände von Quantenregistern respektieren.

Aufgrund der Überlagerung lassen sich viele verschiedene Werte in einem Quantenregister gleichzeitig speichern. Da die durch Quantengatter realisierten Operationen linear sind, werden die Logikoperationen (oder Berechnungen) auf allen gespeicherten Werten gleichzeitig ausgeführt. Nach der Operation enthält das Quantenregister die Ergebnisse der Berechnungen für alle Werte gleichzeitig. Dies nennt man Quantenparallelität, sie stellt einen wichtigen Grund dafür dar, dass Quantencomputer bei bestimmten Aufgaben wesentlich („exponentiell“) schneller sind als klassische Computer, die Verschränkung ist ein weiterer. Um an das Resultat der Rechnung zu kommen, müssen wir aber noch eine Messung des Quantenregisters durchführen. Und bei dieser Messung resultiert genau eines der Ergebnisse der Berechnung. Man kann beispielsweise den Sinus  zu einer bestimmten Frequenz  für alle ganzen Zahlen  zwischen 0 und 1023 gleichzeitig berechnen. Bei der Messung erhält man aber genau einen der Sinuswerte – um welchen es sich handelt, ist komplett zufällig. Letztendlich berechnet man also den Sinuswert einer der Zahlen von 0 bis 1023 und kann nicht herausfinden, um welche Zahl  es sich handelt. Das klingt zugegebenermaßen ernüchternd, ist aber glücklicherweise nicht das letzte Wort in dieser Sache. Man kann nämlich in vielen Fällen nach der eigentlichen Rechenoperation eine weitere Operation durchführen, die zu einem sicheren Ergebnis führt, das wichtige Fragen zum Ergebnis der Rechnung beantwortet. Im Beispiel wäre die Operation eine Quantenfouriertransformation, die die Frequenz  der Sinusfunktion liefert.

Ein ganz einfaches Beispiel ist der Deutsch-Algorithmus (siehe Abbildung 1). Hier ist eine Funktion  mit zwei möglichen Argumenten 0 und 1 und zwei möglichen Funktionswerten 0 und 1 in Form eines Orakels (Black-Box-Operation) Uf gegeben. Es ist herauszufinden, ob die Funktion konstant (ƒ(0)=ƒ(1)) oder nicht-konstant ƒ(0)≠ƒ(1)) ist. Mit einem klassischen Computer muss man die Funktion zweimal aufrufen, um die beiden Funktionswerte zu berechnen. Mit einem Quantencomputer werden beide Funktionswerte parallel berechnet und das Ergebnis vor der Messung entsprechend manipuliert.

Abbildung 1: Deutsch-Algorithmus.

Die Abbildung zeigt den Deutsch-Algorithmus in der Standardnotation. Die Zeit fließt von links nach rechts. Bei der Berechnung werden zwei Qubits verwendet, von denen eins auf den Wert 0 und das andere auf den Wert 1 initialisiert wird (ganz links). Dann wird auf jedes der Qubits ein Hadamard-Gatter H angewandt. Danach kommt das Gatter Uf, das die Funktion ƒ implementiert und dann ein weiteres Hadamard-Gatter auf das obere der Qubits. Am Schluss wird eine Messung am oberen Qubit vorgenommen. Lautet das Resultat 0, so ist ƒ konstant, andernfalls nichtkonstant.

Wichtige Kenngrößen von Quantencomputern sind die Anzahl der Qubits, deren Qualität und Vernetzung. Unter der Qualität versteht man hauptsächlich die Kohärenzzeit, das ist die mittlere Dauer, während der sie ihre Information halten können. Reale Qubits haben immer eine endliche Kohärenzzeit, die im Vergleich zur Laufzeit wichtiger Algorithmen klein ist. Daher benötigt man eine aktive Fehlerkorrektur, bei der viele Qubits gruppiert werden um dann ein fehlerkorrigiertes logisches Qubit darzustellen. Ja nach Anwendung benötigt man in der Größenordnung von 1.000 oder 10.000 Qubits für ein logisches Qubit.

Man kann zeigen, dass Quantencomputer mit weniger als etwa 50 Qubits von den größten klassischen Computern simuliert werden können, größere aber nicht mehr. Quantencomputer mit mehr als 50 Qubits (guter Qualität und Vernetzung) haben dann bei den erwähnten Anwendungen einen klaren Geschwindigkeitsvorteil, der sich mit jedem zusätzlichen Qubit verdoppelt. Bei den 50 Qubits spricht man von der Grenze des Quantenvorteils (quantum advantage oder auch supremacy).

