Mut und Vision? 50 Jahre nach der Mondlandung

Von   Oliver Gassmann   |  Professor für Technologie- und Innovationsmanagement   |  Universität St. Gallen
6. August 2019

Am 20. Juli 1969 realisierten die drei Männer in der Apollo-Kapsel Kennedys Traum: Sie landeten auf dem Mond und schrieben Geschichte. Was können wir heute von dieser historischen Mission lernen? Von Oliver Gassmann.
600 Millionen Menschen sahen Armstrongs berühmte erste Schritte auf der Mondoberfläche. Allen Widrigkeiten zum Trotz und entgegen aller Vernunftargumente, welche dagegen sprachen; zu schwierig, zu kostspielig, keine Wirtschaftlichkeitsrechnung, kein konkreter Nutzen. Als Kennedy acht Jahre zuvor die Mission im US-Kongress beantragte, um das Budget dafür gesprochen zu erhalten, war die Situation für ein derartiges Projekt denkbar ungünstig:

(1) Die Sowjets hatten einen klaren Vorteil und waren die Vorreiter auf dem Gebiet der Raumfahrt. Sie waren in vielen Missionen in der Frühphase der Raumfahrt voraus, mit Sputnik als ersten Satelliten in der Erdumlaufbahn und Luna 2 als erste Raumsonde auf dem Mond. Die USA hatten in der aufstrebenden Raumfahrt keine Führungsrolle (Pionier), sie waren klar in einer Nachzüglerposition (Follower).

(2) 1961 waren Wirtschaft und Gesellschaft mit zahlreichen anderen Herausforderungen aus der Nachkriegszeit konfrontiert. Warum sich mit aller Kraft auf eine Mission konzentrieren, die kaum einen messbaren Nutzen verspricht?

(3) Niemand hätte damals ernsthaft gedacht, dass kommerzielle Anwendungen herauskommen würden. Niemand machte sich Gedanken über die Teflon-Technologie oder kommerzielle Raumflüge, die 50 Jahre später ausgeschrieben würden. Es gab keine Marktanalyse, kein Geschäftsmodell, kein ernsthaftes Geschäftsszenario, keine wirtschaftliche Finanzrechnung; niemand errechnete den Kapitalwert eines solchen Projektes in einer Excel-Datei oder prognostizierte eine Rentabilität. Stattdessen erbat sich Kennedy USD 25 Mia., was damals 2.5% des US-amerikanischen BIP entsprach. Dies forderte er für die nächsten zehn Jahre.

(4) Die Komplexität der geplanten Mondlandung war riesig. Weil man auf der Rückseite des Mondes keinen Erdempfang hatte und zum Zeitpunkt der Mondlandung selbst keine Real-time Verbindung zur Erde hatte, war ein für damalige Verhältnisse ‘riesiger’ Computer notwendig. Mit einer Speicherkapazität von 74 Kilobyte und einer Verarbeitungsleistung von 4 Kilobyte war der 30kg schwere Computer alles, was man sich für diese Raumfahrtmissionen vorstellen konnte. Dies entspricht der Leistung eines heutigen 5 Euro Billigtaschenrechners, welcher heute als Werbeartikel verschenkt wird.

(5) Ein früher Versuch mit dem Apollo-Programm war eine Katastrophe: Apollo 1 scheiterte kläglich mit dem Ziel, Astronauten in die Umlaufbahn zu bringen, und drei Männer starben bei einem Prelaunch-Test. Die NASA und die amerikanische Gesellschaft ließ sich jedoch dadurch nicht beirren. Weniger als 18 Monate später landete Apollo 11 auf dem Mond.

Am Anfang des Programms stand lediglich ein einfacher Traum und der Wunsch, diesen Traum innerhalb kürzester Zeit umzusetzen. Kennedy vereinte und mobilisierte eine ganze Nation auf dieses gemeinsame Ziel hin. Er wurde zu einem kleinen Schritt für die Astronauten, aber zu einem großen Schritt für die Menschheit.

Was können wir heute von dieser historischen Mission lernen? In einer Zeit, in der die globalen Herausforderungen von Klimawandel über Migration zu Handelsthemen enorm sind. Der Erfolg der Mondlandung lässt sich zusammenfassen, was auch die Innovationsforschung bestätigt: Es braucht eine visionäre Führungspersönlichkeit, welche selbst ein gefestigtes Zielbild innehat und die kommunikativen Fähigkeiten besitzt, um eine Gesellschaft zu vereinen. Große Sprünge in der Entwicklung und disruptive Episoden sind oft auf Einzelpersonen zurückzuführen. Neben Kennedy wäre auch Winston Churchill oder Karl Marx aufzuführen, heute sind dies Steve Jobs, Elon Musk oder Jack Ma. Viele dieser Führungspersönlichkeiten wären in üblichen Assessment Centers aufgrund ihrer Egozentrik oder ihres mangelnden Teamgeistes durchgefallen. Aber der Fortschritt beruht meist nicht auf Menschen, die sich an die Welt anpassen, sondern auf denen, welche die Welt an sich anpassen.

Große Innovationen werden von einer Vision angetrieben, nicht vom Ziel, in kurzer Zeit viel Geld zu verdienen

Große Innovationen werden von einer Vision angetrieben, nicht vom Ziel, in kurzer Zeit viel Geld zu verdienen. Eine solche Vision gleicht einem Traum mit einer Deadline. Kennedys Traum war einfach zu kommunizieren: Wir wollen auf dem Mond stehen, die implizite Botschaft dabei: Wir wollen die Sowjets in diesem Jahrzehnt noch schlagen. Für die Realisierung dieser Vision müssen die besten Talente – von Ostküste MIT bis zur Westküste Stanford – vereint werden. Die Vision hat immer Langfristcharakter und geht über die nächste Wahlperiode von Politikern oder die nächsten Quartalsergebnisse weit hinaus. Aktienmärkte arbeiten häufig kurzfristig, große Würfe erfordern langen Atem. Am Ende reicht es aber nicht aus zu träumen: Es benötigt enorme Präzision, gute Planung und operative Exzellenz in der Umsetzung, um ein solches virtuelles Team von Teams zu führen.

Die Apollo-Mission leistete einen bedeutsamen Beitrag zur modernen digitalen Elektronik. Die Informationstechnologie wurde verkleinert, die Transistoren kamen auf und die Architektur der Mikrochips entstand. Das Moore’sche Gesetz, wonach sich die Leistungsfähigkeit von Computer alle 18 Monate verdoppeln, begann mit der Apollo-Mission. Heute besitzt jedes durchschnittliche Smartphone eine um viele Millionen größere Speicherkapazität und eine um mehrere Milliarden höhere Verarbeitungsleistung als der ursprüngliche Computer der Apollo-Mission. Heute haben wir einen unerhörten Wissensfortschritt, aber nutzen wir unsere Möglichkeiten für übergeordnete gemeinsame Ziele? Wäre es nicht wieder an der Zeit für eine nächste Apollo-Mission, um die Vollbeschäftigung zu erreichen, den Krebs zu besiegen, die Energiewende zu realisieren und den Klimawandel zu stoppen? Auch hier gilt wieder: Nicht alles, was gewagt wird, gelingt. Aber alles, was gelingt, wurde einmal gewagt.

 

 

Oliver Gassmann ist Professor für Technologie- und Innovationsmanagement an der Universität St.Gallen. Er leitet das gleichnamige Institut und arbeitet in seiner Forschung eng mit international führenden Unternehmen zusammen.

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