Implementierung von Quantencomputern

Es gibt mehrere Technologien, um Qubits zu implementieren. Die derzeit dominierenden sind Ionen in Ionenfallen und supraleitende Qubits.

Ionenfallen (siehe Abbildung 2) sind Kombinationen aus elektrischen und magnetischen Feldern im Vakuum, mit denen einzelne Ionen (elektrisch geladenen Atome) eingefangen werden können. An diesen Ionen können dann Experimente vorgenommen werden. Normalerweise sind diese Fallen „linear“ und mehrere Ionen ordnen sich automatisch zu einer Kette an. Atome haben ein diskretes Energiespektrum, d. h. sie können nur bestimmte Energien annehmen (daher kommt das „Quant“ in der Quantentheorie). Genau diese Eigenschaft wird ausgenutzt, um die Zustände des Qubits darzustellen. Für die 0 benutzt man z. B. den Zustand mit der niedrigsten und für die 1 den mit der nächsthöheren Energie. Das Atom kann sich gleichzeitig im Zustand mit der niedrigsten und dem der nächsthöheren Energie befinden. Der Zustand kann verändert werden, in dem man einen sehr kurzen und schwachen Laserimpuls einstrahlt und mit einer ähnlichen Technik nimmt man auch die Messung vor. Um Verschränkungs­zustände mehrerer Ionen herzustellen, versetzt man die Ionenkette in eine Schwingung.

Abbildung 2: Eine Kette von Ionen in einer Ionenfalle. Unten sieht man die fluoreszierenden Ionen, aufgenommen mit einer CCD-Kamera. Verwendung mit freundlicher Erlaubnis der Universität Innsbruck / AQT.
Abbildung 3: Vier supraleitende Qubits auf einem IBM-Chip. Abbildung von Gambetta et al (DOI:10.1038/s41534-016-0004-0) unter Creative-Commons-Lizenz „CC BY 4.0.

 

 

 

 

 

 

 

 

In einem Supraleiter (das sind bestimmte Materialien wie Aluminium oder Niob bei sehr tiefen Temperaturen) sind Cooper-Paare, Paare aus Elektronen, die relevanten Ladungsträger. Supraleitende Qubits (siehe Abbildung 3) bestehen im einfachsten Fall aus einer supraleitenden Insel, die über einen Tunnelkontakt mit einem supraleitenden Reservoir verbunden sind. Durch diesen Tunnelkontakt können Cooper-Paare vom Reservoir auf die Insel hüpfen und zurück. Diese Systeme haben wie das oben diskutierte Ion ein diskretes Energiespektrum. In einer speziellen Realisierung wird die 0 durch n Cooper-Paare und die 1 durch n+1 Cooper-Paare auf der Insel dargestellt. Auch hier sind gleichzeitig n und n+1 Cooper-Paare auf der Insel möglich. Der Zustand wird verändert, in dem man einen kurzen schwachen Mikrowellenpuls über einen Mikrowellenleiter zum Qubit schickt. Ebenfalls mit Mikrowellen wird der Zustand eines Qubits gemessen. Zwei Qubits können über einen diese verbindenden Resonator in einen Verschränkungszustand gebracht werden.

Die größten momentan existierenden Quantencomputer (IBM, Google) verfügen über eine Größenordnung von 50 Qubits, allerdings von relativ schlechter Qualität und Vernetzung. Man erwartet aber, dass bis 2019 der Quantenvorteil gezeigt wird. Es wird eine Aufgabe gelöst werden, die ein klassischer Computer in vertretbarer Zeit nicht mehr lösen kann.

Bosch und Quantencomputing

Bosch ist auf einigen der Gebieten aktiv, auf denen das Quantencomputing neue Möglichkeiten eröffnen wird. Die Firma fokussiert sich im Moment aber weniger auf die Hardware-Entwicklung als darauf, Verständnis für diese neue Technologie zu entwickeln und herauszufinden, wie und in welchen für Bosch relevanten Domänen Quantencomputer in Zukunft sinnvoll eingesetzt werden könnten. Dabei legen wir den Schwerpunkt auf die Themen Materialsimulation und Optimierung und arbeiten mit mehreren internationalen Partnern zusammen.

Quantensensoren

Neue Messprinzipien unterstützen Hirnforscher und Neurochirurgen

Neurologische Erkrankungen des Gehirns sind verbreitet. Seien es Erkrankungen, die sich überwiegend im Alter manifestieren (z. B. Parkinson oder Alzheimer) oder solche, die jede Altersklasse treffen können (z. B. Epilepsie). Beiden gemein sind Fehlfunktionen im Gehirn, genauer gesagt in der Kommunikation zwischen den Neuronen. In der Erforschung, Behandlung und Diagnostik solcher neurologischer Erkrankungen sind bildgebende Verfahren, die ortsaufgelöst neurologische Aktivität abbilden können, ein sehr probates Hilfsmittel. Damit kann man sehr genau Ort und Ursache dieser Erkrankungen erkennen und verstehen. Um etwa bestimmte Formen von Epilepsie zu behandeln gibt es die Möglichkeit, das den Epilepsie-Anfall auslösende Hirnareal chirurgisch zu entfernen. Die Herausforderung dabei ist, bei dieser Operation nicht mehr neurologisches Gewebe als notwendig zu entfernen um nicht andere, wichtige Hirnareale in Mitleidenschaft zu ziehen. Je genauer die Lokalisierung des betroffenen Areals, desto geringer das Risiko von Komplikationen und Schäden nach einem solchen Eingriff.

Eine Entwicklung im Bereich der Quantensensorik, die die bildgebende und ortsaufgelöste Messung neuronaler Aktivität im Gehirn in Zukunft deutlich verbessern könnte, ist die Forschung an ultraempfindlichen Magnetsensoren, die auf Stickstoff-Fehlstellen-Zentren (NV-Zentren, nach engl. nitrogen-vacancy centers) in Diamant basieren und in der Magnetoenzephalografie (MEG) eingesetzt werden könnten. Darunter versteht man die orts- und zeitaufgelöste Messung neuronaler Aktivität anhand der Magnetfelder, die bei der Kommunikation (dem so genannten Feuern) von Neuronen entstehen. Der bei diesem Feuern erzeugte Stromfluss führt zu einem sehr schwachen Magnetfeld, das heute nur mit supraleitenden Magnet­feld­sensoren (SQUIDs) messbar ist. Die Räume, in denen die Messung stattfindet, müssen speziell gegen Störmagnetfelder abgeschirmt werden. Zudem müssen SQUIDs mit flüssigem Helium auf etwa -269 °C gekühlt werden. In Deutschland sind zurzeit nur wenige Spezialkliniken und Forschungszentren mit MEG-Systemen ausgestattet. Daher wird diese Methode heute nur sehr selten und auch nicht flächendeckend in der medizinischen Versorgung eingesetzt.

Auf NV-Zentren basierende Quantensensoren hätten gegenüber ihrer supraleitenden Konkurrenz mehrere Vorteile. Der erste und wichtigste: Sie funktionieren bei Raumtemperatur (Zimmertemperatur). Dadurch entfällt ein aufwendiges Kühlsystem und die Messanordnung könnte als tragbarer Helm ausgeführt werden. Eine starre Körperhaltung, bei der der Kopf ruhig in die fest installierte Sensoranordnung gesteckt werden muss, ist nicht mehr notwendig. Des Weiteren ist aufgrund der thermischen Isolierung, die die tiefgekühlten SQUID-Sensoren umgibt, der Abstand zwischen dem Hirn als Signalquelle und dem Sensor relativ groß. Das neuronale Signal kommt daher am Sensor deutlich abgeschwächt an. Erste Messungen mit alternativen Quantensensoren, die keine thermische Isolierung benötigen, haben gezeigt, dass allein durch den geringeren Abstand die Signalstärke der feuernden Neuronen am Sensor um das Zehnfache ansteigt, was die Messauflösung deutlich verbessert. Selbst wenn die erste Generation miniaturisierter Quantensensoren, welche gerade entwickelt wird, nicht ganz die Empfindlichkeit von SQUIDs erreichen sollte, ergibt sich dennoch aufgrund des geringen Abstands ein Empfindlich­keits­vorteil. Schließlich haben Sensoren basierend auf NV-Zentren gegenüber SQUIDs den Vorteil, dass sie trotz der Präsenz von magnetischen Hintergrundfeldern wie dem Erdmagnetfeld ihre Empfindlichkeit behalten. Die bei heutigen auf SQUIDs basierten MEG-Systemen notwendige Abschirmung des Erdmagnetfelds und anderer magnetischer Streufelder könnte in Zukunft entfallen.

Zusammen mit Zeiss als Medizintechnik-Partner und weltweit führenden Quantensensorik-Forschern der Universitäten Ulm, Stuttgart und Mainz ist Bosch an dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Verbundprojekt BrainQSens beteiligt. Im Rahmen dieses Verbundprojektes soll ein tragbares und in normaler Umgebung bei Raumtemperatur nutzbares MEG-System entwickelt werden. Ein solches System würde nicht nur Hirnforscher, Neurologen und Neurochirurgen unterstützen, sondern könnte als alltagstaugliches System auf längere Sicht auch weitere Anwendungen wie z. B. Gehirn-Computer-Schnittstellen ermöglichen. Darüber hinaus engagiert sich Bosch auf EU-Ebene im Rahmen des Flaggschiff-Projekts zu Quantentechnologien in zwei weiteren Projekten im Bereich Stromsensoren für E-Fahrzeuge und driftstabile Drehratensensoren für das autonome Fahren, die ab Oktober 2018 starten sollen.

Funktionsweise der neuartigen Quantensensoren basierend auf NV-Zentren in Diamant

NV-Zentren in Diamant könnten ein Teil der zweiten Quantenrevolution werden, da sie es ermöglichen, den Quanteneffekt der Zeeman-Aufspaltung atomarer Energieniveaus in Quantensystemen bei Raumtemperatur und für die Messung sehr kleiner Magnetfelder nutzbar zu machen, was eine große Bandbreite von Anwendungen ermöglicht.

Das Herzstück der Magnetfeldsensoren sind speziell präparierte Diamant-Kristalle, in die während des Kristallwachstums gezielt Stickstoff-Atome eingebracht werden und welche sich bei anschließender Behandlung bei ca. 800 °C mit Kohlenstoff-Fehlstellen verbinden.

Diese NV-Zentren lassen sich durch Bestrahlung mit grünem Licht zum Leuchten bringen und zeigen eine rote Fluoreszenz. Physiker beschreiben diesen Prozess durch Energieniveaus, die zeigen, welche Energiezustände die äußeren Elektronen der im Diamant gebundenen Stickstoffatome einnehmen können: im NV-Zentrum können die Elektronen nur zu bestimmten Schwingungszuständen angeregt werden. Dies ist ähnlich wie bei einer Gitarre, bei der die spielbaren Töne von der Länge der Gitarrensaite abhängen. Beim NV-Zentrum entspricht der Resonanzraum nicht der Länge einer schwingenden Saite, sondern wird durch den Platz bestimmt, den der Diamantkristall dem Stickstoffatom überlässt.

Abbildung 4: Systematischer Aufbau eines Magnetfeldsensors basierend auf NV-Zentren in Diamant.
Abbildung 5: Bei Bosch entwickelter Prototyp.

 

 

 

 

 

 

Ähnlich wie bei der Gitarrensaite, bei der ein Ton durch den Anschlag angeregt wird, wird im NV-Zentrum durch grünes Licht ein Elektron vom Grundzustand in einen angeregten Zustand gehoben und der Diamant damit zum Leuchten gebracht. Wie die Gitarre besitzt nun das NV-Zentrum auch mehrere Saiten, die so genannten Grundzustände. Durch Einstrahlung von Mikrowellen, deren Frequenz und damit Energie genau dem Abstand zwischen den vorhandenen Grundzuständen entspricht, werden die Elektronen des Stickstoffs in einen anderen Grundzustand gebracht. Es wird sozusagen die Gitarrensaite gewechselt, die dann beim Einstrahlen von grünem Licht angeschlagen wird. Der wichtige Unterschied zum vorhergehenden Fall ist, dass diese Gitarrensaite keinen hörbaren Ton erzeugt. Es wird also kein Licht nach Anregung dieses Grundzustandes erzeugt. Der energetische Abstand der Grundzustände hängt vom Magnetfeld ab. Durch Durchstimmen der Mikrowellenfrequenz, die den Wechsel von der einen auf die andere Gitarrenseite induziert, kann man den Abstand der Grundzustände und damit indirekt die Stärke des äußeren Magnetfeldes messen.

Quantenkryptographie

Zwei wichtige Anwendungen der Quantenkryptographie sind die Quantenschlüsselverteilung (Quantum Key Distribution, QKD) und Quantenzufallszahlengeneratoren.

Quantenschlüsselverteilung

Mittels der Quantenschlüsselverteilung können zwei Parteien, Alice und Bob, einen gemeinsamen und geheimen Schlüssel etablieren, mit dem sie die folgende Kommunikation verschlüsseln können. Momentan wird diese Aufgabe mit den Mitteln der asymmetrischen Kryptographie (siehe oben) bewerkstelligt. Die Quantentechnologie liefert mit dem Werkzeug zum Knacken der Schlüssel (Quantencomputer) auch gleich das neue Werkzeug zur Schlüsselverteilung, das gegen Angriffe mittels Quantencomputer immun ist: die Quantenschlüsselverteilung.

Wir werden die Quantenschlüsselverteilung hier nicht näher erläutern. Bosch hat momentan keine Aktivitäten in diesem Feld.

Quantenzufallszahlengenerator

Die Qualität der klassischen Verschlüsselung hängt stark von der Qualität der Zufallszahlen ab, die dabei benötigt werden. Zufallszahlen sind schlecht, wenn sie teilweise vorhergesagt werden können. Es gibt drei grundsätzlich verschiedene Arten um Zufallszahlen zu erstellen:

Zunächst mittels Pseudozufallszahlengeneratoren, das sind komplizierte Funktionen die zufällig aussehende Zahlenfolgen liefern. Ein Computeralgorithmus, der eine zufällige Folge von Dezimalziffern liefern soll, könnte einfach die Zahl  in ihrer Dezimaldarstellung berechnen und dann einfach der Reihe nach die Ziffern ab der 593ten Stelle nach dem Komma ausgeben. Für den Nutzer dieses Zufallszahlengenerators werden die Ziffern zunächst zufällig erscheinen. Beschäftigt er sich eingehend damit, wird er aber feststellen, wie sie generiert wurden und kann ab diesem Moment die Ziffern mit absoluter Sicherheit vorhersagen.

Physikalische Prozesse liefern bessere Zufallszahlen. Wir kennen das: Würfel, Roulette, etc. Das Prinzip hier ist das Chaos. Stellt man eine Spielkarte senkrecht auf den Tisch, so wird sie nach rechts oder nach links fallen. Sobald der Anfangszustand beliebig wenig verändert wird (hängt z. B. etwas nach rechts), wird sich die Statistik der Ergebnisse drastisch ändern. Da der Anfangszustand nicht beliebig genau bekannt ist, hilft die Physik wenig dabei, das Ergebnis zu berechnen. Eine andere Methode fußt auf dem Effekt des Rauschens. Aus der analogen Fernsehwelt ist das noch bekannt. Sobald das Signal weg ist, zeigt der Fernseher ein zufälliges Muster, eben das Rauschen. Dies kann als Zufallszahlengenerator genutzt werden. Solche Prozesse sind aber anfällig für Manipulation und eben nur für praktische Zwecke nicht berechenbar.

Abbildung 6: Prinzip eines Quantenzufallszahlengenerators.

In der Quantenphysik gibt es echten Zufall. Das Prinzip zeigt die Abbildung 6. Eine sehr schwache Lichtquelle erzeugt einzelne Photonen (Lichtteilchen). Diese fallen auf einen halbdurchlässigen Spiegel und werden entweder transmittiert oder reflektiert. Zwei Detektoren weisen dann nach, was tatsächlich passiert ist. Ob ein Photon transmittiert oder reflektiert wird, ist komplett unbestimmt. Dieses Experiment und ähnliche sind also eine ideale Basis für einen Zufallsgenerator, einen Quantenzufallszahlengenerator (QRNG).

Große und teure QRNGs gibt es seit etwa einem Jahrzehnt. Bosch hat das Ziel, einen sehr kleinen und günstigen QRNG zu entwickeln und wird dazu demnächst ein Projekt zusammen mit einigen europäischen Partnern starten.

Fazit

Wir befinden uns inmitten der zweiten Quantenrevolution, die uns Quantencomputing und ‑simulation, Quantenkryptographie und Quantensensorik bringt. Diese Quantentechnologien werden zu komplett neuen Anwendungen und Produkten führen. Bosch engagiert sich als großer Technologiekonzern auf dem Gebiet, und zwar speziell bei den Quantensensoren, den Anwendungen von Quantencomputern und bei Quantenzufallszahlengeneratoren.

Thomas Strohm, Studium der Physik in Karlsruhe und Madrid, Promotion am MPI in Stuttgart. Seit 1999 bei Bosch. Über 10 Jahre Erfahrung in SW-Engineering, Architektur von SW-Systemen, Kompetenzentwicklung. Seit 2012 im Bereich Quantentechnologien, u.a. aktiv in der Koordination des EU-Quanten-Flaggschiffs.

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